44/J XXIV. GP

Eingelangt am 03.11.2008
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Pirklhuber, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

betreffend Zulässigkeit nationaler Schutzmaßnahmen vor gentechnisch veränderten Organismen (GVO)

 

Im November 2003 schlossen sich zehn Regionen Europas zu einem Netzwerk gentechnikfreier Regionen zusammen und appellierten an die EU-Kommission, eine gentechnikfreie Landwirtschaft in ihren Regionen zu ermöglichen. Gegründet und getragen wird das Netzwerk, das inzwischen auf 44 gentechnikfreie Regionen angewachsen ist, von Oberösterreich und der Toskana.  Ziel ist es, das Selbstbestimmungsrecht der Regionen auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion zu erreichen, wie im einstimmigen Beschluss des Nationalrates vom 18.06.2008 gefordert.

 

Die europarechtliche Zulässigkeit gesetzlicher Regelungen zum Schutz vor gentechnisch veränderten Organismen (GVO) wirft jedoch etliche Fragen auf. Anders als häufig behauptet sind jedoch die im Rahmen der Europäischen Gerichtsbarkeit gefällten Urteile zum oberösterreichischen Gentechnik-Verbotsgesetz kein Beleg für die generelle Unzulässigkeit nationaler Koexistenzregelungen oder nationaler Regelungen zu gentechnikfreien Regionen.

 

Das europäische Gentechnikrecht lässt zwar pauschale und absolute Verbote (also nicht pflanzenspezifische, ortspezifische, koexistenzspezifische oder sonstige anlassbezogene Verbote von zugelassenen GVO) nicht zu, Verbote und Beschränkungen ohne pauschalen und absoluten Charakter bleiben hingegen möglich. Sie können sich gezielt gegen einzelne EU-Zulassungen richten wie im Fall der Anbauverbote von MON810. Bei entsprechender Begründung sind aber auch Anbaubeschränkungen für eine Vielzahl von GVO in Form allgemeiner Gesetze möglich.

 

Grundsätzlich können gesetzliche Regelungen gestützt werden:

-          auf die allgemeine Opting out Klausel des Art. 95 Abs. 5, 6 EG-Vertrag ("abweichende einzelstaatliche Bestimmungen")

-          auf die spezielle Koexistenzklausel des Art. 26a Abs. I Freisetzungsrichtlinie ("geeignete Maßnahmen") und

-          die Verpflichtungen der EU aus dem Europäischen und Internationalen Naturschutzrecht.

 

Bei den von EuG und EuGH entschiedenen Verfahren zu Oberösterreich/Österreich wurde das Gentechnik-Verbotsgesetz auf die Opting out Klausel des Art. 95 Abs.5, 6 EG-Vertrag gestützt. Solche Verfahren sind insofern problematisch, da diese Vorschrift hohe Hürden (neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu GVO, spezifische Probleme des Mitgliedstaates, Entscheidungsmacht der EFSA) für nationale Alleingänge aufstellt.

 

Die Koexistenzklausel des Art. 26a Freisetzungsrichtlinie stellt hingegen wesentlich geringere Anforderungen. Es ist weder der Beweis eines spezifischen Problems des Mitgliedstaates noch der Beweis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse notwendig. Die bloße Tatsache, dass ein Mitgliedstaat Schutzmaßnahmen ergreifen will, reicht aus, da das EU-Recht beim derzeitigen Stand die Befugnisse zur Koexistenzsicherung den Mitgliedstaaten überlässt. Es findet dann nur noch eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt.

 

Der Vorteil des Europäischen Naturschutzrechts im Hinblick auf die Zulässigkeit nationaler Koexistenzregelungen liegt in den strikten Bindungen von Kommission, EuG und EuGH sowohl an die beiden im Verhältnis zum EU-Gentechnikrecht gleichrangigen EU-Naturschutzrichtlinien (FFH- und Vogelschutzrichtlinie) als auch an die höherrangigen (!) Regelungen zum in situ Schutz der Biodiversitätskonvention. Diese Bindungen setzen EU-Produktzulassungen ex lege Grenzen und können dazu führen, dass bei allen Schutzgebietskategorien des europäischen wie österreichischen Naturschutzrechts der Einsatz von GVO beschränkt werden kann. Weitere Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus der EU-Umwelthaftungsrichtlinie, die unter bestimmten Voraussetzungen auch den Einsatz von GVO außerhalb von Schutzgebieten verbietet.

 

Juristische Strategie für europarechtlich abgesicherte Gentechnikvorsorgegesetze könnte also sein, die gesetzlichen Regelungen so zu formulieren, dass sie teilweise auf die Koexistenzklausel Art. 26a Freisetzungsrichtlinie und teilweise auf die Regelungen des europäischen Naturschutzrechts gestützt werden.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

  1. Was ist Ihre Strategie, die österreichische Landwirtschaft weiterhin gentechnikfrei zu erhalten und welche diesbezüglichen rechtlichen Maßnahmen werden Sie auf Bundesebene ergreifen?

 

  1. Welche rechtlichen Maßnahmen halten Sie auf Landesebene für europarechtlich zulässig, um den Einsatz von GVO de facto zu verbieten?

 

  1. Wie beurteilen Sie aus der Sicht des Europarechts die Möglichkeit, die gesetzlichen Regelungen zum Schutz von gentechnikfreien Regionen auf die Koexistenzklausel Art. 26a Freisetzungsrichtlinie und auf die Regelungen des europäischen Naturschutzrechts zu stützen?

 

  1. Welche Handlungsmöglichkeiten sehen Sie im Rahmen der EU-Umwelthaftungsrichtlinie, den Einsatz von GVO innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten zu verbieten und welche diesbezüglichen Maßnahmen werden Sie ergreifen?

 

  1. Werden Sie das Bundesland Oberösterreich bei einem weiteren gesetzlichen Vorstoß zum Schutz einer gentechnikfreien Landwirtschaft in OÖ, unter gezielter Ausnutzung der Möglichkeiten des Art. 26a Freisetzungsrichtlinie und des Europäischen Naturschutzrechts unterstützen?

 

  1. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, damit auch sozio-ökonomische Faktoren ins EU-Zulassungsverfahren mit einbezogen werden (z.B. Anregung, dass die EU-Kommission eine Studie in Auftrag gibt hinsichtlich der sozio-ökonomischen Effekte der sogenannten „Koexistenz“)?

 

  1. Welche konkreten Initiativen werden Sie auf EU-Ebene ergreifen, damit das Selbstbestimmungsrecht der gentechnikfreien Regionen Europas auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion anerkannt wird?