472/J XXIV. GP

Eingelangt am 12.12.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz

und weiterer Abgeordneter

an den Herrn Bundeskanzler

betreffend Erhebungskriterien für die Feststellung der Volksgruppenzugehörigkeit

Das Bundesgesetz vom 7. Juli 1976 über die Rechtsstellung von Volksgruppen in Österreich (Volksgruppengesetz) (BGBl. 396/1976) definiert Volksgruppen in Öster­reich sowie deren Stellung wie folgt:

„§ 1. (1) Die Volksgruppen in Österreich und ihre Angehörigen genießen den Schutz der Gesetze; die Erhaltung der Volksgruppen und die Sicherung ihres Bestandes sind ge­währleistet. Ihre Sprache und ihr Volkstum sind zu achten.

(2) Volksgruppen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum."

Dazu analog erklärt die Republik Österreich als Vertragspartner im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (BGBl. III Nr. 120/1998), dass

„für sie unter dem Begriff „nationale Minderheiten" im Sinne des Rahmenübereinkom­mens zum Schutz nationaler Minderheiten die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten, vom Anwendungsbereich des Volksgruppengesetzes, BGBl. Nr. 396/1976, erfaßten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Mutter­sprache und eigenem Volkstum zu verstehen sind."

Bei Volkszählungen wurde in Österreich statt der Erhebung von Muttersprache und Volkstum (z. B. Volkstums-Zugehörigkeitserklärung) bewusst Falsches, nämlich die Umgangssprache, die für die Zuordnung von Personen zu einer Minderheit irrelevant, Vertrags- und gesetzwid­rig ist, abgefragt. Von Personen, die als Umgangssprache eine andere, als die deutsche Spra­che angegeben hatten, wurde automatisch angenommen, dass diese sich zugleich als Angehö­rige einer nationalen Minderheit betrachteten.

Diesen Formulierungen bzw. der beschriebenen praktischen Handhabung bei Volkszählungen widerspricht jedoch Abschnitt 1, Artikel 3, Ziffer (1) des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung (BGBl. III, Nr. 120/1998), der besagt

(1) Jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, hat das Recht, frei zu ent­scheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht; aus dieser Entschei­dung oder der Ausübung der mit dieser Entscheidung verbundenen Rechte dürfen ihr keine Nachteile erwachsen.

Auch ist die besagte bisherige Vorgehensweise der Erhebung der Umgangssprache bei Volks­zählungen im Zuge von Monitorings durch den Europarat mehrfach beanstandet worden (Be­richte ACFC/INF/OP/I(2002)009 und Res. CMN (2004)1).

Das Registerzählungsgesetz (BGBl. I Nr. 33/2006) sieht nunmehr folgende Erhe­bungsmerkmale der Volkszählung vor:

 

1.             Erhebungsmerkmale der Volkszählung (§ 3 Abs. 1):

1.1.                                 Wohnadresse des Hauptwohnsitzes (§ 1 Abs. 7 MeldeG);

1.2.                                 Wohnadresse allfälliger weiterer Wohnsitze;

1.3.                                 Wohnadressen des Hauptwohnsitzes im Zeitraum ein Jahr vor und sechs Monate nach dem Stichtag inklusive der Anmelde- und Abmeldedaten;

1.4.                                 Adresse der Kontaktstelle der Obdachlosen (§ 19a Abs. 1 Z 2 MeldeG);

1.5.                                 Geburtsdatum;

1.6.                                 Geschlecht;

1.7.                                 Staatsangehörigkeit;

1.8.                                 Staat des Geburtsortes;

1.9.                                 Familienstand;

1.10.                            Stellung in der Familie;

1.11.                            Zahl und Geburtsdaten der lebend geborenen Kinder;

1.12.                            Höchste abgeschlossene Ausbildung.

1.13.                            Erwerbsstatus:

 

1.13.1.       erwerbstätig (Haupterwerbstätigkeit und allfällige weitere Erwerbstätigkeiten), nicht erwerbs­tätig;

1.13.2.       Stellung im Beruf.

1.13.3.     zeitliches Ausmaß der unselbständigen Erwerbstätigkeit
(Vollzeit, Teilzeit, geringfügig beschäftigt):

1.13.3.1.    geringfügig beschäftigt;

1.13.3.2.    Vollzeit beschäftigt;

1.13.3.3.    Teilzeit beschäftigt.

 

1.13.4.       in Elternkarenz während aufrechtem Dienstverhältnis;

1.13.5.       im Betrieb eines Familienangehörigen pflichtversichert mithelfend;

1.13.6.       Arbeitsstätte (Wirtschaftszweig und Adresse der Arbeitsstätte);

1.13.7.       Dienstgeber- und Beitragskontonummer bei der gesetzlichen Sozialversicherung;

1.13.8.       Steuernummer und Subjektidentifikationsnummer im Steuerregister für Selbständige;

1.13.9.       arbeitslos, arbeitssuchend, lehrstellensuchend, in Schulungsmaßnahmen befindlich.

1.13.10.    Schüler/Schülerin:

 

1.13.10.1.    Ausbildungsart, -form und -fachrichtung;

1.13.10.2.    Adresse der Bildungseinrichtung.

1.13.11.   Student/Studentin:

1.13.11.1.    Ausbildungsart, -form und -fachrichtung;

1.13.11.2.    Adresse der Bildungseinrichtung.

 

1.13.12.    im Präsenz- oder Zivildienst.

1.13.13.    Pensionist/Pensionistin.

1.14.         Privathaushalt/Anstaltshaushalt.

Eine Möglichkeit zur Identifizierung nationaler Minderheiten gemäß BGBl. 396-1976 Volksgruppengesetz (Muttersprache, Volkstum) besteht demnach nicht mehr.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten folgende

Anfrage:

1.   Wie stehen Sie zum Verstoß gegen Abschnitt I, Artikel 3, Ziffer (1) des Rahmenüberein­kommens zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung (BGBl. III, Nr. 120/1998), der sich durch die automatische Zuordnung einer Volksgruppenzugehörigkeit entsprechend den Angaben bei Volkszählungen der Befragten zur verwendeten Um­gangssprache ergab, und durch den der Befragte seines Rechts beraubt wurde, sich nach eigener, freier Entscheidung zur Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit zu beken­nen oder nicht?

2.                   Wie können Sie künftig gewährleisten, dass Personen, die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten, vom Anwendungsbereich des Volksgruppengesetzes (BGBl. Nr. 396/1976) erfassten, Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeut­scher Muttersprache und eigenem Volkstum, die sich jedoch gemäß ihrer freien Ent­scheidung nicht als Angehörige einer nationalen Minderheit, sondern der Mehrheitsbe­völkerung betrachten, künftig nicht mehr zwangsweise der nämlichen nationalen Min­derheit zugeordnet werden?

3.                   Wie äußern Sie sich zur Gesetzeslücke, die sich durch den Wegfall des letzten Erhe­bungskriteriums, „Umgangssprache“, bedingt durch den Übergang vom Volkszählungs­gesetz (BGBl. 159/1950 und BGBl. 199/1980) zum Registerzählungsgesetz (BGBl. I Nr. 33-2006) ergeben hat, und durch welche die letzte Möglichkeit zur Feststellung nationa­ler Minderheiten weggefallen ist?

4.                   Wie wollen Sie die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen nationaler Minderheiten und Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens gewährleisten, und er­forderlichenfalls angemessene Maßnahmen ergreifen können, ohne über geeignete Erhe­bungsinstrumente zu verfügen, die eine Identifizierung i. S. d. Volksgruppengesetzes (BGBl. 396/1976) von Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglichen?

5.                   Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das, mit dem Übergang vom Volkszäh­lungsgesetz (BGBl. 159/1950 und BGBl. 199/1980) zum Registerzählungsgesetz (BGBl. I Nr. 33-2006) weggefallene, bisherige Kriterium zur Feststellung nationaler Minderhei­ten, „Umgangssprache“, entstandene Manko zu beheben?

6.         Welche geeigneteren Kriterien werden Sie anstatt des bisherigen Kriteriums zur Feststel­lung nationaler Minderheiten, „Umgangssprache“, i. S. d. Volksgruppengesetzes (BGBl. 396/1976) wählen, sodass künftig auch nicht mehr infolge einer automati­schen Zuordnung der Befragten je nach angegebener Umgangssprache, die Be­fragten an einer freien Entscheidung für die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit gehindert, und somit in ihren Rechte beschnitten werden?

7.                   Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um Personen, die als Umgangssprache eine andere, als die deutsche Sprache haben, und sich selbst aus freier Entscheidung als An­gehörige der Mehrheitsbevölkerung betrachten, künftig nicht mehr mit Personen zu ver­mischen, die als Umgangssprache eine andere, als die deutsche Sprache haben, und sich selbst als Angehörige einer nationalen Minderheit betrachten?

8.         In welchem Zeitraum planen Sie Maßnahmen umzusetzen, die dazu geeignet sind, Per­sonen, die als Umgangssprache eine andere, als die deutsche Sprache angegeben haben, von solchen Personen unterscheiden zu können, die gemäß ihrer freien Entscheidung dennoch keiner nationalen Minderheit, sondern der Mehrheit angehören?


9.         Ist geplant, diese Maßnahmen im Zuge der geplanten Staats- und Verfassungsreform zu implementieren?

10.              Falls nein, warum nicht?