4816/J XXIV. GP

Eingelangt am 12.03.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Hannes Jarolim, Angela Lueger

und GenossInnen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend „geeignete Reaktionsformen auf sexuellen Missbrauch insbesondere im kirchlichen Bereich“

Die aufgrund zahlreicher tragischer Fälle seit Wochen in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Debatte über Reaktionsformen des Staates angesichts schwerer Missbrauchsfälle insbesondere im kirchlichen Bereich ist aufgrund einschlägiger Fälle nunmehr auch nach Österreich übergesprungen.

Ein Schwerpunkt der Diskussion in Deutschland betraf die mögliche Verlängerung von Verjährungsfristen. Während die „Deutsche Kinderhilfe eine völlige Abschaffung der Verjährungsfristen bei Missbrauch forderte, die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) die Verjährungsfristen verlängern will, hat sich die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der rechtsliberalen FDP skeptisch zu verlängerten Verjährungsfristen geäußert und argumentiert, dass es schwierig sei, nach z.B. 40 Jahren noch Zeugen für eine Tat zu ermitteln.

In Österreich wurden die Strafrahmen bei Sexualdelikten seit den 90er-Jahren mehrmals verschärft und bereits auch in den 90er-Jahren wurde eingeführt, dass die Verjährungsfristen in diesen Fällen erst mit der Volljährigkeit des Opfers beginnen. Im Jahr 2009 wurde durch eine weitere Änderung im Strafgesetzbuch folgende weitere Erschwerung der Verjährung eingeführt und es heißt seitdem im § 58, Abs. 3, Zi. 3:


In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet...

3. die Zeit bis zur ,Vollendung’ des 28. Lebensjahres des Opfers einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, wenn das Opfer zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war“.

 

Bei einem schweren Delikt beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre, was beispielsweise bei einem Opfer, das mit 12 Jahren missbraucht wurde, bedeuten würde, dass die Verjährung mit Ende des 48. Lebensjahres eintreten würde.

Auch wenn es legitim ist, über weitere Verschärfungen bei der Verjährungsfrist zu diskutieren, zeigt das bisher Dargelegte, dass weitere Erhöhungen der Strafrahmen und Verlängerungen der Verjährungsfristen allein nicht ausreichend sein können und andere Maßnahmen vermutlich zielführender und effektiver sein könnten.

Eine weitere Reaktionsform liegt in Verbesserungen im Bereich des Schadenersatzrechtes, insbesondere des ideellen Schadenersatzes und der damit verbundenen Verpflichtung der Übernahme der Therapiekosten. Es ist aber eine Tatsache, dass seit vielen Jahren an einer Reform des Schadenersatzrechtes gearbeitet wird, ohne dass es bisher zu befriedigenden Lösungen gekommen sei. Das herkömmliche Schadenersatzrecht ist in Österreich für spezifisch die gegenständlichen Opfer nur ein begrenzt taugliches Instrument.

Aus dem bisher Ausgeführten scheint es sinnvoll, zusätzlich ein Modell anzudenken, das in den Vereinigten Staaten praktiziert wird und welches - natürlich adaptiert auf europäische Verhältnisse - auch bei uns zum Tragen kommen könnte. In den USA wurden 1,2 Mrd. US-Dollar (entspricht 883 Mio. Euro) von der katholischen Kirche bisher „freiwillig an Missbrauchsopfer gezahlt. Beispielsweise hat das Erzbistum Los Angeles 660 Mio. Euro an 508 Missbrauchsopfer überwiesen.

Adaptiert auf europäische Verhältnisse könnte man sich vorstellen, dass die katholische Kirche einen Fonds einrichtet und in diesen Mittel einzahlt, die an Missbrauchsopfer ausbezahlt werden. Dies sollte in einem unbürokratischen, aber formalisierten und den


ordentlichen Zivilgerichten vorgelagerten Verfahren erfolgen. Die Missbrauchsopfer würden sehr rasch und ohne unnötig langwierige schmerzhafte Prozeduren - selbstverständlich unter Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit - Mittel aus diesem Fonds erhalten, die jene Entschädigungsbeträge spürbar überschreiten würden, die sie bei einem normalen zivilgerichtlichen Verfahren zu erwarten hätten. In Fällen, wo es zu keiner einvernehmlichen vorprozessualen Lösung kommt, bliebe der Zivilrechtsweg natürlich offen. Vollkommen unberührt davon bleibt die strafrechtliche Dimension.

Jedenfalls scheint es sinnvoll, dass die österreichische Justizpolitik sich im Interesse der Opfer umfassend mit Lösungsmöglichkeiten befasst und es stellen in diesem Sinn die unterzeichneten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz nachstehende

Anfrage:

1.  Gibt es angesichts der aktuellen Debatte über zahlreiche Missbrauchsfälle, insbesondere im kirchlichen Bereich, bereits konkrete Pläne des Bundesministeriums für Justiz, wie geeignete Reaktionsformen darauf aussehen könnten?

2.              Gibt es Überlegungen in Ihrem Ressort, ob und inwieweit eine Verlängerung der Verjährungsfristen im gegebenen Zusammenhang sinnvoll sein könnten?

3.              Bieten die Möglichkeiten des Zivilrechtes und insbesondere des Schadenersatzrechtes nach Ihrer Auffassung derzeit ausreichend rechtliche Möglichkeiten, um Opfern einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit und gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung wirksam zu helfen und diese zu entschädigen?

4.              Wenn Sie Frage drei mit „Neinbeantworten: Gibt es in Ihrem Ressort konkrete Überlegungen dahingehend, wie die rechtliche Situation von in Frage drei dargestellten Opfern verbessert werden könnte?

5.              Wenn Sie Frage 4 mit „Nein beantworten: Warum nicht?

6.      Wenn Sie Frage 4 mit „Ja beantworten: Welche konkreten Überlegungen sind dies?


7.              Sind Sie der Auffassung, dass das österreichische Schadenersatzrecht generell und insbesondere im Hinblick auf ideelle Schäden reformbedürftig ist?

 

8.             Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, dass wie nach US-amerikanischem Vorbild ­

adaptiert auf europäische Verhältnisse - die katholische Kirche freiwillig und wirksam Missbrauchsopfer entschädigt?

9.             Wie beurteilen Sie den Vorschlag, dass den Zivilgerichten vorgelagert in einem möglichst unbürokratischen aber nicht formfreien Verfahren Mittel aus einem Fonds, welchen die katholische Kirche speist, an Missbrauchsopfer aus dem kirchlichen Bereich ausbezahlt werden?