5079/J XXIV. GP

Eingelangt am 21.04.2010
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Walser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin  für Unterricht, Kunst und Kultur

 

betreffend Zahlen und Präventionsmaßnahmen gegen falsche Ernährung, Fett- und Magersucht und für ein gesundes positives Körpergefühl

 

ÄrztInnen in Österreich schlagen Alarm. Immer mehr Jugendliche und sogar schon Kinder leiden unter den Folgen falscher Ernährung. In Österreich ist schätzungsweise jede/r fünfte Schüler/in zwischen 11 und 13 Jahren übergewichtig. Etwa fünf Prozent der Wiener Schulkinder leiden an Adipositas – und der größte Teil der stark Übergewichtigen trägt diese Last lebenslang.

 

Die Zahl der von Magersucht und Bulimie betroffenen Jugendlichen liegt zwar weit darunter, aber die ExpertInnen der Beratungseinrichtung für Menschen, die von Essstörungen betroffen sind, schätzen die Zahl auf etwa 3-5% alle Frauen, bei den Männern sind es deutlich weniger. Die Zahl steigt seit den 90er Jahren kontinuierlich an.

Gerade in der Pubertät finden gravierende Veränderungen statt, die dazu führen, dass Jugendliche ihren Körper mit gesteigerter Aufmerksamkeit beobachten. Vor allem bei Mädchen sind diese pubertären Veränderungen häufig mit einer erhöhten Unzufriedenheit mit ihrem Körper und ihrem Erscheinungsbild verbunden, während sich Burschen meist eine eher positive Einstellung zu ihrem Körper bewahren können.

Die Ideale, an denen sich Burschen und Mädchen dabei messen, sind kulturell geprägt und verweisen bei Mädchen auf einen schlanken und vorpubertären Körper, bei Burschen hingegen auf Muskeln und breite Schultern. Mädchen entwickeln sich mit dem Wachstum also tendenziell von ihrem Schönheitsideal weg, Burschen diesem entgegen.

Die Wahrnehmung des eigenen Körpers wiederum beeinflusst das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von Jugendlichen und wirkt sich zudem auf ihre subjektive Gesundheit sowie auf ihr psychisches Wohlbefinden aus. Generell lässt sich beobachten, dass es Kindern und Jugendlichen schwer fällt, ihr eigenes Körpergewicht zu klassifizieren. Das führt oft dazu, dass sie den Versuch unternehmen, die eher „ungesunden“ Idealvorgaben über zu erfüllen bzw. die (ungesunde) Idealfigur, die sie vielleicht sogar schon erreicht haben, noch zu unter- oder überbieten.


Während Burschen dies häufig über den Aufbau von Muskelmasse zu erreichen versuchen (was nicht selten unter der Hinzunahme von synthetischen Substanzen erfolgt), streben die Mädchen ihr „Idealgewicht“ mit Diäten an, die großteils auf eine einseitige und unausgewogene Ernährung setzen.[1]

Die im Schuljahr 2005/2006 durchgeführte 7. österreichische HBSC-Studie (WHO-Studie "Health Behaviour in School-aged Children" , Zusammenfassung der österreichischen Ergebnisse) erfasst die Gesundheit der SchülerInnen im Lebenszusammenhang mittels Selbstausfüller-Fragebogen in Schulen.

Der Studie zufolge weisen 87,6% der SchülerInnen einen normalen Gewichtsstatus auf, 83,4% der Burschen und 91,7% der Mädchen. Umgekehrt bedeutet dies jedoch, dass 12,4% der SchülerInnen einen erhöhten BMI (Body-Mass-Index) aufweisen (16,6% der Burschen, 8,3% der Mädchen), wobei 3,1% der SchülerInnen als adipös zu bezeichnen sind (7,2% der Burschen, 1,1% der Mädchen).

Sowohl für Burschen als auch für Mädchen gilt, dass der Anteil der Übergewichtigen und Adipösen, mit Ausnahme einer leichten Zunahme, die bei den Burschen zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr stattfindet, relativ konstant und stabil bleibt.

Überraschend ist, dass nur 50% der SchülerInnen der Meinung sind, dass sie normalgewichtig sind, wobei die Burschen etwas häufiger diese Meinung vertreten (54,8%) als die Mädchen (45,6%). 13,9% der SchülerInnen geben an, dass sie sich für zu dünn halten (Burschen 16,3%, Mädchen 11,6%). Für zu dick hingegen empfinden sich 35,9% der Burschen und Mädchen (Mädchen: 42,8%, Burschen: 28,9%).

Das Gefühl zu dick zu sein, nimmt vor allem bei den Mädchen mit dem Älterwerden deutlich zu, obwohl der Anteil der SchülerInnen mit einem erhöhten BMI relativ konstant bleibt. Während bereits 33,6% der 11-jährigen Schülerinnen ihren Körper als zu dick einstufen, ist bei den 15-Jährigen bereits jedes zweite Mädchen dieser Überzeugung (49,4%). Bei den Burschen hingegen erweist sich diese Entwicklung als weitaus weniger dramatisch, obwohl dennoch ein Viertel bis ein Drittel der Schüler derselben Meinung ist.[2]

 

Eine wichtige Rolle spielen Ernährungsvorbilder. Was, wann und wie oft in der Familie gegessen wird, ist mit ausschlaggebend für das Essverhalten Jugendlicher. Leider ist es immer weniger Eltern möglich, zuhause mit den Kindern gemeinsam zu kochen und zu essen. Viele Kinder und Jugendliche kommen bereits ohne Frühstück in die Schule, tragen ungesunde Jausen bei sich oder verwenden ihr Taschengeld für süße Snacks und fettes Fastfood. Zuhause warten dann Tiefkühlprodukte darauf, in der Mikrowelle erwärmt zu werden.

 

Besonders deutlich ist der Zusammenhang von Übergewicht und Bildungsstand der Eltern bzw. sozioökonomischem Status. So sind in Hauptschulen doppelt so viele Kinder von Übergewicht betroffen als in der AHS-Unterstufe.

 

So hatten nach einer Studie von  Widhalm, K., und Dietrich, S. (2004) 29,9% der Wiener HauptschülerInnen Übergewicht und weitere 16, 6% waren krankhaft fettleibig, während in den Wiener AHS nur 14,4% der SchülerInnen übergewichtig waren und 6,4% krankhaft fettleibig.

 

Prof. Dr. Kurt Widhalm beklagt: „Leider muss man sagen, dass es in Österreich dazu keine vernünftigen Daten gibt. Es gibt keine gute Untersuchung darüber, wie viele Kinder und Jugendliche in welchem Alter bereits übergewichtig sind, obwohl das natürlich wichtige und hoch interessante Zahlen wären. Sowohl der Vergleich zwischen einzelnen Bundesländern wäre wichtig als auch vor allem die Frage, in welchem Alter das Problem wirklich einsetzt. Denn wenn man das wüsste, könnte man gezieltere Vorbeugungsmaßnahmen setzen.“[3]

 

Auf eine andere Form der Essstörung, die bis zur Sucht und lebensbedrohlichen Zuständen führen kann, hat zuletzt die Journalistin Jutta Berger in einem Artikel im Standard („Zerrbild vom eigenen Körper, Februar 2010) aufmerksam gemacht. Immer jüngere Mädchen, aber auch Burschen leiden unter Magersucht oder Bulimie. Die „Einstiegsdroge“ sind Diäten.

 

Eine Untersuchung an Wiener Schülerinnen kommt zu folgendem Ergebnis: 52,4% der 14- bis 17-jährigen Mädchen und 15,2% der Burschen haben bereits eine Diät gemacht. Einer Diät geht meist das Gefühl „zu dick zu sein“ voraus: In Westeuropa fühlen sich ca. 40% der unter- bis normalgewichtigen (!) Mädchen und jungen Frauen zwischen 11 und 19 Jahren „zu dick“. In Wien sind 90% der Mädchen und 80% der Frauen mit ihren Körperproportionen unzufrieden.[4]

Eine der wenigen Studien, die in Österreich Trends in der Entwicklung von problematischen Essverhaltensweisen bei Kindern und jungen Erwachsenen zwischen 10 und 20 Jahren erhob[5], zeigt einen signifikanten Anstieg an extrem untergewichtigen bzw. extrem übergewichtigen adoleszenten Mädchen zwischen den frühen 90er Jahren und 2004 auf.

Der Anteil der Burschen, die schon einmal hungerten, stieg von 19,2% auf 29,2% signifikant an. Deutlich mehr Mädchen kompensieren zum zweiten Messzeitpunkt Essanfälle mit Erbrechen oder Abführmitteln, bei Burschen treten deutlich häufiger Essanfälle auf als früher.

Diese Studie liefert somit einen Hinweis, dass problematische Essverhaltensweisen (dabei muss es sich noch nicht um manifeste Essstörungen handeln!) bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im letzten Jahrzehnt zugenommen haben.


Obwohl zwar die Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht, Hungern bzw. Diäten sowie problematische Essverhaltensweisen zunehmen, liefert die aktuelle Datenlage keine gesicherten Hinweise dafür, dass dies auch für die Manifestation von Essstörungen im klinischen Sinne gilt.

Beide Ausrichtungen problematischen Essverhaltens und von Essstörungen haben gemeinsam, dass in erster Linie Kinder und Jugendliche betroffen sind, die unter einem mangelnden Selbstbewusstsein leiden. Die einen Kompensieren die fehlende Wertschätzung durch übermäßige Selbstbelohnung mit Essen und Flucht in die Kalorienflut, während die anderen extreme Kontrolle über ihren Körper und über ihr Lustempfinden erlangen wollen, um so vor Frustrationserlebnisse geschützt werden.

 

Beide Essstörungen führen zu gravierenden Gesundheitsschäden. Fettleibige Kinder und Jugendliche leiden nicht nur unter ihrem Aussehen, sondern an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Arteriosklerose und orthopädischen Erkrankungen auf Grund des Übergewichtes. Bei Untergewichtigen kommt es zu Herzrhythmusstörungen, Störungen des Stoffwechsels und des Elektrolythaushaltes, Unfruchtbarkeit, hormonellen Störungen bis hin zum Nierenversagen. 15% der Magersüchtigen und BulimikerInnen sterben an ihrer Erkrankung. Bei Übergewichtigen lässt sich kein direkter Zusammenhang quantifizieren, doch korreliert Fettleibigkeit mit einer kürzeren Lebenserwartung.

 

Ein positives Selbstbild, eine wertschätzende Umwelt, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung sind die Schlüssel zu einem gesunden Körpergewicht und Essverhalten. Die Schule hat die Aufgabe, eine Umgebung für alle Kinder und Jugendlich zu sein, in der sie geschätzt und in ihrem Selbstbild gestärkt werden. Darüber hinaus kann die Schule auch zur gesunden Ernährung beitragen. Die Einführung eines Unterrichtsfaches „Gesunde Ernährung“ ist nicht sinnvoll. Wichtig ist das täglich gelebte gesunde Essen. Dazu gehört ein gemeinsames, abwechslungsreiches Frühstück, eine gesunde Zwischenmahlzeit und eine warme Mahlzeit, bei deren Zubereitung die SchülerInnen regelmäßig eingebunden werden.

 

Anstatt Getränkeautomaten, die kalorienhaltige Softdrinks spenden, müssen Wasserkaraffen und Gläser in die Klassenzimmer Einzug halten. Kinder und Jugendliche müssen immer Zugang zu frischem Wasser haben. Wasser ist das gesündeste Getränk. Es darf nicht vorenthalten werden.

 

Auch aus lernpsychologischen Gründen wäre es ratsam, den Schultag mit einem Frühstück anstatt mit Unterricht zu beginnen. Eine halbe Stunde ist völlig ausreichend. Ein täglich wechselndes Angebot von Vollkornbrot, Rohkost, Käse, Müsli, Obst, Joghurt, Milchprodukten und zwischendurch auch Butterwaffeln und Marmeladesemmeln helfen Kindern und Jugendlichen mit Energie in den Unterricht zu starten. Die Teilnahme am Frühstück sollte dabei als Teil der Unterrichtszeit gewertet und verpflichtend sein. Sie dient auch der Sozialisation der SchülerInnen. Gleiches gilt auch für die anderen an der Schule angebotenen Mahlzeiten.

 

LehrerInnen und SchulärztInnen müssen geschult werden, problematisches Essverhalten frühzeitig zu erkennen. Der Kontakt zu den Eltern der betroffenen SchülerInnen muss gesucht werden, um die Ursachen und mögliche Auswege rasch zu finden. Vielleicht benötigen die Eltern nur eine Ernährungsberatung, damit zuhause gesunde Nahrung angeboten wird. Möglicherweise muss eine Psychotherapie ins Auge gefasst werden.


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1. Gibt es aktuelle Studien und konkrete Zahlen zu Fehlernährung, Über- bzw. Untergewicht bei österreichischen Kindern und Jugendlichen? Wenn ja, welche? Wenn nein, werden Sie sich dafür einsetzen, dass solche Studien durchgeführt werden?

 

2. Wie sehen Sie die Rolle von LehrerInnen und SchulärztInnen hinsichtlich der Prävention und Früherkennung von Fehlernährung, Über- bzw. Untergewicht von Kindern und Jugendlichen?

 

3. Sind Ihnen Präventionsprogramme wie z.B. vom Beratungsinstitut „sowhat“ bekannt? Wenn ja, welche Programme werden derzeit an Schulen angeboten?

 

4. Welche Mittel stehen seitens des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur für Präventionsprogramme und –maßnahmen hinsichtlich Fehlernährung, Über- bzw. Untergewicht zur Verfügung? Werden diese Mittel ausgeschöpft?

 

5. Welche Möglichkeiten gibt es, an den Schulen gesunde Mahlzeiten für SchülerInnen anzubieten?

 

6. Werden einfache Maßnahmen wie die Bereitstellung von Trinkwasser während der Unterrichtsstunden an Schulen propagiert? Wenn nein, warum nicht?

 

7. Können SchülerInnen mit problematischen Essverhalten, Essstörungen und krankhaftem Essverhalten Hilfe durch den schulpsychologische Beratungsdienst in Anspruch nehmen?

 

8. Gibt es Weiterbildungsmöglichkeiten für LehrerInnen und SchulärztInnen hinsichtlich Früherkennung auffälligen Essverhaltens bei SchülerInnen? Wenn ja, welche und in welchem Ausmaß stehen diese zur Verfügung bzw. werden angenommen?

 

9. Welche Maßnahmen werden seitens Ihres Ressort unternommen, um mehr Bewegungsmöglichkeiten an Schulen anzubieten?

 

10. Wird im Rahmen der Tagesbetreuung auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung geachtet? Gibt es Richtlinien, die für das Menüangebot an Schulen gelten? Wenn ja, welche?

 

11. Welche Unterstützung finden LehrerInnen, die unter ihren SchülerInnen solche mit auffälligem Essverhalten oder Essstörungen vermuten?



[1] http://www.shiatsu-austria.at/einfuehrung/ernaehrung_w25.htm

[2] Die Rücklaufquote kann, bezogen auf alle SchülerInnen des Samples, mit 79,7% als sehr gut bezeichnet werden. Die Daten, die in der HBSC-Studie verwendet wurden, sind selbstberichtete Daten und man muss davon ausgehen, dass die Daten in der Größe nach oben und im Gewicht nach unten leicht von der Realität abweichen, weil der Messzeitpunkt bei vielen schon länger her ist und die von den Jugendlichen gemachten Korrekturen beim Gewicht tendenziell nach unten, bei der Größe nach oben laufen.
Ein systematischer (von allen gemachter) Fehler von + 1 cm in der Größe und - 1 kg im Gewicht führt zu einer Abweichung in der Prävalenz (Auftreten einer Erkrankung) von etwa einem Drittel des realen Wertes: wenn der Anteil der Übergewichtigen bei den 11-, 13- und 15-jährigen Mädchen und Burschen in den Daten bei 12,4% liegt, so könnten es real bis zu 20% sein. Da die Genauigkeit der Angaben aber nicht einzuschätzen ist, ist eine solche Interpolation nicht zulässig

 

[3] http://www.netdoktor.at/lupe/uebergewicht_kind/

[4] http://www.sowhat.at/zahlenunddaten.asp

[5] Friedl, H., Waldherr, K. & Rathner, G. (2005). Restrained and Disturbed Eating Behaviour in Adolescents from Lower Austria in 1993 and 2004. Programm und Abstracts Kongress Essstörungen 2005, September 5-7, 2005, Innsbruck, Austria.