54/J XXIV. GP
Eingelangt am 05.11.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
des Abgeordneten Dr. Martin Graf
und weiterer Abgeordneter
an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung
betreffend Medizin-Skandal an der Medizinischen Universität Innsbruck
In zahlreichen Veröffentlichungen in nationalen und internationalen Medien wurden
diverse alarmierende Vorfälle an der Medizinischen Universität Innsbruck
beschrieben.
Der Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck wurde im August wegen
Vertrauensverlustes, schwerer wirtschaftlicher Schäden für die Universität und
wegen rechtlicher Verfehlungen von Universitätsorganen vom Universitätsrat der
Medizinischen Universität Innsbruck seines Amtes enthoben.
Vor wenigen Tagen ist der Vorsitzende des Senats der Medizinischen Universität
Innsbruck zurückgetreten.
Wir wurden vom Aktionskomitee „Rettet die Klinik Innsbruck“ über unhaltbare
Zustände an der Medizinischen Universität Innsbruck sowie über schwerwiegende
Vorfälle in der Ethikkommission Innsbruck und der AGES informiert.
Es besteht u.a. der dringende Verdacht, dass Mitglieder der Ethikkommission
Innsbruck ihre Position für eigene wirtschaftliche Interessen missbraucht haben, dass
Patientenkarteien der Klinik Innsbruck von einem Arzt, der im Klinikum Grosshadern
in München arbeitet, gestohlen wurden, dass die AGES in der Klinik Innsbruck keine
objektiven und rechtlich fundierten Prüfungen durchgeführt hat und dass in- und
ausländische Firmen die in Innsbruck entwickelte Zelltherapie der Harninkontinenz
offensichtlich torpedieren wollen.
Die Firma AMS (American Medical Systems) führte an der Universitätsklinik für Urologie zahlreiche Operationskurse durch. Dabei wurden Personal und die Infrastruktur der Medizinischen Universität Innsbruck und der TILAK (Land Tirol) in großem Umfang verwendet. Dabei kam es zu keinen Ausgleichs-Zahlungen an die TILAK oder an die Medizinische Universität Innsbruck.
2007 wurde in der EU-Verordnung 1394/2007 erstmals eine Legaldefinition von tissue engineering (Gewebeersatztherapie) in Europa und Österreich festgeschrieben. Die EU sowie zahlreiche Publikationen (auch von Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums) haben wiederholt festgehalten, dass tissue engineering nicht unter die EU-Richtlinie 2001/83/EC fällt und daher auch kein normales Arzneimittel ist. Diese neuen Therapien erfüllen auch nicht die grundlegende Definitionen eines Arzneimittels im § 1 des Arzneimittelgesetzes, da keine „allgemeine Verkehrsauffassung“ für diese neuartigen Therapien besteht und sie auch nicht „in Verkehr gebracht" werden können (im Sinne eines Handels mit körpereigenen Zellen, die ja nur dem Patienten zurückgegeben werden und nicht an Dritte verkauft werden).
Der Vorstand der Universitätsklinik Innsbruck, Prof. Dr. Georg Bartsch hat seine Autorenschaft bei Publikationen zurückgezogen. Erst vor einigen Wochen sprach die renommierte Zeitschrift „Lancet“ in diesem Zusammenhang von wissenschaftlichem Betrug und inakzeptablem Verhalten. Der Vorstand einer Universitätsklinik ist ja auch It. Universitätsgesetz für Lehre und Forschung an seiner Abteilung verantwortlich.
Der AGES, den Gremien der Medizinischen Universität Innsbruck, der Staatsanwaltschaft Innsbruck und dem Bundesministerium für Gesundheit liegen Meldungen vor, dass ein Mitglied der Ethikkommission Innsbruck, Prof. Dr. Hartmut Glossmann, Eigentümer diverser Firmen ist.
Diese Firmen (Biocrates, Medlance) und ihre industriellen Partner arbeiteten und arbeiten an Zelltherapie-Projekten und wollten vor Jahren die Zelltherapie der Harninkontinenz vermarkten und verkaufen. Darüber hinaus hat ein weiteres Mitglied der Ethikkommission Innsbruck, Prof. Dr. Andreas Scheil, die rechtsanwaltschaftliche Vertretung von Prof. Glossmann übernommen. Diese beiden Professoren haben aber entgegen den Satzungen der Ethikkommission Innsbruck und den Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Ethikkommission Subkommissionen zur Beurteilung von klinischen Studien der Zelltherapie der Harninkontinenz geleitet.
Außerdem ist bekannt, dass Mitglieder der Ethikkommission Innsbruck diverse Nebentätigkeiten im In- und Ausland durchführen und Unterlagen zu Studien verschwunden sind. Darüber hinaus herrschte an der Ethikkommission Innsbruck seit Jahren bekanntermaßen ein heilloses Chaos.
Prof. Bartsch, die TILAK und Vertreter der Medizinischen Universität Innsbruck haben wiederholt erklärt, von der Zelltherapie der Harninkontinenz in Innsbruck nichts gewusst zu haben und mit der Behandlung der Patienten nichts zu tun gehabt zu haben.
Tatsache ist aber, dass die TILAK über das LKF-System mehrere Millionen Euro für die Behandlung dieser Patienten eingenommen hat. Darüber hinaus haben Prof. Bartsch und etliche andere in der KlinMed organisierte Vorstände der Universitätsklinik Innsbruck (u.a. der derzeitige Rektor der Medizinischen Universität und der Vorsitzende der Ethikkommission) über Jahre hindurch den Privatpatienten, die diese Zelltherapie erhielten, Privathonorare in Rechnung gestellt und auch kassiert (etliche hunderttausend Euro). Lt. Bundesgesetz für Kranken- und Kuranstalten(§ 46) können Privathonorare nur verrechnet werden, wenn die Patienten persönlich behandelt werden.
Die unterzeichnenden Abgeordneten sind über den Zustand der medizinischen Forschung und über den Ruf des Wissenschaftsstandortes Österreich sehr besorgt und stellen daher an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung nachfolgende
Anfrage
1. Welche rechtliche Grundlage erlaubt es, dass in Österreich Personal und Infrastruktur einer Universitätsklinik kostenlos für Operationskurse einer amerikanischen Firma zur Verfügung stehen?
2. Welche rechtlichen Schritte wollen Sie gegen die Firma American Medical Systems einleiten, damit eine Abgeltung der Firma American Medical Systems für die Operationskurse an die TILAK und die Medizinische Universität Innsbruck erfolgt?
3. Warum berücksichtigt die AGES die beschriebenen EU-Verordnungen und Richtlinien nicht in ihrem Bericht über die Zelltherapie der Harninkontinenz?
4. Welche rechtlichen Konsequenzen drohen, wenn die AGES sich bei ihren Prüfungen nicht an geltendes EU-Recht hält und für die Einstufung von tissue engineering-Therapien als Arzneimittel keine rechtlich fundierten Grundlagen bestehen?
5. Mit welcher rechtlichen Begründung werden von der AGES Studien der Universitätsklinik für Urologie Innsbruck (Kinderurologie einerseits und Zelltherapie andererseits) von der AGES mit zweierlei Maß gemessen?
6. Entspricht es den Tatsachen, dass die Prüfung der Studien der Kinderurologie eingestellt wurde, weil diese verjährt seien, niemand zu Schaden gekommen sei und diese „operative Verfahren" gewesen seien?
7. Treffen diese Argumente nicht in noch viel stärkerem Maß auf die Zelltherapie der Harninkontinenz zu?
8. Welche Schritte werden Sie unternehmen, um Prof. Bartsch dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass er als Vorstand seiner Klinik seine Unterschrift als Autor einer medizinischen Veröffentlichung unbegründet und unberechtigterweise zurückgezogen hat?
9. Welche disziplinären Folgen wird dieses inakzeptable Verhalten haben?
10.Was gedenken Sie dagegen zu unternehmen, dass es gegen isoliert abgegebene Sachverständigenmeinungen von öffentlichen Stellen (z.B. AGES, Ethikkommissionen, etc.) kein Rechtsmittel gibt?
11.Werden Sie dem Grundgedanken des österreichischen Rechts entsprechende Beschwerde- und Einspruchsstellen für die AGES und Ethikkommissionen schaffen?
12.Die AGES soll demnächst die Ethikkommission Innsbruck prüfen, in welcher Form gedenken Sie die Öffentlichkeit von den Ergebnissen dieser Prüfung angemessen zu informieren?
13.Erhält die AGES den dezidierten Prüfauftrag, auch die beschriebenen Vorfälle genauestens zu untersuchen?
14.Welche rechtlichen und disziplinarischen Schritte wollen Sie einleiten, um diese klassischen Fall von massiven Interessenskonflikten und Befangenheiten von Mitgliedern der Ethikkommission Innsbruck zu ahnden?
15.Welche Schritte wollen Sie einleiten, um die Unabhängigkeit der Ethikkommission Innsbruck wiederherzustellen?
16.Welche Konsequenzen wollen Sie aus diesem Skandal ziehen, um die Unabhängigkeit von Ethikkommissionen in Österreich in Zukunft besser überprüfen und sicherstellen zu können?
17.Entsprechen die Aussagen von Prof. Bartsch, den anderen beteiligten Vorständen und der TILAK tatsächlich der Wahrheit und haben die genannten mit den Studien, Publikationen und der Behandlung der Patienten nichts zu tun gehabt, sind dann die Privathonorare und LKF-Gelder die dafür in Millionenhöhe von Sozialversicherungen, Zusatzversicherungen und Selbstzahlerpatienten geflossen sind, illegal abkassiert worden?
18.Welche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck laufen derzeit wegen dieses massiven Verdachts auf organisierten und vorsätzlichen Versicherungsbetrug?
19.Handelt es sich bei den Behauptungen von Prof. Bartsch, den anderen Vorständen und der TILAK, die ja seit Wochen in den Medien sowie im AGES-Bericht zur Zelltherapie in ganz Europa kursieren und massiv in Frage gestellt werden, um unwahre Behauptungen?
20.Wenn ja, was wollen Sie gegen diese unwahren Behauptungen unternehmen?
21.Welche rechtlichen und disziplinarrechtlichen Schritte wollen Sie gegen Prof. Bartsch und die in der KlinMed organsierten Vorstände der Universitätsklinik Innsbruck einleiten, um entweder die falschen Behauptungen oder den Versicherungsbetrug zu stoppen?