55/J XXIV. GP

Eingelangt am 05.11.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Dr. Martin Graf

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend betreffend Medizin-Skandal an der Medizinischen Universität Innsbruck

In zahlreichen Veröffentlichungen in nationalen und internationalen Medien wurden diverse alarmierende Vorfälle an der Medizinischen Universität Innsbruck beschrieben.

Der Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck wurde im August wegen Vertrauensverlustes, schwerer wirtschaftlicher Schäden für die Universität und wegen rechtlicher Verfehlungen von Universitätsorganen vom Universitätsrat der Medizinischen Universität Innsbruck seines Amtes enthoben.

Vor wenigen Tagen ist der Vorsitzende des Senats der Medizinischen Universität Innsbruck zurückgetreten.

Wir wurden vom Aktionskomitee Rettet die Klinik Innsbruck" über unhaltbare Zustände an der Medizinischen Universität Innsbruck sowie über schwerwiegende Vorfälle in der Ethikkommission Innsbruck und der AGES informiert.

Es besteht u.a. der dringende Verdacht, dass Mitglieder der Ethikkommission Innsbruck ihre Position für eigene wirtschaftliche Interessen missbraucht haben, dass Patientenkarteien der Klinik Innsbruck von einem Arzt, der im Klinikum Grosshadern in München arbeitet, gestohlen wurden, dass die AGES in der Klinik Innsbruck keine objektiven und rechtlich fundierten Prüfungen durchgeführt hat und dass in- und ausländische Firmen die in Innsbruck entwickelte Zelltherapie der Harninkontinenz offensichtlich torpedieren wollen.

Es gibt eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck und bei der Zentrale der AGES, dass Inkontinenz-Bänder der Firma American Medical Systems (AMS) an der Universitätsklinik für Urologie zwischen 2004 und 2006 ohne Zulassung (CE- Zertifizierung) und ohne Votum der Ethikkommission bei einer größeren Anzahl von Männern implantiert wurden. Die Zulassung für dieses Inkontinenz-Band bei Männern (Advance®) erfolgte, nach uns zur Verfügung stehenden Informationen, jedoch erst im Herbst 2006.

Die Firma AMS (American Medical Systems) führte an der Universitätsklinik für Urologie zahlreiche Operationskurse durch. Dabei wurden Personal und die Infrastruktur der Medizinischen Universität Innsbruck und der TILAK (Land Tirol) in großem Umfang verwendet. Dabei kam es zu keinen Ausgleichs-Zahlungen an die TILAK oder an die Medizinische Universität Innsbruck.

Im Herbst 2006 wurde nach der Zulassung des Inkontinenz-Bandes für Männer der Firma AMS (Advance®) eine post market-Studie" in der Ethikkommission Innsbruck


und It. vorliegenden Unterlagen auch bei der Bundesagentur für Sicherheit im Gesundheitswesen eingereicht. In einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft Innsbruck wurde festgehalten, dass Mitglieder der Ethikkommission Innsbruck die Unterlagen für diese Studie aus der Ethikkommission entfernt haben sollen.

Am diesjährigen Amerikanischen Urologenkongress präsentierte Prof. Bartsch die erschreckend hohe Zahl von Komplikationen nach Implantation der amerikanischen Inkontinenz-Bänder der Firma AMS bei Männern. Es liegt eine Anzeige wegen schwere Körperverletzung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck vor.

Vor wenigen Wochen hat die AGES auf ihrer Homepage veröffentlicht, dass zahlreiche illegale und falsche Studien der Kinderurologie Innsbruck nicht weiter untersucht werden. Auch dazu liegt eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck vor.

2007 wurde in der EU-Verordnung 1394/2007 erstmals eine Realdefinition von tissue engineering (Gewebeersatztherapie) in Europa und Österreich festgeschrieben. Die EU sowie zahlreiche Publikationen (auch von Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums) haben wiederholt festgehalten, dass tissue engineering nicht unter die EU-Richtlinie 2001/83/EC fällt und daher auch kein normales Arzneimittel ist.

Diese neuen Therapien erfüllen auch nicht die grundlegende Definitionen eines Arzneimittels im § 1 des Arzneimittelgesetzes, da keine allgemeine Verkehrsauffassung" für diese neuartigen Therapien besteht und sie auch nicht in Verkehr gebracht" werden können (im Sinne eines Handels mit körpereigenen Zellen, die ja nur dem Patienten zurückgegeben werden und nicht an Dritte verkauft werden).

Der AGES, den Gremien der Medizinischen Universität Innsbruck, der Staatsanwaltschaft Innsbruck und dem Bundesministerium für Gesundheit liegen Meldungen vor, dass ein Mitglied der Ethikkommission Innsbruck, Prof. Dr. Hartmut Glossmann, Eigentümer diverser Firmen ist.

Diese Firmen (Biocrates, Medlance) und ihre industriellen Partner arbeiteten und arbeiten an Zelltherapie-Projekten und wollten vor Jahren die Zelltherapie der Harninkontinenz vermarkten und verkaufen. Darüber hinaus hat ein weiteres Mitglied der Ethikkommission Innsbruck, Prof. Dr. Andreas Scheil, die rechtsanwaltschaftliche Vertretung von Prof. Glossmann übernommen. Diese beiden Professoren haben aber entgegen den Satzungen der Ethikkommission Innsbruck und den Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Ethikkommission Subkommissionen zur Beurteilung von klinischen Studien der Zelltherapie der Harninkontinenz geleitet.

Außerdem ist bekannt, dass Mitglieder der Ethikkommission Innsbruck diverse Nebentätigkeiten im In- und Ausland durchführen und Unterlagen zu Studien verschwunden sind. Darüber hinaus herrschte an der Ethikkommission Innsbruck seit Jahren bekanntermaßen ein heilloses Chaos.

Seit einem halben Jahr ist der TILAK, der Staatsanwaltschaft Innsbruck und der Patientenvertretung des Landes Tirol bekannt, das ein ehemaliger Mitarbeiter der Universitätsklinik für Urologie, Dr. Christian Gozzi, der jetzt im Klinikum Großhadern in München arbeitet und mit der Fa. American Medical Systems gemeinsam Patente


eingereicht hat, im dringenden Tatverdacht steht, Unterlagen von Patienten der Klinik gestohlen und für illegale Zwecke verwendet zu haben.

Prof. Bartsch, die TILAK und Vertreter der Medizinischen Universität Innsbruck haben wiederholt erklärt, von der Zelltherapie der Harninkontinenz in Innsbruck nichts gewusst zu haben und mit der Behandlung der Patienten nichts zu tun gehabt zu haben.

Tatsache ist aber, dass die TILAK über das LKF-System mehrere Millionen Euro für die Behandlung dieser Patienten eingenommen hat. Darüber hinaus haben Prof. Bartsch und etliche andere in der KlinMed organisierte Vorstände der Universitätsklinik Innsbruck (u.a. der derzeitige Rektor der Medizinischen Universität und der Vorsitzende der Ethikkommission) über Jahre hindurch den Privatpatienten, die diese Zelltherapie erhielten, Privathonorare in Rechnung gestellt und auch kassiert (etliche hunderttausend Euro). Lt. Bundesgesetz für Kranken- und Kuranstalten (§ 46) können Privathonorare nur verrechnet werden, wenn die Patienten persönlich behandelt werden.

Die unterzeichnenden Abgeordneten sind über den Zustand der medizinischen Forschung und über den Ruf des Wissenschaftsstandortes Österreich sehr besorgt und stellen daher an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend nachfolgende

Anfrage

1.            Wann  erhielt  dieses   Inkontinenz-Band  für  Männer  (Advance®)  die  CE- Zertifizierung und damit die Zulassung in Österreich?

2.            Welche rechtlichen Schritte wollen Sie gegen die Firma American Medical Systems einleiten, weil dieses Medizinprodukt ohne Zulassung implantiert wurde?

3.            Welche rechtliche Grundlage erlaubt es, dass in Österreich   Personal und Infrastruktur  einer   Universitätsklinik   kostenlos  für   Operationskurse   einer amerikanischen Firma zur Verfügung stehen?

4.            Welche rechtlichen Schritte wollen Sie gegen die Firma American Medical Systems einleiten, damit eine Abgeltung der Firma American Medical Systems für die Operationskurse  an  die TILAK und  die  Medizinische  Universität Innsbruck erfolgt?

5.            Welche  Unterlagen für diese  Studie,  die erst  nach  der Zulassung des Advance®-Bandes erfolgen sollte und die nie durchgeführt wurde, liegen in der     Bundesagentur     für     Sicherheit     im      Gesundheitswesen     vor?

6.            Liegen noch Unterlagen dieser Studie in der Ethikkommission Innsbruck vor? Wenn ja, welche?

7.            Welche Unterlagen fehlen in der Ethikkommission Innsbruck und von wem wurden sie unberechtigterweise entfernt?


8.            Welche Schritte wollen Sie einleiten, um herauszufinden, welche Männer vor der Zulassung   des  Inkontinenz-Bandes  bei  Männern  nach  der illegalen Implantation massiven Schaden genommen haben?

9.            Was gedenken Sie umgehend zu unternehmen, um zu verhindern, dass weiteren Männern massiv geschadet wird?

10.Sind in Ihrem Ministerium die gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen und Daten von Komplikationen und Nebenwirkungen dieses Inkontinenz-Bandes vorhanden?

11.Aufgrund welcher rechtlichen Begründung argumentiert die AGES, die Prüfung von an der Kinderurologie Innsbruck illegal durchgeführten klinischen Studien ohne Votum einer Ethikkommission mit nicht zugelassenen Arzneimitteln bei Kindern unterdrücken zu können?

12.Gibt es einen offiziellen Prüfauftrag für die Prüfung dieser Kinderurologie- Studien von Seiten des Bundesministeriums? Wenn nicht, warum nicht?

13.Wer in der AGES trägt die Verantwortung für die Unterdrückung der Prüfung dieser ungeheuerlichen Vorfälle?

14.Wie hängt die Einstellung der Prüfung dieser Kinderurologie-Studien mit dem Entdecken und den laufenden Ermittlungen eines Kinderpornographie-Links auf der Homepage der TILAK, des Betreibers der Universitätsklinik Innsbruck, im Jänner dieses Jahres zusammen?

15.Welche Personen der Klinik Innsbruck sind in diesen Fall verwickelt?

16.Warum berücksichtigt die AGES die beschriebenen EU-Verordnungen und Richtlinien nicht in ihrem Bericht über die Zelltherapie der Harninkontinenz?

17.Welche rechtlichen Konsequenzen drohen, wenn die AGES sich bei ihren Prüfungen nicht an geltendes EU-Recht hält und für die Einstufung von tissue engineering-Therapien als Arzneimittel keine rechtlich fundierten Grundlagen bestehen?

18.Mit welcher rechtlichen Begründung werden von der AGES Studien der Universitätsklinik für Urologie Innsbruck (Kinderurologie einerseits und Zelltherapie andererseits) von der AGES mit zweierlei Maß gemessen?

19.Entspricht es den Tatsachen, dass die Prüfung der Studien der Kinderurologie eingestellt wurde, weil diese verjährt seien, niemand zu Schaden gekommen sei und diese operative Verfahren" gewesen seien?

20.Treffen diese Argumente nicht in noch viel stärkerem Maß auf die Zelltherapie der Harninkontinenz zu?


21.Was gedenken Sie dagegen zu unternehmen, dass es gegen isoliert abgegebene Sachverständigenmeinungen von öffentlichen Stellen (z.B. AGES, Ethikkommissionen, etc.) kein Rechtsmittel gibt?

22.Werden Sie dem Grundgedanken des österreichischen Rechts entsprechende Beschwerde- und Einspruchsstellen für die AGES und Ethikkommissionen schaffen?

23.Die AGES soll demnächst die Ethikkommission Innsbruck prüfen, in welcher Form gedenken Sie die Öffentlichkeit von den Ergebnissen dieser Prüfung angemessen zu informieren?

24.Erhält die AGES den dezidierten Prüfauftrag, auch die beschriebenen Vorfälle genauestens zu untersuchen?

25.Welche rechtlichen und disziplinarischen Schritte wollen Sie einleiten, um diese klassischen Fall von massiven Interessenskonflikten und Befangenheiten von Mitgliedern der Ethikkommission Innsbruck zu ahnden?

26.Welche Schritte wollen Sie einleiten, um die Unabhängigkeit der Ethikkommission Innsbruck wiederherzustellen?

27.Welche Konsequenzen wollen Sie aus diesem Skandal ziehen, um die Unabhängigkeit von Ethikkommissionen in Österreich in Zukunft besser überprüfen und sicherstellen zu können?

28.Was wissen Sie von dem eingangs zitierten, ungeheuerlichen Verdacht, von dem auch die AGES Kenntnis haben soll, dass Unterlagen von Patienten der Klinik Innsbruck gestohlen und für illegale Zwecke verwendet worden seien?

29.Was gedenken Sie zu unternehmen, um sicherzustellen, dass Patientenunterlagen an der Klinik Innsbruck nicht für illegale und kommerzielle Zwecke in Deutschland und in den USA verwendet werden?

30.Sind die Sicherheitsmechanismen bzgl. des Datenschutzes an der Universitätsklinik Innsbruck ineffizient, und welche Verbesserungen sind dringend erforderlich?

31.Entsprechen die Aussagen von Prof. Bartsch, den anderen beteiligten Vorständen und der TILAK tatsächlich der Wahrheit und haben die genannten mit den Studien, Publikationen und der Behandlung der Patienten nichts zu tun gehabt, sind dann die Privathonorare und LKF-Gelder die dafür in Millionenhöhe von Sozialversicherungen, Zusatzversicherungen und Selbstzahlerpatienten geflossen sind, illegal abkassiert worden?

32.Welche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck laufen derzeit wegen dieses massiven Verdachts auf organisierten und vorsätzlichen Versicherungsbetrug?


33.Handelt es sich bei den angeführten Behauptungen von Prof. Bartsch, den anderen Vorständen und der TILAK, die ja seit Wochen in den Medien sowie


im AGES-Bericht zur Zelltherapie in ganz Europa kursieren und massiv in Frage gestellt werden, um unwahre Behauptungen?

34.Wenn ja, was wollen Sie gegen diese unwahren Behauptungen unternehmen?

35.Welche rechtlichen und disziplinarrechtlichen Schritte wollen Sie gegen Prof. Bartsch und die in der KlinMed organsierten Vorstände der Universitätsklinik Innsbruck einleiten, um entweder die falschen Behauptungen oder den Versicherungsbetrug zu stoppen?