6405/J XXIV. GP

Eingelangt am 22.09.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Kirchgatterer,

Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Inneres

betreffend Umsetzung der Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates 2009 und 2010

Seit 01.01.2009 erstattete der Menschenrechtsbeirat bis dato 16 neue Empfehlungen an das Bundesministerium für Inneres.

Da die Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres hinsichtlich dieser Empfehlungen erst in den Sicherheitsberichten 2009 und 2010 ausgewiesen werden, richten die unterfertigenden Abgeordneten an die zuständige Bundesministerin für Inneres nachstehende

Anfrage

1.   Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, dass Österreich vom Eintrittsrecht nach Art 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen soll, wenn zu erwarten ist, dass sich  der Gesundheitszustand  einer  psychisch  kranken  Person durch  den Abschiebevorgang oder durch die Situation, die der Betroffene im Zielland zu gewärtigen hat, erheblich verschlechtert (Empfehlung Nr. 350).

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

2.   (A) Wenn Polizeikräfte eine Ansammlung von Menschen im öffentlichen Raum derart umstellen oder abriegeln, dass diese Menschen nicht mehr aus freien Stücken ihren Aufenthaltsort verlassen können, sondern dies - allenfalls gegen Ausweisleistung, Nachweis ihrer Identität o.ä. - nur mit Erlaubnis von Polizeibeamten tun können (Kessel“), entsteht regelmäßig ein Situation, aus der sich Verletzungen von Rechten der von der Maßnahme betroffenen Personen (insbesondere das Recht auf persönliche Freiheit) ergeben können. Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt daher von einer solchen Maßnahme nur unter strikter Beachtung der Verhältnismäßigkeit Gebrauch zu machen.


(B) Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt zudem für so genannte Kessel“ folgende Begleitmaßnahmen: die in solchen Kesseln“ befindlichen Personen sollen wiederholt und für alle Personen deutlich vernehmbar darüber informiert werden,

-  dass und warum die Polizei sie am Verlassen ihres momentanen Aufenthaltsortes hindert;

-  ob, wann, wo und unter welchen Umständen sie diesen Ort verlassen können;

-  welche Schritte sie setzen können, um ihren Aufenthalt möglichst kurz zu halten;

-  welche weiteren Maßnahmen die Polizei zu setzen gedenkt. (zB Ortswechsel)

 

Für Einsätze, bei denen die Bildung eines solchen Kessels“ möglich oder gar wahrscheinlich scheint, sollen die nötigen technischen Einrichtungen (Lautsprecher in entsprechender Anzahl und mit entsprechender Tragweite) bereitgehalten werden. Sobald erkennbar wird, dass von einem Kessel“ auch offenbar unbeteiligte Dritte (Touristen, Kunden von Geschäften vor Ort, Hotelgäste o.ä.) betroffen sind, die auch sonst keiner Gesetzesübertretung verdächtig sind, sollen alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um jedenfalls diesen Menschen ein sofortiges Verlassen des Kessels“ zu ermöglichen. Der unfreiwillige Aufenthalt in derartigen Kesseln“ soll möglichst kurz gehalten werden. Wenn das Verlassen eines solchen Kessels“ von bestimmten Handlungen der darin befindlichen Personen gegenüber Polizeibeamten abhängig gemacht wird (Ausweisleistung o.ä.) soll eine möglichst große Zahl von Beamten sicherstellen, dass diese Handlungen möglichst schnell vorgenommen werden können.

(C) Die oben beschriebenen Maßnahmen sollen schon bei der Planung von Großeinsätzen mit berücksichtigt werden. (Empfehlung Nr. 349)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits zu A, B, und C gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

3.      Der  Menschenrechtsbeirat  empfiehlt,  dass  die  Zelle  der  Pl Pappenheimgasse in Wien so umgebaut wird, dass es menschenrechtlichen Mindeststandards gerecht wird. Im Besonderen soll genügend Einfall von natürlichem Licht gegeben sein (Empfehlung Nr. 348).

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

4.   Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, dass in der Anhalteordnung eine Regelung aufgenommen wird, wonach in Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus berücksichtigungswürdigen Gründen, insbesondere zum Zwecke der Verabschiedung vor einer Abschiebung, ein Besuchsrecht von Familienangehörigen auch außerhalb der Besuchszeiten gewährt wird, sofern ein Besuch während der Besuchszeiten nicht möglich war (Empfehlung Nr. 347).

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?


5.   Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt im Rahmen der angekündigten Generalsanierung des PAZ Innsbrucks bei der Planung zu berücksichtigen, dass der erweiterte Haftraum (offener Vollzug) nach dem Umbau zwei Drittel des Haftraumes umfasst und

-   die Bedingungen in den besonders gesicherten  Hafträumen in den  PAZ in Innsbruck soweit verbessert werden, dass genügend Einfall von natürlichem Licht gegeben ist,

-   Frauen nach der Sanierung jederzeit Zugang zu Sanitär- und Duscheinrichtungen haben, ohne das Personal von dem Wunsch verständigen zu müssen (Duschen in den Frauenzellen),

-   den Besuchsraum so zu gestalten, dass Besuche unter offeneren Bedingungen stattfinden. (Empfehlung Nr. 346)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

6.   Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt eine Ergänzung der RL für die Organisation und Durchführung von Abschiebungen und Zurückweisungen auf dem Luftweg (RL: BMI-EE2300/0054-ll/2/b/07): Es möge angeordnet werden, dass das Abschiebeteam und die sonst beteiligten Dienststellen, insbesondere das PAZ, einander wechselseitig aktiv Informationen über die Abzuschiebenden zur Verfügung stellen, um einen gemeinsamen Wissensstand zu erreichen. (Empfehlung Nr. 345)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

7.   Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt von Anweisungen abzusehen, die vorsehen, Hungerstreikenden die Aufnahme und den Verbleib in offenen Stationen eines PAZ zu verbieten. Allfällige bisher getroffene einschlägige Anordnungen wären zu überprüfen. (Empfehlung Nr. 344)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

8.     Im Sinne des Behindertengleichbehandlungsgesetzes empfiehlt der Menschenrechtsbeirat, dass bis zur Fertigstellung der im Etappenplan des BM.I vorgesehenen, behindertengerechten Gestaltung der Gebäude, zumindest die Klingel derart platziert werden, dass sie von Behinderten erreichbar sind. (Empfehlung Nr. 343)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?


9.   Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, im PAZ Rossauer Lände auch eine offene Station für Männer einzurichten. (Empfehlung Nr. 342)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

10.  Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, den Begriff der Haftfähigkeit in der Anhalteordnung aufzunehmen und wie folgt zu definieren: Haftunfähigkeit liegt vor, wenn es nach der Natur der eigentümlichen Leibes- oder Geistesbeschaffenheit des Häftlings mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer substantiellen Verschlechterung des Gesundheitszustandes infolge mangelnder Betreuungsmöglichkeit in der Anhaltung oder durch die Aufrechterhaltung der Anhaltung kommt. (Empfehlung Nr. 341)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

11.  Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, alle Freiheitsentziehungen in Zellen ausnahmslos gesondert zu dokumentieren. Jede Freiheitsentziehung soll unabhängig von der Dauer dokumentiert werden. Die Dokumentation hat zu enthalten: Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit des Betroffenen, Datum, Beginn, Unterbrechungen, Ende der Freiheitsentziehungen. Weiters: Einliefernde und vor Ort betreuende Beamte oder Beamtinnen; Besondere Vorkommnisse, wie Essensversorgung, Beiziehung eines Arztes oder einer Ärztin, Selbstverletzungen, Beschädigungen und dergleichen. (Empfehlung Nr. 340)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

12.  Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, die Richtlinie für Arbeitsstätten in der Weise abzuändern, dass Toiletten, die sich in Anhalteräumen bzw. in Verwahrungsräumen befinden, mit ausreichendem Sichtschutz zu versehen sind. (Empfehlung Nr. 339)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

13.  Der Menschenrechtsbeirat weist darauf hin, dass bei der Anwendung der Dublin II-VO eine Verpflichtung der Staaten zur Wahrung der in Art 3 EMRK normierten Rechte besteht. Der Inhalt dieser Verpflichtung ist sehr weit: er inkludiert

etwa auch die Pflicht, bei Notwendigkeit einer ununterbrochenen stationären Behandlung eines Asylwerbers vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art 3 Abs 2 Dublin II- VO Gebrauch zu machen (Souveränitätsklausel“; vgl VfGH 6.3.2008, B 2400/07). Der MRB empfiehlt weiters, diese Klausel auch anzuwenden, wenn andere humanitär berücksichtigungswürdige Ausnahmefälle vorliegen. Zu einer solchen Praxis werden die EU-Mitgliedstaaten auch von der Kommission ermutigt (Die Mitgliedstaaten sollen ermutigt werden, aus humanitären Gründen die Souveränitätsklausel anzuwenden, da dies dem impliziten Ziel der Bestimmung entsprechen dürfte.“ - Bericht der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems, SEK [2007] 742). Ein in diesem Sinn einschlägiger Grund wäre etwa gegeben, wenn medizinisch klar diagnostiziert worden ist, dass für den Fall einer Abschiebung Selbstmordgefährdung besteht. (Empfehlung Nr. 338)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

14. Im PAZ Innsbruck ist im Jänner 2009 nach drei Fällen von Brandstiftungen durch marokkanische Häftlinge - abgesehen von Rauchverboten - Einzelhaft für alle männlichen algerischen und marokkanischen Häftlinge“ angeordnet worden. Der MRB übersieht keineswegs, dass die Hintanhaltung einer Brandstiftung eine dringend gebotene Vorsichtsmaßnahme ist. Er erachtet jedoch die in Innsbruck gewählte Vorgangweise für rechtswidrig. Die Anordnung der Einzelhaft ist nämlich ausschließlich auf die Staatsangehörigkeit von Häftlingen und eine daraus abgeleitete Einstufung als Angehörige einer Risikogruppe“ für Brandstiftung gestützt worden. Eine derartige, ausschließlich aus der Staatsbürgerschaft abgeleitete Qualifikation von Menschen als potentielle Täter ist unzulässig. Die kollektive Verfügung einer solchen Maßnahme ist dem Zweck des vorbeugenden Brandschutzes unangemessen, verstößt gegen § 5b der Anhalteordnung und ist als erniedrigende Behandlung“ im Sinn von Art 3 EMRK zu werten. Ihr liegt weiters eine Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der nationalen Herkunft zu Grunde, sodass sie auch als rassische Diskriminierung im Sinn von Art 1 RassDiskrBVG erscheint. Die genannten Bestimmungen verlangen - gerade in ihrem Zusammenhalt - für die Anordnung von Einzelhaft eine individuelle, für jeden Häftling gesondert anzustellende Gefährlichkeitsprognose. Umso mehr gilt dies, wenn die Einzelhaft mit unbeschränkter Dauer verfügt wird und - wie in einem Fall - 42 Tage anhält.

Weiters wurde im Raum Tirol in mehreren Fällen die Schubhaft gegen Personen ohne Reisedokumente verhängt, die aus einem Land stammen, mit welchem es kein Rückübernahmeabkommen gibt und für welche eine Rückschiebung im Schengenraum nicht in Betracht kommt. Auch diese Vorgangsweise erachtet der MRB für rechtswidrig, weil die Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in solchen Fällen nicht absehbar ist und die Schubhaft in solchen Fällen daher nicht ihrer Durchsetzung im Sinn des § 76 Abs 1 FPG dient. Es handelt sich um - zeitlich unbegrenzt verhängte - Maßnahmen des Freiheitsentzuges, die der MRB auch als Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit (Art 1 PersFrBVG) wertet. (Empfehlung Nr. 337)

 

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?


15.   Der Menschenrechtsbeirat begrüßt die Einführung der Anhaltedatei und empfiehlt das Sanitätsmodul in die Anhaltedatei zu implementieren. Datenschutzrechtliche Aspekte sollen bei der Umsetzung jedenfalls mitbedacht werden. (Empfehlung Nr. 336)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?

16.   Der Menschenrechtsbeirat ruft die problematische Doppelfunktion der Amts-/Polizeiärzte in den Polizeianhaltezentren in Erinnerung. In Ergänzung seiner Empfehlung Nr. 168 empfiehlt der Menschenrechtsbeirat, das mit dem BM.I gemeinsam ausgearbeitete Konzept zur Entschärfung dieses Konfliktes durch die unterstützende Tätigkeit von diplomiertem Pflegepersonal aufzugreifen. (Empfehlung Nr. 335)

Sind Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres bereits gesetzt worden und wenn ja, welche genau und in welcher Form (per Erlass, Weisung, etc.) bzw. wann werden diese in welcher Form getroffen? Falls die Umsetzung der Empfehlung nicht vorgesehen sein sollte, weshalb nicht?