6514/J XXIV. GP

Eingelangt am 05.10.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

 

Dringliche Anfrage

gemäß § 93 Abs. 1 GOG-NR

 

des Abgeordneten Heinz-Christian Strache und weiterer Abgeordneter

an den Bundeskanzler

betreffend Reformieren statt abkassieren - wo bleiben Verwaltungsreform und Bürokratieabbau, Herr Bundeskanzler?"

Am 11. Mai 2010 informierte der BM für Finanzen die Präsidiale des Nationalrates über das Euro Rettungspaket. Offen war von einer dramatischen Situation" und der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1930er- Jahren" die Rede.

Als Folge der Weltwirtschaftkrise drohen den Österreicherinnen und Österreichern erhebliche Belastungen, zumal die österreichische Bundesregierung, allen voran der Bundeskanzler, nicht willens ist, notwendige Reformen im Bereich der Verwaltung anzugehen. Im Gegenteil, die Untätigkeit im Bereich der Verwaltungsreform wird durch eine verfassungswidrige Untätigkeit im Bereich der Budgetpolitik ergänzt.

Gemäß Art. 51 Abs. 3 B-VG hat die Bundesregierung dem Nationalrat den Entwurf eines Bundesfinanzgesetzes für das folgende Finanzjahr spätestens zehn Wochen vor Beginn des Finanzjahres vorzulegen. Ungeachtet dessen haben der Bundeskanzler und der Bundesminister für Finanzen der Präsidentin des Nationalrates mit Schreiben vom 29. Juni 2010 mitgeteilt, dass ...wir den in Art. 51 Abs. 3 B-VG vorgesehenen Termin zur Vorlage des Entwurfes eines Bundesfinanzgesetzes 2011 nicht einhalten werden können".

Begründet wird dieses Schreiben im Wesentlichen mit der aktuellen wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Situation, die es erfordere, dass jedes einzelne Fachressort     seine derzeitige Ausgabenstruktur grundsätzlich überdenkt. Dazu seien komplexe  und umfangreiche Vorarbeiten erforderlich. Die Vorlage eines Budgetentwurfes für 2011 samt Budgetbegleitgesetz wird letztlich für den Dezember 2010 in Aussicht gestellt.

Unabhängige Verfassungsexperten beurteilen diese Vorgehensweise als klar verfassungswidrig. Theo Öhlinger spricht von einer Missachtung des Parlaments. Auch der Verweis der Regierung auf Art. 51a B-VG wird von ihm als nicht rechtens" qualifiziert. Bernd-Christian Funk weist darauf hin, dass eine Vorlage im Dezember nicht den Ordnungsvorschriften der Verfassung entspricht" und Heinz Mayer unterstreicht, dass die Verpflichtung der Regierung, den Entwurf für das Bundesfinanzgesetz zehn Wochen vor Beginn des betroffenen Finanzjahres vorzulegen, klar und deutlich" ist.


Auch der Präsident des VfGH Gerhart Holzinger stellte klar, dass die rechtliche Regelung des Art. 51 Abs. 3 völlig klar und eindeutig" ist. Gleichzeitig konzedierte  die Nationalratspräsidentin, dass die verzögerte Budgetvorlage gemäß einem Gutachten des Legislativdienstes einer Nicht-Einhaltung der Verfassung entspreche:  Das steht außer Streit".

 

Vor diesem Hintergrund hat schließlich Bundespräsident Fischer die Bundesregierung aufgefordert das Budget 2011 pünktlich vorzulegen: Bei dieser Bestimmung handelt es sich um keine Ermessensentscheidung."

 

Neben der verfassungswidrigen Nichtvorlage des Budgets rundet die völlige Stagnation im Bereich der Verwaltungsreform das negative Bild ab. Um ausgabenseitig zu sparen oder Steuergelder, wie z.B. im Gesundheitswesen, effizienter einzusetzen, hat der Rechnungshof 315 Vorschläge in seinen Berichten ausgearbeitet, die Handlungsfelder aufzeigen und sichtbar machen, in welchen Bereichen Aufgaben-, Struktur- und Organisationsreformen realisiert werden müssen. Die 315 Vorschläge wurden in 30 Hauptthemen zusammengefasst. Die wichtigsten sind insbesondere:

      Die Deregulierung samt Schaffung einer sachgerechten Aufgabenverteilung im Bundesstaat;

      Die Straffung der Behördenorganisationen;

      Die Verbesserung der Verwaltungskooperationen;

      Die Reform der Personalwirtschaft im öffentlichen Dienst;

      Die Stärkung der öffentlichen Finanzkontrolle;

      Die Optimierung des Supportprozesses;

      Die     Verfahrensbereinigung     und     raschere Abwicklung      von Verwaltungsverfahren;

      Die stärkere Bürgerorientierung und Entlastung der Wirtschaft;

      Die Gesundheitsreform;

      Die Reform der Infrastruktur;

      Die Optimierung des Pflegewesens;

      Die Strukturreform in der Sozialversicherung;

      Die Reform des Schulwesens;

      Die Reform der öffentlichen Unternehmen und Fonds.

In Summe ergibt sich alleine in diesen Bereichen ein Effizienzsteigerungs- und Einsparungspotenzial von rund 5 Mrd. EURO. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass zunächst diese Einsparungspotentiale realisiert werden und erst dann über neue Belastungen und Einsparungen zu Lasten der Österreicherinnen und Österreicher nachgedacht wird.

Die Regierung hat zwar die im Regierungsprogramm vorgesehene Arbeitsgruppe Verwaltung Neu" zur Erarbeitung von Konsolidierungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen im Februar 2009 eingesetzt, dennoch gibt es bis  dato nicht einmal Ansätze einer Verwaltungsreform.

Der Bundeskanzler ist Mitglied dieser Arbeitsgruppe sowie auch der Bundesminister   für Finanzen und die Landeshauptleute von Wien und Niederösterreich. Laut Leistungsbericht 2009/2010 des Rechnungshofes lassen sich jedoch die Regierungsspitzen von zwei Staatssekretären vertreten und die Landeshauptleute  von ihren Landtagspräsidenten. Weiters nehmen als Experten der Präsident des Rechnungshofes, der Leiter des IHS und der Leiter des WIFO an der Arbeitsgruppe  teil. Die Arbeitsgruppe übernahm die 30 Hauptthemen und fasste diese in folgende  11 Arbeitspakete zusammen:

  1. Pension
  2. Personal
  3. Bildung
  4. Wissenschaft und Forschung
  5. Effizientes Förderungswesen
  6. Bürgerorientierung und Deregulierung
  7. Effizienz der Verwaltung
  8. Aufgabenreform und Strukturbereinigung
  9. Finanzausgleich und Haushaltsrecht
  10. Gesundheit und Pflege
  11. Umwelt, Infrastruktur, öffentliche Unternehmen und Fonds.

Von den 11 Arbeitspaketen befindet sich kein einziges im Stadium der politischen Realisierung. Der mit allen im Parlament vertretenen Parteien am 9.7.2009 eingesetzte Unterausschuss Verwaltungsreform" des Verfassungsausschusses tagte zuletzt am 15.4.2010. Seither wurden keine Gespräche mehr mit den Oppositionsparteien geführt. Ähnlich ist es den „Österreich-Gesprächen" ergangen, die 2008 kurz nach der Nationalratswahl aus der Taufe gehoben wurden und aus Desinteresse der Regierungsparteien versandeten. Nach der Sitzung der „Österreich-Gespräche" am 29.6.2009 meinte Bundeskanzler Faymann noch:

,,(..)Die Diskussion zur Schulreform werde im heurigen Jahr "voll geführt". Er hoffe hier - so wie in der Gesundheitsreform - auf "schrittweise" Beschlüsse. "Und bei der Gesundheitsreform werden die ersten Beschlüsse der Einsparungen im Herbst stattfinden. Wenn bei der Schulreform die ersten Schritte Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres gesetzt werden, dann ist das etwas, was ich persönlich für realistisch halte", unterstrich Faymann. (...)"

Wie wir wissen sieht die Realität anders aus. Mittlerweile hat sich zur Untätigkeit im Bereich der Verwaltungsreform die verfassungswidrige Verschiebung des Budgets gesellt.

Vor diesem Hintergrund ergeht an den Bundeskanzler folgende

Dringliche Anfrage

1.                   Welche der 315 Vorschläge des Rechnungshofes zur Verwaltungsreform wollen Sie in dieser Legislaturperiode umsetzen?

2.         Welche  Vorschläge  des  Rechnungshofes  bezüglich  Einsparung  und Effizienzsteigerung im öffentlichen Bereich (Bürokratieabbau) wollen Sie umsetzen?

3.     Wie beurteilen Sie den Stand der Arbeit der Arbeitsgruppe Verwaltung Neu"?


4.         Wann wollen Sie und Ihre Regierungsmitglieder die ersten ausgearbeiteten Bereiche der  Arbeitsgruppe Verwaltung Neu" in Form von   Regierungsvorlagen   dem Nationalrat vorlegen, wie wird deren wesentlicher Inhalt lauten?

5.         Wann legen Sie und Ihre Regierungsmitglieder das Arbeitspaket 1 Harmonisierung der Pensionssysteme" dem Nationalrat in Form einer Regierungsvorlage vor?

6.         Warum weigert sich das Bundesland Wien sein Pensionssystem für die Beamten zu reformieren, so wie es die anderen Bundesländer schon gemacht haben oder gerade machen?

7.         Wann werden Sie endlich dafür sorgen, dass Sonderpensionsrechte, wie sie derzeit bei staatsnahen Unternehmen wie ÖBB, OeNB oder ORF bestehen, abgeschafft werden?

8.         Wann meinen Sie, können Sie und Ihre Regierungsmitglieder das Arbeitspaket 2 Personal" in Form einer Regierungsvorlage dem Nationalrat vorlegen?

9.         Wie weit sind die Verhandlungen unter den Regierungsmitgliedern und mit der Gewerkschaft bezüglich eines neuen  Dienst-  und Besoldungsrechts vorangeschritten?

10.     Wie weit ist die Konsolidierung des Personalstandes des Bundes vorangeschritten?

11.     Wann  legen  Sie  und  Ihre  Regierungsmitglieder das Arbeitspaket  3  Bildung (Schulverwaltung)" in Form einer Regierungsvorlage dem Nationalrat vor?

12.     Wie wird der wesentliche Inhalt dieser Regierungsvorlage lauten?

13.     Sind Sie dafür, dass die Personalhoheit über alle Lehrer auf die Länder übergeht?

14.     Gibt es  diesbezüglich  zwischen   Ihnen   und   dem   Landeshauptmann  von Niederösterreich oder dem Bürgermeister von Wien eine Absprache?

15.     Werden Sie sich bei der Erstellung anfälliger Regierungsvorlagen dafür einsetzen, dass der freie Universitätszugang erhalten bleibt?

16.     Wann meinen Sie, können Sie und Ihre Regierungsmitglieder die restlichen Arbeitspakete und insbesondere das Arbeitspaket 10 Gesundheit und Pflege" in Form einer Regierungsvorlage dem Nationalrat vorlegen?

17.     Wann hat die Bundesregierung vor, mit den Ländern in Kontakt zu treten, um im Bereich Gesundheit und Pflege die bestehende Kompetenzlage der Zersplitterung der Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen aufzulösen und zu vereinheitlichen?

18.     Inwieweit und zwischen wem hat es darüber schon Gespräche oder Verhandlungen gegeben und wie sieht das (Zwischen-)Ergebnis aus?

19.     Wann werden die Arbeitspakete 4 Wissenschaft und Forschung", 5 Effizientes Förderwesen", 6 Bürgerorientierung und Deregulierung", 7 Effiziente Verwaltung", 8 Aufgabenstruktur und Strukturbereinigung", 9 Finanzausgleich und Haushaltsrecht" und 11 Umwelt, Infrastruktur, öffentliche Unternehmen und  Fonds in Angriff genommen?

20.     Wann werden die „Österreich-Gespräche" fortgeführt?

21.  Welche Gründe sind für Ihre Ankündigung, die Bundesverfassung durch eine verspätete Vorlage des Budgetentwurfs für 2011 brechen zu wollen, maßgeblich?

22.     Sehen Sie sich als Bundeskanzler in einer Position, die über der Verfassung steht?

23.   Wurden Sie als Bundeskanzler auf die Verfassung angelobt?


24.     Wie erklären Sie sich, dass die große Mehrheit der Steuerzahler die Ansicht vertritt, dass  der eigentliche  Grund  für den  Verfassungsbruch parteipolitisches Kalkül aufgrund der Wahlkämpfe in der Steiermark und in Wien ist?

25.  Warum weigern Sie sich, die Bürger über die von der Bundesregierung in Aussicht genommenen Belastungen zu einem verfassungskonformen Zeitpunkt zu informieren?

26.  Welcher Schaden wird durch die Nichteinhaltung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Fristen für die österreichische Wirtschaft, die Konsumenten und den Steuerzahler entstehen, zumal sich an die Verschiebung der Vorlage des Budgetentwurfes zahlreiche negative Auswirkungen im Rahmen einer Kettenreaktion knüpfen?

27.     Drohen Österreich durch die Verschiebung der Bekanntgabe der Budgetdaten am 1. Dezember 2010 Strafen hinsichtlich der Maastricht Defizitkriterien?

28.  Wenn ja, in welcher Höhe?

29.  Was bedeutet die verfassungswidrige Verzögerung des Inkrafttretens von Budget samt Begleitgesetzen für das Erreichen der EU-Einsparungsziele?

30.   Können Sie bestätigen, dass der Entwurf zum Budget 2011  samt Begleitgesetz entgegen den Versprechen der ehemaligen Spitzenkandidaten der Regierungsparteien bei den Nationalratswahlen die Einführung neuer Steuern oder die Erhöhung bestehender Steuern beinhaltet?

31.     Welcher Schaden entsteht durch die Verschleppung dringend notwendiger Reformen v.a. in den Bereichen Verwaltung, Gesundheit, Sozialversicherung und Bildung für die Republik Österreich und den Steuerzahler jährlich?

32.   In welchem Ausmaß sind  die Länder in die  Erarbeitung des  Budgetentwurfes eingebunden?

33.   Welche Ziele hat sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit den Ländern gesetzt?

34.   Aus welchen Ressorts sind Ihnen bis dato Teilentwürfe zum Budgetentwurf bekannt?

35.   Wenn ja, welchen Inhalt weisen diese auf?

36.   Welche Vorlaufzeit zwischen der Publikation eines Gesetzes und dem Inkrafttreten ist für eine  reibungslose  Umsetzung von Budgetmaßnahmen erfahrungsgemäß erforderlich, insbesondere in Steuersachen oder sonstigen Bereichen, die sich in der Lohnverrechnung und Steuerberatung (z.B. Update der entsprechenden EDV) niederschlagen?

37.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen der Familienbeihilfe beinhalten wird?

38.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen beim Arbeitslosengeld beinhalten wird?

39.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen beim Kindergeld beinhalten wird?

40.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen bei den Pensionen beinhalten wird?

41.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen bei der Agrarförderung beinhalten wird?

42.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen bei der Wirtschaftsförderung beinhalten wird?

43.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen bei den Maßnahmen für Forschung, Innovation und Technologie beinhalten wird?

44.   Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen beim Pflegegeld beinhalten wird?

45. Können Sie ausschließen, dass der Budgetentwurf samt Begleitgesetz Kürzungen im Bereich der Konjunkturstützungsmaßnahmen oder ähnlicher Zuwendungen der öffentlichen Hand beinhalten wird?


46.  Können Sie für die Erstellung des  Budgetentwurfes 2011 samt Begleitgesetz sicherstellen, dass keine Mehrbelastungen der Steuer- und Beitragszahler im Bereich

a.      der Reduktion von Steuerbegünstigungen,

b.      der Abgaben auf Grundeigentum,

c.       der Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen,

d.      der Abgaben auf Vermögenszuwächse,

e.      der Besteuerung von Tabak, Alkohol und Glücksspiel,

f.        der Umsatzsteuer,

g.      der Besteuerung des Energie- und Umweltverbrauchs oder

h.      der Sozialversicherungsbeiträge und der sonstigen Lohnnebenkosten

i.       der Besteuerung von sonstigen Einkünften erfolgen?

47.   Können Sie ausschließen, dass es aufgrund des Stopfens der von der Bundesregierung verursachten Budgetlöcher zu einer weiteren Anhebung der Mineralölsteuer kommen wird, weil für diese die Zweckwidmung gefallen ist?

48.   Planen Sie die Besteuerung von Profiteuren der Weltwirtschaftskrise und von Superreichen?

49.   Wenn ja, in welcher Form?

50.   Planen Sie eine Abkehr der bisherigen Besteuerungsgrundsätze des 13. und 14. Monatsgehaltes?

51.   Werden Sie eine Entlastung von Einpersonenunternehmen und KMUs umsetzen?

52.   Haben Sie in Aussicht genommen, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht vorzulegen?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und dem Erstanfragesteller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.