Eingelangt am 22.11.2010
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ANFRAGE
der Abgeordneten Korun, Freundinnen
und Freunde
an die Bundesministerin für Inneres
betreffend rechtswidrige
Inschubhaftnahme des HTL-Schülers Code E.
Code E., damals 17-jährig,
flüchtete ohne seine Eltern aus Nigeria nach Österreich und stellte
seinen Asylantrag unmittelbar am Tag seiner Ankunft, dem 18.11.2003. Sein
Asylverfahren dauerte insgesamt sieben Jahre, während dessen machte Code
E. seinen Hauptschulabschluss, lernte Deutsch und studiert nun an der HTL
Ottakring im dritten Jahr. Er wohnte in einem Heim, wo er auch regulär
gemeldet war. Um die Ausbildungskosten der HTL zu bezahlen, jobbte er nachts
als Zeitungsausträger. Nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens
stellte Code im März 2010 einen Bleiberechtsantrag, welcher bis dato noch
nicht entschieden wurde aber vielversprechend war. Am 14. November 2010 wurde
Code E. dann von der Fremdenpolizei festgenommen und in die Rossauer Lände
in Schubhaft gebracht. Einen Bescheid für diese Festnahme gibt es jedoch
erst für den 15. November. Dieser besagt, dass über Code das
gelindere Mittel (also keine Schubhaft) bei gleichzeitiger Unterbringung in der
Schubhaft verhängt wurde. Code E. sollte in der Nacht des 18. November
abgeschoben werden, womit auch der noch offene Bleiberechtsantrag hinfällig
gewesen wäre. Der widersprüchliche Bescheid und das unkoordinierte
Vorgehen (Schubhaft trotz offenen Bleiberechtsverfahrens mit Erfolgsaussichten)
konnte man bisher bei der Fremdenpolizei oder BMI nicht erklären. Auch in
der Schubhaft kam es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten, so wurde er
in Isolationshaft genommen und sein Rechtsberater nicht zugelassen, ihm wurden Falschauskünfte
erteilt und er wurde zuletzt - nach öffentlichen Protesten gegen die
geplante Abschiebung - freigelassen und ohne vorherige Verständigung des
Rechtsberaters auf die Straße gesetzt.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
- Warum wurde Code E. trotz
laufenden Bleiberechtsverfahrens am 14.11.2010 in Schubhaft genommen bzw.
von der Wiener Fremdenpolizei verhaftet?
- Warum wurde trotz der
Verhaftung am 14.11.2010 der Bescheid über die Festnahme bzw. die
„Anwendung des gelinderen Mittels“ erst am 15.11.2010
ausgestellt?
- Aufgrund welcher rechtlichen
Grundlage erfolgte die Festnahme am 14.11.2010, wenn diese erst einen Tag
später mit einem Bescheid legitimiert wurde?
- Warum wurde trotz der
Verhaftung am 14.11.2010 der Bescheid über die Festnahme bzw. die
„Anwendung des gelinderen Mittels“ erst am 15.11.2010 dem
ausgewiesenen Rechtsvertreter von Code E. übermittelt?
- Gesetzlich schließen
Schubhaft und „gelindere Mittel“ einander aus, da letztere
gerade die Nicht-Inschubhaftnahme unter der Auflage, sich
regelmäßig bei der Polizei zu melden, bedeuten. In dem dem
Betroffenen einen Tag nach der Festnahme ausgehändigten Bescheid ist
aber davon die Rede, dass „von der Anordnung der Schubhaft
Abstand genommen und als Anwendung eines gelinderen Mittels zur Sicherung
der Abschiebung angeordnet (wird), dass Sie in Wien 9., Rossauer
Lände 7-9 Unterkunft zu nehmen haben“. Die angegebene
Adresse ist die des Schubhaftgefängnisses Rossauer Lände. Wie
kann es sein, dass jemand im gelinderen Mittel zur Unterkunftnahme im
Schubhaftgefängnis gezwungen, also faktisch in Schubhaft gesperrt
wird und offiziell im gelinderen Mittel ist?
- Gibt es mehrere solcher
Bescheide, die die Gleichzeitigkeit von gelinderem Mittel UND der
„Unterkunftnahme“ in Schubhaft vorschreiben? Wenn ja, wie
viele und seit wann gibt es diese sinn- und rechtswidrige Praxis?
- Kannten Sie bzw. kennen Sie als
zuständige Ressortleiterin diese Vorgehensweise der Wiener
Fremdenpolizei? Wenn ja, seit wann und was haben Sie dagegen unternommen?
Wenn nein, was gedenken Sie ab jetzt dagegen zu unternehmen?
- Dem Rechtsvertreter von Code E.
wurde am 16.11.2010 vom zuständigen Beamten in der Rossauer
Lände mitgeteilt, dass Code E. trotz seines angeblichen
„gelinderen Mittels“ die Rossauer Lände nicht verlassen
dürfe, auch nicht für einen kurzen Spaziergang. Wie
erklären Sie sich diese de-facto-Haft obwohl sich Herr Code E. ja
offiziell im gelinderen Mittel befand?
- Der Sprecher des
Innenministeriums, Oberst Rudolf Gollia, beruft sich diesbezüglich im
Standard vom 18.11.2010 auf § 77 Abs. 5 FPG und dass man damit
jemanden im gelinderen Mittel sehr wohl für 72 Stunden an bestimmten
Orten (Schubhaft) festhalten könne. Inwiefern handelt es sich bei
dieser Vorgehensweise nach § 77 Abs.5 FPG um reguläres Vorgehen
bei der Abschiebung von Bleiberechtsantragstellern? Wie viele Personen
wurden in den Jahren 2007-2010 (aufgegliedert auf Jahre) damit in
Schubhaft „untergebracht“?
- Inwiefern handelt es sich bei
der Anordnung, sich für 72 Stunden in einem Schubhaftgefängnis
aufhalten zu müssen und der Durchsetzung dieser Anordnung durch
Befehls- und Zwangsgewalt, wie in § 77 Abs. 5 FPG vorgesehen, nicht
ohnehin um Haft? Wieso wird dieser Haftzustand dann unter dem
Deckmäntelchen des „gelinderen Mittels“ verhängt?
- Laut § 77 Abs. 5 FPG darf
diese Schubhaft im Gelinderen Mittel nur verhängt werden, soweit
„dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen (Abschiebung)
erforderlich ist“. Code E. lebte seit Jahren in einem Heim, wo er
gemeldet war und machte keine Anstalten unterzutauchen. Inwiefern war hier
eine Inschubhaftnahme erforderlich? Wieso findet sich hierzu keine
Begründung im gegenständlichen Bescheid?
- Laut § 77 Abs. 5 FPG
hätte Code E. genauso aufgetragen werden können, sich in seinem
Wohnheim bis zur Abschiebung zur Verfügung zu halten. Weshalb wurde
diese weniger invasive Alternative hier nicht gewählt?
- Laut § 77 Abs. 5 FPG
hätte die Polizei Code E. maximal 72 Stunden in Schubhaft festhalten
dürfen. Code E. war jedoch am 14.11.2010 um 19.30 Uhr
festgenommen worden und hätte am 18.11.2010 um 0:20 – also
76,5h Stunden danach - abgeschoben werden sollen. Wäre es hier nicht
zu einer Fristüberschreitung gekommen, oder hätten Sie Code E.
fristgerecht, also vier Stunden vor der Abschiebung wieder freigelassen?
- Das Asylverfahren von Code E.
hat sieben Jahre gedauert. Er ist als unbegleiteter Minderjähriger
nach Österreich gekommen. Inzwischen hat er den Hauptschulabschluss
nachgeholt und besucht im dritten Jahr eine HTL. Warum soll so jemand
trotz laufenden Bleiberechtsverfahrens aus seiner Schulbildung und
Umgebung herausgerissen und abgeschoben werden, noch dazu ohne dass das
Ende des Bleiberechtsverfahrens abgewartet wird?
- Widerspricht diese
Vorgehensweise nicht § 44 Abs. 5 NAG, wonach mit der Abschiebung
zuzuwarten ist, wenn die Erteilung eines Bleiberechts wahrscheinlich ist?
- Wieso wurde vor der
Inschubhaftnahme Codes keine Stellungnahme der MA 35 zur
Wahrscheinlichkeit einer Erteilung des Bleiberechts gem. § 44 Abs. 4
NAG eingeholt? Entspricht dies der üblichen Vorgehensweise bei
Bleiberechtsverfahren gemäß § 44 Abs. 4 NAG?
- Haben Sie vor, weiterhin gut
integrierte, seit Jahren hier lebende und in Ausbildung befindliche junge
Menschen in Schubhaft zu nehmen und abschieben zu lassen?
- Weshalb wurde der
bevollmächtigte Rechtsvertreter von Code E. am Tag nach seiner
Festnahme, nämlich am 15.11.2010, der Zutritt zu Code E. verweigert?
Was genau war die rechtliche Grundlage hierfür?
- Dem Rechtsvertreter von Code E.
wurde der Zutritt zu Code E. u.a. mit dem Argument verweigert, dieser
befinde sich in Einzel-Verwahrungshaft, nachdem er sich selbst verletzt
habe. Entspricht die Besuchsverweigerung, auch gegenüber dem
Rechtsvertreter, dem üblichen Vorgehen der Polizei in solchen
Fällen?
- Ist es nicht gerade bei
Personen, die psychisch durch die Schubhaft bereits so schwer belastet
sind, dass sie sich selbst verletzen und dann in einer Isolierungshaft
sitzen besonders notwendig, dass Sie mit Ihrem Rechtsvertreter sprechen
können?
- Wie bringen sie o.g. Vorgehen
in Einklang mit dem § 5b Abs. 3. Anhalteordnung, die eindeutig
besagt, dass der Rechtsvertreter auch bei Einzel-Verwahrungshaft
jedenfalls zuzulassen ist? Was werden Sie gegen die rechtswidrige Praxis,
RechtsvertreterInnen dennoch nicht zuzulassen unternehmen?
- Weshalb wurde Code E. von den
diensthabenden BeamtInnen am 16.11.2010 nicht erlaubt, seinen
Rechtsberater anzurufen?
- Widerspricht dies nicht
eindeutig §5b Abs. 3. Anhalteordnung ebenso wie Ihrem Erlass vom
02.10.2010, der festlegt, dass Rechtsvertreter erweiterte
Besuchsmöglichkeiten haben und sowohl in den Besuchszeiten als auch
wenn erforderlich außerhalb der Amtsstunden zu ihren KlientInnen
zuzulassen sind?
- Code E. wurde am 16.11 2010 vom
diensthabenden Beamten erklärt, dass sein Rechtsberater
überhaupt nicht da gewesen wäre um ihn zu besuchen. Wie
erklären Sie sich diese – nachweislich unrichtige - Aussage des
Beamten, wo doch eine Bescheinigung des Rechtsvertreters vorliegt, dass er
bereits am 15.11.2010 um Einlass zu Code E. in der Rossauer Lände
ersucht hatte und dennoch nicht vorgelassen wurde?
- Warum wurde der Rechtsvertreter
auch am 16.11. bis 17:30 Uhr trotz seines Besuchsversuchs hingehalten und
ihm ein Gespräch mit seinem Mandanten verweigert?
- Wie kann es sein, dass
offiziell bevollmächtigte RechtsvertreterInnen nach der Festnahme
ihrer MandantInnen tagelang nicht zu ihnen zugelassen werden? Was werden
Sie tun, um diese rechtswidrigen und inakzeptablen Zustände
unverzüglich zu ändern?
- Der Rechtsvertreter suchte am
15.11.2010, und zum zweiten Male am 17.11.2010 schriftlich um die
Ausstellung einer Festnahme und Haftbestätigung für Code E. an,
welche bis heute nicht ausgestellt wurde und auch im Akt nicht vorliegt. Weshalb
wurde keine Bestätigung ausgestellt?