7588/J XXIV. GP

Eingelangt am 04.02.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Ing. Kurt Gartlehner, Kurt Gassner

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

betreffend Bienensterben

Seit einigen Jahren beobachten Imker ein großes Bienensterben, besonders in Europa, den USA, dem Mittleren Osten sowie Japan. Dabei kommt es zu Verlusten von bis zu 85% der Kolonien. Einige chemische Wirkstoffe, darunter Clothianidin aus der Gruppe der Neonicotinoide (Produktnamen: Elado, Poncho, Produzent Bayer CropScience) stehen laut Experten in dringendem Verdacht, für das Bienensterben mitverantwortlich zu sein. Clothianidin ist ein Insektizid, wird zur Saatgutbeizung und im Mais- und Rapsanbau verwendet und fast ausschließlich in Monokulturen eingesetzt. Im deutschen Baden- Württemberg kam es im April/Mai 2008 nach der Aussaat von mit Clothianidin behandeltem Mais zum größten Bienensterben seit Jahrzehnten. Rund 700 Imker verloren ihre Bestände ganz oder teilweise, insgesamt waren rund 11 500 Völker betroffen. Zusätzlich wird aber auch der drastische Rückgang zahlreicher Vogelpopulationen mit der Dezimierung von Insekten durch derartige Insektizide in Zusammenhang gebracht.

Laut dem Dachverband der österreichischen Imkerzuchtverbände Biene Österreich' 'beträgt allein der Schaden dokumentierter Bienenvergiftungen durch den Einsatz von Chemie ca.125.000 Euro pro Jahr. Das tatsächliche Ausmaß der Schäden dürfte aber weit höher liegen, da sich viele Imker nicht an die Behörden wenden.

Seit August 2010 liegen Umweltminister Berlakovich die neuesten Daten über das Bienensterben in Österreich vor, doch diese wurden bis jetzt unter Verschluss gehalten.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft folgende

Anfrage:

1.) Welchen Umfang hat das Bienensterben in Österreich?

2.) Was sagen die aktuellen Daten zu den Ursachen, zum Ausmaß und zur regionalen
Verteilung des Bienensterbens in Österreich aus?


 

3.) Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Neonicotinoide, wie das Clothianidin dramatischere Auswirkungen haben, als bisher angenommen: sie sind relativ langlebig, reichern sich im Boden an und können durch Pflanzen und Tiere wieder aufgenommen werden. Dadurch schädigen sie wichtige Elemente der Nahrungskette. Welchen
Wissensstand hat Ihr Ressort zu diesen Untersuchungen und Aussagen?

4.) Sind Ihrem Ressort Untersuchungen zu den langfristigen Wirkungen der Neonicotinoide,


wie Clothianidin bekannt? Was sagen diese aus?

5.) Welche Neonicotinoide sind in Österreich zugelassen und welche Wirkstoffe und damit verbundene Pflanzenschutzmittel werden in dieser Pestizidklasse am häufigsten
eingesetzt? (Bitte auch die Namen der wichtigsten Pflanzenschutzmittel mit neonicotinoiden Wirkstoffen nennen.)

6.) Wie hoch ist der jährliche Pestizideinsatz in Österreich seit 1995? (in Tonnen Wirkstoff- aufgegliedert nach Herbiziden, Fungiziden, Schwefel, kupferhaltigen Wirkstoffen, Insektiziden, Wachstumsregulatoren, Rodentizide, Sonstige) Kann man diese Wirkstoffmengen auch regional nach Bundesländer oder sogar Bezirke aufgegliedert erhalten? Wenn Nein, warum nicht?

7.) Warum hat der Insektizideinsatz so enorm zugenommen?

8.) Wie hoch ist der jährliche Einsatz von einzelnen Neonicotinoiden bzw. der wesentlichsten Wirkstoffe in dieser Pestizidklasse seit 2000 (auch möglichst tief regional
aufgegliedert)? Gibt es solche Statistiken? Und wenn Nein, warum nicht?

9.) Hat Ihr Ministerium, nachdem die Wirkung von Neonicotinoiden auf das Bienensterben bekannt wurde, so wie in Frankreich bzw. 2008 auch in Deutschland, für einzelne Wirkstoffe die Zulassung ausgesetzt bzw. deren Anwendung verboten? Wenn Ja, wann und
warum? Und wenn Nein, warum nicht?

10.) Neben den direkten Schäden durch das Bienenstreben für die Imkerei sind auch die Folgeschäden in Erwägung zu ziehen, die durch die verringerte Bestäubungsleistung sowie den langfristigen Verlust an Artenvielfalt, Schädigung von Böden und Oberflächengewässern verbunden sind. Wie hoch sind diese für Österreich zu beziffern?

11.) Welche Maßnahmen werden Sie gegen das Problem des Bienensterbens ergreifen?

12.) Werden Sie sich für ein weitreichendes Verbot bienengefährlicher Pestizide und eine umgehende Verschärfung der Zulassungsverfahren einsetzen?

13.) Ist in ihrem Ministerium bekannt, dass im September 2010 eine Studie in der Wissenschaftszeitschrift Toxikology publiziert wurde, die aussagt, dass Imidacloprid und Thiacloprid eindeutig mit dem Bienensterben verbunden sind?


 (siehe: Ecologist: Growing body of evidence' links pesticides to bee decline. 5th August, 2010 -

http://www.theecologist.org/News/news_round_up/555116/growing_body_of_evidence_links_pesticides_to_bee_decline.html
bzw. die wissenschaftliche Grundlagenarbeit:

TENNEKES, Henk A.: The significance of the Druckrey-Küpfmüller equation for risk assessmentThe toxicity of neonicotinoid insecticides to arthropods is reinforced by exposure time. Toxicology Volume 276, Issue 1, 30 September 2010, Pages 1-4; doi:10.1016/j.tox.2010.07.005; (Experimental Toxicology Services (ETS) Nederland bv, Frankensteeg 4, 7201KN Zutphen, The Netherlands)
siehe auch:


Environmentalresearchweb: Insecticide implicated in bee decline -

http://environmentalresearchweb.org/cws/article/news/43568

weitere wissenschaftliche Grundlagenarbeit:

Francisco Sa'nchez-Bayo: From simple toxicological models to prediction of toxic effects in

time. Ecotoxicology (2009) 18:343-354; DOI 10.1007/s10646-008-0290-1

Wie beurteilen sie die Ergebnisse dieser Studien in Bezug auf den Zulassungsstatus von

Imidacloprid und Thiacloprid?

14.) Ist in Ihrem Ministerium bekannt, dass es in den Niederlanden Untersuchungen zu

Kontaminationen mit Imidacloprid in Oberflächengewässern gibt? Ist in diesem

Zusammenhang in Ihrem Ministerium die niederländische Studie von

VAN DIJK, Tessa: Effects of neonicotinoid pesticide pollution of Dutch surface water on

non-target species abundance. Thesis of Track Land use, Environment and Biodiversity (SD:

LEB)- Utrecht University-Student number: 0444448 (t.c.vandijkl@students.uu.nl) bekannt?

(siehe:

http://igitur-archive.library.uu.nl/student-theses/2010-0722-
200330/MSc%20Thesis%20Tessa%20van%20Dijk.pdf
) bekannt?

15.) Wie beurteilen sie das Ergebnis dieser Studie in Bezug auf den Zulassungsstatus von Imidacloprid?

16.) Hat ihr Ministerium bereits veranlasst, dass in Österreich Untersuchungen zur Belastung von Grund- und Oberflächengewässern mit Neonicotinoiden (wie Imidacloprid und Thiacloprid) insbesondere in Gebieten mit intensiver Anwendung dieser Wirkstoffe durchgeführt werden?

17.) Ist in Ihrem Ministerium bekannt, dass die für Insekten toxisch und subtoxisch wirkende

Neonicotinoide, auch direkt und indirekt auf Vogelpopulationen wirken und dadurch für das

Sterben von Singvögeln bzw. von Vogelpopulationen, die freie Acker- und Feldflächen

bevorzugen, verantwortlich sind?

(siehe FRANKFURTER RUNDSCHAU: Der stille Artenschwund, von Stephan Börnecke 14.12.

2010; http://www.fr-online.de/panorama/der-stille-artenschwund/-/1472782/4922878/-/
index.html

Ecologist: Controversial pesticides linked to 'total ecological collapse' of insects and birds.

Von Dearbhla Crosse and Tom Levitt; 16th November, 2010;

http://www.theecologist.org/News/news_round_up/684945/controversial_pesticides_linked_to_total_ecological_collapse_of_insects_and_birds.html)

Tennekes Henk A. hat kürzlich auch ein Buch zu dieser Thematik veröffentlicht: The systemic

insecticides - a disaster in the making; http://www.disasterinthemaking.com/

18.) Wie beurteilen sie das Ergebnis dieser Studie bzw. dieses Buches in Bezug auf den Zulassungsstatus von systemisch wirkenden Neonicotinoiden?

19.) Kommen in Österreich Neonicotinoide auch in der Nähe von Nationalparks und Vogelschutzgebieten insbesondere im Zusammenhang mit intensivem Anbau von Mais, Sonnblumen und Raps zum Einsatz?


20.  Wäre es nicht besser, in Gebieten, die vom Maiswurzelbohrer befallen sind oder befallen zu werden drohen, den Monokulturanbau von Mais zu untersagen, anstatt laut Bundesamt für Ernährungssicherheit-BAES und AGES Info-Blatt nur bei jenen Bauern und Landwirten, die bereits eine Fruchtfolge einhalten , einen Anbau von Insektizid-gebeiztem Maissaatgut für nicht zulässig zu erklären?

21.             Glauben Sie, Herr Bundesminister, dass die Empfehlungen laut Bundesamt für Ernährungssicherheit-BAES und AGES Info-Blatt wie Säcke nicht werfen oder stürzen“, Staubabtrift-mindernde pneumatische Einzelkornsägeräte“ verwenden, beim Umgang mit behandeltem Saatgut Schutzhandschuhe zu tragen usw. zur Verhinderung des Bienensterbens durch bienengefähriche Neonicotinoide ausreichend sind?

22.             Glauben Sie, Herr Bundesminister, dass es zumutbar und hinreichend gegen das Bienensterben wirksam ist, dass Imkern empfohlen wird, für ausreichende Wasserversorgung der Bienen zu sorgen (Bienentränke) oder Bienenstöcke nur nicht näher als 20 m von einem Mais bzw. Kürbis zu bestellenden Acker aufzustellen? Werden hier nicht die ökotoxikologischen Wirkungen der Neonicotinoide bagatellisiert? Wird hier nicht das Verursacherprinzip ausgehebelt?