7755/J XXIV. GP

Eingelangt am 24.02.2011
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Grünewald, Walser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung

 

betreffend „Plagiatsvorwurf“ Doktorarbeit Johannes Hahn

 

Das Amt eines Ministers / einer Ministerin erfordert neben hoher fachlicher Kompetenz einen redlichen Umgang mit Daten und Fakten. Anlässlich des aktuellen Falls von Plagiatsvorwürfen um die juristische Doktorarbeit des deutschen Verteidigungsministers Guttenberg (CSU), der mittlerweile schwerwiegende Fehler zugibt und den Doktortitel dauerhaft nicht mehr führen will[1], überlegt der Salzburger Medienwissenschafter Stefan Weber, der bereits im Jahr 2007 in der Dissertation des früheren Bundesministers für Wissenschaft und Forschung, Johannes Hahn, "seitenweises unzitiertes Abschreiben" [2] bzw. 18 "problematische Textübernahmen" in der Arbeit aufgespürt und der Ombudsstelle der Universität Wien ein Dossier in Form eines tabellarischen Dokuments übermittelt hatte, den Fall wieder neu aufrollen. Im konkreten Fall hatte die Universität Wien nach Einholung einer Stellungnahme der Universität Zürich auf die Einleitung eines Plagiatprüfungsverfahren verzichtet[3].

 

Der Philosoph Johannes Hahn hatte als Wissenschaftsminister nach seiner Matura im Jahr 1976 zunächst das Jus-Studium in seiner Heimatstadt begonnen, schwenkte dann jedoch auf Philosophie um. Der Titel seiner 1987 an der Uni Wien eingereichten Dissertation lautet "Perspektiven der Philosophie heute - dargestellt am Phänomen Stadt".

Der Minister wies stets alle Vorwürfe des „unzitierten Abschreibens“ ganzer Passagen aus verschiednen Büchern zurück: "Die Dissertation hat 282 Seiten und 197 Zitate, mir fehlt der Vergleich, aber das kommt mir sehr ordentlich vor[4]". Weber sei "offensichtlich verärgert, weil er keinen Auftrag von uns erhalten hat", so Hahn. Der ehemalige Minister und jetzige EU Kommissar betonte, bereits im Vorwort seiner Dissertation und auch im Text selbst immer wieder auf den Philosophen und Alternativnobelpreisträger Leopold Kohr bzw. dessen einige Jahre zuvor erschienenes Buch "Die überentwickelten Nationen"  hinzuweisen. Hahn verweist zudem darauf, dass er seine Dissertation noch mit der Hand geschrieben habe, sie sei dann erst abgetippt worden, die gebundene handschriftliche Fassung sei "jenes Buch in seiner Bibliothek, auf das ich am stolzesten bin“.

"Vielleicht hat man guten Grund, kein Verfahren einzuleiten: Am Ende wäre noch rausgekommen, dass auch Wissenschaftsminister Hahn seitenweise unzitiert von Leopold Kohr abgeschrieben hat", betont Weber und belegt seine Aussagen mit Textbeispielen aus Hahns Dissertation und Texten von Kohr[5] .

 

2007[6] führte der Minister, der sich u.a. wegen einer Passage aus einem Werk des Philosophen Kohr (1909 bis 1994) mit einem Plagiatsvorwurf konfrontiert sah, den „Kohr-Preis[7]“ ein. 2008 schaffte er eine weitere neue Auszeichnung, den "Award of Excellence"[8] für besonders herausragende Dissertationen. "Außergewöhnliche Leistungen verdienen besondere Aufmerksamkeit und Anerkennung. Mit der neu geschaffenen Auszeichnung möchte ich die Arbeit junger Wissenschafterinnen und Wissenschafter würdigen und in der Öffentlichkeit besser bekannt machen", so der Wissenschaftsminister damals.

 

Inwieweit sein eigener Lebenslauf bzw. seine politische Karriere sein Amt als früherer Wissenschaftsminister rechtfertigen, sei dahin gestellt. Immerhin: Ein Plagiat ist das bewusste Aneignen fremder geistiger Leistungen. Dies kann sich auf die Darstellung von Ideen (Urheberrecht) oder die Ideen selbst (Patentrecht, Geschmacksmusterrecht, Wissenschaft) beziehen[9]. Für den Fall, dass dieser Vorwurf im genannten Fall zutrifft, besteht dringender Handlungsbedarf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1. Kennen Sie die Vorwürfe bezüglich der Dissertation von Johannes Hahn? Wie stehen Sie dazu? Werden Sie eine neuerliche Prüfung unterstützen?

 

2. Die Agentur für wissenschaftliche Integrität wurde als ein Verein nach dem österreichischen Vereinsgesetz Ende 2008 „aus der Taufe gehoben“, was im internationalen Vergleich enorm spät ist. Die Kommission hat ihre Arbeit im Juni 2009 begonnen und inzwischen den ersten Jahresbericht[10]  vorgelegt. Es wurden im ersten Jahr insgesamt 10 Anfragen an die Kommission gerichtet. Von diesen Anfragen konnten zwei ohne die Eröffnung eines Verfahrens beantwortet werden, zwei wurden von den Hinweisgebern zurückgezogen und zwei wurden nicht aufgegriffen, da die Hinweise sich auf mögliches Fehlverhalten bezog, das mehr als 10 Jahre zurück lag. Woran wird die Leistung der Agentur gemessen? Welche Möglichkeiten hat Ihr Ressort, die Agentur zu unterstützen? Sind auch Sie der Meinung, dass Fälle, die mehr als 10 Jahre zurückliegen, nicht mehr bearbeitungswert sind? Halten Sie diese Agentur für ausreichend, um die wissenschaftliches Fehlverhalten zu entdecken oder gar zu verhindern?

 

3. Würden Sie diese Agentur nahelegen, im Fall Johannes Hahn eine Ausnahme zu machen, obwohl die Arbeit bereits 1987 verfasst wurde?

 

4. Die Agentur wurde von Ihrem Vorgänger als „unabhängige Servicestelle“ ermöglicht. Geplant war, dass drei bis vier angesehene ForscherInnen aus dem Ausland die Agentur, die sich ausschließlich Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens annehmen soll, leiten sollten. Sanktionen kann sie nicht verhängen. Sehen Sie den Auftrag Ihres Vorgängers als erfüllt an? Haben Sie den Eindruck, dass diese Agentur, wäre sie mit mehr Kompetenzen ausgestattet, noch besser arbeiten könnte? Warum sitzen derzeit im Vorstand sechs österreichische Männer?

 

5. Angeblich gab es bereits fehlerhafte Ermittlungen bei der Österreichischen Agentur für Wissenschaftliche Integrität[11]. Wissen Sie von diesen Vorwürfen? Sind Sie diesen Vorwürfen nachgegangen?

 

6. Mit August 2008 wurde auch die flächendeckende elektronische Plagiatsprüfung für Hochschulschriften (Diplom- und Masterarbeiten sowie Dissertationen) auf insgesamt 22 Studienprogrammleitungen ausgeweitet. Wann wird diese noch weiter ausgeweitet? Gibt es nach Ihrem Wissensstand eine bundesweite Liste der betroffenen Arbeiten? In wie fern unterstützen Sie die einzelnen Universitäten?

 

7. Wie viele Fälle von Plagiatsvorwürfen werden jährlich in Österreich bekannt?

 

8. Was gedenken Sie, für verstärkte Ethik in der Wissenschaft zu unternehmen? Ist für die Qualitätssicherung des Forschungsstandorts Österreich die bestehende Infrastruktur ausreichend? Gibt es weitere Institutionen, die sich der Integrität annehmen? Wenn ja, welche?

 

9. Johannes Hahn muss selbst entscheiden, ob er während einer kommenden etwaigen Prüfung seinen Titel ruhen lässt. Sollte sich der Vorwurf bestätigen, müsste Ihm der Titel aberkannt werden, politische Konsequenzen wären vorprogrammiert. Werden Sie mit Ihrem Vorgänger Kontakt suchen? Was werden Sie Ihm raten? Wie stehen Sie als Wissenschaftsministerin zu Personen, die bewusst „Täuschung der Eigenständigkeit der erbrachten Leistung“ praktizieren?

 

 

 



[1] APA0571 5 AA 0360 XA , auch APA0507/21.02, Mo, 21.Feb 2011: Guttenberg will Doktortitel dauerhaft nicht mehr führen

 

[2] APA0588 5 II 0515 XI, Do, 24.Mai 2007: Plagiatjäger: Hahn hat in Dissertation "seitenweise abgeschrieben"

 

[3] APA0228 5 II 0478 X,  Mo, 22.Feb 2010: Plagiate: Medienwissenschafter Weber will alte Fälle neu aufrollen

 

[4] http://sciencev1.orf.at/science/news/148188

 

[5] http://sciencev1.orf.at/science/news/148188

 

[6] APA0151 5 KI 0334 II/XI,  Sa, 28.Jul 2007

Wissenschaftsminister "dankt" Plagiatsjäger - Kohr-Preis ab 2008

 

[7] Der Leopold Kohr-Preis – benannt nach dem aus Oberndorf bei Salzburg stammenden Philosophen und Alternativnobelpreisträger Leopold Kohr (1909-1994), kommt einmal jährlich sozialen, kulturellen oder ökonomischen Projekten zugute. Er wird vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung mit 15.000 Euro gestiftet.

 

[8] OTS0052 5 II 0147 MWF0001 CI Fr, 05.Sep 2008

BM Hahn schafft Auszeichnung für die besten Dissertationen

 

[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Plagiat

[10] http://www.oeawi.at/downloads/1-Bericht-der-Kommission.pdf

 

[11] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20101126_OTS0239/fehlerhafte-ermittlungen-bei-der-oesterreichischen-agentur-fuer-wissenschaftliche-integritaet