8719/J XXIV. GP

Eingelangt am 08.06.2011
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Pilz, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Inneres

 

betreffend unverhältnismäßiger Schusswaffengebrauch gegen Graffiti-Sprayer

 

 

 

In der Nacht vom 15. auf den 16. Jänner 2011 kam es in Wien 18, Edmund-Weiß-Gasse, zu einem unverhältnismäßigen und nach Einschätzung der unterfertigten Abgeordneten rechtswidrigen Schusswaffengebrauch durch einen Exekutivbeamten.

 

Eine Streifenwagenbesatzung der Polizei stellte drei Jugendliche im Alter von 13 bis 15 Jahren, die an der Ummauerung der Sternwarte einen „ANTIFA“-Graffitischriftzug mit Spraydosen gestalteten.

 

Als die Jugendlichen die Polizei bemerkten liefen zwei vorerst davon, während einer sofort stehen blieb. Noch bevor die einschreitenden Exekutivbeamten versuchten die flüchtenden Verdächtigen durch Nacheile zu stellen, gab einer der Polizisten einen „Schreckschuss in das lose Erdreich zur Ausübung psychischen Zwanges“ ab. Während laut polizeilichem Aktenvermerk diesem Schreckschuss eine verbale Androhung des Schusswaffengebrauches vorausging, geben die Jugendlichen an eine solche nicht gehört, sondern nur den Ruf: „Burschen, stehenbleiben!“ vernommen zu haben.

 

Einer der beiden Flüchtenden wurde in der Folge eingeholt, zu Sturz gebracht, und mit gezogener Waffe bedroht. Der dritte Verdächtige stellte sich in weiterer Folge nach telefonischer Aufforderung der Polizei.

 

Der durch das Graffiti verursachte Reinigungsaufwand von etwas über 400 Euro wurde vollständig ersetzt, die Staatsanwaltschaft stellte die Strafverfahren unverzüglich ein.

 

 

Der Waffengebrauch in diesem Fall erscheint als unzulässig nach § 4 WaffengebrauchsG, da jedenfalls gelindere Mittel wie insbesondere die Verfolgung der Flüchtenden  - die ja letztlich auch tatsächlich zum Erfolg geführt hat – zur Verfügung gestanden wären. Angesichts des Umstandes, dass einer der drei Verdächtigen gleich zu Beginn  der Amtshandlung stehen blieb, wäre auch sonst eine Ausforschung der weiteren beiden Personen sehr wahrscheinlich gewesen. Angesichts der Geringfügigkeit des Deliktes und der Jugendlichkeit der Täter war der Schusswaffengebrauch jedenfalls unverhältnismäßig.

 

 

In einer durch die Jugendanwaltschaft Wien veranlassten Stellungnahme erklärte die Bundespolizeidirektion Wien – unter Abweichung vom Sachverhalt, wie er sich aus den polizeilichen Aktenvermerken ergibt – die Schussabgabe als gerechtfertigt und verwies dazu auf die Entscheidung des UVS Tirol GZ: 2006/20/2011-7. Dabei wurde jedoch verkannt, dass anders als in dem dort beurteilten Fall, in dem die Abgabe eines Schreckschusses erst nach einer längeren Verfolgungsjagd und angesichts einer akuten Selbstgefährdung der Flüchtenden erfolgte, hier der Schreckschuss gleich zu Beginn der Amtshandlung abgegeben wurde, wie sich auch aus den vorliegenden Amtsvermerken der Polizei ergibt.

 

In einer Pressekonferenz zum Jahresbericht 2010 der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft erklärte der Jugendanwalt Anton Schmid unter Verweis auf diesen Fall völlig zu Recht:

 

          „Es wäre auch erlaubt, Kindern nachzuschießen. Das können wir als Kinder- und Jugendanwälte nicht akzeptieren. In Notwehr zu schießen, ist keine Diskussion, aber nicht wegen einer Mauer. Wir fordern eine Änderung des Waffengebrauchsgesetzes.“

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

 

1. Ist der Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei gegen jugendliche Verdächtige von Bagatelldelikten eine gängige Praxis?

2. Wurde Ihrer Auffassung nach im gegenständlichen Fall das WaffengebrauchsG eingehalten, obwohl ungefährlichere Maßnahmen iSd § 4 leg cit erst nach dem Schusswaffeneinsatz ergriffen wurden?

3. Falls nein: welche disziplinären Maßnahmen wurden aufgrund des Vorfalles ergriffen?

4. Wie erklären Sie den Umstand, dass die Stellungnahme der Bundespolizeidirektion Wien vom 17.3.2011 in wesentlichen Punkten von einem anderen Sachverhalt ausgeht, als er sich aus den Amtsvermerken der Polizei und den Schilderungen der Jugendlichen ergibt?

5. Welche Vorschriften und Dienstanweisungen bestehen in Ihrem Ressort zum Einsatz von Schusswaffen gegen Kinder und Jugendliche?

6. Ist die Einvernahme von Minderjährigen ohne Anwesenheit ihrer Erziehungsberechtigten nach den bestehenden Dienstvorschriften zulässig?


7. Die Jugendlichen berichten, dass bei einem von Ihnen der vernehmende Polizist eigenmächtig das Mobiltelefon nach angerufenen Telefonnummern durchsuchte und darauf gespeicherte SMS gelesen hat. Auf welche Rechtsgrundlage gründet sich eine derartige Vorgehensweise?

8. Weiters wird berichtet, dass nach Eingabe des Namens eines der Verdächtigen auf dem Polizeicomputer umfangreiche Personendaten einschließlich eines Lichtbildes, welches offenbar aus dem Reisepass des Betroffenen stammte, abrufbar waren. Dies obwohl derjenige bis dato nicht in Kontakt mit der Polizei geraten war. Haben Exekutivbeamte Zugriff auf für die Ausstellung von Reisepässen aufgenommene Daten und die Passfotos und falls ja, auf welche Rechtsgrundlage stützt sich dieser Zugriff?

9. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen um sicherzustellen, dass der Verhältnismäßigkeit des Schusswaffengebrauches, insbesondere bei Bagatelldelikten wie geringfügigen Sachbeschädigungen durch Kinder und Jugendliche, in Zukunft mehr Beachtung geschenkt wird?