8896/J XXIV. GP

Eingelangt am 28.06.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten Grünewald, Freundinnen und Freunde an den

Bundesminister für Gesundheit

 

betreffend Vorsorge-Koloskopie

 

 

BEGRÜNDUNG

 

 

Spätestens seit Beginn der neunziger Jahre wurden seitens der Gesundheitspolitik verstärkte Bemühungen im Bereich der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen sichtbar. Gesetze, Verordnungen und Regelungen  zur Qualitätssicherung nahmen zu. Die Gesundheitsreform 2005 schuf ein umfassendes, alle Sektoren und Gesundheitsberufe betreffendes Gesetz zur Qualität von Gesundheitsleistungen (BGBl I Nr.179/2004), welches mit 1.1.2005 in Kraft trat. Die Entwicklung bundesweiter Vorgaben gemeinsam mit allen Betroffenen war hier, wie eine Koordinierungs- und Kontrollfunktion des Bundes, klare Zielbestimmung. Unterstützung dieser Vorhaben sollte durch ein eigenes Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG) gewährleistet werden.

 

In den letzten Jahren richtet sich auch zunehmende Aufmerksamkeit auf das Gebiet der Prävention. Vermeidung und rechtzeitiges Erkennen von Erkrankungen sollte Arbeitsausfälle, Chronifizierung von Erkrankungen und die Zahl der Invaliditätsspensionen reduzieren. Dazu zählen Modelle des Diabetesmanagements, Vorsorgeuntersuchungen zur rechtzeitigen Diagnose des Mammakarzinoms und anderes mehr.

 

Manche Vorhaben blieben Papier, flächendeckende, bundeseinheitliche Qualitätsstandards bleiben Wunschdenken. Wir wollen am Beispiel der Vorsorgeuntersuchung Kolonkarzinom eklatante Schwächen des Systems, das teils fehlende Problembewusstsein einzelner Akteure und die mangelnde Koordination an wesentlichen Schnittstellen aufzeigen, um den ursprünglichen Elan bzgl. einer umfassenden Qualitätssicherung wiederzufinden und auf die Notwendigkeit klarer Bundeskompetenzen hinzuweisen.


Das Kolonkarzinom (Colorectal carcinoma (CRC) oder kolorektales Karzinom (KRK), „Darmkrebs“) ist eine der häufigsten Todesursachen in den Industrienationen, etwa 5 % der Bevölkerung (jeder 20. Mensch) erkrankt im Laufe seines Lebens daran. Die Zahl der jährlichen KRK-Neuerkrankungen in Österreich beträgt etwa 6000, wobei die Hälfte der PatientInnen daran verstirbt. Allein im Bundesland Vorarlberg betrug die Zahl der KRK-Neuerkrankungen im Jahr 2001 172,  2005 waren 180 Personen betroffen.

 

In den Industrieländern hat die Anzahl der Neuerkrankungen in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen, der Darmkrebs ist eine der häufigsten bösartigen Erkrankungen in Mitteleuropa und ist für etwa 15 % aller Krebstodesfälle verantwortlich[1]. Das KRK ist national und international die zweithäufigste Ursache für Krebssterblichkeit. Darmkrebs ist häufig sehr lange symptomlos. Erst wenn der Tumor in größerem Maße blutet, oder wenn er das Darmlumen nennenswert einengt, kommt es zu Symptomen.

 

Das Kolonkarzinom entsteht aus Vorläuferveränderung (Polypen), die sich im Rahmen der Koloskopie (Darmspiegelung) nachweisen und entfernen lassen. Eine Vorsorge-Koloskopie vermindert nachweislich die Sterblichkeit an KRK und reduziert Kosten.

 

Durch die Vorsorge-Koloskopie ist eine Reduktion der KRK von 76-90 % möglich.[2] Mit der Einführung eines neuen Vorsorgeprogramms 2005 wurde politisch die Einführung dieser Vorsorgeuntersuchung auf Bundesebene geplant, jedoch aus finanziellen Gründen nicht bundesweit umgesetzt.

 

In einer Arbeitsgruppe zwischen Hauptverband der Sozialversicherungsträger (HV) und der Österreichischen Ärztekammer wurde unter Einbeziehung der wissenschaftlichen Gesellschaften eine Rahmenvereinbarung für die Vorsorge-Koloskopie erarbeitet und mit internationalen Qualitätsstandards (QS) und einer darauf aufbauenden Kostenkalkulation verknüpft. Der HV forderte zwar die QS, sah sich jedoch nicht in der Lage, für die Sozialversicherungsträger den dafür notwendigen Tarif zu verhandeln und delegierte die Problemlösung daher an die Bundesländer.

 

In der Österreichischen Ärztekammer wurde als Mindesttarif zur Erfüllung der erforderlichen QS ein Tarif wie in Deutschland als Voraussetzung zum Abschluss einer Vorsorge-Koloskopie-Vereinbarung in den Bundesländern beschlossen. Ein solcher Mindesttarif konnte für das Bundesland Vorarlberg Ende 2006 mit der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK) unter Mitbeteiligung des Landesgesundheitsfonds Vorarlberg verhandelt werden.

 


Neben den medizinisch-ethischen Aspekten sprechen auch die ökonomischen Fakten eindeutig für die Vorsorge-Koloskopie: Die Kosten für die Behandlung eineR metastasierenden KRK-PatientIn sind von 570 Euro im Jahr 1997 auf 190.000 Euro im Jahr 2004 unter Nutzung der neuen Zytostatika und Antikörper[3] gestiegen, wobei in Vorarlberg das Argument überzeugte, dass nur durch die Früherfassung mittels Vorsorge-Koloskopie diese Kostenexplosion gesenkt werden kann[4].

 

Ab dem Jahr 2005 sind die Kosten durch weitere Therapieinnovationen bereits auf 250.000 Euro gestiegen. Nach Vertragsabschluss konnte im Februar 2007 das Programm gestartet werden.

 

Die Auswertung der Daten von Februar 2007 bis Dezember 2008 zeigt, dass von den im Bundesland Vorarlberg lebenden 360.000 Einwohnern die Zielbevölkerung (über 50 jährige Personen) 101.755 Personen ausmacht. Voraussetzung für eine Vorsorge-Koloskopie ist die Teilnahme an einer Basisvorsorge, welche von 26.136 der über 50 Jährigen pro Jahr in Anspruch genommen wurde.

 

Der Anteil der VGKK-Patienten an diesem Kollektiv beträgt rund 80 %. Die Zahl der VGKK-Versicherten, die von Jänner 2007 bis Dezember 2008 eine Vorsorge-Koloskopie in Anspruch genommen haben, betrug 5.104, wobei davon 5.012 in die nachfolgende Auswertung aufgenommen wurden.

 

Von den ausgewerteten Fällen sind 2.278 Männer und 2.734 Frauen, die hohe Koloskopie war komplett bei 4.782 bzw. 95,41 %, 2.554 Koloskopien ergaben einen Normalbefund, eine Pathologie (neben Polypen wurden u.a. auch Divertikel dokumentiert) zeigten 2.458 bzw. 49,04%., 1.994 Polypen waren nachweisbar, die Anzahl der Polypen pro PatientIn betrug zwischen 1 und 22.

 

Seit 2007 wird entsprechend dem internationalem Standard und der Studienlage auch in Österreich die Vorsorge-Koloskopie offiziell als Vorsorgeuntersuchung empfohlen.  Die Durchführung dieser Untersuchung verlangt einen hohen Standard von den UntersucherInnen, vom Equipment, den Begleituntersuchungen und der Dokumentation. Dies wird besonders schlagend, sobald eine Vorläuferläsion nachgewiesen und eine Abtragung notwendig wird. Die Kosten für diesen Aufwand und die  notwendig hohen Qualitätsanforderungen werden dem Niedergelassenen nur in Vorarlberg abgegolten. In Tirol sieht die GKK eine diagnostische Koloskopie alle 10 Jahre vor, kurzfristigere Intervalle bzw. Interventionen werden von der GKK nicht getragen. In Innsbruck gibt es zwei niedergelassene KollegInnen, die einen entsprechenden GKK-Vertrag haben.

 

Die „Benchmark“ (Maßstab) für die Detektionsrate abzutragender Vorläuferläsionen (Adenome) liegt bei 30 % der Vorsorgekoloskopien. Das bedeutet, dass jede 3. Vorsorge-Untersuchung im GKK-Bereich kurzfristig mindestens ein zweites Mal (in der Regel im Krankenhaus) durchgeführt werden muss. Auch Kontrollendoskopien, die aufgrund der Befunde vor dem 10-Jahresintervall notwendig sind, werden ins Krankenhaus verschoben. Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass 30 -40 % der an der Klinik (Chirurgie und Gastroenterologie) durchgeführten Koloskopien  Vorsorgeuntersuchungen auf Zuweisung von Niedergelassenen sind.


Wenn nun von einem rechtlich sehr versierten Direktor der Verwaltung des LKH –Universitätskliniken Innsbruck auf eine entsprechende Anfrage argumentiert wird, dass öffentliche allgemeine Krankenanstalten nur ausnahmsweise für ambulante Untersuchungen und /oder Behandlungen zuständig sind (§38 Abs.1 lit. a-h Tiroler KAG), so zeigt dies nur einen Teil der Problematik. Ambulante Gesundenuntersuchungen (hier mit der Intention der Prävention des Kolonkarzinoms) müssen nicht, aber können (!) gem. § 38 Abs. 2 Tiroler KAG durchgeführt werden. Darüber befindet der Träger in Hinblick auf seine Ressourcen und die entstehenden Kosten. Das „Ping-Pong Spiel“ zwischen Bund und Ländern nimmt so seinen Lauf, und PatientInnen wie bundeseinheitliche Qualitätssicherung werden, wie eine heiße Kartoffel, hin und her geschoben.

 

Vielfach stehen die Länder mit den Trägern ihrer Krankenanstalten auf der Position, dass, wenn von den Sozialversicherungen Gesundenuntersuchungen angeboten werden, sie auch Sorge zu tragen hätten, diese im niedergelassenen Bereich in ausreichendem Maß zu garantieren.

 

Gerade bei komplexeren und schwierigeren Vorsorgeprogrammen scheint es aber   sinnvoll, die Vorsorgekoloskopie als offizielle Leistung im Krankenhaus abzubilden. Dafür spricht auch der allgemeine und bewährte Trend zu Kompetenzzentren.Der Mehraufwand könnte dem Krankenhaus aus entsprechenden Landesvorsorgefonds (wie in Vorarlberg) oder aus Krebsfonds abgegolten werden. Beispiele erfolgreicher Vorsorgekonzepte in den Krankenhäusern der TILAK sind das Brust- oder das Prostatazentrum, aber auch Programme wie „gsund“, ein Vorsorgeprogramm, das über den Betriebsrat abgewickelt wird.

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

 

1)    Die Prävention des Kolonkarzinoms zeigt bei optimieren und Qualitätsgesicherten Programmen sehr gute und wissenschaftlich dokumentierte Erfolge. Eine bundeseinheitliche Vorgehensweise existiert nicht. Wie bewerten sie diese Problematik?

 

2)    Der Hauptverband delegierte die Honorarabschlüsse für die Koloskopie an die Sozialversicherungsträger der Länder, sodass hier völlig unterschiedliche Regelungen der Honorare, unterschiedliche Angebotsleistungen und unterschiedliche Struktur- wie Prozessqualitäten entstanden. Dies widerspricht den Intentionen der Gesundheitsreform wie jener des Gesundheitsqualitätsgesetzes. Wie werden sie garantieren, dass dieses Gesetz auch länderweit umgesetzt wird?


3)    Der „Verschubbahnhof“ gesundheitspolitischer Probleme verstärkt das „Florianiprinzip“ durch die unterschiedlichsten Finanzierungstöpfe, hier speziell zwischen dem niedergelassenen und stationären Sektor. Landesgesundheitsplattformen zeigen kein besonderes Interesse, diese Probleme zu lösen. Wollen sie im Bereich der Prävention hier auf Reformprojekte der Landesgesundheitsplattformen drängen, evtl. auch im Rahmen künftiger 15 a Vereinbarungen?

 

4)    Eine stärkere Mitsprache der Kassen im Bereich des stationären Sektors ist aufgrund ihres hohen Finanzierungsanteils nur legitim. Gedenken sie hier gesetzliche Maßnahmen zu setzten?

 

5)    Von den Gesundheitsplattformen der Länder wird nur ein Bruchteil der für Reformprojekte vorgesehenen 2% der Strukturmittel abgerufen. Denken sie daran gesetzliche Veränderungen der Gesundheitsplattformen vorzunehmen um hier offensichtliche Pattsituation bei Abstimmungen zu durchbrechen?

 

6)    Die Beseitigung von Schnittstellen zwischen stationären und ambulanten Sektor ist ein wichtiges Ziel der Gesundheitsreform. Das Beispiel Prävention beim Kolonkarzinom zeigt hier exemplarisch die unveränderte Schnittstellenproblematik. Wie gedenken sie hier gesundheitspolitisch zu reagieren?

 

7)    Drei von mehreren Möglichkeiten, hier zu Lösungen zu kommen, wären ein bundeseinheitliche Honorar der Koloskopie angelehnt an das Modell Vorarlberg, oder aber die Reduktion der Kassenvielfalt, bzw. die Stärkung des Hauptverbandes. Welche Lösungen streben sie hier an?

 

8)    Die Mehrkosten für den Träger bei präventiver Koloskopie könnten auch von Landesvorsorgefonds, der Krebshilfe oder anderen Quellen getragen werden, sollten sich die Kassen und Träger hier  nicht einigen. Welche Lösung streben sie an?

 

 



[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Kolorektales_Karzinom

 

[2] Winawer et al. JEJM 329 (1993), Winawer et al. Gastroenterology 112 (1997), Schmiegel et al. Kolorektales Karzinom: Prävention und Früherkennung in der asymtpomatischen Bevölkerung – Vorsorge bei Risikogruppen – Endoskopische Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Polypen und Karzinomen. Z.Gastoenterologie 38 (2000) 49-75, Lieberman et al. Use of colonoscopy to screen asymptomatic adults for colorectal cancer NEJM 343 (2000) 162-168

 

 

[3] ASCO 2004: Lenard Saltz vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center

[4] Pignone M. et al. Cost-effectinveness analasys of colorectal cancer screenining: a systematic review for the U.S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med. 137 (2002) 96-104