9014/J XXIV. GP
Eingelangt am 07.07.2011
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ANFRAGE
der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler
Kolleginnen und Kollegen
an die Frau Bundesminister für Justiz
betreffend Sicherstellung subsidiärer strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Verdächtigen Rakhat ALIYEV und Mittäter
Der Anwalt der Witwen der Entführungs- und Mordopfer des Verdächtigen Rakhat ALIYEV und seiner Mittäter, Dr. Gabriel Lansky, hat an die Mitglieder des Justizausschusses am 28. Juni 2011 ein Schreiben mit dem nachstehenden Inhalt gesendet:
"Mit Beschluss vom 16.6. 2011 wurde in dem zu 301 St 53/08k bzw. 311 HR 378/10m geführten Auslieferungsverfahren die Auslieferung von Rakhat ALIYEV (nunmehr SHORAZ), Alnur MUSSAYEV, Vadim KOSHLYAK und Viktor SAPOZHNIKOV für nicht zulässig erklärt.
Aufgrund der Ablehnung des Auslieferungsersuchens ist nunmehr die uneingeschränkte inländische Strafverfolgungspflicht entstanden, d. h. die österreichischen Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, ein umfassendes Ermittlungsverfahren gegen sämtliche oben Genannten einzuleiten. Insbesondere ist nun die Verhängung der Untersuchungshaft dringend geboten.
Da aber zu befürchten ist, dass weiter nichts geschehen wird, erlaube ich mir, mich mit diesem Schreiben an Sie zu wenden.
1. Kurze Zusammenfassung des Sachverhaltes
Am 12. Bzw. 13.5. 2011 wurden die Leichen der von Rakhat ALIYEV et.al. 2007 entführten Bankmanager Zholdas TIMRALIYEV und Aybar KHASENOV in Almaty (Kasachstan) gefunden. Die Identität beider Leichen wurde nunmehr per DNA-Analyse zweifelsfrei festgestellt.
Aufgrund dieser Entführungen waren die Auszuliefernden mit rechtskräftigem Urteil vom 20.03.2008 des Stadtgerichtes von Almaty (Kasachstan) zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Die Bemühungen, die Auslieferung der Verurteilten zu erwirken bzw. allenfalls eine Verfolgung ihrer Taten im Wege der stellvertretenden Strafrechtspflege sicherzustellen, dauern nunmehr seit August 2009 an. Gegen die Auszuliefernden ist aufgrund nationaler Haftbefehle der Republik Kasachstan eine internationale Roteckenfahndung via Interpol aufrecht.
Die von führenden deutschen Gerichtsmedizinern (Prof. Dr. med. Michael Tsokos ua.) erstellten forensischen Gutachten sprechen eine deutliche Sprache: Die beiden Ehemänner und Familienväter wurden massiv misshandelt, erdrosselt und ihre Körper anschließend fachmännisch "entsorgt". An den Leichen wurden jene Merkmale vorgefunden, welche mit dem durch zahlreiche Zeugenaussagen schon 2007/08 bestätigten Aussehen bzw. Zustand der Entführten am Tag ihres Verschwindens übereinstimmen.
So wurde etwa von Prof. Dr. Tsokos in Gewebeproben der Leichen Medikamente nachgewiesen, die ALIYEV laut Zeugenaussagen beiden Opfern verabreicht hatte, um sie für das Verhör gefügig zu machen. Am Tag der endgültigen Verschleppung wurde einem der Opfer der Kopf kahl geschoren, was sich auch im Obduktionsbericht wieder findet. Auch die an den Leichen festgestellten Misshandlungsspuren, inklusive sexueller Übergriffe, entsprechen den Aussagen der Mittäter aus 2007/08 hinsichtlich der stattgefundenen Folterverhöre.
Der Fundort der Leichen liegt überdies gleich neben einer vom Mittäter Vadim KOSHLYAK geführten Autowerkstätte, wo laut Zeugenaussagen die Entführung vorbereitet und anschließend "nach vollendetem Werk" das Entführungsfahrzeug chemisch gereinigt wurde. Besonders erwähnenswert ist auch, dass das Gelände, auf dem die Fässer mit den Leichen vergraben waren, der Firma " Kaz-Teleradio" gehörte, einem Unternehmen, das zum Zeitpunkt der Tat Teil der Firmengruppe des Rakhat ALIYEV war. Die Leichen wurden demnach auf einem Grundstück ALIYEVS begraben.
Es besteht nunmehr der dringende Verdacht, dass die Entführer ihre Opfer - wie befürchtet – auch gefoltert und anschließend ermordet haben.
Die Leichenfunde stützen den von den kasachischen Gerichten festgestellten Entführungssachverhalt, der Verdacht einer politisch motivierten Verfolgung der Auszuliefernden ist nunmehr ferner denn je.
2. Inländische Strafverfolgungspflicht – Österreich unter Zugzwang
Da die mutmaßlichen Täter nunmehr nicht ausgeliefert werden können, ist die inländische Ermittlungs- und Strafverfolgungspflicht bezüglich der diesem nunmehr abgeschlossenen Auslieferungsverfahren zugrundeliegenden Straftaten – und zwar entgegen missverständlichen Pressemeldungen – hinsichtlich aller oben genannten Personen gemäß § 64 Abs 1 Z 4 letzter Fall StGB in vollem Umfang entstanden. Die österreichischen Strafverfolgungsbehörden sind nunmehr gemäß § 2 StPO verpflichtet, den Verdacht einer Straftat in einem Ermittlungsverfahren von Amts wegen aufzuklären.
Im Lichte der neuerlichen Ablehnung der Auslieferung von ALIYEV et al ist darüber hinaus nicht damit zu rechnen, dass die Republik Kasachstan in absehbarer Zeit ein neues Auslieferungsersuchen zur Strafverfolgung wegen Mordverdacht an die Republik Österreich richten wird. Es besteht somit mehr denn je Handlungsbedarf seitens Österreichs. Wegen des dringenden Tatverdachtes, die erpresserischen Entführungen 2007 tatsächlich begangen zu haben und aufgrund hoher Fluchtgefahr ist unverzüglich die Untersuchungshaft über die Tatverdächtigen zu verhängen.
Der neu hinzugekommene Verdacht des Mordes, der nicht Gegenstand des aktuell abgeschlossenen Verfahrens war, verpflichtet die Staatsanwaltschaft nunmehr dazu, im Falle eines Verzichts auf Stellung eines neuerlichen Auslieferungsersuchens von Amts wegen Ermittlungen wegen Mordes einzuleiten. In diesem Sinne ist die Verhängung der bedingt-obligatorischen Untersuchungshaft (§173 Abs 6 StPO) bei dringendem Verdacht auf Mord zwingend vorgesehen.
3. Rechtsverweigerung durch die Republik Österreich
Der zuständige Richter des Landesgerichts für Strafsachen Dr. Michael Spinn, begründete die Ablehnung der Auslieferung damit, dass "es zumindest nicht auszuschließen" sei, "dass es sich gegenständlich um eine Sachen mit politischem Charakter handelt."
Es wird dabei überhaupt nicht zwischen ALIYEV und seinen Mittätern, die Großteils einfache Chauffeure bzw. Bodyguards waren, unterschieden. Diese leiten ihre politische Gefährdung alleine von der Arbeit für ALIYEV ab, ein Umstand, der klar gegen die jüngste EGMR-Rechtsprechung (Dzhaksybergenov vs. Ukraine) verstößt, wonach jeder, der politische Verfolgung behauptet, diese auch für seine Person nachzuweisen hat. Die Zusammenarbeit mit politisch exponierten Personen alleine wird vom EGMR ausdrücklich für nicht ausreichend erklärt.
Auch hinsichtlich ALIYEV selbst gibt es keinerlei Hinweise auf einen "politischen Charakter" der Causa. Vielmehr ist es ausschließlich der Kern von ALIYEVs Verteidigungsstrategie, sich als Oppositionspolitiker "verhinderter Reformer" darzustellen, der dem Präsidenten gefährlich werden könnte und darum politisch verfolgt werde. So hat ALIYEV im Interview mit profil vom 27. Juni 2011 sogar behauptet, selbst das Präsidentenamt anzustreben.
Tatsächlich ist Rakhat ALIYEV niemals als Oppositionspolitiker in Erscheinung getreten. Im Gegenteil, bis zur Einleitung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn in Kasachstan war er ein mächtiges Mitglied der Führungselite des Landes. Er bekleidete Funktionen als Chef der Finanzpolizei sowie als stellvertretender Chef des Geheimdienstes und nutzte diese Funktionen auch aus, um kasachische Unternehmen zu erpressen.
Die von Staatsanwalt Dr. Seda aufgestellte und von Richter Dr. Spinn ohne nähere Prüfung übernommen Behauptung, die Vorwürfe gegen Rakhat ALIYEV hätten politischen Charakter, entbehrt daher jeder Grundlage und ist vielmehr faktenwidrig.
Ebenso scheint es Teil der Strategie von ALIYEV zu sein, zu insinuieren, die Republik Kasachstan würde in Österreich von der SPÖ unterstützt. Entsprechende Andeutungen von ALIYEV dienen offenbar dazu, die politisch Verantwortlichen in Österreich zu spalten und aus einem reinen Kriminalfall eine parteipolitische Causa zu machen. Tatsache ist, dass es keine Intervention einer österreichischen politischen Partei zugunsten der Republik Kasachstans gab und eine solche von ALIYEV auch niemals konkret behauptet wurde.
Nach bisherigen Informationen plant die Staatsanwaltschaft Wien trotz nunmehr voller Ermittlungspflicht nicht, eine Untersuchungs- oder Auslieferungshaft für die Mordverdächtigen zu beantragen. Dies, obwohl führende Juristen des Landes, darunter auch Univ. Prof. Dr. Heinz Mayer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Wien, festgehalten haben, dass eine weitere Untätigkeit in der Sache nunmehr klar amtsmissbräuchlich wäre.
Richter Dr. Spinn exekutierte mit seiner Entscheidung die von Staatsanwalt Dr. Seda und den Sektionschefs des Innen- und Justizministeriums akkordierte Rechtsverweigerung, die in einer vertraulichen Sitzung von Innen- und Justizministerium unter der fragwürdigen Anleitung des BVT und Mitwirkung der Verteidigung von ALIYEV beschlossen wurde. Bei diesen Treffen wurde der "hier amtliche" Wunsch festgehalten, die Mittäter ALIYEVs mögen Österreich verlassen, um den Behörden die Führung eines aufwendigen Inlandsverfahrens zu ersparen. Im Lichte dieser behördlichen Linie ist damit zu rechnen, dass ohne entsprechenden politischen Druck dieses rechtsverweigernde Wunschdenken durch weitere Untätigkeit - insbesondere Nichtverhängen der Untersuchungshaft – umgesetzt wird und die mutmaßlichen Täter das Land verlassen werden. "
Der Botschafter der Republik Kasachstan hat Ihnen, sehr geehrte Frau Bundesminister, in einem persönlichen Schreiben vom 24. Juni 2011 mitgeteilt, dass die Republik Kasachstan angesichts der negativen Auslieferungsentscheidung der österreichischen Gerichte kein weiteres Auslieferungsbegehren gegen die Verdächtigen Rakhat ALIYEV und Mittäter mehr stellen wird, dies allerdings in der vor dem Hintergrund der österreichischen Rechtslage berechtigten Erwartung, dass die österreichischen Strafverfolgungsbehörden ihre Zuständigkeit zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen wahrnehmen werden, wie dies in einem weiteren Schreiben des Rechtsanwaltes der Republik Kasachstan, Dr. Wolfgang Mohringer, vom 24. Juni 2011 an Ihr Ministerium ausgeführt wurde.
Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher an die Frau Bundesministerin für Justiz nachstehende
Anfrage
1. Werden Sie sicherstellen, dass die österreichischen Strafverfolgungsbehörden ihrer gesetzlichen Pflicht zur subsidiären Strafverfolgung der Tatverdächtigen Rakhat ALIYEV und Mittäter uneingeschränkt und ungesäumt nachkommen, ohne ein Abtauchen der Tatverdächtigen ins Ausland zu ermöglichen? – Welche Maßnahmen werden Sie hiezu genau treffen?