9130/J XXIV. GP
Eingelangt am
08.07.2011
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ANFRAGE
der Abgeordneten Mag. Stefan, Herbert
und weiterer Abgeordneter
an die Frau Bundesminister für Inneres
Betreffend: Ausweitung der Fluggastdatenspeicherung
Im Onlineportal des ORF fm4.orf.at erschien am 27.06.2011 folgender Artikel:
Laut Informationen, die ORF.at vorliegen, gibt es bereits einen Beschluss des EU-Ministerrats, die geplante Erfassung sämtlicher Flüge aus dem EU-Territorium in Drittstaaten und vice versa auszuweiten.
Wie aus Diplomatenkreisen zu erfahren war, war bereits am 11. April im Ministerrat beschlossen worden, auch Passagierdaten ("Passenger Name Records", PNR) von Flügen innerhalb der EU zu erfassen.
Bei diesem bis jetzt nicht veröffentlichen Ratsbeschluss handelt es sich um einen der üblichen "Kompromisse", der - wie so oft - auf Betreiben der Briten zustande gekommen war. Großbritannien, Irland und Schweden hatten darauf gedrängt, auch die Passagierdaten von Binnenflügen zu erheben, ganz nach dem Muster, das die UKUSA-Staaten USA, Australien und Kanada vorgegeben haben.
Wie schon der Name UKUSA sagt, ist das "United Kingdom" bei diesem 1947 gegründeten Bündnis an führender Stelle mit dabei. Zentraler Inhalt des Abkommens ist der Austausch von Geheimdienstinformationen.
Als "Kompromiss" betrifft der Ratsbeschluss nicht sämtliche innereuropäischen Flugbewegungen, sondern nur solche nach einem Modus, der noch festzulegen ist. Und darum wird jetzt heftig gerangelt, eine Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten legt sich nämlich quer.
So hatten die österreichische und niederländischen Delegationen auf einer Sitzung der Ratsarbeitsgruppe GENVAL ("Working Party on General Matters, including Evaluation") im Mai grundsätzliche Zweifel an Nutzen und Verhältnismäßigkeit des Vorhabens angemeldet. Österreich schlug vor, es den Mitgliedsstaaten zu
überlassen, von welchen - internationalen wie innereuropäischen - Flügen Daten erfasst werden.
Die bei der Sitzung anwesenden Kommissionsvertreter lehnten das vehement ab. Wenn nur ausgewählte Flüge erfasst würden, dann sei die Maßnahme in Bezug auf "reaktive und proaktive Nutzung" sinnlos.
Um verhältnismäßig zu sein, müsse die Regelung aber zwangsweise nützlich sein. Mit "reaktive und proaktive Nutzung" ist die Auswertung der mittels Data-Mining von sämtlichen Reisen aller Flugpassagiere gewonnenen individuellen Bewegungsprofile gemeint.
Deutschland erneuerte seinen generellen Prüfvorbehalt des gesamten Unterfangens und ersuchte die Rechtsabteilung des Ministerrats, ihre Einwände schriftlich näher zu erläutern. Österreich schloss sich dieser Forderung an.
Die Rechtsabteilung des Rats selbst hatte in der nämlichen Sitzung der Ratsarbeitsgruppe GENVAL eine juristische Bombe platzen lassen.
Schon der im Auftrag des Rats durch die Kommission verfasste Richtlinienentwurf
zur Speicherung der internationalen Flüge aus dem EU-Raum und vice versa laufe Gefahr, bei der Umsetzung in nationales Recht von den jeweiligen Höchstgerichten als rechtswidrig eingestuft und in der Folge verworfen zu werden.
Was auf nationaler Ebene gesetzlich verboten sei, könne nicht mittels EU-Recht dort eingeführt werden, sagte der Sprecher der Ratsjuristen und verwies auf die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Trotz eines weiten Gestaltungsspielraums für die Mitgliedsstaaten hätten mehrere nationale Höchstgerichte die Regeln als verfassungswidrig erkannt.
Fazit der Rechtsabteilung, die auf ausdrücklichen Wunsch des GENVAL-Vorsitzes nur kurz das Wort ergreifen durfte: Der Vorrang des EU-Rechts gegenüber
nationalen Gesetzen sei gefährdet, wenn nationale Höchstgerichte EU-Beschlüsse aufheben würden.
In der anschließenden Diskussion hagelte es Änderungswünsche. Griechenland, die Niederlande und Deutschland verlangten eine Verkürzung der auf fünf Jahre geplanten Speicherfrist. Österreich forderte einen Richtervorbehalt für den Zugang zu den Daten, England, Frankreich, Schweden, Italien und Tschechien lehnten das postwendend als "nicht praktikabel" ab.
Großbritannien sprach sich sogar gegen die Informationspflicht gegenüber den jeweiligen für die Speicherung zuständigen nationalen PNR-Beauftragten aus, weil das in Bezug auf "Geheimdiensterkenntnisse problematisch" sei. Briten und Franzosen plädierten dafür, "Echtzeitanalyse und proaktive Nutzung" der Passagierdaten auch für weniger schwere Straftaten zuzulassen.
In der vergangenen Woche sickerte durch, dass die Rechtsabteilung der EU-Kommission das Abkommen zur Weitergabe von Flugpassagierdaten an die USA in einem geheimen Gutachten als ungesetzlich eingestuft hatte.
Laut dem von der britischen Bürgerrechtsorganisation veröffentlichten vertraulichen Bericht der Rechtsabteilung an die Kommission bezeichneten die Kommissionsjuristen das von der Kommission mit dem Ministerium für Heimatschutz ausgehandelte Abkommen als "nicht vereinbar mit den Grundrechten".
Sobald - oder falls - in dieser Angelegenheit eine einheitliche Position im Ministerrat gefunden ist, muss sich in der Folge das EU-Parlament mit dem geplanten
Abkommen befassen. Wie sich bei den vergangenen Abkommen gezeigt hat, sind
die Parlamentarier gegenüber den PNR-Abkommen mehrheitlich sehr kritisch eingestellt.
Strukturell weisen alle PNR-Abkommen große Ähnlichkeit mit der völlig missglückten Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf. In beiden Fällen werden personenbezogene Daten von allen Teilnehmern pauschal erhoben und "auf Vorrat" gespeichert, ohne dass eine Straftat vorliegen würde. Das ist europaweit in praktisch allen Datenschutzgesetzen grundsätzlich verboten - sowohl die Vorratsdatenspeicherung wie die PNR-Abkommen stehen dazu in diametralem Gegensatz.
Was die Ratsarbeitsgruppe mit dem nichtssagenden Titel "Arbeitsgruppe für allgemeine Angelegenheit und Evaluation" angeht, so hieß dieses 1997 gegründete Ratskomitee bis 2010 "Multidisziplinäre Arbeitsgruppe gegen organisiertes Verbrechen".
Wie alle anderen Arbeitsgruppen des Ministerrats tagt auch diese unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit. Ihre Agenda ist ebenso geheim wie ihre Zusammensetzung, eine dazugehörige Webpräsenz gibt es nicht.
In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Frau Bundesminister für Inneres folgende
Anfrage:
1. Sind sie über diese Vorgänge informiert?
2. Soll bezüglich der Fluggastdatenspeicherung trotzdem weiterverhandelt werden?
3. Wenn ja, auf welche Grundvoraussetzungen werden sie in Verhandlungen bestehen?
4. Wenn nein, soll die Fluggastdatensicherung, trotz des offensichtlichen Gegensatzes zu den Grund- und Freiheitsrechten, trotzdem eingeführt werden?
5. Werden diese Erkenntnisse Auswirkungen auf die Vorratsdatenspeicherung in Österreich haben?
6. Welche Personen verhandeln für Österreich?
7. Wie lautet deren Auftrag?
8. Wurden vor den Verhandlungen Rechtsgutachten eingeholt?
9. Wenn ja von wem?
10. Wie lauten diese?
11. Wenn nein, warum nicht?