9185/J XXIV. GP

Eingelangt am 11.07.2011
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Grünewald, Windbüchler-Souschill, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Gesundheit

 

betreffend Mangelversorgung von Kindern und Jugendlichen mit notwendigen Therapien

 

 

Die Anfragebeantwortung 7741/AB des BM für Gesundheit zur Anfrage 7828/J betreffend Mangelversorgung von Kindern und Jugendlichen mit notwendigen Therapien ist am 2. 5. 2011 eingelangt und mit 22 Seiten auf den ersten Blick ausführlich ausgefallen. Meist enthält sie jedoch vorwiegend allgemein gehaltene Aussagen und Beschreibungen. Werden konkrete Beispiele angeführt, so fehlen oft Zahlenangaben, es wird daher teilweise nicht auf die in der Anfrage angeführten und in Zahlen dargestellten Unterversorgungen eingegangen.

Teilweise fallen unangebrachte[1] oder unverständliche[2] Aussagen auf, welche die Vermutung nahe legen, dass möglicherweise doch mit zweierlei Maß (Zwei-Klassen Medizin[3]?) gemessen wird und die Behandlung von Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen einen geringen Stellenwert hat. Es wird auch gleich zu Beginn der Kindergesundheitsdialog zitiert, welcher zweifellos einen wichtigen Schritt darstellt. Wir möchten aber darauf hinweisen, dass dieser nicht als „Feigenblatt“ dienen darf, um dringend notwendige Maßnahmen weiterhin jahrelang hinauszuschieben. Auch bei Anerkennung aller Vorzüge des Dialogs, so auch die  Meinung von ExpertInnen, fehlt eine klare Systematik für das gesamte Fachgebiet, das sich in den 6 Arbeitsgruppen abbildet. Das Hauptproblem der in Österreich im Kinder- und Jugendbereich fehlenden qualitätsvollen Daten, die ein zielgerichtetes Handeln erst ermöglichen würden, wird nicht angesprochen. Auf diesen Missstand kann nicht oft genug verwiesen werden.

 

Nach eingehender Analyse durch ExpertInnen kommen wir zu dem Schluss, dass die  Anfrage 7828/J nicht ausreichend beantwortet wurde. Wir erlauben uns daher, mit Ausnahme von vier Fragen, die ausreichend beantwortet wurden, unsere Fragen nochmals zu stellen. Ein (erklärender) Kommentar über die Unzulänglichkeiten der Antworten ist jeweils beigefügt[4].

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

1.         Die Anfragebeantwortung (4949/AB XXIV.GP) belegt die krassen Unterschiede bei der Versorgung in einzelnen Bundesländern. Wie planen Sie, diese föderalen Ungleichheiten zu beseitigen?

 

(Die föderalen Ungleichheiten werden in 7741/AB erklärt und bestätigt, es wird allerdings die Frage nach ihrer Beseitigung nicht beantwortet, nicht einmal angesprochen, ob sie überhaupt beseitigt werden sollen. Eine mögliche Interpretation der größtenteils am Thema vorbeiführenden Ausführungen ließe den Schluss zu, dass nicht geplant ist, den  föderalen Ungleichheiten in der Versorgung entgegenzuwirken. Es wird mit dem Hinweis auf eine mögliche Zuständigkeit der Länder vom Thema abgelenkt.)

 

2. Die Finanzierung von Therapien ist für viele Familien nicht leistbar. Die hohen Selbstkosten führen dazu, dass vielen Kindern und Jugendlichen die dringend  notwendige Unterstützung vorenthalten wird. Die Folgekosten für die Gesellschaft sind ein Vielfaches. Wie gedenken Sie, mit diesem Wissen umzugehen?

 

(Die Behauptung „Therapien (Physiotherapie, Ergotherapie, logopädische Therapie, Psychotherapie), deren Leistung in den Zuständigkeitsbereich der sozialen Krankenversicherung fällt, sind entsprechend der gesetzlichen Vorgaben in Form von Sachleistungen zu erbringen“ negiert die allgemein bekannten und in der Anfrage dargestellten Probleme. Es ist unverständlich, dass hier vermittelt wird, der gesetzliche Auftrag in diesem Bereich wäre erfüllt. Auch gibt es keine Antwort auf die gestellte Frage. Die erwähnten Sachleistungen werden nicht ausreichend erbracht, eine Kostenerstattung wird nicht einmal erwähnt. Ebenso werden die Folgekosten von nicht behandelten Kindern nicht angesprochen. Die internationale wissenschaftliche Literatur hat mittlerweile eine große Menge an Daten dazu geliefert. Österreich kann es sich nicht leisten, dies alles weiterhin zu ignorieren.)


3. Psychotherapie ist  in Österreich, im Gegensatz zu Deutschland, keine generelle  Kassenleistung. Gerade Kinder und Jugendliche rangieren im untersten Versorgungsbereich.  Was  gedenken Sie, dagegen zu unternehmen?

 

(Die Antwort, dass der Abschluss eines Gesamtvertrages mit den PsychotherapeutInnen im Jahre 2000 gescheitert ist, veranlasst, daran zu erinnern, dass wir mittlerweile das Jahr 2011 schreiben. Es zeugt nicht gerade von besonderer Zukunftsorientierung, zudem werden hier Gesamtzahlen vermutlich Erwachsener zitiert und nicht von Kindern und Jugendlichen. Wenn derzeit eine „Statuserhebung“ in der SV gemacht wird, stellt sich auch die Frage, inwieweit Kinder und Jugendliche gesondert erhoben werden – denn das war Teil der Fragestellung. „Mittlerweile gibt es nach jahrelangen Aufbauarbeiten in allen Bundesländern im Wesentlichen gut funktionierende Strukturen…“ Was ist mit „im Wesentlichen“ gemeint? Wie viele Personen sind das, wieviele davon haben Kompetenz und Erfahrung in der Therapie von Kindern und Jugendlichen? Wie viele Kinder und Jugendliche werden kostenfrei behandelt? In welcher Frequenz und über welchen Zeitraum?)

 

3a. Zusatzfrage:

Wann ist der Abschluss der erwähnten Statuserhebung zu erwarten? Trotz des in 7741/AB erstellten „tadellosen Befundes“ werden dennoch weitere Schritte der Bestandsanalyse unternommen. Ist das nicht ein Widerspruch? Wie kann schon vorher behauptet werden, dass alles in Ordnung ist? Woran konkret ist erkennbar, dass dem BMG die kostenfreie Psychotherapie für Kinder und Jugendliche ein besonderes Anliegen ist? Was ist der Indikator dafür? Die Ist-Analyse der Versorgung von Kindern und Jugendlichen soll eine „Versorgungs-Landkarte“ ergeben: Wann wird diese Landkarte erstellt sein? Wird diese dann veröffentlicht?  Wenn es darüber hinaus das „BSC-Ziel 2011“ gibt, zu dem eine interne AG bereits tätig ist, wann ist ein Ergebnis dieser AG zu erwarten? Bitte um detaillierte Beantwortung.

 

4.  In  Wien  bestehen  für  einzelne  kostenfreie  Therapieplätze  Wartezeiten  von bis zu zwei Jahren, in NÖ waren nur in einem von mehreren Ambulatorien im Oktober 2010 fast 800 Kinder auf der Warteliste für eine Therapie. Was gedenken Sie, dagegen zu unternehmen?

 

8. 2009 erhielten 5000 – 10000 der bei der WGKK versicherten Kinder keine logopädische Therapie und ca. 3000 – 7000 Kinder keine Ergotherapie. Was werden Sie unternehmen, dass dies in Zukunft nicht mehr passiert?

 

(Zusammengefasst für urspr. Fragen 4 und 8 aus 7741/AB: Zur Aussage „Der Hauptverband teilt dazu mit, dass diese Zahlen nicht verifiziert werden können“ ist anzumerken, dass die Quellen in der Anfrage angegeben waren. Immerhin wird nach Leugnung der Probleme in den ersten 3 Antworten unter diesem Punkt in der Folge auf 4 Punkte verwiesen, die zur Verbesserung der Situation geplant sind. Diese sind alle sehr zu begrüßen, haben aber nichts mit der Fragestellung zu tun.

 

4a. Zusatzfrage:

Der Rechnungshof hat in seinem Bericht 2005 die sofortige Einstellung des Österreichischen Netzwerks Gesundheitsfördernder Schulen gefordert – was wurde mittlerweile zum Positiven verändert? Welche Bereiche der schulischen Gesundheitsförderung sind jetzt nachhaltig verbessert? Wird die schulische Gesundheitsförderung einer Evaluation unterzogen, was ist das bisherige Ergebnis der Maßnahmen? Wie viele Schulen werden derzeit insgesamt erreicht? Welche Kriterien werden zur Erfolgsmessung herangezogen?

 

5. Die Etablierung einer universitären „Child Public Health“ Forschungseinrichtung   wäre dringend notwendig, um strukturiert und systematisch die Probleme    aufarbeiten zu können und evidenzbasierte Empfehlungen für die Politik als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu haben. Im aktuellen Regierungsprogramm  steht  der  Auf-  und  Ausbau  von  „Public  Health“ Vorhaben   an Universitäten und tertiären Bildungseinrichtungen unter „insbesonders notwendige Maßnahme“. Wann planen Sie, dieses Vorhaben mit Ihrem Kollegen im  Wissenschaftsressort zu besprechen? Wann wird es frühest möglich umgesetzt werden?

 

(Hier ist eine Unterstützungserklärung zu lesen, aber keine Maßnahmen oder Schritte zu einer Planung und Durchführung einer gemeinsamen Umsetzung mit dem Wissenschaftsministerium. Diese Frage wird völlig offengelassen. Eine engagierte Umsetzung des geplanten Regierungsvorhabens ist hier nicht wahrzunehmen. Welche Ergebnisse gibt es bis jetzt?  Wann ist die  konkrete Umsetzung zu erwarten?)

 

7. Österreich gibt wenig Geld für Kindergesundheit und chronisch kranke Kinder aus. Gibt es Vorhersagen für Österreich, welche Kosten im Laufe des Lebens durch die mangelnde Versorgung in jungen Jahren entstehen?

 

(Der Hinweis, dass die Zuständigkeit für ein gesundheitspolitisches Problem höchster Rangordnung bei den „unterschiedlichen Leistungserbringern“ liegt, veranlasst zur Frage, welche Aufgaben das BMG für sich bzw. den Hauptverband überhaupt sieht? Betrachtet das BMG die Kinder- Jugendgesundheit nicht als seine Aufgabe? Die Folgekosten können von gesundheitsökonomischen ExpertInnen klar beziffert werden. Sie werden vom österreichischen Steuerzahler getragen und sind daher von hoher Relevanz.) 

 

9.  Wie stehen Sie dazu, interdisziplinäre, ambulante Therapieangebote auszuweiten und die Kooperation unterschiedlichster Gesundheitsberufe zu verbessern?

 

(Eine interdisziplinäre Kooperation bei der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern ist internationaler State of the Art. Dies wird in der Beantwortung auch betont. In Österreich beschränkt man sich auf einzelne Projekte in einzelnen Bundesländern, statt diesen Standard (interdisziplinäre Kooperation) gezielt und flächendeckend im gesamten Bundesgebiet einzuführen. Welche Maßnahmen sind hier geplant?)

 

10. Die Mängel im Bereich der Kinder-Rehabilitation sind evident. Es gibt 8000 Plätze für Erwachsene und nur 50 für Kinder. Wie und wann sollen diese Mängel behoben werden? 

 

(Die Kinder-Reha an die Erwachsenen-Reha anzugliedern und sich auf „Zuständigkeiten“ zu berufen, ist nach über 10 Jahren intensiver Arbeit ein eher dürftiges Ergebnis, was die Arbeit vieler Beteiligter in zahllosen unbezahlten Arbeitsstunden nicht besonders würdigt. Derzeit sind die Kompetenzen zwischen Land und SV zu Lasten der PatientInnen geteilt.  Eine der größten Hindernisse in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist eben die „Zuständigkeit“, die Kompetenzentrennung. Sie ist in vielen Fragen, dasselbe Problem so zB.  bei wesentlichen Schulgesundheitsfragen (Unterrichtsressort – Gesundheitsressort bei der fehlenden Umsetzung der Impfempfehlungen) und auch in zahllosen anderen Themen wirksam. Es sind keine konkreten Bemühungen erkennbar, diesen Kompetenzendschungel endlich in eine strukturierte und planvolle Kooperation münden zu lassen. Sind Maßnahmen geplant, um diese Kooperationen herzustellen?)

 

12. Wann wird Österreich ein Österreichisches Studiennetzwerk für sichere Arzneimittel und Therapien im Kindes- und Jugendalter etabliert haben (entsprechend: EU Paediatric Regulation 1901/2006)?

 

(Die Frage lautete, wann wird Österreich ein entsprechendes Netzwerk haben, die Beantwortung enthält leider nur eine Aufzählung von dem, was nicht möglich war.

Die Frage nach dem Netzwerk muss also erst beantwortet werden.)

 

13. Welche bedarfsorientierten neuen Versorgungsangebote im ambulanten Bereich wurden bisher, wie im „Schwerpunkt Kinder/Jugendgesundheit vereinbart (Regierungsprogramm S 190), für Kinder und Jugendliche geschaffen? Bitte um eine Auflistung. 

 

14. Welche weiteren Maßnahmen im Schwerpunkt Kinder/Jugendgesundheit wurden bisher umgesetzt? Bitte um Auflistung nach Art des Angebots und Bundesland.

 

17. Welche Maßnahmen wurden in Österreich bisher gesetzt, um gesundheitliche    Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen zu beseitigen? Bitte um Auflistung nach Maßnahmen und Bundesland.

 

(Zusammengefasst für urspr. Fragen 13, 14 und 17 aus 7741/AB: Die Erstellung von Broschüren ist zweifellos wichtig, aber als erklärte Maßnahme zur Verbesserung der Kinderversorgung in Österreich doch eine eher dürftige Sache. Die Effizienz dieser Maßnahme ist enden wollend. Die Projekte in Burgenland, NÖ und  OÖ erscheinen als ein interessanter Ansatz, inwieweit sind diese Ansätze evaluiert? Werden sie in die reguläre Versorgung übergeführt? Welche Auswirkungen haben sie auf die Versorgung in ganz Österreich? Bei der Auflistung scheint es die Gruppe der benachteiligten Kinder nicht zu geben, die der EU immerhin eine eigene Strategie wert war, bei der Österreich sich auch nicht beteiligt hat: Closing the gap – „Gesundheitliche Ungleichheiten in Europa reduzieren“. In Deutschland hat das Projekt  zur großen Initiative  „gesundheitliche Chancengleichheit“ geführt. Was wird in Österreich zur Verbesserung der benachteiligten Kinder und Jugendlichen und ihrer gesundheitlichen Situation gemacht? Wo ist das österreichische Äquivalent der EU-Strategie? Die im Anhang aufgelisteten Projekte des FGÖ sind  -von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - für gesunde und erreichbare Kinder und Jugendliche konzipiert. Dabei werden etwa 15-20 % der Kinder ausgeblendet. Es finden sich auch kaum Projekte aus dem Bereich der „Frühen Förderung“, die für die spätere Gesundheit maßgeblich und bestimmend ist. Auch genderbezogene Benachteiligungen werden so gut wie nie angesprochen.)

 

 



[1]Aussagen wie, „Therapien, deren Leistung in den Zuständigkeitsbereich der sozialen Krankenversicherung fällt, werden in Vertragseinrichtungen ohne Kostenbeteiligung der Versicherten erbracht“ sind unangebracht und gehen am Thema vorbei:  Es wurde der Versorgungsgrad hinterfragt, der zur Notwendigkeit der Therapien im vertragsfreien Raum mit hohen Selbstkosten führt.

 

[2]Hinweise wie „Vergleiche mit Deutschland sollten beachten, dass dort die Krankenversicherungs-Beiträge größenordnungsmäßig etwa doppelt so hoch sind wie in Österreich“ sind insofern unverständlich, weil nicht das Budget der Krankenversicherungen Kern der Anfrage ist. Mit gleicher Begründung könnten bei allen anderen von den Krankenversicherungen teilweise oder ganz finanzierten medizinischen Leistungen Kürzungen vorgenommen werden, also etwa nur eine halbe Dialyse bezahlt werden, den Rest müssten die PatientInnen selbst bezahlen oder die Dialyse würde abgebrochen.

 

[3]28. Oktober 2010, http://derstandard.at/1288160164264/Gruene-kritisieren-Zwei-Klassen-Medizin-bei-Kindertherapien

 

[4]Die Numerierung der ursprünglichen Anfrage wird beibehalten, da teilweise Antworten zusammengefasst wurden.