9440/J XXIV. GP
Eingelangt am
10.10.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim
Genossinnen und Genossen
an die Bundesministerin für Inneres
betreffend „StudierendenvertreterInnen als Terrorismusverdächtige - bedenkliche Tendenzen des Rechtsstaats"
Protestrufe und ein paar Flyer von der Besuchergalerie des Parlaments: eine politische Protestaktion, mit der die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH), vertreten durch ihr Vorsitzteam und weitere Studierende, ihren Unmut über die Kürzung der Familienbeihilfe am 22.Dezember 2010 Luft machen wollten. Dass die politisch engagierten Studierenden für diese Verwaltungsübertretung (Missachtung der Hausordnung) eine, wie in ähnlich gelagerten Fällen übliche, Parlamentssperre bekommen, damit haben fast alle Beteiligten gerechnet. Wie durch Auskunftsbegehren bekannt wurde, sollen die Aktivistinnen - zumindest einige von ihnen - jedoch groteskerweise auch in das Elektronische Dateninformationssystems (EDIS) des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) aufgenommen worden sein.
So wird beispielsweise im Auskunftsbegehren der damaligen ÖH-Generalsekretärin Mirijam Müller als Speichergrund die Abwehr krimineller Verbindung genannt (§53 Abs 1 Z 2 iVm §§16 Abs 1 Z 2 und 21 Sicherheitspolizeigesetz). Da die kriminelle Verbindung nach § 16 SPG die Gefahr einer vorsätzlich "fortgesetzt gerichtlich strafbaren Handlung" verlangt, und die AktivistInnen, alles FuktionärInnen der Österreichischen HochschülerInnenschaft als einer Körperschaft öffentlichen Rechts, mit dem Werfen von ein paar Flugzetteln lediglich eine harmlose Verwaltungsübertretung und keine Straftat begangen haben, erscheint die Aufnahme in die Extremismus-Datenbank des BVT ebenso absurd wie nicht rechtmäßig.
Massive Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Behörde kommt auch von dem renommierten Verfassungsrechtsexperten Prof. Bernd Christian Funk : „Nach den mir bekannten Informationen liegt weder eine kriminelle Verbindung noch ein gefährlicher Angriff vor. Es handelt sich vielmehr um eine Verwaltungsübertretung und um ein nach parlamentarisch-hausrechtlichen Regeln sanktioniertes Verhalten. Die Bestimmungen des SPG über die Zulässigkeit der Ermittlung und Weiterverarbeitung personenbezogener Daten (§ 53 SPG) betreffend die Abwehr krimineller Verbindungen und die Ausübung erweiterter Gefahrenerforschung sind nicht erfüllt. Die Datenverwendung widerspricht sowohl den Regeln des SPG als auch dessen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit."
Dass das BVT, welches seine Hauptaufgabe in der "Bekämpfung des internationalen Terrorismus als Teil einer nationalen und gesamteuropäischen Strategie" sieht, damit beginnt politisch engagierte Studierende und gewählte StudierendenvertreterInnen aufgrund einer Verwaltungsübertretung zu überwachen, bringt den Überwachungswahn mancher Behörden in eine demokratiegefährdende Nähe.
Die Trendwende in Richtung Polizeistaat (man denke beispielsweise an die reflexartigen Rufe nach mehr Kompetenzen für die ermittelnden Behörden sowie an die exzessive Auslegungspraktik der Kripo im Tierschützerverfahren und deren ruinösen Folgen für die Betroffenen) muss gestoppt werden. Politischer Aktivismus muss weiterhin möglich bleiben, anstatt mit einer Politik der Angst Bürger- und Freiheitsrechte einzuschränken. Die Ressourcen der Behörden haben zur Verfolgung jener Personen eingesetzt werden, die unseren Staat wirklich bedrohen anstatt in falschen Sicherheitsphantasien eine offene Gesellschaft zu verunmöglichen.
Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Welche BeamtInnen haben entschieden die Studierenden in die EDIS-Datenbank des BVT aufzunehmen und aufgrund welcher Rechtsgrundlage?
2. Ist die Eintragung dieser Personen in die EDIS-Datenbank gemäß § 51 SPG verhältnismäßig? Wenn ja, warum?
3. Ist die Eintragung dieser Personen in die EDIS-Datenbank gemäß § 16 SPG, welcher eine vorsätzlich fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlung verlangt, gerechtfertigt? Wenn ja, warum?
4. Ist die ÖH oder bilden manche ihrer FunktionärInnen aus Sicht des BVT eine kriminelle Verbindung iSd § 16 Abs 1 Z 2 SPG? Wenn ja, warum?
5. Ist es üblich bei FunktionärInnen von gesetzlichen Interessensvertretung bei Handlungen in Zusammenhang mit Ihrere Funktionsausübung von einem Vorsatz für „fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlungen" auszugehen?
6.
Wird davon ausgegangen, dass die ÖH bzw. deren FunktionärInnen
eine potentielle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen?
Wenn ja, warum?
7. Werden auch andere offizielle Vertretungen, bspw. FunktionärInnen der ArbeiterInnenkammer, der Industriellenvereinigung, GewerkschaftsvertreterInnen und ähnliche bei Ausübung ihrer demokratischen Rechte, wie etwa der Teilnahme an Demonstrationen und ähnlichen Fällen unter diesen Verdacht gestellt?
8. Welche Daten werden auf welcher Rechtsgrundlage in der EDIS-Datenbank gespeichert?
9. Werden die Daten aus der EDIS-Datenbank des BVT mit anderen Datenbanken verknüpft? Wenn ja, welche Behörden außer dem BVT und wieviele Personen insgesamt haben Zugriff auf diese Daten und unter welchen Voraussetzungen?
10. Dürfen die Daten an ausländische Sicherheitsbehörden weitergegeben werden? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
11. Wird die EDIS-Datenbank vor bestimmten Ereignissen (wie zB. Demonstrationen) mit ausländischen Behörden abgeglichen bzw. Informationen an ausländische Behörden weitergegeben? Wenn ja, aufgrund welcher Rechtsgrundlage passiert dies und welche Informationen werden weitergegeben?
12. Welche Kontrollinstanzen bestehen für das BVT bei Eintragung in die und Verwaltung der EDIS-Datenbank?
13. Welche Kompetenzen haben diese Kontrollinstanzen?
14. Wie lange werden die Daten gespeichert und von wem und auf welcher Grundlage wird die Speicherdauer bestimmt?
15. Erfolgt die Löschung der Daten aus der EDIS-Datenbank endgültig oder ist es bei Einsicht möglich zu sehen, ob eine Person obwohl sie aktuell nicht mehr eingetragen ist, über eine gewisse Zeit lang eingetragen war?
16. Gemäß § 55a SPG sind Sicherheitsüberprüfungen von Personen möglich. In den Fällen von § 55a Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 2 SPG ist diese Sicherheitsüberprüfung ohne die Einwilligung der betroffenen Person möglich.
a. Wird bei derartigen Sicherheitsüberprüfungen in die EDIS-Datenbank Einsicht genommen? Wenn ja: Gehört eine Einsichtnahme in die EDIS-Datenbank zum regulären Prozedere bei einer Sicherheitsüberprüfung oder wird dies einzelfallbezogen entschieden?
b. Wird beispielsweise bei RichterInnenamtsanwärterInnen oder vergleichbaren Positionen Einsicht genommen, ob die betreffende Person in dieser Datenbank eingetragen ist oder wurde?
17. Welche Daten des BVT unterliegen der Auskunftspflicht und welche nicht?
18. Wer hat die Einrichtung der EDIS-Datenbank aufgrund welcher Rechtsgrundlage zu welchem Zeitpunkt veranlasst?
a. Ist die Grundlage der Einrichtung veröffentlicht worden? Wenn nein, wieso nicht?
b. Gibt es Erlässe, Weisungen, Verordnungen oder sonstige Regelungen nach welchen Kriterien eine Eintragung erfolgen soll? Wenn ja, welche Erlässe und wieso sind diese nicht öffentlich?
19. Kann das BVT selbstständig Datenbanken einrichten und/oder werden andere Datenbanken vom BVT verwaltet? Wenn ja, welche?
20. Ist die Einrichtung von Datenbanken wie der EDIS-Datenbank öffentlich einsehbar bzw. nachvollziehbar? Wenn nein, warum nicht?
21. Wieviele andere nach § 53 Abs 1 SPG eingerichtete Datenbanken gibt es und wie heißen diese?
22. Aus den gegenständlichen Auskunftsbegehren ist ersichtlich, dass es in der EDIS-Datenbank mehrere Speicherauszüge und daher auch eine Unterteilung in der Datenbank gibt (EDIS- Speicherauszug, EDIS II - Speicherauszug) Welchen Grund hat diese Unterteilung?
23. Aus den gegenständlichen Auskunftsbegehren ist ersichtlich, dass die betroffenen Personen der "zuständigen Gruppe 2-EX-AW" zugeordnet worden sind. Was bedeutet die Bezeichnung "2- EX-AW"?
24. Wie viele Personen werden insgesamt unter der Bezeichnung "2-EX-AW" in der Datenbank geführt und was sind die häufigsten Gründe für eine Eintragung?
25. Wie viele Personen davon werden vom BVT als links- und wie viele als rechtsextrem in der EDIS-Datenbank geführt?
26. Als Eintragungsgrund in der EDIS-Datenbank wird in den Auskunftsbegehren auch auf § 21 SPG verwiesen, in dessen Abs 3 die erweiterte Gefahrenforschung geregelt ist. Werden personenbezogene Daten, die gemäß § 53 Abs 1 Z 2a iVm § 21 Abs 3 ermittelt werden, ebenfalls in der EDIS-Datenbank weiterverarbeitet? Wenn nein, gibt es für diese ermittelten Daten eine weitere, eigene Datenbank?
27. Ist es allen BürgerInnen möglich über Auskunftsbegehren zu erfahren, ob sie in die EDIS- Datenbank aufgenommen wurden oder gibt es Gründe für eine Auskunftsverweigerung?