9623/J XXIV. GP

Eingelangt am 25.10.2011
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Anfrage

 

der Abgeordneten Wolfgang Pirklhuber, Freundinnen und Freunde an den/die Bundesminister für Gesundheit

betreffend Totalherbizid Glyphosat:

BEGRÜNDUNG

 

Glyphosat ist der weltweit meistgenutzte Herbizidwirkstoff und wird in verschiedenen Formulierungen und unter verschiedenen Markennamen (z. B. Roundup) vertrieben. Besonders in Ländern wie Argentinien, Brasilien und Paraguay hat sich infolge des verstärkten Anbaus von gentechnisch verändertem Soja die ausgebrachte Menge an glyphosathaltigen Herbiziden stark erhöht. Doch auch in Österreich wird Glyphosat beim Anbau einer Vielzahl von Feldfrüchten, aber auch in der Forstwirtschaft und von Hobbygärtnern zur Unkrautbekämpfung eingesetzt.

Glyphosat wird in der Praxis nicht als Alleinwirkstoff ausgebracht, sondern in Kombination mit Zusatzstoffen wie POE-Tallowaminen (polyethoxylierte Alkylamine). Durch diese Zusätze wird die Toxizität des Herbizids erheblich und gezielt verstärkt. Nachdem sich Berichte über toxikologische Effekte durch POE-Tallowamine in glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln häuften, ordnete das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit(BVL) bei glyphosathaltigen Herbiziden, die in Deutschland eingesetzt werden, den Austausch des Netzmittels Tallowamin bis 2010 an. Weiterhin verbot das BVL im Januar 2010 die Verwendung von Futtermitteln, bei deren Anbau in Deutschland Spritzmittel eingesetzt wurden, die Tallowamine enthalten.

Bisher wurde Glyphosat selbst (ohne POE-Tallowamine) als ein Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln eingeschätzt, der sich im Vergleich zu anderen Pestizidwirkstoffen durch ein günstiges toxikologisches und ökotoxikologisches Profil auszeichnet. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch Hinweise auf Gefahren für Mensch und Umwelt durch Glyphosat und glyphosathaltige Herbizide. So weisen neuere epidemiologische Studien unter anderem auf mögliche krebserregende, mutagene und fruchtbarkeitsmindernde Wirkungen von glyphosathaltigen  Herbizidformulierungen bei verschiedensten  Organismengruppen hin. Unter anderem publizierten Wissenschaftler aus Argentinien 2010 eine Studie, wonach Glyphosat Missbildungen bei Hühner- und Froschembryonen auslöst (Paganelli, A. et al., 2010).

2012 hätte auf EU-Ebene eine Überprüfung von Glyphosat stattfinden müssen, da das EU-Recht vorsieht, dass Pestizide zehn Jahren nach Zulassung erneut überprüft werden. Die Europäische Kommission verlängerte die Zulassung für Glyphosat – sowie 38 weitere Pestizide – außerplanmäßig im November 2010 (Richtlinie 2010/77/EU vom 10. November 2010). Nun kann Glyphosat ohne weitere Überprüfung bis 2015 genutzt werden, außerdem kann die bis dahin zu erfolgende Neubewertung auf Basis der Richtlinie 91/414/EU durchgeführt werden anstatt auf Basis der restriktiveren EU-Verordnung 1107/2009, die ab 2012 die Richtlinie 91/414/EU ersetzt.

Umwelt- und KonsumentInnenverbände und einige WissenschaftlerInnen fordern angesichts der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnislage zu möglichen Umwelt-und Gesundheitsschäden eine Neubewertung glyphosathaltiger Herbizide.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Welche neuen wissenschaftlichen Studien hinsichtlich gesundheitsgefährdender Auswirkungen sind seit der Zulassung von Glyphosat in der EU im Jahr 2002 erschienen (bitte tabellarische Aufstellung nach glyphosathaltiger Verbindung, Schadwirkung, Konzentration der glyphosathaltigen Verbindung, Erscheinungsjahr, Datenquelle)?

2)    Welche Schlussfolgerungen zieht der Gesundheitsminister aus den Ergebnissen des staatlichen argentinischen Forschungsinstituts CONICET, wonach Glyphosat an Frosch- und Hühnerembryonen  Entwicklungsstörungen, Schädigungen an den embryonalen inneren Organen (insbesondere denen des Verdauungsapparates), Missbildungen des Kopfes, der Augen und des Rückgrates, Wachstumsstörungen sowie Schädigungen des Nervensystems und Knochenwachstums hervorruft?

3)    Stimmt der Gesundheitsminister der Auffassung zu, dass Frosch- und Hühnerembryonen mit menschlichen Embryonen vergleichbare Entwicklungsstadien durchlaufen?

Falls ja, welche Schlussfolgerungen zieht der Gesundheitsminister dann aus den Ergebnissen der CONICET-Studie im Hinblick auf die Entwicklung menschlicher Embryonen?

4)    Inwieweit ist dem Gesundheitsminister bekannt, dass die deutsche Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA), bereits 1998 den seinerzeit zuständigen EU-Behörden über Studien zu Glyphosat berichtete, bei denen embryonale Missbildungen, wie z. B. am Skelett oder inneren Organen, festgestellt wurden, und dass diese Studien dem BBA von den Firmen vorgelegt wurden, die die Zulassung von Glyphosat beantragt haben?


5)    Stimmt der Gesundheitsminister der Auffassung zu, dass Studien zu Glyphosat, bei denen embryonale Missbildungen festgestellt wurden, nicht singulär sind, sondern bei einer Neubewertung von Glyphosat berücksichtigt werden müssen?

6)    Hat der Gesundheitsminister vor dem Hintergrund der angesprochenen Risiken für Mensch und Umwelt die Absicht, die Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Österreich aufzuheben oder zu beschränken?

Wenn ja, in welchen Anwendungsbereichen sind Beschränkungen geplant?

Falls nein, auf welche wissenschaftlichen Studien stützt der Gesundheitsminister seine Position?

7)    Welche Ergebnisse hat die von der Europäischen Kommission erbetene Prüfung der Studie des französischen Molekularbiologen Gilles-Eric Séralini von der Universität Caen[i], durch das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ergeben?

8)    Welche Schlussfolgerungen zieht der Gesundheitsminister aus Ergebnissen wie der in der Frage 7 genannten Studie, wonach bereits sehr geringe Konzentrationen glyphosathaltiger Formulierungen weit unterhalb der gültigen Höchstgrenzwerte zu toxischen Effekten führen können?

9)    Welche Höchstgrenzwerte gelten derzeit für Glyphosatrückstände (bitte tabellarische Aufstellung nach Lebensmitteln, Futtermitteln, Katzen- und Hundefutter, Saatgut, Gewässer, Boden etc.)?

10) Wann, wie und durch wen wurden seit 2002 die Rückstandshöchstmengenwerte für Glyphosat oder POE-Tallowamine in den jeweiligen Bereichen (Lebens- und Futtermittel, Kleintiernahrung, Trinkwasser, Gewässer, Böden etc.) verändert?

Wie und auf Basis welcher wissenschaftlichen Studien wurden Erhöhungen oder Absenkungen von Rückstandshöchstmengenwerten begründet, und wie bewertet der Gesundheitsminister die jeweiligen Änderungen?

11) Plant der Gesundheitsminister weitere Veränderungen von Grenzwerten für Glyphosatrückstände, und wenn ja, in welchen Bereichen und mit welcher Begründung?

12) Wird sich der Gesundheitsminister für eine Senkung von Rückstands-höchstmengenwerten einsetzen?

Wenn ja, welche neuen Werte strebt der Gesundheitsminister an?

Wenn nein, warum nicht?

13) Liegen für glyphosathaltige Verbindungen standardisierte Nachweisverfahren vor, um diese mit den üblichen Methoden zum simultanen Nachweis mehrerer Pflanzenschutzmittelrückstände erfassen zu können, und wenn ja, für welche Verbindungen?

Wenn nein, welche Aktivitäten unternimmt der Gesundheitsminister, um die Entwicklung solcher Nachweisverfahren für glyphosathaltige Verbindungen durch die Hersteller bzw. die Wissenschaft sicherzustellen?

14) Wie viele Labore in Österreich sind in der Lage, glyphosathaltige Verbindungen, Adjuvantien wie POE-Tallowamine und ihre Rückstände nachzuweisen, wie lange dauern die entsprechenden Tests, und wie viel kosten sie?



[i] Nora Benachour and Gilles-Eric Séralini, Glyphosate Formulations Induce Apoptosis and Necrosis in Human Umbilical, Embryonic, and Placental Cells