9690/J XXIV. GP

Eingelangt am 03.11.2011
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Inneres

betreffend Massengrab im burgenländischen Deutsch Schützen

BEGRÜNDUNG

 

Am Vormittag des 29. März 1945 wurden von drei Waffen-SS-Angehörigen im burgenländischen Deutsch Schützen mindestens 57 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in einem Laufgraben etwas außerhalb der Ortschaft erschossen.

Gemeinsam mit dem für die jüdischen Zwangsarbeiter verantwortlichen HJ‑Bannführer Alfred Weber hatten sie in der Nacht zuvor geplant, alle 500 jüdischen Zwangsarbeiter in Deutsch Schützen zu erschießen. Es wäre dies die quantitativ größte Mordaktion an Juden in der Ostmark gewesen. Die Mordaktion wurde allerdings abgebrochen. Entweder weil die Rote Armee bereits nahe der Ortschaft vorgedrungen war, oder weil der Oberwarter Kreisleiter Eduard Nicka das Massaker einstellen ließ. Die überlebenden etwa 450 jüdischen Zwangsarbeiter wurden auf einem Todesmarsch ins KZ Mauthausen getrieben.

1946 wurden acht HJ-Führer in einem Volksgerichtsverfahren (Vg 1g Vr 2059/45 HV 1568/46 am Landesgericht Wien) wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Sie hatten die Opfer von deren Unterkunft zur Hinrichtungsstätte gebracht. Fünf der Angeklagten wurden schuldig gesprochen und zu Haftstrafen von 15 Monaten bis drei Jahren Haft verurteilt.

Die Hauptverantwortlichen konnten nicht angeklagt werden: Alfred Weber war untergetaucht, von den drei Waffen-SS-Männern war nur einer namentlich bekannt: SS-Unterscharführer Adolf Storms. Ein  weiterer Mittäter, Franz Aldrian (er war Stellvertreter von Alfred Weber und hatte beim Verscharren der Opfer noch einen Schuss auf einen nur Verwundeten abgegeben) war ebenfalls untergetaucht. Sowohl Adolf Storms als auch Alfred Weber und Franz Aldrian wurden zur Fahndung ausgeschrieben.


1955 wurde Alfred Weber mit falschen Papieren in der BRD aufgegriffen und nach Österreich überstellt und wegen Mordes angeklagt (St 14367/55. Strafgerichtsprozess 1955, Landesgericht Wien). 1956 fand die Hauptverhandlung statt. Während sich bei den Vorerhebungen alle Zeugen daran erinnern konnten, dass Weber den Befehl zur Ermordung aller 500 jüdischen Zwangsarbeiter gegeben hatte bzw. zum Zeitpunkt der Mordaktion in Deutsch Schützen gewesen war, litten bei der Hauptverhandlung 1956 nahezu alle Zeugen an “Gedächtnisschwund”. Aus einem dem Prozessakt beiliegenden Kassiber geht hervor, dass der Bruder von Alfred Weber auf die Zeugen massiven Druck ausgeübt hatte, um deren Aussagen bei der Hauptverhandlung zu revidieren. Mit Erfolg: Alfred Weber wurde von der Anklage des Mordes freigesprochen und verließ als freier Mann den Gerichtssaal.

Am 14. Mai 1995 schreibt der Obmann des Verein “Schalom”, Walter Pagler, an das BMI, Abt. IV/4, dass der Ort des Massakers in Deutsch Schützen mittels Zeitzeugen lokalisiert werden konnte und kündigt an, “unter Aufsicht der IKG ohne Kosten für das BMfI eine Probegrabung” durchgeführt und das BMI vom Ergebnis informiert werden wird. Er schlägt vor, das Grabfeld mit einer Betonplatte abzudecken und einen Gedenkstein aufzustellen: “Mit etwa 12 Kubikmeter Fertigbeton wäre das Problem gelöst.” (BMI, Zl. 33901/30, IV/4/95).

Am 23. 8. 1995 wurde das Grab in Anwesenheit von Shalom Fried (Vertreter der IKG), Walter Pagler, Gemeindepfarrer Kroiss und einem Ortsbewohner mittels eines Baggers geöffnet.

In einer Besprechung beim BMI wurde Walter Pagler mit der “Durchführung der Errichtung einer Grabstätte in Deutsch Schützen gegen Kostenersatz seitens des BMI” beauftragt (BMI, Zahl 33.901/4.IV/4/95).

Am 25. 6. 1996 wurde die Grabanlage in einer religiösen Zeremonie eingeweiht (BMI, Zahl 33.901/17, eingel. 28. 10. 1997).

Der letzte dokumentierte Behördenakt stammt vom 1. 7. 1996.Es handelt sich um einen Bericht von Walter Pagler an das BMI, z. Hd. Frau Ministerialrat Mag. Wagner in dem er über die Einweihung des Mahnmals in Deutsch Schützen (BMI, Zahl 33.901/18 IV/4) informiert.

Im Zuge des Auffindens des Massengrabes in Deutsch Schützen veranlasste das BMI nicht die Aufnahme von Ermittlungen wegen Mordes, obwohl einer der Todesschützen (Adolf Storms) seit 1946 gerichtsbekannt war. Ebenso war ein Mittäter (Franz Aldrian) bereits 1946 zur Fahndung ausgeschrieben gewesen.

Es bestand zu diesem Zeitpunkt (1995) eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass beide noch am Leben waren. Mit der Nicht-Exhumierung der Leichen wurden einerseits wichtige Beweismittel vernichtet, andererseits steht die Untätigkeit der Behörden im Widerspruch zur Anzeigepflicht des § 78 StPO. Da die Beamten in ihrer amtlichen Eigenschaft über die Existenz des Massengrabes informiert worden sind, wären sie verpflichtet gewesen, eine entsprechende Anzeige an die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten.


Im Jahr 2008, also dreizehn Jahre, später gelang es dem Studenten Andreas Forster im Rahmen eines Seminars an der Uni Wien einen der mutmaßlichen Täter (Adolf Storms) ohne große Mühe mittels Telefonbuch ausfindig zu machen. Ao. Univ. Prof. Dr. Walter Manoschek und Mag. Andreas Forster richteten in Folge eine Sachverhaltsdarstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft in Dortmund, die umgehend mit Ermittlungen gegen Adolf Storms begann. Im November 2009 wurde gegen Adolf Storms Anklage wegen eines Mordes im Zuge des Todesmarsch der überlebenden Opfer nach Mauthausen erhoben; in zumindest 57 weiteren Fällen wurde er wegen gemeinschaftlichen Mordes (die Erschießung der jüdischen Zwangsarbeiter in Deutsch Schützen) angeklagt.

Kurz vor Prozesseröffnung verstarb Adolf Storms im Juni 2010 in Duisburg.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Hat es vor dem 14. Mai 1995 Bemühungen von Seiten des BMI gegeben, das Massengrab in Deutsch Schützen zu lokalisieren?

2)    Wenn ja, wann wurde was konkret unternommen?

3)    Wenn nein, warum nicht?

4)    Welche kriminalbehördlichen Ermittlungen wurden zur Aufklärung der Verbrechen in Deutsch Schützen bis zur Lokalisierung des Massengrabes unternommen?

5)    Welche Amtshandlungen sind von Seiten des BMI und der Polizei nach der Verständigung über Lokalisierung des Massengrabes am 14. Mai 1995 in welcher chronologischen Reihenfolge aktenkundig (Aufstellung inklusive Aktenverweise)?

6)    Wurde insbesondere eine Sachverhaltsdarstellung erstellt und an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet?

7)    Wenn ja, wann und mit welchem Inhalt?

8)    Wenn nein, warum nicht?

9)    Wann wurde das BMI über den Termin der „Probegrabung“ informiert?

10) Wer hat die „Probegrabung“ unter welchen Auflagen genehmigt?

11) Wurden von Seiten des BMI Vorbehalte gegenüber einer „Probegrabung“ geäußert?

12) Wenn nein, warum nicht?


13) War die Polizei und/oder ein Amtsträger des BMI bei der „Probegrabung“ am 23.8.1995 in Deutsch Schützen anwesend?

14) Wenn nein, warum nicht?

15) Wann und wie wurde das BMI über die Ergebnisse der „Probegrabung“ informiert?

16) Wurden behördliche (insb kriminalpolizeiliche) Erhebungen am Ort des Massengrabes nach der „Probegrabung“ und vor der Errichtung einer Grabstätte in Deutsch Schützen durchgeführt?

17) Wenn ja, welche Amtshandlungen wurden durch welche Behörde durchgeführt?

18) Wenn nein, warum nicht?

19) Wann wurde Walter Pagler mit der „Durchführung der Errichtung einer Grabstätte in Deutsch Schützen gegen Kostenersatz seitens des BMI“ beauftragt?

20) War zu diesem Zeitpunkt die Sicherstellung der Beweise des Massenmordes bereits abgeschlossen?

21) Falls nein, gab es von Seiten des BMI Bedenken, dass die Errichtung einer Grabstätte vor Durchführung/Abschluss eventueller strafbehördlicher Ermittlungen, Beweise des Massenmordes vernichten würde?

22) Unter der Setzung welcher Auflagen wurde Walter Pagler mit der „Durchführung der Errichtung einer Grabstätte in Deutsch Schützen gegen Kostenersatz seitens des BMI“ beauftragt?

23) Sind polizeiliche Ermittlungen im Zusammenhang mit Adolf Storms aktenkundig?

24) Wenn ja, welche?

25) War Adolf Storms in Österreich zur Fahndung ausgeschrieben?

26) Wenn ja, in welchem Zeitraum?

27) Wenn nein, warum nicht?