9730/J XXIV. GP

Eingelangt am 10.11.2011
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten Kurt Grünewald, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung

betreffend "gute wissenschaftliche Praxis"

BEGRÜNDUNG

 

Bereits vor einigen Monaten wurden außergewöhnliche Vorfälle im Rahmen eines Habilitationsverfahrens und eines damit offenkundig zusammenhängenden Berufungsverfahren an der Leopold Franzens Universität Innsbruck von verschiedenen Seiten an uns heran getragen. Dies ist deshalb nach wie vor aktuell, da diesbezüglichen Entscheidungen noch ausstehen, das seit 2008 währende Berufungsverfahren, das österreichweite und internationale Kritik auf sich gezogen hat, noch immer nicht abgeschlossen ist. Wir hatten uns ursprünglich an die verantwortlichen Personen gewandt, um eine parlamentarische Anfrage verhindern zu können. Leider wurde allerdings sowohl vom derzeitig verantwortlichen Vizerektor für Forschung und geschäftsführenden  Rektor, Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c.mult. Tilmann Märk, als auch vom ehemaligen Rektor Karlheinz Töchterle, der das Amt an der Uni Innsbruck vom 13.10.2007 bis zu seiner aktuellen Position als Bundesminister für Wissenschaft und Forschung innehatte, keine zufriedenstellende, da nur pauschal verteidigend und wenig aussagekräftig, bzw. gar keine Antwort übermittelt. Daher sehen wir keinen anderen Weg zur Klärung der Sachlage, als diesen.

Kurze Beschreibung der Problematik:

In den Jahren 2007/2008 ist an der Universität Innsbruck u.v.a. ein Habilitationsverfahren durchgeführt worden, das, laut unseren Informationen, schwerwiegende Unzulänglichkeiten aufwies. Dieser Missstand war allgemein bekannt und wurde auch medial kommentiert[1], allerdings, ohne Konsequenzen nach sich zu ziehen. Der Kandidat wurde habilitiert, obwohl bekannt war, dass seine Habilitationsschrift zu weiten Teilen aus seiner Dissertation entnommen war – ohne jeglichen Hinweis, ohne ein einziges diesbezügliches Zitat.

Unmittelbar danach, im Frühjahr 2008, wurde ein Berufungsverfahren eingeleitet, welches den Anschein erweckte, genau auf den frisch Habilitierten Herrn Dr. O. zugeschnitten zu sein. Es wurde eine Kommission eingesetzt, gegen die an der Fakultät zahlreiche Befangenheitsgründe vorgebracht worden sind. So wurde bspw. der Diplomarbeits-, Dissertations- und Habilitationsvater von Dr. O. zum Vorsitzenden der Berufungskommission bestellt. Ebenso wurde ein Gutachter der Habilitationskommission Dr. O. „übernommen“. Mehrere Mitglieder der Berufungskommission haben sich bereits vorab schriftlich eindeutig für einen Kandidaten (Dr. O.) ausgesprochen und haben andere Kandidaten hingegen heftigst attackiert, so dass an eine neutrale Entscheidung nicht mehr zu denken war. Auch wurde in die Berufungskommission entgegen den einschlägigen Richtlinien des Senats und entgegen den allgemeinen Gepflogenheiten der Universität Innsbruck kein externes Mitglied aufgenommen.

Die Gutachter reihten zwar Herrn Dr. O. nicht an die erste Stelle, aber die Kommission reihte zu seinen Gunsten um. Damit wurden nicht nur die Gutachten übergangen, sondern auch die Richtlinien des Senats über Hausberufungen, da Dr. O. über keinen einzigen externen Listenplatz verfügt.

Das Rektorat war seit 2008 über all diese Vorfälle informiert. In einer Reihe von E-Mails erklärte der damalige Rektor Töchterle, dass er von vielen Seiten auf diese Probleme angesprochen worden sei und dass er zu gegebener Zeit, nach Abschluss des Verfahrens, den Vorwürfen nachgehen werde. Leider ist dies nicht geschehen.

Ohne Wissen des Rektorats wurde aber zwischenzeitlich die Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) informiert, welche die Habilitation von Dr. O. überprüfte. Am 5. April 2011 wurde das abschließende Urteil an das Rektorat und den Betroffenen übermittelt. Die Erkenntnis der ÖAWI lautet: Diese Habilitation verstößt gegen die gute wissenschaftliche Praxis. Konsequenzen an der Universität Innsbruck sind bislang aber keine ersichtlich.

Vor nicht allzu langer Zeit ließ auch Wissenschaftsminister Töchterle in einer Pressemeldung bestätigen, dass „Wissenschaftliche Integrität Rückgrat jedes erfolgreichen Wissenschafts- und Forschungsstandortes ist[2]“, nachdem er sich u.a. mit VertreterInnen der ÖAWI getroffen hatte.

 

Zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ bekennt sich auch die Universität Innsbruck[3] auf Ihrer Homepage: „Wissenschaftliche Redlichkeit, Aufrichtigkeit, Transparenz und die Beachtung verbindlicher Praxis sind unverzichtbare Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit, wenn diese dem wahren Erkenntnisgewinn dient und von der Gesellschaft aufgenommen und entsprechend respektiert werden soll. Jede Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler ist daher eigenverantwortlich für ihre/seine wissenschaftliche Arbeitsweise, die sich an den Leitsätzen der guten wissenschaftlichen Praxis zu orientieren hat.“

 

Auf die unablässige und immer lauter werdende Kritik an diesen Vorfällen hat der geschäftsführende Rektor nunmehr mit der Ankündigung reagiert, dass die Befangenheitsgründe im erwähnten Berufungsverfahren überprüft würden. Der zwischenzeitlich ernannte (einzige) Gutachter ist allerdings selbst Mitglied der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck. Die Auswahl eines internen Gutachters aus der eigenen Fakultät ist eine völlig unübliche und durch nichts zu rechtfertigende Vorgangsweise. Die Auswahl eines ausländischen Gutachters ist in solchen Fällen internationale Praxis und kann nicht umgangen werden.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Die Agentur für wissenschaftliche Integrität hat mit Schreiben vom 5. April 2011 festgehalten, dass die Habilitation von Herrn Dr. O. gegen die gute wissenschaftliche Praxis verstößt. Sind Sie mit der Leitung der Universität Innsbruck diesbezüglich in Kontakt? Was werden Sie unternehmen? Was wird in diesem konkreten Fall weiter geschehen?

 

2)    Die renommierte Wissenschaftszeitschrift „Nature“ hat den Umgang Österreichs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten scharf kritisiert[4]. Das schadet dem Wissenschaftsstandort Österreichs massiv. Wie gedenken Sie, diesem Problem auf internationaler Basis entgegen zu treten? Fühlen Sie sich als Wissenschaftsminister dem Renommee österreichischer Universitäten und der Wissenschaftsgemeinde allgemein nicht verpflichtet?

 

3)    Die betreffenden Vorwürfe waren der Universität Innsbruck seit 2008 bekannt. Warum wurde nach Ihrem Wissensstand und Ermessen nichts dagegen unternommen?

 

4)    Was wird die jetzige Leitung der Universität Innsbruck nach Ihrem Wissensstand in dieser Angelegenheit tun? Bis wann ist damit zu rechnen, dass etwas geschieht?

 

5)    Für den Fall, dass die Universität Innsbruck weiter untätig bleiben sollte: Wie werden Sie sich verhalten? Werden Sie eine Empfehlung abgeben? Oder halten Sie das BMWF für nicht zuständig?

 

6)    Was gedenkt das Wissenschaftsministerium zu unternehmen, um Vorfälle wie jene in Innsbruck, die das Ansehen der österreichischen Universität international schwer schädigen, in Zukunft zu unterbinden?

 

7)    Der Wissenschaftsstandort Österreich wird durch Fälle wie diesen nachhaltig beschädigt. Wurde das zuständige Ressort bereits aus anderen Ländern auf die Missstände angesprochen? Wenn ja, wie war Ihre Stellungnahme? Wenn nein, wie würde Ihre Stellungnahme ausfallen?

 

8)    Plagiate und schwer wiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten sind in Österreich leider noch ein tabuisiertes Thema, siehe auch unsere Anfrage zur Doktorarbeit Ihres Vorgängers im Ministerium und jetzigen EU-Kommissar Johannes Hahn an BM Beatrix Karl[5], bzw. die dazu gehörige Beantwortung. Was gedenken Sie, für verstärkte Ethik in der Wissenschaft zu unternehmen?

 

9)    Ist nach Ihrem Ermessen für die Qualitätssicherung des Forschungsstandorts Österreich die bestehende Infrastruktur ausreichend? Gibt es weitere Institutionen, die sich der Integrität annehmen? Wenn ja, welche?  Wenn nein, sind weitere in Planung?

 

10)  Wie viele Fälle von Plagiatsvorwürfen und Vorwürfen wegen schweren wissenschaftlichen Fehlverhaltens werden jährlich in Österreich bekannt? 

 



[1] Eine Habilitation wie ein aufgewärmtes Gulasch, Hermann Horstkotte, Uni Standard, Mai 2011

[2] OTS0247 5 CI 0297 MWF0003 Mi, 08.Jun 2011

 

[3] http://www.uibk.ac.at/fakten/leitung/forschung/regeln/

 

[4] APA0343 5 CI 0296 XI  Do, 22.Sep 2011. "Nature"-Kritik an Österreichs Umgang mit wissenschaftlichem Betrug. Utl.: Wissenschaftszeitschrift sieht "Schwäche und Langsamkeit" Österreichs beim Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten.

[5] Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung betreffend "Plagiatsvorwurf" Doktorarbeit Johannes Hahn, siehe http://www.parlinkom.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_07755/fname_207196.pdf