9915/J XXIV. GP

Eingelangt am 18.11.2011
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Anfrage

 

 

der Abgeordneten Gerhard Huber, Mag. Stadler

Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Finanzen

betreffend drohende Entschädigungspflicht des Bundes für die 18.000 Anteilsberechtigten der Tiroler Agrargemeinschaften

 

 

 

In Tirol wurde entschieden, geschätzt 18.000 Tirolerinnen und Tiroler, welche Eigentümer von Stammliegenschaften sind und deshalb an Agrargemeinschaften Anteilsrechte besitzen, rechtsgrundlos zu enteignen (Schätzung der Opferzahlen in Tirol von 18.000 aus dem „Forderungsprogramm des Agrargemeinschaftsverbandes Westösterreich“ vom November 2011 an die Österreichische Bundesregierung sowie die Landesregierungen in Tirol und Vorarlberg).

 

Als Basis dieser rechtsgrundlosen Enteignungsmaßnahmen wurde beim Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs Slg 18.446/2008 vom 11. Juni 2008 angeknüpft und dessen Rechtssätze in eine Novelle zum Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz LGBl. 2010/7 verpackt. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Erkenntnis bei einem fiktiven Sachverhalt anknüpft (die Agrarbehörde hätte „nacktes Recht“ übertragen, anstatt gemäß § 38 TFLG 1952 den wahren Eigentümer festzustellen), wendet dieses Landesgesetz die Rechtssätze aus VfSlg 18.446/2008 auf geschätzt 300 Tiroler Agrargemeinschaften an und bewirkt so die rechtsgrundlosen Enteignungen von geschätzt 18.000 Tirolerinnen und Tirolern, denen der jeweilige Anteil an der „Substanz“ des agrargemeinschaftlichen Vermögens entzogen werden soll. Dies unter Missachtung einer klaren Judikatur, wonach Anteilsrechte an Agrargemeinschaften dem Eigentumsschutz gemäß Art. 1 1. ZPrMRK unterliegen (VfGH 21.09.2010 B 1470/09).

 

Wiederholte Einwände der Bundesregierung gegen dieses Enteignungsgesetz, zuletzt mit Note an den Landeshauptmann von Tirol vom 9. Februar 2010 GZ BKA-654.127/0001-V/2/2010, wurden in Tirol ignoriert.


 

Als sicher kann vorausgesetzt werden, dass die Republik Österreich wegen Verletzung der Menschenrechte von geschätzt 18.000 Tirolerinnen und Tirolern vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg verurteilt und zu Entschädigungszahlungen an die betroffenen Bürgerinnen und Bürger verurteilt werden wird, wenn die Rechtslage unverändert bleibt.

 

Ziel der Enteignungsbemühungen der Tiroler Landesregierung und des Tiroler Landesgesetzgebers ist eine unrechtmäßige Bereicherung der Ortsgemeinden in Tirol. Dies zu Lasten von 18.000 Tirolerinnen und Tirolern, denen in Wahrheit die Anteilsrechte an der „Substanz“ der Agrargemeinschaft zustehen.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Frau Bundesminister für Finanzen folgende

 

Anfrage:

 

1.             Ist Ihnen das Risiko von Entschädigungsansprüchen der ca. 18.000 Anteils­berechtigten an den Tiroler Agrargemeinschaften gegen den Bund bekannt?

2.             Wurden diese absehbaren Entschädigungsansprüche aus den Enteignungsmaß­nahmen des Tiroler Landesgesetzgebers bzw. der Tiroler Landesregierung im Budget bereits berücksichtigt? Wenn nein, warum nicht und wann wird dies erfolgen?

3.             Welche geschätzte Höhe werden die voraussichtlich zu leistenden Entschädigungs­zahlungen erreichen?

4.             Wie werden die Kosten dieser voraussichtlich zu leistenden Entschädigungs­zahlungen bedeckt werden?

5.             Werden Sie insbesondere – z.B. im Rahmen der Finanzausgleichs-Verhandlungen – sicherstellen, dass die Kosten dieser Enteignungen vom Land Tirol bzw. letztlich den bereicherten Tiroler Ortsgemeinden im Regressweg getragen werden müssen?

6.             Kann und wird der Bund Maßnahmen setzen, die gewährleisten, dass die Tiroler Ortsgemeinden die entzogenen Vermögenswerte nicht verbrauchen dürfen, bis die Frage der Entschädigungszahlungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklärt ist? Wenn nein, warum nicht?

7.             In welchen anderen Ländern bestehen auch Agrargemeinschaften und drohen damit potentiell gleichartige Entschädigungsansprüche?

8.             Wie hoch ist das geschätzte finanzielle Gesamtrisiko, wenn bei allen Agrargemeinschaften Österreichs der Substanzwert von den Ländern den Ortsgemeinden zugeschanzt wird und entsprechende Entschädigungsansprüche der enteigneten Anteilsberechtigten entstehen?


 

9.             Welche Maßnahmen werden Sie setzen, damit nicht andere Länder dem Tiroler Beispiel folgen und eine Bereicherung ihrer Ortsgemeinden durch Enteignung von Agrargemeinschaftsmitgliedern auf Risiko und Kosten des Bundes bewerk­stelligen?

10.        Werden Sie sich dafür einsetzen, dass z.B. durch eine Änderung des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951 die drohenden unbegründeten Eigen­tumsverschiebungen zugunsten der Ortsgemeinden und zulasten der eigentlich berechtigten Anteilsberechtigten überhaupt hintangehalten werden? Wenn nein, warum nicht?