64/JPR XXIV. GP
Eingelangt am 21.09.2011
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ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler
Kolleginnen und Kollegen
an die Präsidentin des Nationalrates
betreffend Auslieferungsbegehren der Staatsanwaltschaft Wien
In entwickelten Demokratien ist Rechtsstaatlichkeit durch grundsätzliche Orientierung an Rechtssicherheit, wie auch am Rechtsschutz und insbesondere durch die Garantie auf ein faires Verfahren geprägt. Jeder Rechtsunterworfene, ob Bürger oder öffentlicher Mandatar, darf in einem derartigem System darauf vertrauen, dass die Organisations- und Verfahrensregeln, welche alle rechtsanwendenden Träger des Rechtsstaates, Gesetzgebung, Verwaltung, aber auch die Gerichtsbarkeit binden, für alle gleich ausgelegt und gehandhabt werden.
Nun scheinen einige Rechtsanwendende in Österreich dieses Verständnis für Rechtsstaatlichkeit im eben genannten Sinne anders auszulegen oder zumindest hinsichtlich einiger bestimmter Rechtsunterworfener, anders zu handhaben... Wie anders ist jener Vorgang erklärlich, mit welchem die österreichische Medienlandschaft seit 15. September 2011 bewegt wurde?
Da wird am Mittwoch, den 14. September 2011 um 16:46h seitens der Staatsanwaltschaft Wien „vorab per Telefax“ ein Schreiben an die Präsidentin des Nationalrates betreffend einer Anfrage gemäß Art. 57 Abs. 3 B- VG betreffend den Abgeordneten zum Nationalrat Herbert Scheibner übermittelt. Dieses langt (einem handschriftlichen Vermerk auf diesem FAX zufolge) um 17:15h am genannten Ort ein und wird ebendort behauptlich unter Verschluss genommen um in der Folge den parlamentsüblichen Weg zu gehen.
Dieser besteht, einem neuen Ablaufschema zufolge, welches von den Mitgliedern der Präsidialkonferenz am 9. Juni 2010 zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, aus einem Zuweisungs-, einem Verständigungs- und einem Einsichtsverfahren.
Im Zuweisungsverfahren ist geregelt, was mit einem einlangenden Ersuchen zu geschehen hat (Einlangen, Zuteilung an den zuständigen Sachbearbeiter der Parlamentsdirektion zur Vorbereitung des Zuweisungsaktes, sofortige Zuweisung des Ersuchens an den Immunitätsausschuss durch die Präsidentin).
Das Verständigungsverfahren betrifft die Abfertigung einer Information über das Einlangen eines Ersuchens an den betroffenen Abgeordneten bzw. seinen Klubs gegen Empfangsbestätigung. Frühestens 24 Stunden nach Einlangen einer Empfangsbestätigung wird ein derartiges Ersuchen in die Liste der unerledigten Verhandlungsgegenstände als Grundlage für die Veröffentlichung im Infomail des Nationalrates am folgenden Tag aufgenommen.
Im Einsichtsverfahren ist die Einsichtnahme in den Akt durch den betroffenen Abgeordneten sowie Vertreter des jeweiligen Klubs geregelt (ab Erhalt der Information über das Einlangen). Ab dem zweitfolgenden Werktag nach der Abfertigung der Information an den betroffenen Abgeordneten besteht Einsichtnahmemöglichkeit der Mitglieder der übrigen Klubs; zudem wird ein eingescanntes Exemplar des Ersuchens an die zuständigen Klubreferenten übermittelt.
Parallel zum parlamentarischen Ablaufschema in Immunitätssachen, das sich an den Interessen des Parlaments am Schutz der Demokratie wie auch seiner Abgeordneten vor behördlicher Willkür orientiert, besteht aber offensichtlich auch ein außerparlamentarisches Ablaufschema in Immunitätssachen, welches sich eher am politischen Interesse an Vorverurteilungen zu orientieren scheint:
Am Donnerstag, den 15. September 2011 um 11.25 Uhr titelt ein online-Beitrag im Standard „Auslieferungsantrag gegen BZÖ-Mandatar und Ex-Verteidigungsminister Scheibner“, und berichtet davon erfahren zu haben, dass am Mittwochabend die Staatsanwaltschaft Wien einen Antrag auf Aufhebung der Immunität des genannten Abgeordneten eingebracht hat; dieser Auslieferungsantrag wird dem Bericht zufolge auch von der Staatsanwaltschaft Wien bestätigt.
Aufgrund dieses online-Berichtes nahm der Klub der unterzeichnenden Abgeordneten um 11:35h Kontakt mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Parlamentsdirektion auf, um die erhobene Behauptung zu verifizieren. Seitens der Parlamentsdirektion wurde bekanntgegeben, dass in der Tat ein derartiges Ersuchen übermittelt wurde, welches vor ca. einer halben Stunde dem zuständigen Sachbearbeiter zur Vorbereitung des Zuweisungsaktes zugeteilt wurde. Die Information an den betroffenen Abgeordneten werde eben geschrieben und unverzüglich per Hausboten übermittelt werden. Dies geschieht um 12.05h. Hierauf nimmt ein Vertreter des Klubs Einsicht in den Akt.
Um 12:08h übernimmt die APA den genannten online-Bericht des Standard, welcher sich auch im APA- Nachrichtenüberblick von 13.00h an prominenter Stelle findet. Die Reaktion der politischen Mitbewerber beginnt um 13:51h mit der OTS-Forderung des SPÖ-Klubobmannes Cap: „Auslieferungsantrag der Staatsanwaltschaft Wien gegen Scheibner soll stattgegeben werden“ (dieser Bericht wird um 14:10h ebenfalls von der APA übernommen). Um 14:23h meldet die APA die Einberufung einer Pressekonferenz durch Abgeordneten Scheibner für 15.15h.
Um 14:23h gibt ein OTS-Bericht des Kurier bekannt, das ihm der „Auslieferungs-Antrag der Justiz an das Parlament“ vorliegt, und nennt entsprechende Details. Dieser Bericht wird um 15:22h von der APA übernommen und findet sich auch im APA-Nachrichtenüberblick von 16.00h. Um 16.03h berichtet die APA von der Pressekonferenz Scheibners. Der Kurier setzt seine OTS-Berichterstattung um 16:18h mit einem Kommentar von Helmut Brandstätter („Einfach ehrlich“ Utl.: Der Ex-Verteidigungsminister kassiert von Rüstungskonzern. Ein Sittenbild) fort.
Die österreichischen (Print)Medien berichten seit 16. September 2011 entsprechend über die Causa. Die Presse veröffentlicht sogar ein Faksimilie des FAX, auf welchem sich bereits der Einlaufstempel des Büros der Präsidentin des Nationalrates (allerdings ohne den Zuweisungsvermerk und die parlamentsinterne Geschäftszahl) befindet. Drei Tage später wird sich ein Mitarbeiter der Präsidentin des Nationalrates telefonisch beim betroffenen Abgeordneten melden um sich persönlich dafür zu entschuldigen das Auslieferungsbegehrens vorzeitig widerrechtlich an die Medien weitergegeben zu haben, bevor Scheibner selbst es erhalten habe...
Den bisherigen Presseberichten zufolge gibt der (auch für das Eurofighter-Verfahren) zuständige Staatsanwalt bereitwillig Auskunft über den Stand des Verfahrens, die beabsichtigten weiteren Erhebungen und trifft allfällige strafrechtliche Würdigungen.
Art. 57 Abs. 3 B-VG regelt die außerberufliche Immunität dahingehend, dass ein Mitglied des Nationalrates wegen einer strafbaren Handlung ohne Zustimmung des Nationalrates nur dann gerichtlich oder verwaltungsbehördlich verfolgt werden dann, wenn die Handlung „offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des betroffenen Abgeordneten steht“. Dies hat die zur Verfolgung berufene Behörde zunächst selbst zu beurteilen. Bejaht sie die Frage, hat sie zu verfolgen. Verneint sie die Frage, hat sie (wie im ggstdl. Fall geschehen) ein Ersuchen um Zustimmung des Nationalrates zu Verfolgung zu stellen; in diesem Falle ist zunächst jede Verfolgungshandlung zu unterlassen bzw. abzubrechen.
Bereits einmal hat eine Praxis der Staatsanwaltschaft, mit der politischen Immunität Politik zu betreiben zu einem einstimmig beschlossenen Antrag des Nationalrates an die Bundesministerin für Justiz geführt, in welcher diese um Wahrnehmung Ihres Weisungsrechtes an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ersucht wurde. Dieser Antrag führte auch in weiterer Folge zum Erlass der Bundesministerin für Justiz vom 8. Juli 2009 über die Zustimmung von gesetzgebenden Körperschaften zur behördlichen Verfolgung von Abgeordneten nach den Artikeln 57 Abs. 3 und 4, 58 und 96 Abs. 1 B-VG, JMZ 1086D1 A/209.
Aus gegebenem Anlass sei abschließend an einige seither eingelangte Auslieferungsbegehren erinnert, welche, grosso modo wie der vorliegende Fall, eine besondere mediale Widmung erfahren haben (Aufzählung nicht taxativ): Öllinger (15.5.2009), Huber (7.9.2009, 22.9.2009), Mag. Stadler (24.3.2010, 11.3.2010, 2.2.2011, 22.3.2011).
Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die Präsidentin des Nationalrates nachfolgende
Anfrage
1. Wann und auf welchem Wege haben Sie das genannte Auslieferungsbegehren gegen den AbgzNR Herbert Scheibner von der Staatsanwaltschaft Wien erhalten? Welchen Weg hat das Faxersuchen ab seinem Einlangen im Parlament exakt genommen, wer hatte es jeweils wann in Händen, sodass er den Inhalt wahrnehmen konnte?
2. Wann haben Sie den betroffenen Abgeordneten bzw. seinen Klub über das Einlangen des ggstdl. Auslieferungsbegehrens informiert?
3. Können Sie ausschließen, dass der STANDARD bzw. der Kurier von Ihnen oder Ihren Mitarbeitern über das ggstdl. Auslieferungsbegehren informiert wurden? Wenn ja, warum?
4. Ein Mitarbeiter Ihres Büros hat sich persönlich für die vorzeitige widerrechtliche Weitergabe des Auslieferungsbegehrens an Medien entschuldigt; welche rechtlichen Konsequenzen wird dieses Verhalten, insbesondere unter Würdigung der einschlägigen Bestimmungen des 22. Abschnitts des Strafgesetzbuches, haben?
a. Sehen Sie in diesem Verhalten einen Missbrauch der Amtsgewalt? Wenn nein, warum nicht?
b. Sehen Sie in diesem Verhalten eine Verletzung des Amtsgeheimnisses? Wenn nein, warum
nicht?
c. Sehen Sie in diesem Verhalten - sollten dadurch wirtschaftlich schädigende Folgen für den Betroffenen eintreten - einen Fall der Amtshaftung? Wenn nein, warum nicht?
5. Welche Maßnahmen werden Sie setzen, damit ein derartiges Verhalten in Zukunft unterbleibt? Wenn keine, warum nicht?
6. Welche Vorschläge werden Sie machen, um die Missachtung des Rechts auf Erstinformation des Betroffenen in Zukunft wirksam zu wahren?