83/SBI XXIV. GP
Eingebracht am 23.11.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Stellungnahme zu Bürgerinitiative
An die
Parlamentsdirektion
L1.3 ‒ Ausschussbetreuung NR
1017 Wien
via E-Mail: stellungnahme.PETBI@parlament.gv.at
Betrifft: Bürgerinitiative Nr. 48 betreffend „Kinderrechte“, GZ. 17020.0025/33-L1.3/2012, Stellungnahme des BMJ.
Soweit das Bundesministerium für Justiz von den Forderungen in der im Betreff genannten Petition inhaltlich zuständig ist, wird nachfolgende Stellungnahme erstattet:
1. Gemeinsame Obsorge (Eltern):
Nach einem Judikat des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Zaunegger gegen Deutschland, Sporer gegen Österreich) ist die Zuteilung der Alleinobsorge an die Mutter bei der Geburt eines unehelichen Kindes nicht zu beanstanden. Da die familiäre Lage, in die ein uneheliches Kind geboren wird, höchst unterschiedlich sein könne, sei gemeinsame Obsorge beider Eltern nur nach Maßgabe des Kindeswohls geboten. Auf Antrag eines Elternteils sei es Aufgabe der Gerichte, darüber zu entscheiden.
2. Verpflichtende Mediation:
Der Begutachtungsentwurf eines „Kindschafts- und Namensänderungsgesetzes 2012“ (§ 107 Abs. 3 Z 2 AußStrG idFEntw) enthält als neues verfahrensrechtliches Instrument die
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Möglichkeit des Familiengerichts, die Parteien zur Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation zu verpflichten. Grundidee der Mediation ist aber die Eigenverantwortlichkeit der Konfliktparteien. Im weiteren Verlauf muss die Teilnahme an der Mediation daher freiwillig sein.
3. Beschleunigung des Pflegschaftsverfahrens:
Die Dauer von Pflegschaftsverfahren, insbesondere von Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren, ist stets im Zusammenhang mit den speziellen Anforderungen der familiengerichtlichen Tätigkeit in erster Instanz zu sehen. Die Tätigkeit des Richters erster Instanz reicht teilweise über die mit dem Richterberuf typischer Weise verbundenen Beanspruchungen hinaus. Die Besonderheiten im Pflegschaftsverfahren liegen nicht nur in der Auseinandersetzung mit durchaus emotional aufgeladenen Sachverhalten, die sich mit höchstpersönlichen Lebensbereichen der Verfahrensparteien befassen, sondern auch mit den damit einhergehenden besonders hohen Erwartungshaltungen und Widerständen der Parteien. Dies bedingt eine oftmals schwierige und aufwändige Sachverhaltsermittlung, die in vielen Fällen die Beiziehung von Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren erforderlich macht.
Unter Berücksichtigung der angesprochenen faktischen Rahmenbedingungen von Pflegschaftsverfahren kann eine Beschleunigung von Pflegschaftsverfahren ‒ ohne Qualitätsverlust der Verfahren und der Entscheidungen ‒ zum Einen durch vermehrten Personaleinsatz im Familienrecht erzielt werden. Zum Anderen bedarf es des Ausbaus von qualifizierter Unterstützung für die Familiengerichte (Familiengerichtshilfe, Kinderbeistand, Besuchsbegleitung, Besuchsmittler usw.), sodass sich die RichterInnen stärker auf die rechtlichen Aspekte eines Falles konzentrieren können und weniger mit den sozialarbeiterischen/psychosozialen Komponenten des Falles belastet sind. Insbesondere durch die derzeit in einem Pilotprojekt an ausgewählten Gerichtsstandorten eingerichtete Institution der Familiengerichtshilfe ist auch eine Verringerung des Bedarfs nach „externen“ Sachverständigen-Gutachten und gleichzeitig eine Verkürzung der Verfahrensdauer zu erwarten.
Mit den vom Begutachtungsentwurf eines „Kindschafts- und Namensänderungsgesetzes 2012“ vorgeschlagenen Verbesserungen des Verfahrensrechtes, insb. vorläufige Entscheidungen (§ 107 Abs. 2 AußStrG idF Entw), Befassung der Familiengerichtshilfe (§ 106a f AußStrG idFEntw) und den neuen Aufträgen an die Eltern (§ 107 Abs. 3 AußStrG idFEntw) wird auch eine Beschleunigung der Verfahren angestrebt. Das bedeutet freilich nicht, dass in Zukunft ausgeschlossen ist, dass Verfahrensparteien durch ihr Verhalten zu einer Verzögerung des Verfahrens beitragen.
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4. Verbot der praktischen Anwendung der projektiven Testverfahren bei Begutachtungen:
Der Sachverständige hat im Zusammenhang mit seiner gutachterlichen Tätigkeit gemäß § 1299 ABGB für jenen Fleiß und jene Kenntnisse einzustehen, die seine Fachkollegen gewöhnlich haben. Demgemäß ist ihm nach der Rechtsprechung auch dann ein Schuldvorwurf zu machen, wenn es ihm an den für eine Gutachtenserstellung erforderlichen Fähigkeiten mangelt. Dazu zählt auch, dass das Gutachten nach den aktuellen Regeln der Wissenschaft erarbeitet und erstellt wird, und zwar auch hinsichtlich der im Rahmen der Befundaufnahme und Gutachtenserstellung einzuhaltenden Verfahren, Kriterien und Prüfschritte. Die Erarbeitung von allfälligen „Kriterienkatalogen“ für eine Gutachtenserstellung, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu entsprechen haben und in denen gegebenenfalls auch solche Testverfahren identifiziert werden, die allenfalls nicht mehr den heutigen Standards entsprechen, ist insoweit Angelegenheit der jeweiligen Sachverständigengruppen. Vom Bundesministerium für Justiz verpflichtend vorgegebene Prüfkriterien für die Gutachtenserstellung würden zudem gerade in sensiblen Bereichen dazu führen, dass der Spielraum, der ein Eingehen auf den jeweiligen konkreten Einzelfall erst ermöglicht, erheblich eingeschränkt würde.
Das Bundesministerium für Justiz ist dessen ungeachtet vor allem im Bereich der Befragung und Begutachtung von Kindern stets bemüht, eine Verbesserung der Situation der Betroffenen zu erreichen.
5. Anerkennung und gesetzliche Regelung zur „Elterlichen Entfremdung“:
Der Begutachtungsentwurf eines „Kindschafts- und Namensänderungsgesetzes 2012“ stellt mit dem neuen Instrument des „Besuchsmittlers“ (§ 110 Abs. 5 AußStrG idF Entw) eine wesentliche Hilfe für die Durchsetzung von Kontakten zur Verfügung. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe der Rechtsordnung, psychologisches Expertenwissen zu kodifizieren.
Hinsichtlich der übrigen Themen, und zwar „Umfassende Reform der Jugendwohlfahrt (Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Effizienz), Übernahme der Kinderrechtskonvention in den Verfassungsrang, Kinderbetreuung unter Einbeziehung der Entscheidung der Eltern, und der Bildungsreform“ liegt keine Zuständigkeit des Bundesministeriums für Justiz vor.
Der Begutachtungsentwurf eines „Kindschafts- und Namensänderungsgesetzes 2012“ stellt mit dem neuen Instrument des „Besuchsmittlers“ (§ 110 Abs. 5 AußStrG idF Entw) eine wesentliche Hilfe zur Vermeidung von Kontaktabbrüchen zur Verfügung.
Wien, 8. November 2012
Für die Bundesministerin:
Dr. Wolfgang Kirisits
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