Vorschlag für eine
RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
über den Zugang zur Aufnahme der Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen KOM (2011) 453 endg. und den
Vorschlag für eine
VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
über aufsichtsrechtliche Anforderungen bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen KOM (2011) 452 endg.
Begleitdokument zum
zum Vorschlag für eine Richtlinie und eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Aufnahme der Tätigkeiten, Beaufsichtigung und aufsichtsrechtliche Anforderungen bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen SEK (2010) 949 endg., 950 endg., 953 endg. und 954 endg.
A) Inhalt und Ziel
Die EK hat am 20. Juli 2011 ihren Vorschlag für eine Richtlinie („CRD 4“) und eine Verordnung („CRR“) des Europäischen Parlaments und des Rates über die Aufnahme der Tätigkeiten, Beaufsichtigung und aufsichtsrechtliche Anforderungen bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen vorgelegt, die die derzeit geltenden Rahmenrichtlinien über Banken und Wertpapierfirmen (2006/48/EG und 2006/49/EG) ablösen. Das Ziel der Richtlinie und Verordnung ist die Steigerung der Finanzmarktstabilität, die Stärkung des Vertrauens der Anleger in das Finanzsystem und die Hebung der Resistenz des Finanzsystems in Finanzkrisen. Die entsprechenden Änderungsvorschläge zielen daher insbesondere darauf ab, die Qualität und Quantität der Eigenmittel zu heben, harmonisierte Liquiditätsanforderungen einzuführen, den Verschuldensgrad eines Kreditinstitutes zu reduzieren und prozyklische Effekte zu vermeiden.
Die CRD 4/CRR umfasst die Umsetzung von internationalen Standards (Basel III) des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS), ein Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission zur Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechts („Single Rule Book“), Vorschläge zur Verbesserung der Corporate Governance in Finanzunternehmen und Vorschläge für ein europaweit harmonisiertes Sanktionsregime. Die CRD 4/CRR wird voraussichtlich am 1. Jänner 2013 in Kraft treten.
Die Basel III-Umsetzung basiert auf internationalen Leitlinien mit nur faktischen, nicht aber gesetzlich verpflichtenden globalen Anwendungsvoraussetzungen. Erst durch die Annahme des CRD 4/CRR-Regelwerks auf EU-Ebene werden diese Leitlinien in den Mitgliedstaaten verpflichtend, wobei eine Anpassung an das europäische Regulierungsumfeld vorgenommen werden wird.
Die Richtlinie regelt die Kompetenzen der Aufsichtsbehörden und die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden und legt die wesentlichen Rahmenbedingungen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen fest. Die CRR umfasst jene Bestimmungen, die sich direkt an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen richten (Eigenmittel, Unterlegungspflichten für Risiken, Liquidität etc.). Die CRR eliminiert nationale Umsetzungsspielräume und führt zu einer weiteren Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechtes.
Zeitgleich entwickeln Arbeitsgruppen der Europäischen Bankaufsichtsbehörde (EBA) Entwürfe von bindenden technischen Standards (BTS), die die CRD 4/CRR in technischen Detailfragen ergänzen und als Verordnung der Europäischen Kommission oder EBA-Leitlinien verabschiedet werden. Die BTS werden daher ebenfalls verbindliche Rechtskraft in Österreich erlangen. Durch diese BTS kommt es zu einer weiteren Verstärkung der Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechts.
Der neue Rechtsrahmen für Banken umfasst folgende Regelungspakete:
1. Basel III:
Basel III ist Teil der internationalen Bemühungen, das Finanzsystem weniger störungsanfällig zu machen. Das Projekt geht auf eine Initiative der G 20 (Gipfel in Pittsburgh) und des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (erstes Grundsatzpapier vom September 2009) zurück. Hauptziel ist die Stärkung der Eigenkapitalbasis und der Liquidität im Bankensektor.
Zentrale Maßnahmen zur Eigenkapitalstärkung sind die höheren Anforderungen an die Qualität und Quantität des „harten Kernkapitals“ und eine absolute Begrenzung des Verhältnisses der Ausleihungen zum Eigenkapital („Leverage Ratio“). Das Liquiditätsregime soll weltweit harmonisiert werden und die vorzuhaltenden Kapitalpuffer haben sich an Stressszenarien zu orientieren. Darüber hinaus sollen die antizyklischen Elemente durch über den Konjunkturzyklus variierende Rückstellungserfordernisse (in der Aufschwungphase höher) gestärkt und das Risiko von Gegenparteien berücksichtigt werden.
Basel III tritt am 1. Jänner 2013 in Kraft, wobei einzelne Vorschriften in den ersten Jahren noch mit keinen Kapitalanforderungen verbunden sind, sondern erst beobachtet werden. (z.B. Leverage Ratio, Liquiditäts-Strukturkennzahl „Net Stable Funding Ratio“).
Die Mitglieder der G 20 (darunter auch die USA) verpflichteten sich zur Umsetzung von Basel III, die USA zudem zur nachträglichen Umsetzung von Basel II und II.5 bis 31.12.2012.
2. Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechts („single rule book“):
Die CRR wird direkt anwendbar sein, wodurch Umsetzungsabweichungen ausgeschlossen werden. Die CRD 4 umfasst zudem mehrere Maßnahmen zur weiteren Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechts und Umsetzung des horizontalen Projekts der EU-Kommission für eine bessere Rechtssetzung (“better regulation”). Die Harmonisierung soll durch eine Einschränkung von Abweichungen bei den nationalen Umsetzungen der Mitgliedsstaaten gefördert werden. Durch die Maximumharmonisierung sollen nationale Vorschriften, die zu unnötigen zusätzlichen Verwaltungskosten bei Unternehmen führen („goldplating“), untersagt werden. Weiters dient die Streichung von Umsetzungswahlrechten der Konvergenz der nationalen Aufsichtspraktiken.
3. Corporate Governance:
Die Corporate Governance und die Risikomanagementfunktion in Kreditinstituten sollen weiter gestärkt werden. Ein breiter Pool gut informierter, kompetenter Aufsichts- und Verwaltungsräte soll die Effizienz der Erfassung und Steuerung von Risiken verbessern. Bei der Auswahl von Organmitgliedern ist der Aspekt der „Diversity“, d.h. die Sicherstellung der Heterogenität der Organe zu beachten; fixe Vorgaben wie beispielsweise Gender-Quoten werden jedoch nicht vorgeschlagen. Die Aufsichtsbehörden sollen stärker auf die Erfassung und Steuerung von Risiken in einem Kreditinstitut Einfluss nehmen können. Zudem soll die Transparenz der Corporate Governance gesteigert werden.
4. Maßnahmen und Sanktionen:
Die Maßnahmen und Sanktionen, die von zuständigen Behörden gesetzt werden können, um die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands sicherzustellen bzw. Verstöße gegen das geltende Recht zu ahnden, sollen ebenfalls europaweit harmonisiert werden. Neben die schon jetzt möglichen Maßnahmen der Aufsichtsbehörden tritt die Möglichkeit der Veröffentlichung von Sanktionen und Aufsichtsmaßnahmen. Zudem soll die Bemessung von Geldstrafen, die von einer zuständigen Behörde bei Verwaltungsübertretungen, die nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung erfüllen, europaweit vereinheitlicht und deutlich erhöht werden.
B) Zentrale österreichische Anliegen:
Erhöhung der Finanzmarktstabilität:
Die höhere Qualität und Quantität der Eigenmittel, das Halten von Kapitalpuffern, das europaweit vereinheitlichte Liquiditätsregime und die verbesserte Corporate Governance in Finanzinstituten führen zu einer höheren Stabilität des österreichischen und europäischen Finanzmarktes. Die Maßnahmen verbessern die Widerstandsfähigkeit der Finanzmärkte und vermindern die Gefahr des Übergreifens von Finanzmarktkrisen auf die Realwirtschaft bzw. werden dazu beitragen, zukünftig Auswirkungen von Finanzmarktkrisen auf die Realwirtschaft zu dämpfen. Innerhalb des Finanzmarktes sollen sich Schieflagen einzelner Finanzmarktteilnehmer nicht bzw. in geringerem Ausmaß auf andere Finanzmarktteilnehmer auswirken.
Minimierung der gesamtgesellschaftlichen Risiken:
Die CRD 4/CRR soll dazu beitragen, das Risiko der Steuerzahler zu vermindern, die Kosten für Finanzmarktkrisen zu tragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. die Allgemeinheit erhöhte Risiken in Form von staatlichen Haftungen, die zur Stabilisierung der Finanz- und Realwirtschaft übernommen werden, tragen muss, soll reduziert werden.
Minimierung der gesamtgesellschaftlichen Kosten und Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich:
Eine höhere Qualität und Quantität der Eigenmittel und ein stressorientiertes Liquiditätssystem, verstärkte Anforderungen im Bereich der Governance und eine Ausweitung der schon vorhandenen Veröffentlichungspflichten sind zwar angemessene Maßnahmen aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise, führen aber in gewissem Ausmaß auch zu einer Erhöhung der Kosten für Banken. Als Negativszenario wäre neben einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Bankensektors auch eine Überwälzung der zusätzlichen Kosten auf Kunden und Kundinnen von Banken vorstellbar. Beides gilt es weitest möglich zu vermeiden. Es soll sichergestellt bleiben, dass die Bevölkerung weiterhin mit leistbaren Finanzdienstleistungen versorgt wird und Kreditklemmen vermieden werden. Diese Ziele können durch angemessene Übergangszeiträume, die Stärkung des Bewusstseins der Banken für ihre traditionelle Rolle in der Wirtschaft, Konzentration auf die Innenfinanzierungskraft und maßvolles Eigentümerverhalten sowie die Eindämmung von Verwaltungskosten in Banken erreicht werden. Zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes leistet ein stabiler Finanzplatz einen wesentlichen Beitrag. Die zunehmende Angleichung in der Aufsichtspraxis und vermehrte Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden innerhalb Europas wird die Effizienz der Aufsicht in Normal- und Krisenzeiten steigern und dadurch positive Auswirkungen auf den Finanz- und Wirtschaftsstandort haben.
Sicherung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen:
Bei der Festlegung der neuen Regelungen darf es zu keiner Benachteiligung des traditionellen Bankgeschäftes, insbesondere im Bereich der Kreditvergabe an Unternehmen, kommen. Das traditionelle Bankgeschäft hat sich in der Krise als stabil erwiesen und nimmt in Österreich seine zentrale Rolle bei der Finanzierung der Wirtschaft wahr. Dabei ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, dass kleine und mittlere Unternehmen in der Wirtschaftsstruktur Österreichs eine tragende Funktion erfüllen. Neue Eigenkapitalvorschriften bei Kreditvergaben in diesem Bereich müssen daher einerseits auf validen und verlässlichen Daten beruhen und dürfen andererseits keinesfalls zu einer ungerechtfertigten Verkürzung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen führen.
Weitestmögliche Berücksichtigung der österreichischen Besonderheiten:
Die österreichische Kreditwirtschaft ist sowohl durch international, grenzüberschreitend tätige Bankgruppen als auch durch kleinere, vornehmlich regional aktive Banken gekennzeichnet. Auf die unterschiedlichen Bedürfnisse soll angemessen Rücksicht genommen werden, wobei insbesondere Bankstrukturen, die sich in der Krise als robust erwiesen haben und bei denen dem traditionellen Bankgeschäft zentrale Bedeutung zukommt, unterstützt werden sollen. In der aufsichtsbehördlichen Praxis werden die Größe, Komplexität und Art der von Banken betriebenen Geschäfte zu berücksichtigen sein, denn das Proportionalitätsprinzip hat sich bewährt und soll daher weiterhin Anwendung finden. Auch bei Fragen der Corporate Governance muss der Proportionalitätsgedanke berücksichtigt werden.
C) Verfahrensstand auf europäischer Ebene
Am 20. Juli 2011 wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission vorgelegt, seit September 2011 finden Verhandlungen im Mitentscheidungsverfahren auf Ratsebene statt. Die CRR/CRD 4 soll am 1. Jänner 2013 in Kraft treten, wobei neben Übergangsbestimmungen auch teilweise Beobachtungszeiträume der Einführung einzelner Maßnahmen vorangestellt werden.
D) Verfahrensstand auf nationaler Ebene
Auf nationaler Ebene werden die Umsetzungsarbeiten zur CRD 4/CRR schon vor der endgültigen Einigung im EU-Mitentscheidungsverfahren (vermutlich Sommer 2012) starten, um eine zeitgerechte Umsetzung der CRD 4/CRR zu ermöglichen. Die CRD 4/CRR führt insbesondere zu umfassenden Streichungen und Änderungen im Bankwesengesetz (BWG), der Solvabilitäts- und Offenlegungsverordnung und den Verordnungen im Zusammenhang mit dem Meldewesen von Kreditinstituten, was ebenfalls Umsetzungsarbeiten bedingt.
Zudem könnten die von der Europäischen Bankaufsichtsbehörde in großer Zahl zu erlassenden Standards zu zusätzlichem Anpassungsbedarf in Gesetz und Verordnung führen.
E) Zusammenhang von Solvabilität II und Basel III
Obwohl Solvabilität II und Basel III einige Ähnlichkeiten in den Mitteln und Herangehensweisen zur Erreichung der jeweiligen Ziele aufweisen, gibt es auch wesentliche Unterschiede, vorrangig bedingt durch die mitunter sehr unterschiedliche Natur des jeweiligen Geschäfts. Überlappungen bei den Geschäftsaktivitäten von Banken und Versicherungsunternehmen entstehen in der Praxis z.B. dadurch, dass Sparprodukte von Banken durch fonds- oder indexgebundene Lebensversicherungsprodukte von Versicherungen ersetzt werden können.
Bedingt durch solche Überlappungen und vor allem durch den risikoorientierten, prospektiven Ansatz sowohl bei Basel III als auch bei Solvabilität II, können Unterschiede und Kumulierungseffekte zwischen Solvabilität II und Basel III zu Konsequenzen in beiden Branchen führen (Kapitalkosten, Finanzierungsmuster, gegenseitige Verbundenheit, Risiko/Produktmigrationen über die Geschäftsmodelle hinweg). Es ist daher in der Umsetzung der beiden Projekte und den laufenden Verhandlungen zur CRR/CRD 4 auch auf allfällige negative Auswirkungen auf die unterschiedlichen Geschäftsmodelle sowie auf aufsichtsrechtliche Kohärenz, dort wo geboten, zu achten.