Information für den Ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union, 20.11.2012
Europäischer Aufsichtsmechanismus und Bankenunion
Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 29. Juni 2012 wurde der Rat beauftragt, bis Jahresende EK-Vorschläge über eine EU-Aufsicht unter Einbeziehung der EZB zu prüfen. Eine derartige Aufsicht wird zum einen als Voraussetzung für die Möglichkeit einer direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM gesehen. Zum anderen ist sie – neben der Einlagensicherung und dem Abwicklungssystem auf EU-Ebene – das zentrale Element einer Bankenunion, wie sie im Bericht von Van Rompuy zur Schaffung einer genuinen Wirtschafts- und Währungsunion skizziert wurde.
Vor diesem Hintergrund hat die EK am 12. September ein Paket vorgelegt, das neben der VO zur Europäischen Aufsicht auch eine VO zur Änderung der EBA-Bestimmungen und eine EK-Mitteilung über die nächsten Schritte zur Errichtung einer Bankenunion enthält.
1. VO zur Übertragung der Aufsichtskompetenzen an die EZB
Auf Basis des Art. 127 (6) AEUV werden mit dieser Verordnung der EZB bestimmte Aufgaben der prudentiellen Aufsicht der Banken der Euro-Zone übertragen. Konkret werden alle Aufgaben, die für die Sicherung der Finanzmarktstabilität relevant gehalten werden, der EZB alleinig überantwortet. Zu diesen – im VO-Vorschlag taxativ aufgezählten Aufgaben – zählen u.a.
· Vergabe und Rücknahme von Konzessionen,
· Sicherstellung der Einhaltung von prudentiellen Erfordernissen v.a. betreffend Eigenmittel, Liquidität und Großveranlagungen,
· Auferlegung von zusätzlichen Kapitalpuffern,
· Vorgaben betreffend Governance-Strukturen der Banken und interne Bewertungssysteme,
· Prüfung der Adäquanz der Risikomanagementsysteme der Banken,
· Durchführung von Stress-Tests,
· Durchführung der Aufsicht auf konsolidierter Ebene, wenn die Mutterbank dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus unterliegt, sowie Teilnahme in Colleges falls nur eine Tochter der EZB-Aufsicht unterliegt,
· Durchführung der Aufsichtsfunktionen in Bezug auf den Frühwarnmechanismus („early intervention“),
· Koordinierung der Positionsfindung und Vertretung der Euro-Zone bei Aufsichtsangelegenheiten in den EBA-Gremien.
Aufgabenteilung EZB / nationalen Aufsicht: Nicht explizit angeführte Aufgaben sollen in der Verantwortung der nationalen Aufsichtsbehörden bleiben. Die nationalen Behörden selbst sollen die EZB entsprechend der EZB-Instruktionen bei der Vorbereitung und Implementierung der Aufgaben unterstützen. Zu diesem Zweck soll die EZB die praktischen Modalitäten bzw. das Rahmenwerk und die Bedingungen für die Ausführung der Aufgaben durch die nationalen Behörden festlegen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhält die EZB das Recht, jederzeit relevante Informationen zu verlangen und auch die erforderlichen vor Ort-Prüfungen durchzuführen. Bei Verstößen gegen Aufsichtsanforderungen kann die EZB künftig Verwaltungsstrafen verhängen.
Unabhängigkeit / Rechenschaftspflicht: Die EZB selbst soll auch im Aufsichtsbereich unabhängig agieren, aber gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Rat rechenschaftspflichtig sein. Interne Regelungen der EZB sollen die Trennung zwischen Aufsicht und Geldpolitik sicherstellen. Der vom EZB-Rat eingesetzte Rat der Aufseher ("Supervisory Board", Vertreter von EZB, nationalen Aufsichten und eingeschränkt der teilnehmenden Nicht-Euro-MS, Vorsitz und Vize-Vorsitz aus EZB-Direktorium bzw. Rat, EBA und EK als Beobachter) ist verantwortlich für Planung und Implementierung der an die EZB übertragenen Aufgaben.
Nicht-Eurozonen-MS: MS, die nicht der Eurozone angehören, können eine enge Kooperation mit der EZB eingehen, was faktisch einer Übertragung der Aufsichtskompetenzen der nationalen Behörde an die EZB entspricht. Aus rechtlichen Gründen können sie aber nicht den gleichen Status erhalten (kein vollständiges opt-in).
Zeitplan:
· Ab 1.1.2013, dem geplanten Inkrafttreten der VO, kann die EZB per Entscheidung beginnen, bestimmte Aufsichtsaufgaben selbst wahrzunehmen, insbesonders bei Banken, die eine staatliche Unterstützung erhalten haben.
· ab 1. Juli 2013 übernimmt die EZB die Beaufsichtigung der systemisch wichtigsten Banken
· ab 1.1.2014 sollen alle Banken der Eurozone ihrer Aufsicht unterliegen.
2. VO zur Änderung der EBA-Bestimmungen
Die Übertragung der Aufsichtskompetenzen an die EZB hat auch Auswirkungen auf die Funktionsweise von EBA, weswegen die EBA-VO entsprechend angepasst werden muss, um die Integrität des Binnenmarktes sicherzustellen. Ihre Aufgaben bleiben dabei unverändert, zentral sind weiterhin die Entwicklung eines „Single Rule Book“ und die Konvergenz der Aufsichtspraxis in der gesamten EU.
EBA soll auch weiterhin die Möglichkeit haben
· durch bindende Mediation Meinungsverschiedenheiten zwischen den Aufsichtsbehörden zu schlichten,
· in Krisensituationen die Aufsichtsbehörde zu Maßnahmen verpflichten.
Die bestehenden Verfahren bleiben aufrecht. Wenn die EZB als Aufsichtsbehörde involviert ist, muss es aber rechtlich explizit ermöglicht werden, dass EBA der durch den Unionsertrag etablierten EZB Vorgaben machen kann.
Um die Interessen aller Teilnehmer des Binnenmarktes wahren zu können, müssen Abstimmungsmodalitäten in Bezug auf bestimmte Entscheidungen angepasst werden, da nach dem Prinzip 1 Land – 1 Stimme immer die von der EZB beaufsichtigten MS die Mehrheit hätten. Solche Entscheidungen betreffen u.a. die Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten oder die Feststellung eines Verstoßes gegen EU-Vorgaben und sollen einem unabhängigen Panel übertragen werden. In diesem Panel sollen die nicht am Europäischen Aufsichtsmechanismus teilnehmenden MS gleichrangig vertreten sein und der EBA-Rat soll eine Entscheidung des Panels nur ablehnen – und nicht mehr ändern – können. (Anm.: Bei Entscheidungen regulatorischer Natur wie Standards, Leitlinien, Empfehlungen gilt weiterhin das Prinzip der qualifizierten Mehrheit mit Stimmengewichtung.)
3. EK-Mitteilungen „Roadmap to Banking Union“
Die EK skizziert in dieser Mitteilung ihre Vorstellungen für eine Bankenunion, die als erforderlich erachtet wird, um einerseits die Verbindung zwischen Banken und Staaten zu durchbrechen und anderseits dem Risiko des Auseinanderbrechens des Binnenmarktes zu begegnen.
Dazu sollen neben der Übertragung der Aufsicht auf die EZB zu folgenden Punkten bis Ende 2012 eine Einigung zwischen Rat und EP gefunden werden:
· Harmonisierung der Einlagensicherung gemäß RL-Vorschlag vom Juni 2010,
· Harmonisierung des Systems für die Sanierung und Abwicklung von Banken gemäß RL-Vorschlag der EK vom Juni 2012.
Diese Elemente würden für die Erarbeitung eines Single Rule Books notwendig sein; für die einheitliche Anwendung dieser Regeln ist die Tätigkeit von EBA entscheidend, die auch ein „Aufsichts-Handbuch“ erarbeiten soll.
Als weiteren Schritt plant die EK, die Errichtung eines Einheitlichen Europäischen Abwicklungsmechanismus zur stärkeren Zentralisierung des Krisenmanagements, der die Abwicklung der Banken steuert bzw. die einzelnen Abwicklungsmaßnahmen koordiniert, vorzuschlagen. Ein Netzwerk der nationalen Behörden wird nicht als ausreichend gesehen. Dabei sollen die Eigentümer und Gläubiger die Abwicklungskosten tragen und im Falle eines weiteren Finanzierungsbedarfs der Privatsektor (und nicht der Steuerzahler) die Lasten tragen, wie in anderen Aufsichtsregimen auch.
Aktueller Stand der Diskussion
Die Diskussionen bisher waren sehr kontrovers und von rechtlichen Schwierigkeiten und politischen Auffassungsunterschieden geprägt. Die zentralen Fragen in der Diskussion der Verordnungsvorschläge betreffen
· die Sicherstellung der Trennung der Geldpolitik und Aufsicht innerhalb der EZB,
· die bestmögliche Einbindung der Nicht-Euro-MS in das Europäische Aufsichtssystem,
· die Balance zwischen teilnehmenden Mitgliedstaaten (EU17+) und den restlichen MS bei der Entscheidungsfindung in EBA,
· die konkreten Kompetenzen, die der EZB übertragen werden sollen,
· die konkrete Arbeitsteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden.
Das BMF unterstützt aufgrund des starken internationalen Engagements der österreichischen Banken Maßnahmen zur Harmonisierung der Aufsichtstätigkeit. Dazu zählt neben der Schaffung eines „Single Rule Book“ auch die Errichtung einer Europäischen Aufsicht. Dabei ist wichtig, dass die relevanten Kompetenzen wirksam und vollständig übertragen werden und unter Berücksichtigung des Proportionalitätsgedankens eine effiziente und praktikable Arbeitsaufteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden etabliert wird. Es liegt weiters im großen Interesse des BMF, dass möglichst viele Nicht-Euro-Mitgliedstaaten am Europäischen Aufsichtsmechanismus teilnehmen, weswegen eine möglichst weitreichende Einbindung dieser Länder angestrebt wird.
Was die Schaffung einer Bankenunion betrifft, unterstützt das BMF den schrittweisen Ansatz der EK und begrüßt die weitergehenden Harmonisierungsbemühungen im Bereich des Krisenmanagements. In Hinblick auf eine Europäische Einlagensicherung sieht das BMF derzeit keinen Bedarf an Maßnahmen, die über die in Diskussion befindliche Richtlinie zur Harmonisierung der Einlagensicherung hinausgehen.