Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf für ein neues Lehrerdienstrecht

von

Prof. Mag. Dr. Bernhard Hölzl

(seit 30 Jahren Deutsch- und PuP-Lehrer am Gymnasium Zwettl, Fachkoordinator für diese Fächer; Lehrbuchautor; seit ca. 15 Jahren Kursleiter in der Hochbegabtenförderung in NÖ; Fachdidaktiker an der Uni Wien; Vortragender und Kursleiter in der Lehrerfortbildung an der PH NÖ)

1.      Ungerechte Behandlung der Korrekturfächer im Vergleich zu anderen Fächern

Da der Begutachtungsentwurf die Arbeitszeit eines Lehrers bloß nach der Unterrichtszeit berechnet, kommt es zu einer ungerechten Behandlung der verschiedenen Fächer. Die ungerechteste Möglichkeit ist der in diesem Entwurf  enthaltene Allinclusive-Vertrag.

Erstens wird nämlich nicht die Tatsache berücksichtigt, dass ein Lehrer, der ein Korrekturfach (Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik) unterrichtet, außerhalb seines Unterrichts wesentlich mehr Arbeitszeit aufwenden muss als ein Lehrer ohne obligatorische Korrekturen (z.B. ein PuP-Lehrer, der höchstens einen Test, den er gar nicht durchführen müsste, zu korrigieren hat). Gewissenhafte Korrekturen von Hausübungen, Diktaten, Schularbeiten, der schriftlichen Matura u.Ä. verdoppeln nämlich den Zeitaufwand der bei allen Fächern berücksichtigten Vor- und Nachbereitungszeit. Ein gerechtes Dienstrecht müsste also für alle Korrekturfächer zusätzlich zur „normalen“ Arbeitszeit aller anderen Lehrer (1 Unterrichtsstunde + 1 Stunde für Vor- und Nachbereitung u.Ä.) die notwendige Korrekturzeit berücksichtigen, und zwar nicht in Form lächerlicher Zulagen, sondern eben als Arbeitszeit, die in der Dienstzeit zwischen 8 und 16 Uhr erledigt werden kann (und nicht – wie auch jetzt üblich – danach am Abend und in der Nacht oder am Wochenende).  

Zweitens berücksichtigt der vorliegende undifferenzierte und daher ungerechte Dienstrechtsentwurf auch nicht die Tatsache, dass innerhalb des Bereichs der Korrekturfächer die Lehrer der Sprachfächer ungleich mehr Arbeitszeit für Korrekturen aufwenden müssen als die Lehrer der Nicht-Sprachfächer.

Drittens ist auch nicht die Tatsache berücksichtigt, dass innerhalb der Sprachfächer Deutschlehrer ungleich mehr Arbeitszeit für Korrekturen aufwenden müssen als Fremdsprachenlehrer, die aufgrund von Klassenteilungen Kleingruppen unterrichten und daher auch viel weniger Hefte u.Ä. zu korrigieren haben.

Viertens ist auch nicht die Tatsache berücksichtigt, dass für alle Korrekturfächer die Vor- und Nachbereitungsarbeit und auch die Korrekturarbeit in der Oberstufe viel zeitaufwendiger sind als in der Unterstufe. Ein Deutschlehrer, der auch in der Oberstufe gewissenhaft korrigiert und sich immer wieder in neue Literatur gewissenhaft einarbeitet, muss im Vergleich zum Deutschunterricht in der Unterstufe mit einer Verdoppelung der Arbeitszeit außerhalb des Unterrichts rechnen.

Fünftens ist auch nicht die Tatsache berücksichtigt, dass der Zeitaufwand in der Maturaklasse am allergrößten ist. So müsste eigentlich auch heute schon ein Deutschlehrer eine Woche lang vom Unterricht freigestellt werden, damit er die schriftliche Matura in seiner Dienstzeit und nicht in der Nacht und am Wochenende fristgerecht korrigieren könnte. Entschädigungen über lächerliche Zulagen sind da nur ein Hohn.

Sechstens ist auch nicht die Tatsache berücksichtigt, dass es wiederum hauptsächlich die Korrekturfächer sind, die von Hausübungsbetreuung und kostenloser Nachhilfe in ganztätigen Schulformen, von Notenberufungen, Aufnahmeprüfungen, Nachprüfungen u.Ä. und damit von erhöhtem Zeitaufwand am Nachmittag und in den „Ferien“ betroffen sind.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass auch das alte Dienstrecht die genannten sechs Ungleichheiten nur sehr ungenügend abbildet, dass aber das in dem vorliegenden Entwurf beschriebene neue Dienstrecht die schon bestehenden Ungerechtigkeiten in Bezug auf die unterschiedlichen Fächer noch unglaublich verschärfen würde. Wenn dieser Entwurf Realität werden sollte, kann man zukünftigen Lehrern nur raten, ja kein Korrekturfach zu studieren, schon gar nicht Deutsch und auf keinen Fall für die Oberstufe. Allerdings scheinen die Autoren des Entwurfs da vorgesorgt zu haben, denn es sollen ja dann Lehrer auch Fächer unterrichten müssen, die sie gar nicht studiert haben. Was das für die sogenannten „Hauptfächer“ bedeutet, in denen es um das Lesen, Schreiben und Rechnen geht, ist klar: Das Niveau wird bald in den Keller absinken und der Turm zu Pisa wird endgültig umfallen.     

2.      Ungerechte Behandlung der Lehrer im Vergleich zu anderen akademischen Berufen

Jeder Bürger dieses Landes mit einem rudimentären Gerechtigkeitssinn muss einsehen, dass die einseitige Erhöhung der Arbeitszeit einer einzigen Berufsgruppe um bis zu 40 % (in Abendschulen bis zu 87 %) , ohne das auch angemessen abzugelten, nur als ungerechte und unzumutbare Ausbeutung und einseitige Sparmaßnahme zu werten ist. Für Lehrer von Korrekturfächern, insbesondere Deutsch, bedeutet es auch, dass die Arbeitszeit in einem Ausmaß erhöht wird, das nur mehr ungesund ist. Schon bisher musste auch ein routinierter Deutschlehrer wie ich, der hauptsächlich Oberstufenklassen unterrichtet, mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 60 Stunden rechnen. Das bedeutet auch bisher schon Wochenend- und Nachtarbeit, sodass jemand, der auf die Normalarbeitszeit eines Österreichers kommen will, schon bisher – wie auch ich – gezwungen ist, Teilzeit zu arbeiten und daher im Vergleich zu anderen Fächern Gehaltseinbußen in Kauf zu nehmen, um kein Burnout zu riskieren. Wenn nun die Arbeitszeit wie in dem vorliegenden Entwurf bei einem Deutschlehrer um ca. 30 %, also auf bis zu 80 Wochenstunden, erhöht würde, führt das entweder dazu, dass bei Vollzeit-Lehrverpflichtung gewisse notwendige Arbeiten (z.B. Korrekturen, Vor-/Nachbereitung) schlecht, eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr erledigt werden können oder dass niemand mehr diese Fächer studieren und unterrichten will, wenn sich das herumspricht. Die Autoren dieses Dienstrechtsentwurfs kommen ja sogar auf die völlig absurde Idee, dass der Junglehrer neben einer solchen Arbeitszeit  noch sein Master-Studium absolvieren könne und auch müsse, was jeder seriöse Insider für völlig unmöglich hält.

Das neue Dienstrecht würde  also ein akademisches Proletariat auf Bachelor-Niveau erzeugen und der altehrwürdige Beruf des Lehrers würde im Vergleich zu anderen akademischen Berufen jede Attraktivität verlieren. Wer will schon bis zum Umfallen arbeiten, und zwar für einen Stundenlohn, der im Vergleich zu anderen akademischen Berufen lächerlich ist und der auch in Berufen ohne Matura als niedrig einzustufen wäre? Und wer will dafür dann - wie derzeit täglich - in den Medien, die sich von ihren Geldgebern (Parteien, Industrie, Banken) offensichtlich für die Propaganda gegen einen einst hochgeachteten Berufsstand einspannen lassen, als überbezahlter, inkompetenter Faulpelz beschimpft werden?

3.      Ungerechte Behandlung der Fachausbildung

„Pädagoge“ ist mittlerweile ein Schimpfwort geworden, und zwar zu Recht, weil die neue „Bachelor“-Ausbildung auf den sogenannten „pädagogischen“ „Hoch“-Schulen darauf abzielt, was auch im Entwurf zum neuen Lehrerdienstrecht abgebildet ist, dass ein Lehrer nun alle Fächer lehren soll, also nur mehr als bloßer Lehrer, nicht aber als Fachlehrer gesehen wird. So ein fachloser Lehrer oder „Pädagoge“ ohne spezielle Fachkenntnisse, also ein fachliches „Nackerpatzerl“, soll nun jedes beliebige Fach in jeder beliebigen Schulstufe unterrichten, was vielleicht für eine Dienerschule wie Robert Walsers Institut Benjamenta, wo man nichts lernt außer die Kompetenz des Dienens, ideale Voraussetzungen sind, für jede andere Schule aber eher kastastrophale Folgen haben muss. Lehren als bloßer Selbstzweck und ohne eine gediegene, anderen Studien gleichwertige universitäre Fachausbildung ist absurd und gefährlich. Genausogut könnte man eine Hochschule gründen, die zwar das Schneiden als bloße Kompetenz des Schneidens, aber nichts über Mode, Würste und Krankheiten lehrt. Niemand käme auf die Idee, dass man den so ausgebildeten Bachelor des Schneidens nun in allen Berufen einsetzen könne, wo man etwas schneiden muss, also z.B. als Friseur, Fleischhauer oder Chirurg. Die Autoren des vorliegenden Entwurfs glauben nun tatsächlich, dass man es in der Schule so machen könne, dass man also einen unterbeschäftigten Gärtner, der gerade das Gras schneidet, auch zu einer dringenden Herzoperation heranziehen könne bzw. dass einem Chirurg, der erfolgreich am Herzen operiert hat, derselbe Stundenlohn zustünde wie einem Fleischhauer oder Friseur.

Eine Kompetenz als bloße Kompetenz (z.B. das Lehren oder Schneiden) tatsächlich berufsmäßig auszuüben, ist nicht bloß absurd, sondern auch gefährlich (im einen Fall für die Bildung, im anderen Fall für die Gesundheit). Entscheidend ist immer zuerst das Wissen, dann erst hat ein spezifisches und fachbezogenes Können auch einen Sinn. Ein nach dem neuesten Stand der pädagogischen Kunst ausgebildeter Lehrer, der ein Fach lehren soll, von dem er nichts versteht, bewirkt im harmlosen Fall etwas Scheußliches (wie ein Friseur, der nichts von Mode versteht), er kann aber auch nachhaltig Übles und Schädliches bewirken, weil er seine Schüler nicht bilden, sondern verbilden wird (freilich ohne es zu wissen).

4.      Ungerechte Behandlung der Familien, die sich keine Privatschule leisten können

Jene Politiker und deren „Experten“ und Berater, die dieses vorliegende oder ein ähnliches Dienstrecht für zukünftige Lehrer mit der dazu passenden neuen Lehrerausbildung verbrechen werden, sind dafür verantwortlich zu machen, dass das heute noch einigermaßen (zumindest am Land) funktionierende öffentliche Schulsystem endgültig und nachhaltig ruiniert wird. Jemand, der es sich leisten kann, in Zukunft eine Privatschule zu errichten oder eine gute öffentliche Schule zu kaufen, wird nicht „Pädagogen“ ohne Fachausbildung, sondern gut ausgebildete Fachleute anstellen, und zwar nicht zu einem Pädagogen-Lohn, sondern mit einem vernünftigen Gehalt (denn sonst werden diese Fachleute wohl kaum an einer Schule unterrichten wollen). Eltern, die sich so eine Kapsch- oder Red Bull-Schule leisten können, werden ihre Kinder dort anmelden, nicht nur, weil die Lehr- und Lernbedingungen dort besser sein werden, sondern weil auch die Abschlüsse unvergleichlich mehr zählen werden als die Zeugnisse öffentlicher Schulen. Und natürlich wird es für die Absolventen dieser Privatschulen auch die passenden Privatuniversitäten und in der Folge die passenden gutbezahlten Jobs in der Privatwirtschaft geben.

Der Weg in diese amerikanisch-koreanisch inspirierte Schulzukunft ist vorgezeichnet. Die dialektische Ironie der Geschichte dabei ist allerdings, dass an der zukünftigen Zwei-Klassen-Gesellschaft mit chancenlosen Absolventen öffentlicher Schulen und Absolventen der privaten Eliteschulen, um die man sich reißen wird, gerade die sozialistische Schulpolitik schuld ist, die in Koalition mit Industrie und schwarzen und grünen und andersfarbigen Sozialisten das öffentliche Schul- und Universitätswesen mit ihrer ungerechten Gleichmacherei zugrunde richtet.

 

In allen anderen hier nicht erwähnten Punkten schließe ich mich vollinhaltlich der Stellungnahme der AHS-Lehrergewerkschaft an.

 

Mit Bitte um Kenntnis- und Stellungnahme verbleibe ich hochachtungsvoll

                                                                                                                                     Bernhard Hölzl

Zwettl, am 21. Sep. 2013