Amt der Wiener Landesregierung

 

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MD-VD - 875-1/09                                                            Wien, 22. Juni 2009

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem

das Strafgesetzbuch, die Strafprozess-

ordnung 1975 und das Staatsanwalt-

schaftsgesetz geändert werden;

Begutachtung;

Stellungnahme

 

zu BMJ-L318.027/0001-II 1/2009

 

 

An das

Bundesministerium für Justiz

 

 

Zu dem mit Schreiben vom 9. Juni 2009 übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes wird wie folgt Stellung genommen:

 

Zu Art. 1 Z 9 des Entwurfes (§ 304 StGB):

 

Wie den Erläuternden Bemerkungen betreffend Abs. 3 zu dem vorliegenden Entwurf zu entnehmen ist, sollen mit der Formulierung Unklarheiten beseitigt werden.

 

Es ist im gegebenen Zusammenhang jedoch anzumerken, dass der nunmehr vorgeschlagene Gesetzestext die Strafbarkeit der Vorteilsannahme für inhaltlich bestimmte Amtshandlungen vorsieht, welche mit „Wahrscheinlichkeit“ absehbar sind.


Diese Formulierung erscheint insofern als problematisch, als das Abschätzen von Wahrscheinlichkeiten zu Abgrenzungsfragen und auch zu Diskussionen führen kann, und daher entsprechende Probleme in der Praxis bei Anwendung dieser Norm zu befürchten sein werden.

 

Zudem stellt sich in der Praxis die Frage, inwieweit eine solche Abschätzung sowohl Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Dienststelle als auch deren Vorgesetzten zumutbar ist. Auch muss nicht unbedingt vorhersehbar sein, dass ein Geschenkgeber in Zukunft vor hat, einen Antrag bei jener Behörde zu stellen, deren Amtsträger er zuvor mit einem unter der Wertgrenze liegenden Vorteil bedacht hat. Auch muss in der Praxis die Zielrichtung einer Vorteilsannahme nicht immer klar zum Ausdruck kommen.

 

Die Straffreiheit von Geschenken, welche als Gegenleistung für „unwahrscheinliche“ Amtshandlungen gewährt werden („Klimapflege“), bedeutet eine Lockerung der bisherigen Bestimmung und es wird in der Praxis mit Beweisproblemen zu rechnen sein.

 

Die Einführung einer Geringfügigkeitsgrenze von EUR 100,00 vorbehaltlich eines ausdrücklichen dienstrechtlichen Verbots ist zwar bezüglich der Klarheit schaffenden Wertgrenze grundsätzlich begrüßenswert, wirft jedoch weitere Probleme auf. Diese Norm erscheint nämlich insofern als problematisch, da sich deren Anwendungsbereich erst unter Heranziehung anderer Rechtsvorschriften ergibt. Für Bedienstete der Gemeinde Wien wäre daher bei der Beurteilung allfällig strafrechtlich relevanten Verhaltens auf die einschlägigen Bestimmungen der Dienstordnung 1994 bzw. Vertragsbedientetenordnung 1995 bzw. sonstiger „dienstrechtlicher Normen“ abzustellen.

 

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung eine verfassungsrechtlich unzulässige dynamische Verweisung enthält, da bei der Ermittlung des Norminhaltes (auch) auf Bestimmungen eines anderen Normsetzungsorgans, nämlich der einzelnen Landesgesetzgeber in Bezug auf dienstrechtliche Vorschriften in den Bundesländern, zugegriffen werden muss, und es somit dem Landesgesetz- oder sogar Verordnungsgeber überlassen wird, die Anwendbarkeit einer bundesgesetzlich zu regelnden Strafnorm zu normieren. Des Weiteren ist die Formulierung („ausdrückliches dienstrechtliches Verbot“) unklar, da keine Aussage über die Form der Regelung (Gesetz, Verordnung, Erlass, Weisung) getroffen wird.

 

§ 304 Abs. 4 des Entwurfes stellt die Teilnahme an Veranstaltungen im Rahmen von Repräsentationsaufgaben oder dienstlichen Pflichten sowie sozial adäquate Verhaltensweisen straffrei. Diese knappe gesetzliche Regelung greift offensichtlich die Diskussion zu der bisherigen strengen strafrechtlichen Regelung hinsichtlich der „Sozial­adäquanz“ und dem Besuch von Veranstaltungen auf. Die ausführlichen und kasuistischen Erläuterungen machen jedoch deutlich, dass die gewünschte Klarheit nicht leicht zu erreichen sein wird. Im Gegenteil zeigen die Beispiele der Erläuterungen („Teilnahme an Ärztetagung“, „Festspiele“ etc.), dass dabei versucht wurde, bestimmte Interessensgruppen zu berücksichtigen. Die Regelung lässt weiterhin Interpretationsspielraum über das Ausmaß dieser „sozial adäquaten Verhaltensweisen“ zu. Die in den Erläuterungen genannten Interpretationshilfen erschweren teilweise sogar die Korruptionsprävention.

 

Zu der in § 304 Abs. 5 des Entwurfes normierten Auskunft durch den Dienstgeber stellt sich neben der Frage nach deren Sinnhaftigkeit, welche den Erläuternden Bemerkungen nicht zu entnehmen ist, auch jene der Beweiswürdigung.

 

In den Bemerkungen wird angeführt, dass dem Dienstgeber alle relevanten Elemente für eine dienstrechtliche Beurteilung bekannt gegeben werden müssen. Dennoch kann es in der Praxis zu Missverständnissen oder unklaren Anfragen kommen, die wiederum eine unrichtige Auskunft nach sich ziehen können. Kommunikationsprobleme könnten praktisch nur durch schriftliche Dokumentation der Fragen und Antworten vermieden werden.

 

Wenn auch § 304 Abs. 5 des Entwurfes keine Verpflichtung des Dienstgebers normiert, Auskünfte an Bedienstete über die Vorschriftsmäßigkeit von Vorteilsannahmen zu erteilen, ist diese Bestimmung dem Kompetenztatbestand „Dienstrecht“ zuzuzählen und hinsichtlich der Landes- und Gemeindebediensteten dem Landesgesetzgeber vorbehalten. Auf Grund der Bestimmung könnte es zusätzlich zu einer Häufung von (schriftlichen) Anfragen kommen, die nicht nur einen erhöhten Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand bewirken, sondern auch der gewünschten Selbstständigkeit und Eigenverantwortung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegenwirken würden.

 

Zu Art. 1 Z 13 des Entwurfes (§ 308 StGB):

 

§ 308 stellt nunmehr die Einflussnahme auf eine pflichtwidrige Dienstverrichtung unter Strafe (bisher war Parteilichkeit gefordert). Weiters wird eine Wertqualifikation eingeführt. Abs. 2 sieht jedoch Straflosigkeit vor, wenn der Vorteil EUR 100,00 nicht übersteigt (außer bei Gewerbsmäßigkeit). Diese Geringfügigkeitsgrenze würde dazu führen, dass die wissentliche Einflussnahme zur Erlangung einer pflichtwidrigen Dienstverrichtung bei Vorteilen unter EUR 100,00 straffrei bleibt. Diese letztgenannte Regelung scheint - wenn auch aus der bisherigen Rechtslage übergeleitet - verfehlt.

 

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass auf Grund der vom Bund vorgegebenen kurzen Begutachtungsfrist eine eingehende Prüfung der mit der Novelle verbundenen Auswirkungen nur sehr eingeschränkt möglich war.

 

 

                                                                      Für den Landesamtsdirektor:

 

 

                                                                              Mag. Andrea Mader

Mag. Jürgen Fischer                                                   Senatsrätin

 

 

Ergeht an:

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