Ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Tipold

Institut für Strafrecht und Kriminologie

Universität Wien

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An das

Bundesministerium für Justiz

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Museumsstraße 7

Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und das Staatsanwaltschaftsgesetz geändert werden

Begutachtungsverfahren

BMJ-L318.027/0001-II 1/2009

Punktuelle Stellungnahme

Wien, am 22. Juni 2009

Anmerkungen zum Zeitplan der Reform

Der Entwurf wurde Mittwoch, 10. Juni 2009 versendet, so bleiben 12 Tage zur Stellungnahme. Am 30. 9. 2009 soll der Entwurf als fertiger (!) Initiativantrag eingebracht werden, so bleiben 8 Tage, um alle Stellungnahmen zu durchdenken, Anregungen einzuarbeiten und ein in sich schlüssiges Gesamtprodukt zu schaffen. Hassemer Strafrecht im Wandel JRP 2007, 79 ff lobte die österreichische Kriminalpolitik und sprach ua von Gelassenheit und ruhiger Hand, von überlegter, abgemessener, vorausschauender und humaner Kriminalpolitik. In dieser kurzen Zeit kann nicht einmal im Ansatz eine ruhige Hand geführt werden. Das ist schade, denn immerhin geht es um das schärfste Werkzeug, das der österreichische Gesetzgeber in der Hand hat. Durch Schnelligkeit können unnötige Fehler passieren. Immerhin geht es um Strafrecht. Ständige Änderungen (vgl die vorgesehene Änderung des § 48 StGB, der erst durch BGBl I 2009/40 novelliert wurde) erzeugen im Übrigen ein schlechtes Bild, und Vorbildwirkung sollte nicht unterschätzt werden.

Es kann nur punktuell Stellung genommen werden. Aus einem Schweigen kann keine Zustimmung abgeleitet werden, sondern eher ein Übersehen des Stellung Nehmenden.


Anmerkungen zu § 64 StGB in der Fassung des Entwurfes

1.   Der Beamte hat in der Definition des § 74 einen Österreichbezug, den Amtsträger nicht aufweisen. Zwar kann und sollte das Adjektiv „österreichisch“ vom Wortlaut auch auf den Amtsträger bezogen werden, vielleicht sichert eine Wiederholung des Adjektivs vor dem ersten „Amtsträger“ diesen Österreichbezug ab. Denn die Anknüpfung soll wohl nur für österreichische Amtsträger gelten. Alles andere wäre völkerrechtlich bedenklich (vgl Murschetz, Das Universalitätsprinzip im internationalen Strafrecht, in Fornasari/Wenin (Hrsg) Aktuelle Probleme der internationalen Strafjustiz (2007) 87 ff, insb 96 ff).

Anmerkungen zu § 74 Abs 1 Z 4a StGB in der Fassung des Entwurfes

2.   Der Amtsträgerbegriff erscheint als wesentlich klarer als sein Vorgänger. Ein problemloser Begriff ohne Wertungswidrigkeiten ist wohl nicht zu erwarten. Zu den Bedenken siehe aber die eingehende Stellungnahme von Reindl-Krauskopf, vor allem auch im Hinblick auf die Auslegung von „überwiegend Leistungen für …“, die Privilegierung der Abgeordneten durch § 304a StGB und dem Zurückbleiben hinsichtlich internationaler Vorgaben.

Anmerkungen zu den Wertqualifikationen im gesamten Korruptionsstrafrecht

3.   Mit dem Entwurf werden Wertqualifikationen wie im sonstigen Vermögensstrafrecht eingeführt. Das bedeutet, dass die korrumpierende Hingabe von € 50.001 genauso bestraft wird wie eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge (§ 86 StGB) oder wie der höchstqualifizierte Diebstahl (§ 128 Abs 2 StGB). Es ist aber fraglich, ob die Schadenshöhe bei den Vermögensdelikten wirklich der Höhe des Vermögensvorteils entspricht. Schließlich ist der Schaden – im Unterschied zum Diebstahl – nicht direkte Folge der Tat (Bestechung), sondern bloß ein Reflex davon. Daher ist der durch Korruption entstehende Schaden an sich schwer bezifferbar und kann durchaus auch unter dem Schaden eines Vermögensdeliktes liegen. So gesehen erscheint eine Gleichschaltung mit den Wertqualifikationen sachlich bedenklich. Eine Verringerung der Strafdrohungen unter Verzicht auf die Gleichbehandlung mit den Wertqualifikationen des Vermögensstrafrechts wäre geboten.

4.   Die Berechnung des Vorteils aus der Sicht des Empfängers (Bestochener und sogar Dritter), wie es die Materialien vorschlagen, erscheint als zweifelhaft. € 10.000 sind € 10.000, auch wenn ein armer Amtsträger diesen Betrag höher einschätzt als ein sehr hochgestellter Amtsträger. Das gilt für alle Vorteile. Eine Subjektivierung des Vorteilswertes ist daher abzulehnen. Dieser Gedanke sollte aus den Erläuterungen gestrichen werden, durch den Wortlaut ist er ohnedies nicht indiziert.

5.   Zu überlegen ist auch, wie eine Zusammenrechnung von Beträgen erfolgen kann oder erfolgen soll. § 29 StGB ist vom Wortlaut nicht anwendbar (vgl Hinterhofer BT II4 § 304 Rz 25), und das ist gut so. Es ist fraglich, ob die Judikatur in diesem Bereich (14 Os 87/90, EvBl 1991/33 = SSt 61/35, 12 Os 45/04, 13 Os 52/07) auf eine gesetzliche Grundlage gestellt oder diese Frage in einer anderen Weise gelöst werden soll. Dies ist durchaus Aufgabe des Gesetzgebers und erscheint wegen der Qualifikationsstufen nunmehr dringend geboten, andernfalls ist der Unterschied zum Vermögensstrafrecht nicht zu rechtfertigen. Wird hingegen auf die Qualifikationsstufen verzichtet (Punkt 3), könnte dieses Problem – wie bisher – ausgeklammert bleiben.

Anmerkungen zu § 304 StGB in der Fassung des Entwurfes

6.   Der Begriff „Amtshandlung“ wird in § 269 StGB verwendet. Daher erscheint der Begriff „Amtsgeschäft“ besser geeignet, um zu verhindern, dass ein und derselbe Begriff unterschiedlich auszulegen ist.

7.   Die Unrechtmäßigkeit könnte in Abs 1 entfallen. Geschenke im Familienkreis sind mangels Bezug zum Amtsgeschäft ohnedies nicht tatbildlich. Dem Adjektiv „unrechtmäßig“  käme keine Bedeutung zu, was zu Auslegungsschwierigkeiten führt, denn üblicherweise wird dem Gesetzgeber unterstellt, nichts Unnötiges zu regeln (vgl Fuchs AT I7 4/5).

8.   In Abs 3 erscheint die Wortfolge „mit Wahrscheinlichkeit absehbar und im übrigen inhaltlich bestimmten Amtshandlung“ als problematisch. Jedenfalls sollte das „im übrigen“ entfallen, da diesem Füllwort keine normative Bedeutung zukommt. „Mit Wahrscheinlichkeit“ ist völlig unklar, insbesondere ist die „bloße Möglichkeit“, die nach den Erläuterungen nicht genügt, ebenfalls eine Wahrscheinlichkeit, nur eben eine geringe. „Absehbar“ wirkt ausreichend einschränkend, weshalb auf „mit Wahrscheinlichkeit“ verzichtet werden könnte. Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten zu Abs 2, siehe die Stellungnahme von Reindl-Krauskopf.

9.   In den Erläuterungen wären konkrete Beispiele für das Interesse in Abs 3 („interessiert ist“) sinnvoll und würden die Auslegung erleichtern.

10. Der letzte Satz des Abs 3 dürfte wohl ein Strafausschließungsgrund sein. Fraglich ist, ob dieser Strafausschließungsgrund auch greift, wenn der Täter das Verbot nicht kannte. Sachgerecht wäre eine Straflosigkeit vergleichbar im Ergebnis mit einem Vorsatzmangel.

11. Bei Abs 4 ist zunächst fraglich, ob dieser Satz in seinem ersten Teil überhaupt nötig ist, denn die Teilnahme an Veranstaltungen im Rahmen von Repräsentations- oder dienstlichen Pflichten oder dienstlichen Aufgaben stellt keinen „unrechtmäßigen“ Vorteil dar. Bei Pflichten liegt nicht einmal ein Vorteil vor. Selbst wenn es eine angenehme Pflicht ist, so ist es doch die Erfüllung einer Pflicht.

12. Der zweite Teil des Abs 4 erscheint als problematisch, denn grundsätzlich sollte sich die Sozialadäquanz aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben. Nur bei Erfolgsverursachungsdelikten benötigt man einen Rückgriff auf außerstrafrechtliche Normen. Bei verhaltensgebundenen Delikten beschreibt das tatbildliche Verhalten die soziale Inadäquanz (als Auslegungshilfe ansehend Fuchs AT I7 11/8; eine Auslegungshilfe in das Gesetz aufzunehmen ist jedenfalls verfehlt). Bei der geltenden Rechtslage wurde die Sozialadäquanz als Kunstgriff herangezogen, um unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden. Die Festlegung der Sozialadäquanz ist Aufgabe des Gesetzgebers, mit dem zweiten Satzteil von Abs 4 wird diese Aufgabe nicht wahrgenommen, sondern letztlich gleichsam auf die Strafverfolgungsorgane ausgelagert. Im Übrigen ist dieser Satzteil nicht nötig, da im Falle der Sozialadäquanz an sich schon nicht von einem „unrechtmäßigen“ Vorteil gesprochen werden kann, der ohnedies Tatbildmerkmal in den Abs 2 und 3 ist. So gesehen liegt hier eine unnötige Verdoppelung vor. Dies gilt auch für „redlich“ und „sozial adäquat“. Eine Verdoppelung könnte zu unnötigen Abgrenzungsüberlegungen führen, denn üblicherweise wird dem Gesetzgeber unterstellt, nichts Unnötiges zu regeln (vgl Fuchs AT I7 4/5). Abs 4 könnte daher zur Gänze gestrichen werden.

13. Die Unrechtmäßigkeit des Vorteils hätte der Dienstrechtsgesetzgeber zu lösen, dies sollte nicht in die Hände der Strafverfolgungsorgane ausgelagert werden.

14. Die Rechtsnatur des Abs 5 ist unklar. Die Materialien gehen von einem nicht vorwerfbaren Verbotsirrtum beim Bestochenen aus. Ein Strafausschließungsgrund liegt wohl nicht vor, denn dann wäre die Auskunft des Dienstgebers konstitutiv und nicht bloß eine Wissenserklärung. Fraglich ist, ob der Täter hier überhaupt den Vorsatz auf einen „unrechtmäßigen“ Vorteil hat. Dies ist wohl zu verneinen, so dass bereits der Tatbestand – auf subjektiver Ebene – entfällt.

15. Laut den Erläuterungen wird das dienstrechtliche Verbot, € 20 bar anzunehmen, von § 304 erfasst, während der Täter für die Annahme von Bonbons im selben Wert straflos bleibt. Strafrecht als ultima ratio (vgl Fuchs AT I7 2/18 ff; Kienapfel/Höpfel AT12 Z 4 Rz 1; Triffterer AT2 1/31 ff; Roxin AT I4 § 2 Rz 97) und schärfstes Instrument zur Verhaltenssteuerung erreicht mit dieser Unterscheidung die Ebene des Unverständlichen, ja geradezu Lächerlichen. Das entwertet Strafrecht an sich. Zumindest sollte ein Hinweis auf ein Vorgehen nach § 190 StPO in einem solchen Fall in den Materialien enthalten sein.

Anmerkungen zu § 307 StGB in der Fassung des Entwurfes

16. Die Bedenken hinsichtlich der Wortfolge „mit Wahrscheinlichkeit absehbar und im übrigen inhaltlich bestimmten Amtshandlung“ gelten auch hier. Jedenfalls sollte das „im übrigen“ entfallen, da diesem Füllwort keine normative Bedeutung zukommt. Es könnte auch „mit Wahrscheinlichkeit“ entfallen (Punkt 8). Ebenso ist „unrechtmäßig“ in Abs 1 zu streichen (Punkt 7) und Amtsgeschäft sollte statt Amtshandlung verwendet werden (Punkt 6).

17. Der letzte Satz des Abs 3 dürfte auch hier ein Strafausschließungsgrund sein. Fraglich ist, ob dieser Strafausschließungsgrund auch greift, wenn der Täter das Verbot nicht kannte. Beim Bestechenden ist es geradezu naheliegend, dass er das dienstrechtliche Verbot nicht kannte. Dennoch erscheint eine Straflosigkeit als sinnvoll und könnte durch Entfall der Wortfolge „nicht entgegen… Verbot“ erzielt werden. Wiederholungsanbieter wären dadurch privilegiert, was man über noch zu lösende Zusammenrechnungsregeln in den Griff bekommen könnte oder schlichtweg einfach hinnimmt.

18. Bei Abs 5 stellt sich die Frage, wie das praktisch funktioniert. Beim Anbieten wird es diese Auskunft in der Regel nicht geben, der Anbietende wird die Auskunft, selbst wenn es sie gibt, nicht kennen. Daran anschließend ist die Rechtsnatur fraglich. Für § 307 StGB und den (aktiv) Bestechenden ist der Lösungsweg des Verbotsirrtums, wovon die Materialien bei § 304 ausgehen, ausgeschlossen. Der Entfall des Vorsatzes (Punkt 14) könnte auf dem Vertrauen der Rechtmäßigkeit basieren, aber wohl ohne Grundlage hinsichtlich einer Auskunft der Dienstbehörde.

Anmerkungen zu § 20a StPO in der Fassung des Entwurfes

19. Z 7 erfasst § 153 StGB zu Recht nur einschränkt, bei Z 8 im Hinblick auf § 153a StGB fehlt es an der Einschränkung. Das ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Z 8 wäre um die Wortfolge „unter Ausnützung einer Amtsstellung“ zu ergänzen.

20. Bei Abs 2 ist fraglich, ob eine derart technische Regelung in der StPO zu treffen ist. Inhaltlich wäre das wohl eher eine Dienstanweisung. Eine solche sollte sich nicht in der StPO finden. Dieser Absatz sollte gestrichen werden.

Anmerkungen zu § 30 StPO in der Fassung des Entwurfes

21. Die Ausnahme des § 153a StGB erscheint nun wirklich nicht sehr sinnvoll. Es handelt sich hier um ein Bagatelldelikt – ganz im Gegensatz etwa zur fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB, bei dem es immerhin einen Toten gibt. Da diese Bestimmung in der Praxis ohnedies unbedeutend ist, sollte die bezirksgerichtliche Zuständigkeit belassen werden.

Anmerkungen zu § 100a StPO in der Fassung des Entwurfes

22. Diese Regelung sollte eigentlich nicht in der StPO verankert sein, sondern – wenn überhaupt – im StAG. Derartige Dienstregeln entwertet das Produkt Strafprozessordnung als solches.

Anmerkungen zu § 2a Abs 2 StAG in der Fassung des Entwurfes

23. Unklar ist der normative Gehalt dieser Bestimmung. Handelt es sich um eine selbst bindende Absichtserklärung des Gesetzgebers? Da keine Durchsetzungsmöglichkeit besteht, kann dieser Absatz ohne Schaden entfallen.

24. Da es keinen Abs 3 gibt, könnte im Übrigen Abs 4 zum Absatz 3 werden, bzw zum Abs 2, wenn dieser – wie hier vorgeschlagen – entfällt.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

Alexander Tipold