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Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof |
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Telefon 01/52152-3679
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Sachbearbeiter Klappe (DW) |
GZ: Jv 562/09y-26
An das
Bundesministeriums für Justiz
in Wien
zu GZ BMJ-L773.002/0002-II 2/2009
Betrifft: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das
Strafgesetzbuch, das Mediengesetz, die
Strafprozessordnung 1975, das Urheberrechtsgesetz, das Markenschutzgesetz 1970, das Patentgesetz 1970, das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz und das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geändert werden.
Die Generalprokuratur beehrt sich, zum oben genannten Gesetzesentwurf folgende
S t e l l u n g n a h m e
zu erstatten, die elektronisch auch dem Präsidium des Nationalrates zugemittelt wird:
Gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf bestehen, soweit im Folgenden nicht ausdrücklich Korrekturen oder Ergänzungen vorgeschlagen werden, keine Einwände.
Zu Art I und II:
Die in Aussicht genommenen Änderungen des Strafgesetzbuches und des Mediengesetzes begegnen keinen Bedenken; sie werden grundsätzlich befürwortet.
1./ Angemerkt wird, dass die in der vorgeschlagenen Strafbestimmung des § 120a StGB enthaltenen Begriffe „bloßzustellen“ und des „persönlichen Lebens- oder Geheimnisbereichs“ nach ha Ansicht – insbesondere im Zusammenhalt mit den dabei mitzuberücksichtigenden (vgl VfSlg 16137; Reindl, ÖJZ 2007/14) Erläuterungen – durchaus den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nach Art 18 Abs 1 B-VG sowie Art 7 Abs 1 MRK entsprechen.
Zu der in den Erläuterungen zu Art I unter Punkt 6./2./.mit Beziehung auf die „Zurechnung privaten Handelns im öffentlichen Raum zum höchstpersönlichen Lebensbereich“ angeführten in MR 2008, 136 veröffentlichten Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. Mai 2008, AZ 18 Bs 86/08s, wird darauf hingewiesen, dass der Oberste Gerichtshof auf Grund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit Erkenntnis vom 19. August 2009, AZ 15 Os 81/09i (siehe Beilage), ausgesprochen hat, dass dieses Urteil das Gesetz in der Bestimmung des § 7 Abs 1 MedienG verletzt. Demnach ist die „Freiwilligkeit“ eines Verhaltens im öffentlichen Raum schlechthin kein taugliches Kriterium zur Bestimmung des vom § 7 Abs 1 MedienG umfassten Schutzbereiches in Angelegenheiten der sogenannten Privatöffentlichkeit. Dieser Schutzbereich wird vielmehr (erst) durch ein explizit an die Medienöffentlichkeit adressiertes Verhalten preisgegeben (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7 Rz 14).
2./ Zu Art II Z 18 (§ 55 Abs 7 MedienG) liegt offenbar ein Redaktionsversehen vor: Das Zitat müsste richtig lauten 22 Abs 2 bis 4.
Zu Art III (Änderung der Strafprozessordnung 1975):
Zu 2./ (§ 26 Abs 3 StPO):
Die für den Fall der Beendigung des Ermittlungsverfahrens (durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung) hinsichtlich jener Beschuldigter oder jener Straftaten, die den Zusammenhang begründet haben, vorgesehene Verpflichtung zur Abtretung des Ermittlungsverfahrens an die im Übrigen nach § 25 StPO zuständige Staatsanwaltschaft steht der Effizienz eines stringenten Ermittlungsverfahrens entgegen und begegnet somit erheblichen Bedenken.
Da die Staatsanwaltschaft, welche die Einstellung und Abtretung des Ermittlungsverfahrens verfügt, in der Regel bereits mit dem Sachverhalt vertraut ist, sprechen prozessökonomische Überlegungen gegen die vorgesehene Abtretungsverpflichtung; überdies wäre mit der Abtretung unter Umständen eine aufwändige – mit dem Beschleunigungsgebot im Widerspruch stehende – Überstellung in Untersuchungshaft befindlicher Beschuldigter verbunden. Dazu kommt, dass durch die hier vorgesehene Regelung ein Anreiz geboten wird, nach dem Gesetzeszweck nicht vorgesehene Verfahrenseinstellungen vorzunehmen, um ein (umfangreiches oder kompliziertes) Verfahren abtreten zu können. Bei zahlreichen Tatorten in verschiedenen Landesgerichtssprengeln besteht unter diesem Gesichtspunkt zudem die Gefahr von „Reihenabtretungen“.
In besonders gelagerten Einzelfällen besteht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen wichtigen Gründen ohnehin die Möglichkeit, die Strafsache einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen, um eine prozessunökonomische Verfahrensführung durch eine örtlich unzuständige Staatsanwaltschaft zu vermeiden (§ 28 StPO).
Z 8 (§ 77 Abs 2 a StPO):
Die vorgesehene Regelung sieht keine Möglichkeit vor, die einmal durch die Staatsanwaltschaft oder den Vorsteher des Gerichtes erteilte ersatzweise Zustimmung zur Akteneinsicht zu widerrufen, falls sich nachträglich herausstellen sollte, dass die hiefür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, der von der Auswertung Betroffene etwa ohnehin erreichbar ist oder die fachliche Eignung des Antragstellers nicht gegeben ist.
Im Hinblick darauf, dass dem Antragsteller sensible personenbezogene Daten zur Verfügung gestellt werden, sollte dieser bei seinem Begehren um ersatzweise Zustimmung im Fall der mangelnden Erreichbarkeit des Betroffenen seine fachliche Eignung nicht bloß glaubhaft machen, sondern einen entsprechenden Nachweis erbringen müssen.
Z 15 (§ 172 a StPO):
Die vorgeschlagene strafprozessuale Sicherheitsleistung soll insbesondere die Durchführung des Verfahrens sicherstellen und der Abdeckung der Kosten des Gerichtsverfahrens sowie der Sicherung der privatrechtlichen Ansprüche des Opfers dienen (Abs 1). In diesem Sinne sollte aber im Fall der Verurteilung des Angeklagten die Sicherheitsleistung erst dann frei werden (Abs 3), sobald die Strafe vollzogen ist und darüber hinaus die privatrechtlichen Ansprüche des Opfers befriedigt und die Kosten des Strafverfahrens beglichen wurden.
Z 27 (§ 480 StPO):
Zur eindeutigen Klarstellung, dass das Bezirksgericht auch zur Entscheidung über einen auf § 352 StPO gestützten Antrag der Staatsanwaltschaft (oder des Privatanklägers) auf Wiederaufnahme eines vom Bezirksgericht durch Beschluss beendeten Strafverfahrens zuständig ist, sollte diese Bestimmung in das Zitat mitaufgenommen werden, sodass es zu lauten hätte „§§ 352 bis 357“.
Z 29 (§ 489 Abs 1 StPO):
Das Zitat müsste richtig lauten „mit Ausnahme des § 468 Abs 2 zweiter Halbsatz“.
Zu den Art IV bis VIII:
Die Neuregelungen im Bereich der Immaterialgüterrechte (Urheberrechtsgesetz, Marken‑ Schutzgesetz und Patentgesetz) tragen lediglich den geänderten Bestimmungen des Privatanklageverfahrens Rechnung und enthalten geringfügige Anpassungen an die neue StPO. Gegen diese Bestimmungen bestehen aus der Sicht der Generalprokuratur keine Bedenken.
Die vorgesehenen Änderungen des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes bzw des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union enthalten gleichfalls nur begriffliche Anpassungen an die StPO sowie Klarstellungen im Interesse der Systemkonformität und zur Beseitigung früherer Redaktionsversehen. Auch gegen diese Regelungen bestehen daher keine Einwände.
Abschließend wird zu bedenken gegeben, dass einige Bestimmungen des Gesetzesentwurfes, etwa der neue Straftatbestand der Verletzung schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen durch Bildaufnahmen (§ 120a StGB), die Neuregelung des Privatanklageverfahrens in § 71 StPO, die Ausweitung der Einspruchsrechte nach § 107 Abs 1 StPO oder die Einführung der strafprozessualen Sicherheitsleistung gemäß § 172a StPO, mit einer erheblichen – die Entlastungsmaßnahmen des Budgetbegeleitgesetzes 2009 konterkarierenden – Mehrbelastung für die davon betroffenen Gerichte und Staatsanwaltschaften verbunden sein werden.
Beilage
Wien,
am 22. September 2009
Der Leiter der Generalprokuratur:
Dr. Werner Pürstl
Elektronisch gefertigt