An das

Bundesministerum für Justiz

 

Museumstraße 7

1070  Wien

 

 

 

Wien und Linz, am 09.11.2009

 

 

Betrifft: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, das                                                        Strafvollzugsgesetz, das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Strafregistergesetz                                   geändert werden

                        Begutachtungsverfahren

Bezug:              BMJ-L641.007/0001-II 1/2009

 

 

Die Kriminalitätsopferhilfe „Weisser Ring“ erlaubt sich, gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Opferhilfe und den Gewaltschutzzentren Österreichs (unter Hinweis auch auf die zum Haftentlastungspaket im Jahr 2007 erfolgte Stellungnahme von Drin. Renate Hojas, Gewaltschutzzentrum Salzburg, www.gewaltschutzzentrum.at/ooe/archiv) zum übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, das Strafvollzugsgesetz, das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Strafregistergesetz geändert werden folgende

 

Stellungnahme

 

abzugeben:

 

Die für die Opferhilfe- und Opferschutzorganisationen zentrale beabsichtigte Änderung betrifft Art. II Z 1 lit. b, Z 19 und 20 StVG und soll die Verständigung von Opfern über den Strafantritt und die Entlassung des verurteilten Täters regeln.

 

Das Anliegen ist überaus zu begrüßen, nur ist die vorgeschlagene Regelung mehrfach zu eng:

 

  1. Eine Einschränkung auf die Opfer von Gewalt in Wohnungen (§ 38a SPG) und Opfer gemäß § 65 Z 1 lit. a StPO ist jedenfalls zu eng. Die Praxis zeigt, dass immer wieder Opfer an die Opferhilfeeinrichtungen herantreten die nicht in den genannten Kreis der Opfer gehören, aber berechtigterweise große Ängste haben, dass der auf freien Fuß gesetzte Täter mit ihnen wieder Kontakt aufnehmen werde oder sie zumindest völlig unvermutet mit ihm zusammentreffen werden.

 

Das betrifft insbesondere Verwandte von getöteten Opfern aber auch seinerzeitigen AnzeigerInnen und ZeugInnen der Tat.

 

Vor einiger Zeit hat sich die Schwester einer ermordeten Frau an den Weissen Ring gewandt, weil der verurteilte und in einer österreichischen Justizanstalt einsitzende Täter mit ihr brieflichen und telefonischen Kontakt aufgenommen hat. Über Intervention des Weissen Rings wurde vonseiten der Anstaltsleitung der Schriftverkehr des Strafgefangenen mit der Schwester des Opfers zwar eingeschränkt, die Anstalt konnte allerdings nicht verhindern, dass der Strafgefangene unrechtmäßig zu einem Handy kam und weiterhin telefonisch die Schwester des Opfers belästigte. Wir konnten das Opfer nur insoweit beruhigen, als nach Auskunft der Justizanstalt eine bedingte Entlassung des Täters in nächster Zeit nicht zu erwarten war und ihm auch wegen der Schwere der Tat vorläufig kein Ausgang oder Freigang gewährt werde.

 

Dem Weissen Ring sind eine Reihe von Fällen bekannt, in dem seinerzeitige Zeugen der Tat große Ängste vor einer Retorsion seitens des verurteilten Täters haben und deshalb auch vom Weissen Ring psychologisch betreut werden müssen.

 

Aus den genannten Gründen ist eine Ausdehnung des Kreises der Opfer, die zu verständigen sind zumindest einmal auf den Kreis der Opfer nach § 65 Z 1 lit. b StPO dringend geboten.

 

Darüber hinaus scheint es notwendig, auch anderen Opfern, ZeugInnen bzw. AnzeigerInnen ein Informationsrecht einzuräumen, wenn anzunehmen ist, dass der Verurteilte sie wegen der Anzeigeerstattung oder wegen ihres Verhaltens im Strafprozess nach seiner Entlassung aufsuchen werde.

 

  1. Sinnvoll ist es, die Verständigung an einen Antrag des Opfers zu knüpfen. Jede andere Regelung würde zu weit führen und wäre teilweise auch kontraproduktiv. Andererseits wäre genau festzulegen, dass dieser Antrag nicht nur im Strafverfahren und nach der Verständigung vom Strafantritt sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt gestellt werden kann. Gerade aus dem oben gezeigten Beispiel ergibt sich, dass durch ein späteres Verhalten des Strafgefangenen konkrete Ängste von Opfern erzeugt werden können, die seinerzeit keinen solchen Antrag gestellt haben.

 

  1. Es müsste auch sichergestellt werden, dass die Verständigung von der Entlassung so rechtzeitig erfolgt, dass das Opfer entsprechende Schutzmaßnahmen für eine allfällige Kontaktaufnahme seitens des Täters ergreifen kann, etwa durch die Anregung eines Kontaktverbotes als Auflage oder dass bei einer Entlassung noch Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden können.

 

  1. Dringend notwendig wäre es auch Opfer, die dies seinerzeit beantragt haben immer dann zu verständigen, wenn d er Strafgefangene unbewacht im Rahmen einer Haftunterbrechung, eines Ausganges oder Freiganges die Anstalt verlässt. Die entsprechende Verständigung müsste bei genehmigten Ausgängen und Freigängen zumindest rechtzeitig vor dem ersten Ausgang bzw. Freigang erfolgen mit dem ergänzenden Hinweis darauf, dass künftig mehrere Ausgänge bzw. Freigänge zu erwarten sind

 

  1. Berücksichtigung der Opfersituation in Form eines Äußerungs- und Antragsrechtes zu den Maßnahmen nach §§ 99 Abs 5  sowie 149 Abs. 5 StVG und allfälliger sichernder Maßnahmen in Form der elektronischen Kontrolle.

 

Besonders von Beziehungsgewalt Betroffene leben oft jahrelang in ständiger Furcht vor dem Moment, in dem der Verurteilte - wenn auch nur vorübergehend - wieder in Freiheit ist. Sie fürchten Rache, weil sie ihn angezeigt haben oder wieder einen Partner haben usw. In vielen Fällen ist ab Ausgang, Freigang, Entlassung eine Gefährdung anzunehmen.

 

 

Es wird daher folgende Fassung der §§ 3 Abs. 6 145 Abs. 5 StVG vorgeschlagen:

 

§ 3 Abs. 6 hätte zu lauten:

 

"(6) Opfer von Gewalt in Wohnungen (§ 38a SPG), Opfer gemäß § 65 Z 1 lit. a und b StPO und Opfer, zu deren Schutz eine einstweilige Verfügung gemäß den §§ 382b, 382e oder 382g  EO erlassen wurde sowie andere Opfer, ZeugInnen oder AnzeigerInnen, bei denen anzunehmen ist, dass der Verurteilte sie wegen der Anzeigeerstattung oder wegen ihres Verhaltens im Strafprozess nach seiner Entlassung aufsuchen werde, sind vom Strafantritt des Verurteilten oder von seiner Übernahme in die Strafhaft zu informieren; zugleich ist das Opfer, der/die ZeugIn bzw. der/die AnzeigerIn darüber zu belehren, dass sie auf ihren Antrag von der Entlassung sowie vom ersten unbewachten Verlassen der Justizanstalt (insbesondere bei Ausgang, Freigang, Unterbrechung der Haft oder Unterbringung, bedingter Entlassung und Entlassung aus einer Freiheitsstrafe oder sonstigen freiheitsentziehenden Maßnahme eines Verurteilten bzw. Untergebrachten) rechtzeitig verständigt werden (§ 149 Abs. 5 StVG) ."

 

§ 149 Abs. 5 StVG hätte zu lauten:

 

"(5) Soweit ein in § 3 Abs. 6 StVG genanntes Opfer, ein/e ZeugIn bzw. ein/e AnzeigerIn dies beantragt haben, sind sie unverzüglich von der bevorstehenden Entlassung des Strafgefangenen sowie vom bevorstehenden ersten unbewachten Verlassen der Justizanstalt zu verständigen. Die Verständigung hat der Anstaltsleiter zu veranlassen. Das Opfer, der/die ZeugIn oder der/die AnzeigerIn haben das Recht, sich zu den geplanten Maßnahmen (Entlassung, Bedingungen, Auflagen, elektronische Aufsicht, etc.) zu äußern und im Falle einer bedingten Entlassung bei begründetem Interesse unter Maßgabe von Schutz und Sicherheit Sicherheitsvorkehrungen zu verlangen. Indikatoren hierfür sind aus Opfersicht anhaltende Gefährdung, Retraumatisierung u.ä."

 

Die neue Fassung des § 99 StVG  ist zu begrüßen, insoweit für Gewalt- und Sexualstraftäter eine Unterbrechung der Freiheitsstrafe nur unter Erteilung von Auflagen und/oder Festsetzen von Bedingungen sowie unter Einsatz von geeigneten Mitteln der elektronischen Aufsicht vorgesehen wird.

 

Daher sollten Weisungen eines Kontaktverbotes oder des Verbotes, eine bestimmte Wohnung bzw. Arbeitsplatz des Opfers, Schule, Kindergarten usw. aufzusuchen und entsprechende Aufenthaltsverbote an bestimmten Orten  als treffsichere spezialpräventive Maßnahmen bei jeder Form des Verlassens der Anstalt oder anderer Unterbringungseinrichtungen auch auf Antrag des Opfers gesetzlich vorgesehen werden. Am wirkungsvollsten und im Sinne der Sicherheit des Opfers wäre es, diese Bedingungen an den Einsatz von in der Anstalt obligat zur Verfügung stehenden Mitteln der elektronischen Aufsicht zu koppeln. So sollte dem Opfer die Möglichkeit eingeräumt werden, von Übertretungen Kenntnis zu erhalten, indem es auch eine entsprechende elektronische Verständigungsmöglichkeit erhält. Zu diesen Vorkehrungen und Maßnahmen soll sich das Opfer äußern und Anregungen einbringen können.

In diesem Zusammenhang darf auf die neueren Entwicklungen zur Eindämmung von schweren Beziehungsgewalttaten mithilfe GPRS-Kontrollen in einigen Staaten der USA (Massachusetts, Illinois) und in Spanien verwiesen werden.

 

§ 99 Abs 5 StVG hätte zu lauten:

„(5) … ist die Unterbrechung nur unter Auflagen und Bedingungen zu gestatten und können dem Stand der Technik entsprechende und geeignete Mittel der elektronischen Aufsicht in erster Linie unter Maßgabe des Schutzes und der Sicherheit und unter Wahrung eines Äußerungs- bzw. Antragsrechts des Opfers angeordnet werden.

 

 

Gegen die übrigen beabsichtigten Änderungen des entsprechenden Entwurfes bestehen aus Sicht des Weissen Rings, des Kompetenzzentrums Opferhilfe und der Gewaltschutzzentren Österreichs keine Bedenken.

 

Hon.Prof.Dr. Udo Jesionek                                                     Mag.a Dina Nachbaur

Präsident Weisser Ring Österreich                                           Kompetenzzentrum Opferhilfe

 

Maga. Maria Schwarz-Schlöglmann

Delegierte der Gewaltschutzzentren Österreichs in justiziellen Belangen