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Amt der Steiermärkischen Landesregierung |
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An das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend
Franz-Josefs-Kai 51 1010 Wien
E-Mail: franz.macho@bmwfj.gv.at
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è Soziales, Arbeit und Beihilfen
Stabstelle Legistik, EU- und Vertragsrecht Bearbeiterin: Dr. Katrin Struger Bei Antwortschreiben bitte |
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GZ: |
FA1F-16.01-18/2006-8 |
Bezug: |
BMWFJ-421600/0002-II/2/2010 |
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Ggst.: |
Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2010 (B-KJHG 2010); Stellungnahme des Landes Steiermark. |
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Sehr geehrte Damen und Herren!
Zu dem mit do. Schreiben vom 1. März 2010, obige Zahl, übermittelten Entwurf des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2010 (B-KJHG 2010) wird seitens des Landes Steiermark folgende Stellungnahme abgegeben:
Allgemeines:
Eingangs darf festgehalten werden, dass auf zahlreiche vom Land Steiermark durch die Stellungnahme vom 11. November 2009 (GZ: FA1F-16.01-18/2006-7, Bezug: BMGFJ-421600/0037-II/2/2009) vorgebrachte Kritikpunkte im vorliegenden Entwurf eingegangen wurde, weshalb die vorgenommenen Änderungen im Entwurf vom Land Steiermark ausdrücklich begrüßt werden.
Nunmehr stellt sich die Struktur des Gesetzes als übersichtlich und verständlich dar, besonders was die Unterscheidung der Hilfen im Rahmen der Sozialen Dienste von jenen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung angeht. Besonders positiv wird gesehen, dass nun die Gefährdungsabklärung, die Hilfeplanung, die Mitteilungs- und Verschwiegenheitspflichten, die Datenverwendung sowie die Dokumentation eine gesetzliche Regelung finden.
Wie bereits in oben zitierter Stellungnahme angemerkt wurde, wird allerdings nach wie vor in einigen Bestimmungen (§ 1 Abs. 2 bis 4, § 4 Z. 4 und 6, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4, § 15 Abs. 1 Z. 5, § 22 Abs. 3 und 4, § 24 Abs. 1 etc.) das Wort „beziehungsweise“ verwendet. Erst die Erläuterungen geben Auskunft, ob dieses Wort als „und“ oder als „oder“ zu lesen ist. Da dies allerdings je nach Bestimmung variiert, wird noch einmal ersucht, bereits im Gesetzestext eine eindeutige Formulierung zu finden, um hier allfällige unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten hintanhalten zu können.
Zu den Kosten:
In den Erläuterungen des Gesetzesentwurfes werden die finanziellen Mehrbelastungen für die Länder nunmehr mit 3.567.784,50 Euro beziffert. Diese liegen daher über der Betragsgrenze gemäß Art. 4 Abs. 5 der Vereinbarung über den Konsultationsmechanismus. Daher werden vom Land Steiermark Verhandlungen nach dem Konsultationsmechanismus verlangt.
Ergänzend ist zur getroffenen Kostendarstellung Folgendes auszuführen:
Im Gegensatz zum Vorentwurf enthalten die Erläuterungen nunmehr eine Aufschlüsselung der Kosten für den durch das Gesetz entstehenden Mehraufwand durch die Anwendung des Vieraugenprinzips bei der Gefährdungsabklärung und der Hilfeplanung. Dazu ist zu bemerken, dass in der Steiermark das Vieraugenprinzip bei der Gefährdungsabklärung seit einer erlassmäßigen Regelung im Jahr 2007 als Standard gilt und in der Praxis auch schon vorher, wenn auch nicht so zielgerichtet – Usus war. Bisher nicht standard- und erlassmäßig geregelt ist allerdings das Vieraugenprinzip bei der Hilfeplanung.
Für die Steiermark ergibt sich daher der Mehraufwand durch die bundesgesetzliche Regelung des Vieraugenprinzips bei der Hilfeplanung im Vergleich zur jetzigen Situation. Da in Erwartung des neuen B-KJHG dieser Mehraufwand bei den seit November, also seit vier Monaten laufenden Zählungen zur Personalbedarfsermittlung (Kennzahlenbasierende Evaluierung der Sozialreferate in den Bezirkshauptmannschaften – KEBAES) im Bereich Sozialarbeit bereits berücksichtigt wurde, können bereits Hochrechnungen angestellt werden.
Demnach beträgt der Zeitaufwand für die Anwendung des Vier-Augenprinzips bei der Hilfeplanung aus jetziger Sicht hochgerechnet auf ein Jahr 10.551 Dienststunden, was wiederum mit einem personellen Mehrbedarf von 6,3 Dienstposten beziffert werden kann (beim bereits standardisierten Vieraugenprinzip in der Gefährdungsabklärung beläuft sich der personelle Mehrbedarf auf 7,2 Dienstposten).
Zusätzlich ist damit zu rechnen, dass Soziale Dienste (§ 16) bereits zur Bewältigung des alltäglichen Familienlebens zur Verfügung zu stellen sind, was eine Aufgabenerweiterung des KJH-Trägers nach sich ziehen und zu Mehrkosten für das Land (und die Sozialhilfeverbände) führen wird. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass allein die Umstrukturierung der landeseigenen Mütterberatung in eine zeitgemäße Beratungs- und Bildungseinrichtung zumindest eine Sozialarbeiterin/einen Sozialarbeiter pro (steirischem) Bezirk, also zusätzlich ca. 14 Dienstposten, erfordern wird.
Ungeachtet der voraussichtlich entstehenden Kosten soll aus fachlicher Sicht außer Streit gestellt werden, dass die vorliegenden Regelungen im Bereich der Gefährdungsabklärung und der Hilfeplanung vom Land Steiermark als wichtige Verbesserungen befürwortet werden.
Zu den einzelnen Bestimmungen:
Zu § 9 (Dokumentation):
Die in Abs. 1 vorgesehene generelle Verpflichtung zur schriftlichen Dokumentation für alle Leistungen im Sinne des 2. Hauptstückes erscheint nach wie vor zu weitreichend. Angelegenheiten des 2. Hauptstückes, 2. Abschnitt (§ 16), sollten aus Sicht des Landes Steiermark jedenfalls davon ausgenommen werden.
Zu § 12 (Fachliche Ausrichtung):
Gemäß dem in Abs. 1 festgelegten Grundsatz hat der Kinder- und Jugendhilfeträger die Leistungen nach fachlich anerkannten Standards sowie dem aktuellen Stand der Sozialwissenschaft zu erbringen. Einerseits stellt sich die Frage, wer diese allgemein anerkannten Standards festlegt, andererseits darf aber auch darauf hingewiesen werden, dass sich die Jugendwohlfahrt nicht ausschließlich auf den aktuellen Stand der Sozialwissenschaften beziehen kann, sondern dass vielmehr auch die Erkenntnisse der Natur- (Psychologie) und Erziehungswissenschaften (Pädagogik) und nicht zuletzt jene der Sozialarbeits- und wohl auch der Rechtswissenschaften eine gravierende Rolle spielen.
Vorgeschlagen wird daher, all diese wissenschaftlichen Richtungen aufzuzählen oder sich auf „wissenschaftlichen Stand jugendwohlfahrtsrelevanter Professionen“ zu beschränken.
Zu § 15 (Statistik):
Wie bereits in der ho Stellungnahme vom 14. November 2009 angemerkt, müssten für die Erfüllung des § 15 die bisher im Rahmen der Bundesstatistik erhobenen Daten ausreichen. Jede allenfalls intendierte Ausweitung (insbesondere im Hinblick auf § 15 Abs. 1 Z. 1) wäre mit einem erheblichen finanziellen, personellen und verwaltungstechnischen Mehraufwand verbunden.
Daher wird korrespondierend zu § 9 eine Reduzierung im Besonderen im Bereich der Sozialen Dienste (Z. 1. im Zusammenhang mit Abs. 2) vorgeschlagen. Für die Erhebung aller dieser statistischen Daten bedarf es eines entsprechenden EDV Programms, das derzeit nicht verfügbar ist und auch in Zukunft unter Umständen nicht in dieser Ausrichtung zur Verfügung stehen wird.
Zu § 22 (Gefährdungsabklärung):
Wenngleich einleitend festgehalten wurde, dass die gesetzliche Regelung der Gefährdungsabklärung grundsätzlich positiv begrüßt wird, bestehen gravierende Einwände bei deren Ausgestaltung.
So wird in Abs. 1 normiert, dass u. a. auf Grund „glaubhafter“ Mitteilungen Dritter eine Gefährdungsabklärung durchzuführen ist. Um Unsicherheiten vorzubeugen, wäre der Begriff „glaubhaft“ in den Erläuterungen noch besser verstehbar zu machen. So könnte die „persönliche Beobachtung“ der Auskunftsperson als Beispiel dafür angeführt sein.
Wie bereits in der ersten Stellungnahme angeregt, sollte in Abs. 3 ergänzend klargestellt werden, dass die Befragung des betroffenen Minderjährigen auch ohne Einverständnis der Eltern oder anderer mit Pflege und Erziehung betrauter Personen und an jedem geeigneten Ort zulässig sein sollte. Es soll in den Erläuterungen zu dieser Bestimmung eindeutig festgehalten werden, dass auch bei jüngeren Kindern zur Gefährdungsabklärung ein Hausbesuch zwingend erforderlich ist, da bezweifelt wird, dass eine pädiatrische Untersuchung allein in jedem Fall die erforderliche Klärung bewerkstelligen kann.
Ein allgemeines Auskunftsrecht für die öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe sowie ein Betretungsrecht von Wohnräumlichkeiten müsste im Rahmen der Gefährdungsabklärung ebenfalls deutlicher verankert werden. Ebenso sollten Regelungen getroffen werden, wie dieses Betretungsrecht im Fall der Verweigerung des Zutritts auch erzwungen werden kann. Wünschenswert wäre die gesetzliche Verankerung der Mitwirkung der Polizei.
In Abs. 5 ist geregelt, dass die Gefährdungseinschätzung „erforderlichenfalls“ im Zusammenwirken von zumindest zwei Fachkräften zu treffen ist. In den Erläuterungen ist u. a. dazu beschrieben, dass das Vieraugenprinzip durch Intervision, Teambesprechungen und fallbezogene Supervision aber auch durch von zwei Fachkräften durchgeführte Erhebungsschritte Anwendung finden kann. Es soll dann zur Anwendung kommen, wenn dies im Hinblick auf den Kinderschutz erforderlich ist; so wird es bei sehr komplexen Fällen als unerlässlich erachtet, bei einer offensichtlichen Sachlage hingegen wird die Beurteilung einer Fachkraft als ausreichend betrachtet. Diese Ausführungen sind zwei- bis mehrdeutig!
Einerseits werden die Fachkräfte gesetzlich in die Pflicht genommen, zu zweit zu arbeiten und es wird sogar verlangt, dass dies bei komplexen Fällen unerlässlich ist, andererseits lässt das Gesetz jede Orientierungshilfe zur praktischen Umsetzung offen und damit die Fachkräfte in ihrer alleinigen Verantwortung. Kommt es zu einer Gefährdungsmeldung, sind selten der Grad der Gefährdung und die Komplexität erkennbar. Daher ist es für die Fachkraft auch nicht einschätzbar, ob die Einhaltung des Vieraugenprinzips erforderlich ist. Vielmehr ist schon in dieser Phase der Ersteinschätzung eine kurze zielgerichtete Reflexion mit einer zweiten Fachkraft wichtig. Ist die Familie und sind ihre Lebensverhältnisse nicht bekannt, ist auch die Komplexität nicht bekannt. Daher ist die Beteiligung der zweiten Fachkraft bei bestimmten Erhebungsschritten gerade zu Beginn unumgänglich. Wiederholen sich Meldungen, dann ebenfalls, denn das kann der Hinweis für eine latente noch nicht sichtbare Gefährdung sein. Liegt eine offensichtliche Gefährdung vor, ist eine zweite Fachkraft zur Unterstützung der Gefährdungsbeseitigung erst recht vonnöten, man bedenke Gefahr im Verzug- Maßnahmen, welche erst vor Ort erkennbar sind.
Sollte die gesetzliche Regelung derart unbestimmt bleiben, ist u. a. aus finanziellen Überlegungen heraus zu befürchten, dass die Fachkräfte in der praktischen Arbeit bei jeder Abklärung argumentieren müssen, warum sie eine zweite Fachkraft hinzuziehen möchten. Dies wird in der Praxis energieraubend und frustrierend sein und keinesfalls den Kinderschutzgedanken unterstützen.
Weiters besteht die Gefahr, dass sich Fachkräfte im Nachhinein bei etwaigen strafrechtlichen Verfahren für ihre Einschätzung, keine zweite Fachkraft hinzugezogen zu haben, verantworten müssen. Die gesetzliche Regelung des Vieraugenprinzips würde somit nicht im Sinne des Kinderschutzes angewendet werden können, sondern auf dem Rücken der Fachkräfte ausgetragen. Sie würden unter Druck geraten, ein Gesetz vollziehen zu müssen, ohne die nötigen Ressourcen zu haben.
Wird auf die gesetzliche Regelung eines wirkungsvollen Vieraugenprinzips Wert gelegt, so wird die Aufnahme der Regelung wie in der Steiermark vorgeschlagen. Es wurden Mindeststandards für das Vieraugenprinzip eingeführt, welche sich auf bestimmte Abklärungsschritte bei allen Fällen beziehen:
· Reflexion bei Ersteinschätzung auf Grund der Gefährdungsmeldung
· Hausbesuch und Gespräche mit dem Minderjährigen und beiden Erziehungsberechtigten
· Durchführung von Gefahr im Verzug-Maßnahmen
· Fallkonferenzen/Abklärungsteams bei Gefahr im Verzug und komplexen Fällen.
Diese Vorgaben geben den Fachkräften Sicherheit und unterstützen die Kinderschutzarbeit. Der Begriff „erforderlich“ sollte daher nicht quantitativ (z. B. ein Drittel der Fälle, wie in den Berechnungen der Erläuterungen angedeutet), sondern qualitativ verstanden und in den Erläuterungen entsprechend erklärt werden.
Dem Präsidium des Nationalrates werden unter einem 25 Abdrucke dieser Stellungnahme zugeleitet. Eine weitere Ausfertigung ergeht an die E-Mail Adresse begutachtungsverfahren@parlament.gv.at.
Für die Steiermärkische Landesregierung
Der Landeshauptmann
(Mag. Franz Voves)