AKVorrat.at (Verein in Gründung)

 

Zustellbevollmächtigter: Rechtsanwalt Ewald Scheucher Lindengasse 39 1070 Wien

 

 

 

 

An das

Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) Sektion III, Abteilung PT 2 Ghegastraße 1 A-1030 Wien

(jd@bmvit.gv.at)

 

 

 

Wien, am 11. Jänner 2010

 

 

 

Stellungnahme zum Entwurf BMVIT-630.333/0001-III/PT2/2009

Novelle des TKG 2003 zur Umsetzung der

Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung 2006/24/EG

 

 

 

Zum Ministerialentwurf 117/ME (XXIV. GP) Änderung des TKG 2003 nimmt der Verein AKVorrat.at mit dringendem Ersuchen um Kenntnisnahme und Berücksichtigung wie folgt Stellung:

 

Die verdachtsunabhängige Speicherung von Kommunikationsdaten aller Nutzer elektroni-scher Kommunikationsdienste stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte, insb. das Gebot der Achtung der Privatsphäre des Art. 8 EMRK, das Grundrecht auf Datenschutz des Art. 1 DSG, das Fernmeldegeheimnis des Art. 10a StGG und das Kommunikations-geheimnis des § 93 TKG, das Recht auf freie Meinungsäußerung der Art. 10 EMRK und Art. 13 StGG sowie die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK dar. Auch wenn der vorliegende Gesetzesentwurf versucht, Grundrechtsverletzungen möglichst gering zu hal-ten, kann nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass bereits die Speicherung von Kommunikationsdaten an sich grob unverhältnismäßig in Grundrechte eingreift. Die Ver-letzung der Grundrechte entsteht hierbei nicht erst durch die Nutzung der gespeicherten Daten, sondern bereits durch die gesetzliche Anordnung der fortwährenden, pauschalen Speicherung von Kommunikationsdaten.

 

 

1)    Missachtung des Gebotes der Achtung der Privatsphäre

 

Art. 8 EMRK schützt sowohl das Privatleben als auch die Kommunikation in umfassender Weise: vom Schutzbereich erfasst werden persönliche Beziehungen als solche ebenso wie die äußeren“ Kommunikationsdaten sämtlicher Korrespondenz, also Zeit, Ort, Kom-munikationspartner und Art der Kommunikation. Auch das Grundrecht auf Datenschutz des Art. 1 DSG schützt Kommunikationsdaten als personenbezogene Daten vor unzu-lässiger Verwendung.

Die Vorratsdatenspeicherung greift massiv in das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz ein, indem sie die wahllose Speicherung der Kommunikationsda-ten sämtlicher Nutzer ohne jegliches Verdachtsmoment anordnet. Bei Kenntnis sämtlicher Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten (Telefonate, SMS, MMS, Email, IP-Adresse, Benutzerkennung usw.) einer bestimmten Person, also mit wem diese Person wann, von wo aus, wie lange und in welcher Form elektronisch kommuniziert hat, können umfassende Personenprofile erstellt und soziale Netzwerke, private und berufliche Kon-takte sowie Bewegungsprofile sichtbar gemacht werden, auch Rückschlüsse auf persönli-che Eigenschaften und Neigungen etc. werden möglich.

Ein derartig massiver Eingriff in Art. 8 EMRK ist unverhältnismäßig und desavouiert die demokratische Gesellschaft. Die bislang nur behauptete aber nicht nachgewiesene Eig-nung der Vorratsdatenspeicherung zur Erfüllung des in der RL 2006/24/EG definierten Zweckes, nämlich die Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten zu för-dern, ist in Frage zu stellen. Dies angesichts der meist unzuverlässigen Aussagekraft der aus den Daten abgeleiteten Informationen sowie der gleichzeitig relativ einfachen Umge-hungsmöglichkeiten (Eintragung einer falschen E-Mail Absenderadresse, Mailserver au-ßerhalb der EU, anonyme Remailer und Proxies, Prepaid-Wertkarten, Einsatz von Instant-Messaging Programmen). Daraus ergibt sich eine Unangemessenheit des äußerst inten-siven Eingriffs, da er zur Erreichung der gewünschten Zwecke nur in sehr geringem Maße geeignet ist. Lückenlos erfasst werden primär die Kommunikationsprofile argloser und un-bescholtener Bürger, während es für organisierte Kriminelle“ ein Leichtes ist, sich der Überwachung zu entziehen. Zudem existieren Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung, die weniger eingriffsintensiv und hinsichtlich der Betroffenen zielgerichteter sind. Art. 1 Abs. 2 DSG verlangt überdies ausdrücklich die Wahl des gelindesten zum Ziel führenden Mittels. So ermöglicht z.B. das sogenannte quick freeze“-Verfahren im Verdachtsfall die kurzfristige Anordnung der Speicherung von Kommunikationsdaten, auf die sollte sich der Verdacht erhärten unter den üblichen Voraussetzungen des Strafverfahrens (in Ös-terreich z.B. eine richterliche Genehmigung) zugegriffen werden kann. Damit wird einer-seits der Verlust möglicherweise relevanter Daten im Ermittlungsverfahren verhindert, an-dererseits sind nur jene Personen Ziel einer derartigen Maßnahme, gegen die begründete Verdachtsmomente vorliegen. Ein solches quick freeze“-Verfahren kennt beispielsweise die europäische Cybercrime-Convention und wird auch in den USA praktiziert.

 

3)    Aushöhlung des Fernmelde- und des Kommunikationsgeheimnisses

 

Das Fernmeldegeheimnis des Art. 10a StGG wird in § 93 TKG als Kommunikationsge-heimnis einfachgesetzlich näher ausgestaltet. Das Fernmeldegeheimnis umfasst sowohl Kommunikationsinhalte als auch die Tatsache, ob eine Kommunikation stattgefunden hat, also Verkehrsdaten, und erlaubt Eingriffe nur bei richterlicher Genehmigung. Das Kom-munikationsgeheimnis führt das Fernmeldegeheimnis weiter aus und verbietet das Mithö-ren, Abhören, Aufzeichnen, Abfangen und sonstige Überwachen von Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrs- und Standortdaten, wenn nicht eine Einwilligung aller betei-ligten Benutzer, eine Genehmigung für eine Fangschaltung oder ein Notruf vorliegen. Die Vorratsdatenspeicherung verlangt nun in vollkommener Ignoranz des Fernmelde- und des Kommunikationsgeheimnisses die pauschale Speicherung aller Verkehrs- und Standort-daten sämtlicher Nutzer. Auch wenn Kommunikationsinhalte von der Vorratsdatenspei-cherung prinzipiell nicht erfasst sind, kann bei Kenntnis des Adressaten (z.B.

hilfe@krebshilfe.at, frauennotruf@wien.at, info@akvorrat.at) und der Art, Häufigkeit und des Zeitpunkts der Kontakte vielfach auf die Inhalte der Kommunikation rückgeschlossen werden, wodurch das Fernmelde- und das Kommunikationsgeheimnis auch in Hinblick auf die Kommunikationsinhalte ausgehöhlt werden. Selbst besonders geschützte Personen- oder Berufsgruppen werden unterschiedslos erfasst, womit das besondere Vertrauens-verhältnis z.B. zwischen Arzt und Patient, Anwalt und Mandant oder zwischen Redakteur und Informant (Redaktionsgeheimnis, Informantenschutz!) nachhaltig gestört wird.

 

4)    Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung

 

Die Vertraulichkeit der Kommunikation ist unabdingbare Vorraussetzung für die freie Bil-dung und den Austausch von Meinungen in einer liberalen und demokratischen Gesell-schaft. Die intensive und beständige Kommunikationsüberwachung unter Bruch des Fernmelde- und Kommunikationsgeheimnisses wird auch das Recht auf freie Meinungs-äußerung einschließlich des Rechts auf Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten verletzt. Kommunikation ist nicht mehr frei, sondern wird protokolliert, um im Nachhinein kontrollierbar zu sein. Das Wissen um die Protokollierung der Kommunikati-onsdaten reicht aus, um das Kommunikationsverhalten empfindlich zu verändern. Bereits die Speicherung (und nicht erst die Verwendung!) führt somit zu einer Verletzung der in Art. 10 EMRK und Art. 13 StGG verbürgten Grundrechte.

 

5)    Pervertierung der Unschuldsvermutung

 

Die gesetzliche Anordnung der Speicherung von Kommunikationsdaten stellt alle Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste von vornherein unter Verdacht, schwere Straftäter oder hochgradig gefährlich zu sein, zumindest aber mit solchen Personen zu kollaborieren, und verstößt somit gegen die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung. Private Telekommunikationsanbieter sollen durch vorliegenden Gesetzesentwurf zur Bür-gerüberwachung verpflichtet werden und als Handlanger des Staates dienen. Während Telekommunikationsanbieter bislang lediglich im konkreten Verdachtsfall betriebsnotwen-dig vorhandene Daten an die Strafverfolgungsbehörden übermitteln, sollen sie künftig ge-gen finanzielle Entschädigung dem Staat möglichst umfassende Daten für allfällige spätere Verwendungen verschaffen. Eine für den Staat bequeme wenn auch ineffiziente und die Menschenwürde missachtende Ermittlungsmethode zur Beruhigung“ des Bürgers.

 

6)    Fortgesetzte Datenverwendung, Missbrauchgefahr

 

Sind Daten erst vorhanden, so besteht stets Gefahr, dass neue Begehrlichkeiten in Hinb-lick auf die Verwendung der Daten entstehen und die Hemmschwelle für den Zugriff auf die Daten sinkt. Zudem besteht die Gefahr missbräuchlicher Datenverwendung bis hin zur wirtschaftlichen Nutzung der Daten. Der Nutzer hingegen hat de facto keine Kontrolle über die ihn betreffenden Kommunikationsdaten und die auf Basis dieser Daten evtl. fälschlich gezogenen Schlussfolgerungen über seine Person. Der Nutzer muss nicht mit allen hinter einer Telefonnummer oder Email-Adresse stehenden Personen in persönlicher Beziehung stehen, noch weniger hat der Nutzer Kontrolle über eingehende Anrufe oder Emails, die sein Personenprofil“ nach außen jedoch verändern und ihn verdächtig“ machen können.

Eine zusätzliche Gefahrenquelle stellen die nach § 102c Abs. 2 des Entwurfes von den Providern an die Datenschutzkommission (also das Bundeskanzleramt) und das Bun-desministerium für Justiz zu liefernden Protokolldaten dar. Um Missbrauch hintan zu halten und für statistische Zwecke ist nach § 102c jeder Zugriff auf Vorratsdaten sowie jede Anfrage und Auskunft über diese zu protokollieren, wobei das Justizministerium nur ano-nymisierte statistische Werte erhalten soll. Diese Protokolldaten sind jedoch doppelbödig: sie geben Namen und Anschrift der suspekten“ Personen wieder, nämlich jener, die ab-gefragt wurden, jedoch einschließlich jener, die erfolglos, irrtümlich oder sonst mitabgef-ragt“ wurden. Hierdurch entsteht das - kaum lösbare - Dilemma, dass die Protokollierung für den Rechtsschutz gleichzeitig den Grundrechtseingriff fortschreibt und eine weitere Gefahrenquelle darstellt. In diesem Zusammenhang ist erneut auf die mangelnde Unab-hängigkeit der Datenschutzkommission hinzuweisen, ein Mangel, der auch durch die ak-tuelle DSG-Novelle nicht behoben wurde.

 

7)    Fehlende öffentliche Diskussion der Grundrechtsfragen

 

Bedauerlich ist ferner, dass für das Begutachtungsverfahren die Weihnachtszeit gewählt wurde und derart erneut eine breite Diskussion der wichtigen Grundrechtsfragen vermie-den wurde. Wie wichtig es ist, die Probleme und Risiken beim Namen zu nennen und die entsprechenden Debatten in einer informierten Öffentlichkeit zu führen, zeigt die Ent-scheidung des Rumänischen Verfassungsgerichts Nr. 1258 vom 08. Oktober 2009, das als erstes europäisches Verfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung an sich unter Verweis auf deren Menschenrechtswidrigkeit für verfassungswidrig erklärt hat.

 

 

8)    Außerachtlassung legistischer Grundprinzipien

 

Das Vorblatt stellt lapidar fest, dass die Höhe der mit der Umsetzung des Gesetzesent-wurfes verbundenen Kosten nicht vorhersehbar, mit einer Kostensteigerung jedoch zu rechnen sei. Die RL 2006/24/EG wurde am 15. März 2006 beschlossen, womit zum heuti-gen Zeitpunkt zumindest eine grobe Kostenschätzung vorliegen sollte, andernfalls § 14 Bundeshaushaltsgesetz (BHG) schlichtweg als politische Scheinbestimmung zu werten ist. Dies umso mehr, als der Gesetzesentwurf in § 94 Abs. 1 und 2 sowie § 99 Abs. 5 für die Anbieter und Betreiber von Telekommunikationsdiensten einen Ersatz der Investiti-onskosten, der Kosten der laufenden Mitwirkung und der Auskunftserteilung vorsieht. Dies legt nahe, dass die Kosten entweder nicht budgetiert werden können oder bewusst ver-schleiert werden.

 

 

 

In Anbetracht der durch die TKG-Novelle angeordneten massiven und dauerhaften Eingriffe in die Grundrechte fordern wir:

 

     Keine Vorratsdatenspeicherung in Österreich!

     Keine Vorratsdatenspeicherung in Europa!

     Österreich soll die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umsetzen sondern bekämpfen!

 

 

 

Von dieser Stellungnahme wird eine Ausfertigung dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.

 

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Marie Jordan