REPUBLIK ÖSTERREICH

BERUFUNGSKOMMISSION

BEIM

BUNDESKANZLERAMT

 

Vorsitzender Hofrat Dr. Heinrich Zens

A-1014 Wien, Ballhausplatz 1

Tel. (01) 53115/4208

Telefax-Nr. (01) 53115/4294

DVR: 0000019

 

 

Stellungnahme des Vorsitzenden der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt

 

 

zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes‑Verfassungsgesetz geändert wird und einige Bundesverfassungsgesetze und in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen aufgehoben werden (Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2010)

 

 

 

 

Das Konzept des vorliegenden Entwurfes geht davon aus, dass im Bereich der Ver­waltung sämtliche als Rechtsmittelbehörden eingerichteten Kollegialbehörden nach Art. 133 Z 4 B-VG, insbesondere auch diejenigen, gegen deren Entscheidungen der Verwaltungsgerichtshof derzeit nicht angerufen werden kann, aufgelöst und ihre Zuständigkeiten auf Verwaltungsgerichte übertragen werden sollen. Konsequenterweise enthalten die Erläuterungen auch keine Erwä­gungen zur Frage, ob Gründe der Sachlichkeit oder Zweckmäßigkeit  in Einzelfällen nicht für die Beibehaltung des status quo sprechen.

 

Während diese Gründe in Ansehung des Überganges der Zuständigkeiten von den im Bereich der monokratischen Verwaltung eingerichteten Berufungsbehörden auf die Verwaltungsgerichte auf der Hand liegt (dem Verwaltungsgerichtshof wird nicht mehr die alleinige Last aufgebürdet, den Rechtsschutzgarantien des Art. 6 EMRK Rechnung tragen zu müssen und er wird durch erstmalige Einräumung eines Ablehnungsrechtes in den betroffenen Materien entlastet), ist dies in Ansehung der Zuständigkeiten der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, gegen die derzeit kein Beschwerderecht an den Verwaltungsgerichtshof besteht, nicht der Fall. Zum einen genügen diese Behörden mit ihrer meritorischen Entscheidungskompetenz dem Art. 6 EMRK ohne jede Einschränkungen, zum anderen wird durch die geplante Auflösung dieser Behörden der Verwaltungsgerichtshof nicht ent-, sondern vielmehr zusätzlich mit Materien belastet, die er derzeit nicht zu judizieren hat.

 

Für die im Entwurf vorgeschla­gene Lösung (soweit sie die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt betrifft) könnte daher ausschließlich ins Treffen geführt werden, dass der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz in allen Materien einheitlich gestaltet werden sollte. Eine solche Einheitlichkeit strebt der vorliegende Entwurf aber ohnedies nicht an, lässt er doch die Sonderstellung des Asylgerichtshofes unberührt. Das Argument der Vereinheitlichung erscheint jedoch überdies rechtspolitisch deshalb nicht stichhaltig, weil auch eine (dem Grundsatz nach nicht zu kritisierende) Systementscheidung in einzelnen Berei­chen unbefriedigende Ergebnisse zu zeitigen droht. Dies ist in Ansehung der ge­planten Übertragung der Zuständigkeiten der Berufungskommission beim Bundes­kanzleramt auf das Verwaltungsgericht jedoch der Fall, weil eine solche aus nach­stehenden Gründen weder sachdienlich noch zweckmäßig erscheint:

 

 

Die Einrichtung der Berufungskommission als Art. 133 Z 4 Behörde durch das Besol­dungsreform-Gesetz 1994, BGBl. Nr. 550 und ihre Betrauung mit Angelegenheiten der Versetzung und Verwendungsänderung von Beamten wird in den Bezug habenden Gesetzes­materialien (1577 BlgNR 18. GP, 159) wie folgt begründet:

 

"Eine rasche Entscheidungsfindung bei vom Dienstgeber beabsichtigten Mobilitäts­maßnahmen unter voller Wahrung der Rechtsschutzinteressen der davon betroffe­nen Dienstnehmer liegt im beiderseitigen Interesse sowohl des Dienstnehmers als auch des Dienstgebers."

 

Eine entsprechende Motivation ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien zur 1. BDG-Novelle 1997 BGBl. I Nr. 61, mit der der Berufungskommission Zuständig­keiten im Bereich des Disziplinarrechtes übertragen wurden (vgl. 631 Blg NR 20. GP, 59).

 

Die Einrichtung der Berufungskommission bzw. die Übertragung von Zuständigkeiten im Disziplinarbereich an diese war wesentlich dadurch motiviert, dass die zuvor herr­schende Situation, wonach die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund seiner insbesondere durch einen starken Anstieg der Beschwerdefälle im Be­reich des Fremdenrechtes bedingten Überlastung oft erst nach geraumer Zeit ergan­gen ist, als unbefriedigend empfunden wurde. Dies war im Bereich der Versetzungen und Verwendungsänderungen von Beamten im Falle einer Bescheidaufhebung deshalb besonders problematisch, weil jene Arbeitsplätze, von denen die Beschwerdeführer durch einen später vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Bescheid abberufen worden waren, zwischenzeitig auf Dauer an andere Beamte vergeben, bzw. als Folge von Organisationsänderungen bereits aufgelöst worden waren. Im Bereich des Diszipli­narrechtes hatte die Aufhebung von Einleitungs- oder Verhandlungsbeschlüssen zur Konsequenz, dass das gesamte zwischenzeitig durchgeführte Disziplinarverfahren wiederum obsolet wurde. Eine besondere Beschleunigung des Verfahrens bei gleichzeitiger Wahrung der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung war in diesen ihrem Wesen nach besonders dringlichen Materien daher geboten.

 

Diesen Anforderungen ist die Berufungskommission in jeder Hinsicht gerecht gewor­den. Wie die statistischen Daten zeigen, können von ihr nahezu alle Verfahren inner­halb der dreimonatigen Entscheidungsfrist des § 41 Abs. 5 BDG 1979 abgeschlos­sen werden.

 

Die richterlichen Mitglieder der Berufungskommission (derzeit drei Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes, ein Mitglied des Obersten Gerichtshofes und ein Senatspräsident des Oberlandesgerichtes) gewähr­leisten im Zusammenhalt mit der Berufserfahrung der anderen Senatsmitglieder aber auch die erforderliche hohe inhaltliche Qualität der Entscheidungen (welche allein die Ausschaltung der Anrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes zu rechtfertigen vermag), wobei auch die Interessen des Dienstgebers und der Dienst­nehmer durch die Besetzung des Senates mit einem Dienstgeber- sowie einem Dienstnehmervertreter ausgewogen Berücksichtigung finden. Dies lässt sich statis­tisch auch damit belegen, dass Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B-VG sehr selten erhoben werden und gegebenenfalls nur in einer ver­nachlässigbaren Anzahl für den Beschwerdeführer erfolgreich waren.

 

Zum status quo kann daher generell gesagt werden, dass eine bestandskräftige Be­rufungsentscheidung innerhalb einer Frist von drei Monaten vorliegt.

 

Bei Umsetzung des Entwurfes, also der Übertragung der diesbezüglichen Zuständig­keiten an die Verwaltungsgerichte, würde folgender Rechtszug offen stehen:

 

Entscheidung der Verwaltungsbehörde

Beschwerde an das Verwaltungsgericht; dagegen

Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und – sei es parallel oder sukzessiv –

Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof

 

Dass dies gegenüber dem derzeitigen Zustand zu einer wesentlichen Verlängerung der Verfahrensdauer führen würde, liegt auf der Hand. Die Ursachen sind mannigfach:

 

1./ Es erscheint schon zweifelhaft, ob die Ressourcen der zuständigen Verwaltungs­gerichte diesen die Einhaltung der derzeit für die Berufungskommission geltenden dreimonatigen Entscheidungsfrist ermöglichen werden.

 

2./ Eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes zur meritorischen Entscheidung ist verfassungsrechtlich nur in relativ eng umschriebenen Fällen vorgesehen (vgl.              Art. 130 Abs. 4 B-VG). Es ist daher bei Übertragung der Zuständigkeiten an das Verwaltungsgericht vermehrt mit kassatorischen Entscheidungen zu rechnen (die der Berufungskommission derzeit eingeräumte Möglichkeit kassatorisch zu entscheiden, ist nach § 66 Abs. 2 AVG demgegenüber sehr eingeschränkt).

 

3./ Es ist anzunehmen, dass es (im Vergleich zur - zu vernachlässigenden - Zahl der Aufhebungen von Entscheidungen der Berufungskommission durch den Ver­fassungsgerichtshof) vermehrt zu Aufhebungen der Entscheidungen der Verwal­tungsgerichte durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in diesen Angelegen­heiten kommen wird. Dies folgt aus der nun wiederum vorgesehenen „Feinprüfung“ der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte durch den Verwaltungsgerichtshof. Schließlich sollte in diesem Zusammenhang aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich die voraussichtlich zur Entscheidung in den genannten Materien zuständigen Fachsenate der Verwaltungsgerichte von den Senaten der Berufungskommission insbesondere dadurch unterscheiden werden, dass keine (auf die zu vollziehende Materie spezialisierten und entsprechend erfahrenen) Mit­glieder von Höchstgerichten als Vorsitzende zur Verfügung stehen werden; vielmehr werden die Entscheidungen häufig durch Mitglieder erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte als Einzelrichter, wenn nicht sogar durch Rechtspfleger (vgl. Art. 135a B-VG in der Fassung des Entwurfs), getroffen werden. Es ist daher zweifelhaft, ob der Qualitätsstandard der Ent­scheidungen der Berufungskommission in allen Fällen durch die Verwaltungsgerichte gehalten werden kann.

 

4./ Jedenfalls wird aber auch wieder die Verfahrensdauer vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts (welche wohl in den meisten Fällen im Wege der Sukzessivbe­schwerde nacheinander tätig werden) in den genannten Materien eine bedeutende Rolle spielen. 

 

Es wird – selbst bei Gelingen der Reform im Sinne einer optimalen Verkürzung der Verfahrensdauer in allen drei Gerichtsebenen - mit einer definitiven Entscheidung innerhalb eines Jahres wohl keinesfalls zu rechnen sein. Dies führt jedoch zum Wiederauftreten ge­nau jener Probleme, die den Verfassungsgesetzgeber seinerzeit zur Einrichtung der Berufungskommission bewogen haben.

 

Aus diesen Erwägungen wird – im Hinblick auf die besondere Dringlichkeit der von ihr zu behandelnden Angelegenheiten – angeregt, die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt als Ausnahme in ihrer bisherigen Form aufrechtzuerhalten.

 

Sollte das Begutachtungsverfahren aber ergeben, dass sich die – ausnahmsweise – Beibehaltung auch anderer, bisher nach Art. 133 Z. 4 B-VG eingerichteter Behörden als zweckmäßig erweist, so wird angeregt, die Berufungskommission in die dann wohl im B-VG zu treffenden (dem bisherigen Art. 133 Z. 4 B-VG inhaltlich entsprechenden) Regelungen für diese bei­zubehaltenden Behörden mit einzubeziehen.

 

 

Wien, am 26. März  2010

der Vorsitzende der

Berufungskommission beim Bundeskanzleramt

Dr. Heinrich Zens eh.