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Das Präsidium des Verwaltungsgerichtshofes darf seine Stellungnahme zum Entwurf einer Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2010 übermitteln.
Wien,am 31. März 2010
Der Präsident:
JABLONER
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VERWALTUNGSGERICHTSHOF |
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A-1014 Wien, Judenplatz 11 |
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PRÄSIDIUM |
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An das
Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst
Ballhausplatz 2
1014 Wien
e-Mail: v@bka.gv.at
Das Präsidium des Verwaltungsgerichtshofes nimmt zu dem mit Schreiben vom 12. Februar 2010 übermittelten Entwurf einer Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2010 wie folgt Stellung:
Der Verwaltungsgerichtshof dankt für die Übermittlung des Entwurfs und begrüßt ausdrücklich und uneingeschränkt den damit gesetzten Schritt, die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu realisieren.
Die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit steht nun seit Jahrzehnten in verfassungspolitischer und rechtswissenschaftlicher Diskussion. Die Komplexität des Vorhabens bringt es mit sich, dass der Diskussionsprozess beliebig lang weiterdauern könnte. Der VwGH ist indessen der Auffassung, dass keine neuerliche Runde der intellektuellen Auseinandersetzung eingeläutet werden sollte. Vielmehr sollte alle Energie für den verfassungspolitischen Sprung in die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgespart werden.
In diesem Sinn nimmt das Präsidium des VwGH im Folgenden nur zu vier verfassungspolitischen Themen Stellung:
1. Die Reform steht und fällt damit, dass die Rolle des Verwaltungsgerichtes erster Instanz als grundsätzlich in der Sache selbst entscheidende Instanz und des VwGH als grundsätzlich kassatorischer Prüfungsinstanz möglichst akzentuiert wird. Es wird nicht verkannt, dass die vorliegende Eingrenzung der reformatorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz das Ergebnis eines austarierten Willensbildungsprozesses ist. Demnach soll das Verwaltungsgericht nur dann in der Sache selbst entscheiden, wenn damit eine "erhebliche Kostenersparnis" (Art. 130 Abs. 4 Z. 2 B-VG Entwurf) verbunden ist. Es könnte zweifelhaft sein, ob damit das Verhältnis von Grundsatz (reformatorische Entscheidung) und Ausnahme (bloße Kassation) in ausreichender Weise zum Ausdruck gebracht wird. Es wird daher angeregt, folgende Formulierung des Art. 130 Abs. 4 Z. 2 zu erwägen: "die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde die Erledigung verzögern oder einen erheblichen Mehraufwand verursachen würde."
2. Art. 133 Abs. 1 Z. 2 B-VG Entwurf sieht vor, dass der VwGH "über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein Verwaltungsgericht" entscheidet. Die dem gegenwärtigen Art. 132 B-VG entsprechende Formulierung legt es nahe, darin ein System zu sehen, bei dem der VwGH letztlich an Stelle des säumigen Verwaltungsgerichts in der Sache selbst entscheiden soll. Gegen die Übernahme dieses Instituts in das neue System bestehen Bedenken: Die Säumnisbeschwerde stellt ein österreichisches Spezifikum des Rechtsschutzes gegen Säumnis dar. Sie hat sich in Fällen der Säumnis der Verwaltung auch im Großen und Ganzen als taugliches Mittel bewährt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die hierarchisch gegliederte Verwaltung - in der weit überwiegenden Zahl der Fälle - den Verlust ihrer Zuständigkeit (und damit der Befugnis, den Fall in Ansehung der Beweiswürdigung und der Ermessensübung autonom zu entscheiden) auch dank der dort jederzeit möglichen Konzentration personeller Ressourcen auf den betroffenen Fall durch rechtzeitige Bescheidnachholung vermeiden wollte und auch konnte. Nach dem Konzept des Art. 132 B-VG ist die Säumnisbeschwerde ein Notbehelf zur Sicherung des Rechtsschutzes, der dann zum Einsatz kommen kann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde im Einzelfall ihrer Verpflichtung nicht nachkommt oder allenfalls in besonderen Fällen auch nicht nachkommen will. Es ist zu betonen, dass der tatsächlich schlagende Fall der Übergang der Zuständigkeit zur Sachentscheidung auf den VwGH unweigerlich mit einer weiteren Verzögerung des Verfahrens verbunden ist, weil der VwGH für die meritorische Erledigung von Verwaltungssachen weder personell noch organisatorisch eingerichtet ist und - schon aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit - auch nicht eingerichtet werden sollte.
Beim Zusammenspiel zweier gerichtlicher Instanzen, die noch dazu überwiegend von verschiedenen juristischen Personen getragen werden, kann sich die Säumnisbeschwerde hingegen leicht zu einem Automatismus entwickeln. Selbst wenn man von den Fällen absieht, in denen sich die Säumnis eines Verwaltungsgerichts daraus ergibt, dass es einer Auffassung des VwGH nicht nachkommen will, kann es als Folge von Einsparungsmaßnahmen dazu kommen, dass einzelne Verwaltungsgerichte überlastet und daher in einer größeren Anzahl von Fällen säumig werden. Bestünde in derartigen Situationen eine Säumnisbeschwerde an den VwGH nach derzeitigem Muster, würde dies automatisch und rasch zum Übergang der Entscheidungsbefugnis auf den VwGH führen und damit die Überlastungssituation vom Verwaltungsgericht auf den VwGH verlagert.
Aus guten Gründen gibt es eine Säumnisbeschwerde im Bereich der ordentlichen Justiz (zwischen Gerichten) nicht. Demgegenüber wurde dort mit dem freilich nicht an das Verschulden von Richtern anknüpfenden Antrag auf Fristsetzung gemäß § 91 GOG durch das höhere in Ausübung der Staatsfunktion Gerichtsbarkeit handelnde Gericht an das untergeordnete Gericht das Auslangen gefunden. Entsprechendes ist auch nach den Ergebnissen des Ausschusses 9 des Verfassungskonvents für das Verhältnis zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und künftigen Verwaltungsgerichten erster Instanz vorgesehen.
Das hier angesprochene Problem sollte nicht unterschätzt werden:
Schlagend werdende Säumnisbeschwerden können zumal gehäuft zu einem "Riesenproblem" für den VwGH werden. Zu erwähnen ist vor allem das Anlagenrecht und hier wieder insbesondere die "konzentrierten Genehmigungsverfahren" z.B. nach dem UVP-G oder nach dem AWG mit einer Vielzahl von Parteien und der Notwendigkeit, eine Fülle von Gutachten einzuholen, wofür es dem VwGH an der erforderlichen Ausstattung fehlt. Auch die Kosten können enorm werden. So beliefen sich die Gebühren für einen einzigen Sachverständigen im Verfahren 97/07/0054 auf über S 700.000,--.
Der VwGH schlägt vor, den Verfassungstext wie folgt zu formulieren:
"() Der nach Art. 136 Abs. 2 letzter Satz zuständige Gesetzgeber hat zu bestimmen, auf welche Weise der Verwaltungsgerichtshof über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte zu entscheiden hat."
In die EB sollte ein Hinweis aufgenommen werden, dass mit "Weise" die Frage gemeint ist, ob die Pflicht zur Entscheidung in der Sache selbst auf den VwGH übergeht, ob sich der VwGH mit einer bloßen Fristsetzung nach dem Muster des § 91 GOG begnügen kann oder wie sonst der Säumigkeit des VG zu begegnen ist.
Eine Möglichkeit bestünde auch darin, in den EB klarzustellen, dass mit der Formulierung "Der VwGH erkennt über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein VG" keine Entscheidung darüber getroffen werden soll, ob der VwGH in der Sache selbst zu entscheiden hat, ob er sich mit einer bloßen Fristsetzung begnügen kann oder wie sonst der Säumigkeit des VG zu begegnen ist, sondern dass es Sache des für das VwGG zuständigen Gesetzgebers ist, dies zu entscheiden.
Damit wäre zumindest erreicht, dass eine Fixierung der Verfassung auf einen Übergang der Entscheidung in der Sache selbst auf den VwGH vermieden wird. Beim derzeitigen Stand der Dinge ist zwar anzunehmen, dass der einfache Gesetzgeber das geltende Modell der Säumnisbeschwerde fortschreiben wird. Zeigt sich dann aber, dass die Verwaltungsgerichte häufiger säumig werden als bisher die Verwaltungsbehörden, lässt sich eine Korrektur einfacher bewerkstelligen als wenn das derzeitige Modell in der Verfassung verankert ist.
3. Der Entwurf sieht für die Zusammensetzung des VwGH das "Richterdrittel" und das "Länderviertel" nicht mehr vor. Das Präsidium des VwGH übersieht nicht die Intention des Bundeskanzleramtes, die Verwaltungsgerichte erster Instanz auf längere Sicht als Rekrutierungspotential für den VwGH anzusehen. Der VwGH ist jedoch der Auffassung, dass eine solche Personalstrategie erst nach der Konsolidierung des neuen Systems und mithin erst in etlichen Jahren gegeben sein wird. Bis dahin wird der VwGH auch weiterhin Mitglieder aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit und aus dem Verwaltungsdienst der Länder benötigen. Es trifft schon zu, dass angesichts der unveränderten Personalhoheit der Vollversammlung des VwGH die genannten Vorkehrungen bis zu einem gewissen Grad symbolischer Natur sind, insoweit haben sie aber eine Bedeutung im Sinne einer Selbstbindung nicht nur der vorschlagenden Vollversammlung des VwGH, sondern auch der letztlich ernennenden Organe Bundespräsident und Bundesregierung.
4. Der Entwurf sieht nun vor, dass der Präsident die Diensthoheit gegenüber den beim Verwaltungsgerichtshof Bediensteten ausübt (Art. 134 Abs. 8 B-VG Entwurf). Diese Klarstellung ist zu begrüßen, doch wird die Bezugnahme auf die "Diensthoheit" der rechtlich gegebenen Stellung des Präsidenten nicht gerecht. Zu den Zuständigkeiten des Präsidenten gehören nämlich u.a. Akte wie die Erlassung von Verordnungen oder Akte der Haushaltsleitung. Es wäre daher zweckmäßig die Stellung des Präsidenten nach dem Muster des Art. 30 Abs. 6 B-VG zu regeln. Da zur Diensthoheit des Präsidenten andererseits nicht die Ausübung der einfachgesetzlich der Vollversammlung übertragenen Disziplinar- und Dienstgerichtsbarkeit gehört, wäre ein Hinweis in den Erläuterungen sinnvoll, dass diesbezüglich keine Änderung eintreten soll.
5. Nach Ansicht des Präsidiums des VwGH sollte - über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus - die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit insgesamt im Auge behalten werden. Ein konsistentes Modell einer Garantie der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kann nur in einer ausnahmslosen Zuständigkeit des VwGH bestehen. Von daher kann die gegebene Situation der Ausnahme der Asylsachen von der Zuständigkeit des VwGH bloß einen transitorischen Charakter haben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der andauernden Überlastung des VwGH und der Kulisse drohender Kürzungen von personellen und sachlichen Ressourcen ist eine Rückübertragung der Asylsachen auf den VwGH freilich unrealistisch.
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Die elektronische Übermittlung dieser Stellungnahme an das Parlament erfolgt u.e.
Wien,am 31. März 2010
Der Präsident:
JABLONER