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LANDesagrarsenat beim |
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Fachabteilung 10A An das Bundeskanzleramt – Verfassungsdienst Ballhausplatz 2 1014 Wien
per E-Mail |
Bearbeiter: Bei Antwortschreiben bitte |
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GZ: |
FA10A-10Bo1/2010-94 |
Bezug: |
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Graz, am 06. April 2010 |
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Ggst.: |
Begutachtungsentwurf; Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf der Verwaltungsgerichtsbarkeits- Novelle 2010 (BKA-601.999/0001-V/1/2010). |
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Im Hinblick auf den Vollzug des Bodenreformrechts darf zum gegenständlichen Begutachtungsentwurf folgendes bemerkt werden:
Mit dem Entfall des Artikel 12 Abs 2 B-VG entfällt auch die verfassungsgesetzliche Anordnung zur Einrichtung der Sonderbehörden und zur Erlassung des Sonderverfahrensrechtes für Bodenreformangelegenheiten. Ein bundesgesetzlich einheitliches Verfahrensrecht ist bei materiellem Zivilrecht ebenso wünschenswert, wie eine bundesweit einheitliche Organisation des damit befassten Spruchkörpers um im Hinblick auf das grundrechtlich geschützte Eigentum bundesweit einen einheitlicher Vollzug zu ermöglichen. Für die Organisation der Verwaltungsgerichte der Länder sieht Artikel 136 Abs 1 des Entwurfs jedoch die alleinige Zuständigkeit des Landesgesetzgebers vor.
Die von der Auflösung betroffenen Spruchkörper waren schon bisher als Tribunal nach Art 6 EMRK anerkannt (VwGH 21.02.2008, 2006/07/0005); mit der Einführung der Landesverwaltungsgerichte kann daher in dieser Hinsicht keine Verbesserung mehr erreicht werden.
Die Landesagrarsenate und der Oberste Agrarsenat sind aber nicht nur Spruchkörper, sondern im Verhältnis zu den Agrarbezirksbehörden auch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des AVG, eine Funktion, die das Verwaltungsgericht nach dem Entwurf nicht wahrnehmen darf.
Mit dieser Funktion müssten dann in Bodenreformangelegenheiten unerfahrene Personen betraut werden. Nicht zu übersehen ist, dass die Geschäftsstelle des Landesagrarsenates auch an der Legistik im Bodenreformrecht mitwirkt und damit eher den Zweck des Bodenreformrechtes förderliche Textierungen gefunden werden können.
Was die Komplexität des Bodenreformrechts anlangt, liegt eine ihrer Natur nach komplexe Angelegenheit vor, in der sowohl die Interessen von Einzelpersonen als auch die der Gemeinschaft als Ganzes berührt werden (vgl Walder gg Österreich, Nr. 33.915/96, Z 30, 30. 1. 2001). Es ist daher zu erwarten, dass sowohl die legistische Qualität des Rechts als auch, mangels einer „erfahrenen“ sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde die Qualität und Einheitlichkeit der verwaltungsbehördlichen Bescheide leiden könnte. Der vorliegende Begutachtungsentwurf orientiert sich folglich eher nicht am Ziel einer guten Planung und Gestaltung des öffentlichen Zusammenlebens nach der demokratischen Willensbildung durch die Verwaltung, sondern versucht die Mittel der Verwaltung nahezu ausnahms-los auf eine einzige unterste Rechtsstufe einzuschränken, denn die für die Verwaltungsebene bedeutende Vollziehung muß dann durch die außerhalb der Verwaltung stehende Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgenommen werden.
Wie bereits zum Entwurf der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt, Stand 11. März 2008 bemerkt, darf vorgeschlagen werden, die verfassungsgesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, den Landesagrarsenat ohne Schmälerung der Kompetenzen bloß organisatorisch den geplanten Landesverwaltungsgerichten einzuordnen. Als Vorbild für die Einrichtung reformatorisch in Bodenreformangelegenheiten entscheidender Behörden könnten die gesetzlichen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland zur Einrichtung der Flurbereinigungsgerichte dienen. Dabei hätte ein Verwaltungsgericht ausnahmsweise in Schadenersatzangelegenheiten gemäß § 10 Abs 5 bis 7 Flurverfassungsgrundsatzgesetz, BGBl 1951/103 idF BGBl I 2005/87 in erster Instanz tätig zu werden. Entgegen der Anordnung des Art 130 Abs 3 des Entwurfs wäre eine Ermessenskontrolle einzuräumen, die sich auch auf den Abwägungsvorgang und auf das Abwägungsergebnis der Planung bzw Neuordnung bezieht, um sachbezogen den Rechtschutz für die Betroffenen und die durch das Verfahren berührten öffentlichen Interessen, wie bisher, wahren zu können.
Allgemein darf bemerkt werden, dass im Gegensatz zur Gerichtsbarkeit mit dem Zweck der endgültigen Entscheidung eines unter mehreren Personen auszutragenden Rechtsstreits sowie die Verwirklichung des Strafanspruchs des Staates (Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht ³ 4) Verwaltungshandeln bisher durch weisungsgebundene Organe vorgenommen wurde.
Art 6 der EMRK begründet die Entscheidungspflicht eines unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gerichtes über eine strafrechtliche Anklage und über zivilrechtliche Ansprüche. Nach der Rechtssprechung der Straßburger Instanzen liegen solche civil rights aber nicht in Staatsbürgerschafts- und Fremdenrechtsangelegenheiten sowie beispielsweise bei der Entscheidung über die Eintragung eines Patents, bei einem Disziplinarverfahren betreffend den öffentlichen Dienst, usw vor. Erst und nur durch die Weisung ist es den Obersten Organen der Verwaltung möglich die generell abstrakten Ergebnisse der demokratischen Willensbildung umzusetzen, also zu vollziehen, in dem das gesellschaftliche Zusammenleben konkret geplant und gestaltet wird.
Eine allgemeine Zuständigkeit eines unabhängigen und unparteiischen Gerichtes zur Entscheidung über Verwaltungsangelegenheiten in der Sache wie sie nach dem gegenständlichen Entwurf eingeführt werden soll, ist daher nicht zur Erfüllung der Anforderungen nach der EMRK erforderlich und steht im Widerspruch zu effektiven Verwaltungshandeln. Eine Unterwerfung des gesamten verwaltungsbehördlichen Handelns unter ein weisungsungebundenes Gericht ist aus Sicht der Verwaltung weder gefordert noch wünschenswert.
Zur Vereinheitlichung des Verwaltungsweges und zur Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes könnte daher überleget werden, nach einer Ausgestaltung der unabhängigen Verwaltungssenate mit den für die Landesverwaltungsgerichte vorgesehenen Garantien bloß einen beschränkten Zugang zum Verwaltungsgerichtshof zu eröffnen.
In einem wir die Stellungnahme auch dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.
Für den
Landesagrarsenat:
Der Vorsitzende:
Unterschrift am Original im Akt
Dr. Roland GÜNTHER eh.