Zl. 12-REP-43.00/10 Af/Ht

 

HAUPTVERBAND DER ÖSTERREICHISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER

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                                                                                                    Wien, 10. August 2010

An das                                                                                                                   Per E-Mail
Bundesministerium für Arbeit,
Soziales und Konsumentenschutz


An das                                                                                                                   Per E-Mail
Bundesministerium für
Gesundheit

An das
Präsidium des Nationalrats                                                                            Per E-Mail

Betr.:     Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz

Bezug:  Ihr E-Mail vom 14. Juli 2010,
GZ: BMASK-462.203/0003-VII/B/9/2010

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger nimmt wie folgt Stellung:

Das gegenständliche Gesetzesvorhaben insgesamt und insbesondere die in Art. 4 vorgesehenen Regelungen zu den §§ 31 Abs. 5 Z 35 und 625 Abs. 12 Z 4 ASVG werden ausdrücklich begrüßt.

Wir erwarten uns von einer Umsetzung vor allem die Sicherstellung gleicher Lohnbedingungen für in- und ausländische Arbeitskräfte in Österreich, damit verbunden die Verhinderung eines Verdrängungswettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt und daraus resultierend eine stabile und ertragreichere Beitragseinnahmensituation für die Sozialversicherung.

In der Vergangenheit ist es bedauerlicher Weise mehrfach zur Übertragung von – krankenversicherungsfremden - Aufgaben durch den Bundesgesetzgeber an die Krankenversicherungsträger gekommen, ohne dass gleichzeitig für eine ausreichende finanzielle Bedeckung gesorgt worden wäre (z. B. das Wochengeld, die Neuregelung der Spitalsfinanzierung ab 2001, die Neuregelung der Beiträge in der Krankenversicherung der Arbeitslosen).

Umso erfreulicher ist daher die Tatsache, dass nunmehr – offenbar aufgrund der anhaltenden Kritik der Träger und der verfassungsrechtlichen Aufarbeitung dieser Problematik durch die Rechtswissenschaft (insbesondere Rebhahn, Mayer und davor bereits Brünner/Hauser) – ein 100%iger Ersatz des Mehraufwands durch den Bund vorgesehen ist.

Das mit dem Entwurf verfolgte Ziel lässt auch im Bereich der Arbeitssicherheit positive Auswirkungen erwarten. Nach den Erfahrungen der Unfallverhütungsdienste der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt stehen nämlich insbesondere schlecht entlohnte Arbeitnehmer unter hohem Druck, oftmals auch unter Akkorddruck, sodass in diesem Beschäftigtensegment Verletzungen, Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Gesundheitsschäden mit größerer Wahrscheinlichkeit auftreten.

Dazu kommt, dass Arbeitnehmer, denen schon auf finanzieller Ebene eine extrem geringe Wertschätzung vermittelt wird, oftmals keine ausreichende Unterweisung und Information über die spezifischen Gefahren bei ihrer Arbeit und über deren Vermeidung erhalten. Das mag auch damit zusammenhängen, dass unterentlohnte Arbeitskräfte nach einem Unfall oder einer arbeitsbedingten Erkrankung relativ leicht ersetzbar sind, während für die Heilbehandlung und gegebenenfalls Rehabilitation die Sozialversicherung aufzukommen hat. Den Erläuterungen zum Entwurf ist dahin beizupflichten, dass die so Benachteiligten ihre Ansprüche nur selten arbeitsrechtlich geltend machen.

Zu den einzelnen Bestimmungen ist im Detail Folgendes auszuführen:

Zu Art. 1 - § 7b Abs. 5 AVRAG

Der Entwurf sieht einen Ersatz des „Sozialversicherungsdokumentes E 101 nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71“ durch das „Sozialversicherungsdokument PD A 1 nach der Verordnung (EG) Nr. 883/04“ vor.

Wir schlagen vor, beide Verordnungen und Formblätter anzuführen, da die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 für Übergangsfälle (maximal 10 Jahre), für die Staaten des EWR-Raumes (Liechtenstein, Norwegen, Island) und die Schweiz sowie in Fällen der Drittstaatsangehörigkeit weiter in Geltung ist.

Zu Art. 1 - §§ 7d, 7e Abs. 1, 7f Abs. 3, 7g Abs. 1, 7h Abs. 3 AVRAG

Im Zusammenhang mit dem angeführten „zustehenden niedrigsten Grundgehaltes“ bzw. „zustehenden Mindestentgeltes“ ist weiters die Thematik des „Anspruchslohnes“ bzw. der zivilrechtlichen Verjährung und des zivilrechtlichen Verfalles anzusprechen.

Nach § 49 ASVG sind als Entgelt alle Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst-(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder einem Dritten erhält.

Dabei ist nicht lediglich das tatsächlich gezahlte Entgelt maßgebend, sondern, wenn es das tatsächliche Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestand. Der Beitragsvorschreibung ist daher in diesem Fall der nach dem Kollektivvertrag gebührende Lohn zugrunde zu legen. § 44 Abs. 1 ASVG und § 49 Abs. 1 ASVG stellen für den Fall des Zurückbleibens des tatsächlichen gezahlten Entgelts hinter jenem, worauf Anspruch besteht, auf den „Anspruchslohn“ ab. Ob aber ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen (vgl. Teschner–Widlar–Pöltner, ASVG, Anmerkung 1a zu § 49 ASVG).

Durch das „Anspruchslohnprinzip“ soll laut VwGH das abwegige Resultat vermieden werden, dass der Dienstgeber, der dem Dienstnehmer in vertragswidriger Weise den Lohn vorenthält oder schmälert, umso geringere Sozialversicherungsbeiträge zu leisten verpflichtet wäre, je schwerwiegender die Vertragswidrigkeit ist, die er sich gegenüber dem Dienstnehmer zuschulden kommen lässt. In denselbem Verhältnis, in dem der Dienstgeber hierdurch wirtschaftliche Vorteile erlangt, würden die dem Dienstnehmer zustehende Geldleistungen aus der Sozialversicherung geschmälert werden, so dass der Dienstnehmer infolge Verschuldens des Dienstgeber über den Lohnentgang hinaus auch noch den Entfall an Sozialversicherungsleistungen zu tragen hätte (vgl. Marhold in Schrammel, Versicherungs- und Beitragspflicht in der Sozialversicherung, Seite 61,m.w.N.).

Auf Grund des „Anspruchslohnprinzips“ sind daher zivilrechtliche Verjährungs- und Verfallsfristen für die Feststellung des Entgelts im Sinne des ASVG unbeachtlich.

Es stellt sich die Frage, ob bei Feststellung des zustehenden niedrigsten Grundgehaltes oder des zustehenden Mindestentgelts zivilrechtliche Verjährungs- und Verfallsfristen beachtlich sind.

Zu Art. 1 - § 7f AVRAG

Der Begriff „Dienstleistungszentrum“ ist aus unserer Sicht ungünstig, da bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) unter dieser Bezeichnung bereits ein Dienstleistungszentrum für die Auftraggeberhaftung (§ 67c ASVG) eingerichtet ist. Zur Vermeidung unnötigen administrativen Mehraufwands wäre ein anderer Begriff (z. B. „Kompetenzzentrum - LSB“) sinnvoll. Dies würde eine Zuordnung von Schriftstücken, die Weiterverbindung eingehender Telefonate etc. erheblich erleichtern.

In Abs. 1 Z 4 müsste anstelle des hinsichtlich der Auskunftserteilung angeführten Verweises auf „§ 7f“ richtigerweise „§ 7l Abs. 3“ angeführt werden.

Weiters wäre aus unserer Sicht zumindest in den Erläuterungen klarzustellen, dass als „Aufwendungen des Dienstleistungszentrums“ auch der gesamte mit dessen Planung und Errichtung verbundene Aufwand anzusehen ist.

Zu Art. 1 - §§ 7f Abs. 3, 7g Abs. 1 und 7h Abs. 3 AVRAG

Das Dienstleistungszentrum sowie die Krankenversicherungsträger sind unter anderem verpflichtet Verwaltungsstrafanzeige zu erstatten, wenn das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt „erheblich“ unterschritten wird.

Der Begriff „erheblich“ ist weder im Gesetzestext noch in den Erläuterungen hinreichend determiniert.

Es wäre daher zumindest in den Erläuterungen näher auszuführen, was der Gesetzgeber unter „erheblich“ versteht.

Zu Art. 1 - § 7g AVRAG

Die Regelung stellt offenkundig auf die Tätigkeiten der Krankenversicherungsträger im Rahmen der gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) nach den §§ 41a und 42 ASVG ab.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass auf die Gebietskrankenkassen durch das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz im Zusammenhang mit der GPLA Aufgaben zukommen, welche die bereits vorhandenen Prüffelder erweitern. Dies insbesondere dann, wenn sich auf Grund von Stichproben Hinweise ergeben, dass Verwaltungsübertretungen im Sinne des § 7h Abs. 3 vorliegen. Um den Sachverhalt so zu ermitteln, dass eine Verwaltungsstrafanzeige pro betroffenem Arbeitnehmer (§ 7h Abs. 6) erstattet werden kann, ist die Prüfungshandlung entsprechend auszudehnen.

Durch dieses Erfordernis werden die im Rahmen der GPLA tätigen Prüfer mehr Zeit pro betroffenen Dienstgeber aufwenden müssen. Dadurch würden weniger Prüfungen pro Jahr und Prüfer durchgeführt werden. Um einen Rückgang der Prüfergebnisse zu verhindern, wird mit einer Personalaufstockung gegenzusteuern sein.

Weiters ist in Abs. 1 der zweite mit „dass“ eingeleitete Satzteil (dritte Zeile) offenbar unvollständig und daher nicht verständlich.

Um effi­ziente Überprüfungen zu gewährleisten wird angeregt, die Krankenversicherungsträger im Rahmen ihrer Tätigkeit zusätzlich zu der in Abs. 2 normierten Berechtigung mit den im § 7e Abs. 2 Z 1 und 2 angeführten Befugnissen auszustatten.

Zusätzlich sollte normiert werden, dass neben dem Recht auf Einsichtnahme dem Arbeitgeber auch die Übermittlung von relevanten Unterlagen aufgetragen werden kann.

Zu Art. 1 - § 7h AVRAG

In Abs. 1 wird lediglich ein Verstoß gegen § 7e Abs. 2, nicht hingegen ein Verstoß gegen § 7g Abs. 2 unter Strafe gestellt. Es wird angeregt, diese Bestimmung entsprechend zu ergänzen.

In Abs. 9 wäre aufgrund der Tatsache, dass entsandte oder überlassene Arbeitnehmer meist an mehreren Arbeits- bzw. Einsatzorten tätig sind, auch für diese Fälle eine eindeutige Zuständigkeitsregelung zu treffen (z. B. analog zu § 7d).

Zu Art. 1 - § 7i AVRAG

Der Beschluss des für die Beurteilung der Frage der Erheblichkeit der Unterentlohnung einzurichtenden Unterausschusses hat einstimmig zu erfolgen. Es stellt sich die Frage wie die Bezirksverwaltungsbehörden vorgehen sollen, wenn mangels Einstimmigkeit im Unterausschuss kein Beschluss gefasst werden kann. Vermutlich werden gerade diese Fälle arbeitsrechtlich komplexer sein.

Zu Art. 1 - § 7k AVRAG

Es wäre festzulegen, wie mit einem eingehobenen Betrag als vorläufige Sicherheitsleistung weiter zu verfahren ist bzw. auf welche Strafen, Festsetzungen, Verurteilungen etc. dieser in weiterer Folge anzurechnen ist.

Zu Art. 1 - § 7l AVRAG

In Abs. 1 wäre auch zu regeln, welche Daten in der genannten Verwaltungsstrafevidenz zu speichern sind (vgl. z. B. die Bestimmung des § 28b AuslBG) und unter welchen Voraussetzungen bzw. nach welcher Frist Eintragungen zu löschen sind.

Aus verwaltungsökonomischen Gründen wäre es sinnvoll, den Bezirksverwaltungsbehörden und den Krankenversicherungsträgern einen Zugriff auf die zentrale Verwaltungsstrafevidenz zu ermöglichen.

Zu Art. 1 - § 7m AVRAG

In Abs. 3 wäre in Analogie zu Abs. 1 auch die Befriedigung nicht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge bzw. gesetzlicher lohnabhängiger Abgaben vorzusehen.

In Abs. 5 wird angeregt den zweiten Satz wie folgt zu ergänzen: „Der Betrag nach Abs. 1 fließt ihnen jeweils als Aufwandersatz zu.“

Mit freundlichen Grüßen
Für den Hauptverband: