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An das Bundesministerium für Verkehr, Innovation u. Technologie
Radetzkystr. 2 1030 Wien
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Dr. Katharina Günther und Vorstandssekretariat
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per E-Mail: st7@bmvit.gv.at cc begutachtungsverfahren@parlament.gv.at
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BMVIT-244.017/0024-II/ST7/2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu der im Betreff näher bezeichneten Angelegenheit ergeht folgende Stellungnahme des ÖBB-Konzerns:
1. Allgemeines
Der vorgeschlagene Gesetzesentwurf schießt weit über das Ziel hinaus, eine Konformität mit der EU-Verordnung 1370/2007 (in der Folge kurz PSO) zu erreichen. Der übermittelte Entwurf würde zu einem radikalen Systemwandel im ÖPNV führen, der von der PSO überhaupt nicht verlangt wird. Mit dem vorliegenden Entwurf kommt es zwangsläufig zu einem reinen Ausschreibungswettbewerb. Den Busunternehmen wird dadurch jede Initiative und Gestaltungsmöglichkeit genommen.
Die in der PSO verankerte Wahlfreiheit des Bestellers zwischen Ausschreibung und allgemeiner Vorschrift wird zwar in den EB grundsätzlich angeführt, durch die Formulierung im Gesetzestext jedoch praktisch unmöglich gemacht.
Sollten das ÖPNRV-G und das Kraftfahrliniengesetz tatsächlich, wie im Entwurf vorgesehen, in Kraft treten, stellt dies eine Entscheidung des Bundes dar, das in seinem mittelbaren Eigentum stehende Unternehmen ÖBB-Postbus GmbH vollständig zu entwerten. Die erhöhten Personalkosten für Beamte stellen bei der Ausschreibung bestehender Leistungen einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil dar. Bei Verlust der Verkehrsleistung können, im Gegensatz zu anderen Unternehmen, die betroffenen Mitarbeiter auch nicht gekündigt werden, wodurch dieser Wettbewerbsnachteil weiter wächst.
Der ÖBB-Konzern steht dem Thema Wettbewerb grundsätzlich offen gegenüber, dies aber nur unter fairen Bedingungen. Ohne Möglichkeit, den Wettbewerbsnachteil irgendwie zu kompensieren, kann die ÖBB-Postbus GmbH unter den Rahmenbedingungen der vorliegenden Gesetzesentwürfe am Markt nicht weiter bestehen.
Insbesondere der neue § 3 ÖPNRV-G in Verbindung mit dem neuen § 23 Abs. 2 KflG führt zu einer Entwertung der bestehenden Konzessionen. Jegliche Verkehrsleistung (ausgenommen die sehr seltenen kommerziellen Verkehre) könnte ohne Rücksicht auf die Existenz von (auch identen) Bestandsleistungen ausgeschrieben werden.
Jene Staaten, die als erste ein ÖPNV-Regime mit einem zentral organisierten Ausschreibungsmodell eingeführt haben (insbesondere Schweden) sind gerade dabei, wieder davon abzugehen und den Verkehrsunternehmen wieder mehr Verantwortung zu übertragen, weil der ÖPNV durch dieses Modell teurer und qualitativ schlechter wurde. Die Verkehrsunternehmen haben den direkten Kontakt zu den Fahrgästen und verfügen im Gegensatz zu aufgeblähten zentralisierten Ausschreibungsstellen über praktische Erfahrungen, Flexibilität und Ortskundigkeit. Warum diese Entwicklungen im Rahmen der vorliegenden Gesetzesentwürfe überhaupt keine Berücksichtigung finden, ist nicht nachvollziehbar.
In Deutschland ist der ÖPNV derzeit, so wie auch in Österreich, partnerschaftlich ausgerichtet. Die deutsche Bundesregierung will bei der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes aufgrund der genannten Erkenntnisse den Vorrang kommerzieller sowie durch allgemeine Vorschriften mitfinanzierter Verkehre weiterhin gewährleisten. Im Unterschied zu Österreich sieht man dort auch keinen Grund für eine überhastete Novellierung, sondern bereitet diese ohne Zeitdruck vor. Dieses Beispiel zeigt auch, dass ein Festhalten am bisherigen System PSO konform möglich ist.
Vollkommen unverständlich ist auch, dass die in eine solche Novelle unbedingt einzuarbeitenden Vorschriften über den Berufs- und Marktzugang auf europäischer Ebene im vorliegenden Entwurf nicht berücksichtigt sind.
Eine KflG-Reform zum jetzigen Zeitpunkt erscheint auch aufgrund des vor dem EuGH laufenden Vorabentscheidungsverfahrens (Yellow Cab) verfrüht, da dieses Urteil mit Sicherheit weitere Anpassungen notwendig machen wird. Auch die aufgrund des VfGH-Erkenntnisses zur finanziellen Leistungsfähigkeit von Unternehmen notwendigen Anpassungen fehlen im derzeitigen Entwurf.
Insgesamt kann man sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass die vorliegenden Novellierungsentwürfe zum KflG und ÖPNRV-G zwar zu einem punktuellen radikalen Systemwandel mit höchst negativen Folgen führen, ohne aber eine wirklich umfassende Reform zu bewirken und daher übereilt sind.
2. Besonderer Teil
Zu Z 11: § 7
Eine Novellierung des § 7 zum jetzigen Zeitpunkt erscheint angesichts des laufenden Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH (Yellow Cab) sinnlos, da in diesem Verfahren der Konkurrenzschutz der wesentliche Verfahrensgegenstand ist. Die Entscheidung des EuGH sollte daher jedenfalls abgewartet werden, um den § 7 nicht zweimal knapp hintereinander novellieren zu müssen.
Abgesehen davon weisen wir darauf hin, dass der § 7 Abs. 1 Z 4 lit. c in der Fassung des vorliegenden Entwurfs entfallen sollte, da er zu einer unsachgemäßen Differenzierung zwischen unternehmensinitiierten (kommerziellen und tarifgestützten Verkehren) und bestellten Verkehren führt. Bestellte Verkehre sind ohnehin auch bereits durch lit. b umfasst bzw. geschützt.
Zu Z 20: § 14
In Zusammenhang mit unseren Vorschlägen zu § 7 Abs. 1 Z 4 lit. c ist eine Änderung des § 14 entbehrlich.
Zu Z 21: § 15
Um das VwGH-Erkenntnis Zl. 2008/03/0083 und die PSO möglichst nahtlos in das KflG einzufügen, wäre es besser, nur § 15 abzuändern. Eine Anpassung des § 37 könnte dann sogar entfallen. Um alle Bestandteile des Spruchs kompakt darzustellen, wird folgender Text vorgeschlagen:
(1) Die Konzession zum Betrieb einer Kraftfahrlinie wird auf höchstens zehn Jahre, unter der Voraussetzung des Art 4 Abs 3 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 auf höchstens 15 Jahre erteilt. Die Konzession kann auf einen kürzeren Zeitraum erteilt werden, wenn ein zeitlich begrenztes oder nur vorübergehendes Verkehrsbedürfnis vorliegt.
(2) Zur Erreichung der in § 37 Abs 3 angeführten Ziele kann die Konzession nur insoweit für einen kürzeren Zeitraum erteilt werden, als die Ziele der Bundes- und Landesplanung in der gesetzlich dafür vorgesehenen Form konkret und ausführlich festgestellt wurden und die Konzessionslaufzeitverkürzung zur Erreichung dieser Ziele geeignet ist, beizutragen. Dabei sind jedoch die Interessen des Konzessionswerbers angemessen zu berücksichtigen.
Zu Z 26: § 23
Die neue Bestimmung § 23 Abs. 2 in Verbindung mit der Neuformulierung des § 3 ÖPNRV-G eröffnet dem Besteller die uneingeschränkte Möglichkeit, jegliche Verkehrsleistung auszuschreiben. Dass kommerzielle Verkehrsdienste nicht ausgeschrieben werden dürfen, stellt praktisch keine Einschränkung der Möglichkeit/Pflicht zur Ausschreibung dar, weil diese einen verschwindenden Anteil des Kraftfahrlinienverkehrs ausmachen. In Österreich gibt es kaum einen Linienverkehr, der vollkommen ohne Zahlungen aus der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt oder ohne Ausgleich von Ab- und Durchtarifierungsverlusten auskommt.
Damit kann fast jeder Linienverkehr ausgeschrieben werden, unabhängig davon, ob der Konzessionsinhaber dort einen Bestandsverkehr führt oder nicht. Bestehende Leistungen sind für die ÖBB-Postbus GmbH und andere Unternehmen auch bei aufrechter Konzession nicht mehr gesichert. Durch diese Unsicherheit werden Unternehmen in Zukunft kaum noch auf eigene Initiative Investitionen in Busse und Standorte vornehmen können, weil diese ja jederzeit durch eine Ausschreibung entwertet werden können.
Der ÖBB-Konzern hat aufgrund seiner Struktur als ehemaliges Bundesunternehmen bekannterweise einen hohen Anteil an unkündbaren Bundesbeamten und daher auch höhere Personalkosten. Dadurch entsteht im Vergabeverfahren ein Wettbewerbsnachteil. Ist im Busbereich die ÖBB-Postbus GmbH im Vergabeverfahren aufgrund dieses Nachteils nicht Bestbieter und verliert die Verkehrsleistung, sind die dort eingesetzten Beamten nicht wie bei anderen Verkehrsunternehmen kündbar, sondern müssen vom Unternehmen weiter bezahlt werden, auch wenn sie unter Umständen nicht einmal auf einer anderen Verkehrsleistung eingesetzt werden können. Dies wirkt sich auf die gesamte Kostenstruktur und die Chancen in weiteren Ausschreibungen negativ aus und führt so zu einer rapiden Abwärtsspirale. Berechnungen haben ergeben, dass der Impairmentbedarf durch die erwartete EBIT-Verschlechterung das Eigenkapital der ÖBB-Postbus GmbH bei weitem übersteigen würde.
Abgesehen von der damit gänzlich abgegebenen Verantwortung des Bundes für seine eigenen Beamten widerspricht diese Bestimmung, die in laufende Konzessionen eingreift, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz.
Die Bestimmung ist aber auch aus Sicht der PSO äußerst kritisch zu betrachten. Die dort verankerte Wahlmöglichkeit des Bestellers zwischen Ausschreibung und allgemeiner Vorschrift wird im Gesetzesentwurf völlig unzureichend behandelt. Sie wird in den EB zwar ganz beiläufig erwähnt, die Formulierung im Gesetzestext lässt aber überhaupt keinen Spielraum offen.
Dabei wäre die Allgemeine Vorschrift eine gute Möglichkeit, die Verteilung der Mittel aus der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt sowie die Abgeltung der Ab- und Durchtarifierungsverluste in Verkehrsverbünden rechtssicher zu gestalten.
Abschließend sei zu diesem Punkt noch angemerkt, dass der neue § 23 Abs. 5 unverständlich ist.
Aus diesen Gründen schlagen wir daher folgenden Text für § 23 KflG vor (Die Verweise auf das ÖPNRV-G beziehen sich auf unsere vorgeschlagene Textversion für das ÖPNRV-G):
(1) Werden über das bestehende Fahrplanangebot einer Kraftfahrlinie hinaus Kurse von einem öffentlichen Auftraggeber gewünscht, so hat der Besteller oder die für diesen tätig werdende Stelle die anwendbaren Bestimmungen des Vergaberechts sowie der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 zu berücksichtigen. Wird ein anderer Personenkraftverkehrsunternehmer als der Konzessionsinhaber mit der Durchführung der bestellten Kurse betraut, so ist er vom Konzessionsinhaber mit der Durchführung dieser Kurse zu beauftragen (§ 22 Abs. 3). In diesen Fällen ist jedoch der Konzessionsinhaber nicht für ein etwaiges Fehlverhalten des Auftragnehmers der Aufsichtsbehörde gegenüber verantwortlich, sondern ausschließlich der Auftragnehmer selbst.
(2) Will ein öffentlicher Auftraggeber Verkehrsdienste gemäß § 3 Abs. 4 ÖPNRV-G bestellen, die über die in Absatz 1 genannten Kurse hinausgehen, so dürfen diese bei sonstiger Nichtigkeit im Sinne der vergaberechtlichen Bestimmungen nur dann in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren beschafft werden, wenn diese nicht durch bestehende oder beantragte
a) kommerzielle Verkehre (§ 3 Abs 2 ÖPNRV-G) und/oder
b) tarifgestützte Verkehre (§ 3 Abs 3 ÖPNRV-G)
abgedeckt sind oder obige wirtschaftlich ernsthaft beeinträchtigen. Die beabsichtigte Leistungsbestellung ist durch gesonderte öffentliche Bekanntmachung zeitgerecht vorab anzukündigen. In diesem Fall hat der Besteller oder die für diesen tätig werdende Stelle unter Berücksichtigung der anwendbaren Bestimmungen des Vergaberechts sowie der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 einen geeigneten Personenkraftverkehrsunternehmer zu ermitteln.
Zu Z 27: § 27 Z 3
Der Entfall der Wortfolge „ohne vorherige zeitgerechte Einbringung eines Antrags auf Konzessionswiedererteilung (§ 29)“ ist äußerst kritisch zu sehen. Die derzeit geltende Bestimmung bringt für alle an einem Kraftfahrlinienverkehr Beteiligten ausschließlich Vorteile:
- der Verkehrsunternehmer hat Rechtssicherheit
- die Behörde hat weniger Aufwand (keine unnötige Erlassung von Mandatsbescheiden)
- der Besteller hat die Sicherheit, dass der von ihm bestellte Verkehr auch durchgehend gefahren werden kann
- die Fahrgäste können weiter auf eine durchgehende Verkehrsbedienung vertrauen
Eine Streichung der genannten Passage würde zum Wegfall dieser Vorteile führen und ist daher inakzeptabel.
Zu Z 53: § 52 Abs. 4
Diese Bestimmung ist unverständlich formuliert. Sie kann eigentlich nur Anträge auf Wiedererteilung von Konzessionen betreffen, nicht aber etwaige Anträge auf Streckenänderung oder gar Neuanträge. Dies sollte deutlicher formuliert werden. Zu überlegen wäre auch eine Ansiedlung der Bestimmung im § 29.
Es wird höflich um Berücksichtigung dieser Stellungnahme ersucht.
Mit freundlichen Grüßen
Für die ÖBB-Holding AG