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Bundesministerium für Inneres
Abteilung III/1 - Legistik
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Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005 und das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 geändert werden; Begutachtungsverfahren
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Österreichische Städtebund gibt, bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom
10. Dezember 2011 (GZ:BMI-LR1355/0007-III/1/c/2010) zum Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005 und das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 geändert werden, nach Prüfung folgende Stellungnahme ab:
Allgemeine, finanzielle Belastungen:
Der Grundgedanke der Rot-Weiss-Rot-Karte, Zuwanderung und Migration als Bereicherung und Chance für Österreich zu nutzen und dementsprechend zu gestalten, ist zweifellos positiv. Dies gilt weitgehend auch für die arbeitsmarktbezogenen Bewertungskriterien.
Insgesamt stellen die geplanten Änderungen bzw. Neuerungen jedoch nur „Reparaturen“ im Gesamtsystem der österreichischen Ausländerpolitik dar. Als Folge davon wird der Bereich des Fremdenrechts inklusive der beschäftigungsrechtlichen Bestimmungen noch komplexer und unübersichtlicher. Im Interesse der betroffenen MigrantInnen aber auch in Interesse einer Entlastung der Verwaltung (Fremdenrechtsbehörde und Integrationsbüros) sollte erhebliches Augenmerk auf eine Vereinfachung dieser Materie gelegt werden.
Insbesondere wäre es angebracht, ein klares Signal gegenüber den bereits in Österreich lebenden ZuwandererInne zu setzen, indem die Vielzahl an Selektionshürden entrümpelt würde und die Betroffenen endlich Aufenthaltssicherheit erlangten. Denn mit der für künftige ZuwandererInnen geltenden Rot-Weiss-Rot-Karte werden die gegenwärtigen Probleme bezüglich Integration der schon hier lebenden MigrantInnen nicht gelöst.
Mit der ggst. Novelle sind jedenfalls erhebliche zusätzliche Belastungen der Niederlassungsbehörden verbunden. Aus folgenden Änderungen resultiert ein beträchtlicher administrativer Mehraufwand von derzeit nicht seriös abschätzbarem Umfang, der sich wohl kaum ohne Ausweitung der Personalressourcen abfangen lassen wird:
- die zusätzlichen neuen Aufenthaltstitel (§ 8 Abs. 1 Ziff. 1-4) und deren unterschiedliche Laufzeiten (§§ 20 Abs. 1,8 Abs. 1 Ziff. 3, 20 Abs. 1a, 42 Abs.4) erfordern einen wesentlichen höherem Aufwand bei der Beratung, Auskunftserteilung und Prüfung der Anträge;
- die neuen Bestimmungen bei der Integrationsvereinbarung (Niveau A1, A2, B1) inklusive der jeweiligen Erfüllungsfristen und Nachweise erfordern einen wesentlichen höheren Aufwand bei der Beratung, Auskunftserteilung und Prüfung der Anträge (§§ 14, 14a, 14b, 20 Abs. 1a, 21a);
- bei Nicht(zeitgerechter)erfüllung der Integrationsvereinbarung ist die Verlängerung der Niederlassungsbewilligung zu versagen (§14a Abs.2);
- Dies bedingt ein entsprechendes Parteiengehör und einer Bescheiderlassung;
- zusätzliche Art. 8 EMRK-Prüfung samt Belehrungsverpflichtung bei mangelndem/fehlendem Nachweis der Deutschkenntnisse (§ 21a Abs. 5); Bei negativem Ergebnis ist eine bescheidmäßige Absprache erforderlich;
- jeweils bescheidmäßige Entziehung des Aufenthaltstitels nach den Bestimmungen des § 25 Abs. 1, 2, und 3;
- zusätzliche Art. 8 EMRK-Prüfung bei der Entziehung gem. § 25 Abs. 5
- zusätzliche Befassung des AMS bei Verfahren nach §§ 41 Abs. 2 Ziff. 1 bis 4, 41a Abs. 1, 2;
- negative Bescheide nach § 41 Abs. 4;
- verkürzte Entscheidungspflicht bei Verfahren nach §§ 41 Abs. 3, 42 Abs.2, 49 Abs. 5, 50 Abs. 2, 50a Abs. 3;
- höherer Aufwand bei der Beratung, Auskunftserteilung und Prüfung der Anträge nach §45 wegen der unterschiedlichen Fristen (Durchbrechung, Unterbrechung, Anrechnung);
- zusätzliche Art. 8 EMRK-Prüfung bei Verfahren nach § 46 Abs. 2, allenfalls mit bescheidmäßiger Absprache.
Zu den einzelnen Bestimmungen:
1) Zur Änderung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes:
Zu § 8 (Neue Aufenthaltstitel):
Durch die neuen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ und „Blaue Karte und „Blaue Karte EU“ wird die Zuwanderung noch deutlich mehr als bisher über die Situation am Arbeitsmarkt gesteuert, weil für alle drei Karten eine Bedarfsprüfung nach dem AuslBG samt Zustimmung des AMS vorliegen muss.
Ob sich durch die neuen Aufenthaltstitel wesentlich mehr MigrantInnen für eine Niederlassung in Österreich entscheiden werden, ist mehr als zweifelhaft, weil schon bisher die Quoten für selbständige und unselbständige Schlüsselkräfte trotz Einrechnung der jeweiligen Familienangehörigen und auch der SpitzensportlerInnen bei weitem nicht in Anspruch genommen wurden (z.B. von 225 unselbständigen Schlüsselkraftplätzen wurden von Jänner bis Dezember 2010 in OÖ nur 74, bei den selbständigen Schlüsselkräften von 15 Plätzen nur einer beansprucht).
Zu befürchten ist vielmehr, dass MigrantInnen, die Kleinstbetriebe leiten, zwar Arbeitsvorverträge und Bestätigungen ausstellen, in der Folge aber die Zuziehenden nicht oder nur kurzfristig beschäftigen werden können.
Da in der Folge von der Niederlassungsbehörde bei Nichtmehrerfüllen der Voraussetzungen die Bewilligungen wieder entzogen werden müssen, wird der dafür erforderliche Aufwand den Vorteil der möglichen längeren Laufzeit der in Rede stehenden Bewilligungen voraussichtlich bei weitem wettmachen.
Zu § 13:
Auch der Nachzug von Familienangehörigen wird nach fremdenrechtlichen Bestimmungen quotenabhängig sein und ist deshalb als kritisch zu betrachten, weil dadurch der Familiennachzug nicht gesichert ist und für potenzielle BewerberInnen mit fachgerechter Qualifikation sehr unattraktiv sein kann.
Zu § 14 ff:
Der vorliegende Entwurf bringt zahlreiche schwerwiegende Änderungen im Hinblick auf die Erfüllung der Integrationsvereinbarung mit sich.
Einerseits wird das zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung erforderliche Sprachniveau angehoben, andererseits wird die Frist zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung stark gekürzt. Wie bisher soll die Integrationsvereinbarung auch nach § 14 Abs. 2 der geplanten Novelle in zwei Schritten erfüllt werden, wobei für Modul 1 das Niveau A2 des europäischen Referenzrahmens für Sprachen und für Modul 2 das Niveau B1 zu erreichen ist. Laut dem vorliegenden Entwurf ist das erste Modul der Integrationsvereinbarung binnen zwei Jahren zu erfüllen.
Weiters ist an das Erreichen des ersten Moduls binnen zwei Jahren die weitere Verlängerung des Aufenthaltes gebunden. Dies stellt eine wesentliche Verschärfung zur bisher geltenden Rechtslage dar, die eine Frist von 5 Jahren vorsieht, und wird daher abgelehnt.
Zwar ist auch weiterhin vorgesehen, auf Antrag der betroffenen Person einen Aufschub von jeweils max. 12 Monaten zu gewähren, das Gesetz hält sich aber auch in der zu Begutachtung aufliegenden Textierung weiterhin darüber bedeckt, was unter dem Begriff „Persönliche Lebensumstände“ zu verstehen ist.
Es ist zu erwarten, dass sich dieser Vorschlag besonders für ältere und bildungsferne Personen, Menschen mit Beeinträchtigungen und insbesondere für Frauen nachteilig auswirken wird, da Frauen in vielen Drittstaaten systematisch von Bildung und teilweise sogar von Alphabetisierung ausgeschlossen oder beim Zugang zu Bildung massiv benachteiligt sind. Die Verkürzung der Erfüllungsfrist auf zwei Jahre und der Entfall des Alphabetisierungskurses, der das bisherige Modul 1 bildete, ist deshalb abzulehnen.
Für das Erreichen des zweiten Moduls sieht der zur Begutachtung versandte Entwurf keine Frist vor. Das Niveau B1 ist nach dem vorliegenden Entwurf aber eine besondere Erteilungsvoraussetzung zur Erlangung eines unbefristeten Aufenthaltsrechtes („Daueraufenthalt – EG“).
Der geplante Entwurf sieht vor, dass die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung durch Vorlage eines Nachweises vom Österreichischen Integrationsfonds oder von einer vom Österreichischen Integrationsfonds zertifizierten Institution erfolgen soll. Alternativ kann ein Deutsch-Integrationskurs besucht werden. Die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung soll in Hinkunft nur noch durch Vorlage eines Nachweises vom Österreichischen Integrationsfonds oder von einer vom Österreichischen Integrationsfonds zertifizierten Institution erfolgen.
Durch die geplante Änderung, dass ein Nachweis vom Österreichischen Integrationsfonds oder von einer vom Österreichischen Integrationsfonds zertifizierten Institution zu erbringen ist, werden international anerkannte Nachweise des ÖSD (z.B. Zertifikat B1), Goethe Institus etc. ausgenommen und können daher außerhalb Österreichs erworbene Zertifikate nicht mehr als Nachweis der Erfüllung herangezogen werden.
Durch den geplanten Entwurf besteht weiters die Gefahr, dass Minderjährige, die zum Zeitpunkt der Erfüllungspflicht der Integrationsvereinbarung nicht mehr unmündig sind und eine Schule besuchen, die nicht dem Schulorganisationsgesetz - SchOG unterliegt (internationale Schulen), nur mehr erschwert den Nachweis der Erfüllung der Integrationsvereinbarung erbringen können.
Weiters wird angemerkt, dass der Sprung vom Sprachniveau A2 zum Sprachniveau B1 ein großer ist, der wesentlich mehr Unterrichtsstunden erfordert als etwa der Sprung von A1 auf A2. Dafür sind zwischen 300 bis 600 Unterrichtsstunden erforderlich. Nach der Magistratsabteilung 17 – Integration und Diversität vorliegenden Informationen erreichen etwa in Deutschland nur rund 50 % der Personen nach 600 bzw. 900 Unterrichtsstunden das Sprachniveau B1. Die Erfüllung dieser Verpflichtung ist daher mit hohen Kosten verbunden, die – anders als in Deutschland und in anderen Ländern – nicht hauptsächlich vom Bund mit einer (geringen) Kostenbeteiligung des Teilnehmenden finanziert werden, sondern zur Gänze von den ZuwandererInnen selbst zu tragen sind.
Die Kosten für notwendige Sprachfördermaßnahmen zur Erreichung des Niveaus B 1 werden nicht vom Bund übernommen, sondern den Ländern und Gemeinden aufgebürdet.
Die vorliegenden Änderungen im Hinblick auf die Integrationsvereinbarung sowohl im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz als auch im Staatsbürgerschaftsgesetz werden als massiv integrationsfeindlich abgelehnt. Eine vom Gedanken der Wertschätzung von Zuwanderung und Diversität getragene Förderung der Integration im Sinn der Herstellung gleicher Rechte und Chancen könnte insbesondere durch leistbare, leicht zugängliche und zielgruppenspezifische und auch für bereits länger niedergelassene Fremde offene Deutschkurse erreicht werden.
Durch Änderung in der Finanzierung von Deutschkursen – etwa Erhöhung des Bundesanteiles und Reduzierung des Eigenanteils der Teilnehmenden bzw. Entkoppelung des Kostenbeitrages vom Prüfungserfolg – aber auch Mitfinanzierung von integrationsbegleitenden Angeboten durch den Bund kann Chancengleichheit geschaffen werden und so der Weg zu einer erfolgreichen Integration erleichtert werden.
Zu § 18 (Integrationsbeirat):
Die Zusammensetzung des Integrationsbeirates berücksichtigt die Städte und Gemeinden nur jeweils mit einem Vertreter/einer Vertreterin auf Vorschlag des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes.
Integration passiert aber gerade in den Städten und Gemeinden. Hier erscheint die Vertretung mit nur jeweils einem Vertreter/einer Vertreterin als zu gering, um den tatsächlichen Bedürfnissen speziell der Städte gerecht zu werden. Die Wirtschaft beispielsweise ist dabei durch die verschiedenen Interessensvertretungen wesentlich besser vertreten.
Weiters ist diesbezüglich dringend zu empfehlen, den Auftrag der Bestellung von der Behörde BundesministerIn für Inneres zu entkoppeln. Der Beirat dient dem Meinungsaustausch zu integrationsrelevanten Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung und zu Empfehlungen des Expertenrates für Integration sowie der Beratung über die Umsetzung dieser Empfehlungen. Insofern trägt dieser Beirat wesentlich zur Meinungsbildung bei und sollte daher aus Objektivitätsgründen von einer anderen Einrichtung bestellt werden. Konsequenterweise sollte kein Vertreter bzw. keine Vertreterin des Bundesministeriums für Inneres Mitglied sein.
Zu § 25 (Entziehung von Aufenthaltstiteln):
An Stelle von (bisher) aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch die Fremdenpolizei, ist nunmehr ein Entziehungsverfahren von Aufenthaltstiteln durch die Niederlassungsbehörde bei mangelnden Erteilungs- und nunmehr auch bei Zulassungsvoraussetzungen beabsichtigt. Dies stellt eine weitere schwerwiegende Verschärfung der geltenden Rechtslage dar. Es wird daher vorgeschlagen, eine Regelung zu treffen, die auch persönliche Umstände berücksichtigt.
Zu "Humanitären Bewilligungen":
Die Verfahren für sogenannte "Humanitäre Bewilligungen" bzw. "Bleiberechtsfälle" haben sich nur hinsichtlich der Bezeichnung der neuen Aufenthaltstitel und der positiven Anrechnung von Erwerbstätigkeiten, aber nicht hinsichtlich der Ablaufverfahren geändert.
Die erhoffte Klarstellung bestimmter Begriffe bzw. Vereinfachung der Verfahren fehlt weiterhin.
Die Novellierung sieht nach wie vor keine sachgerechte Lösung bei gut integrierten „Altfällen“ vor.
Zu § 44a (Besondere Verfahrensbestimmungen):
Laut der vorgeschlagenen Fassung hat die Behörde einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 41a Abs. 3 oder 43 Abs. 3 von Amts wegen zu erteilen, ..... – lt. § 73 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 41a Abs. 3 und 9 sowie 43 Abs. 3 dem Bundesministerium für Inneres mitzuteilen.
Die Verweise auf die Gesetzesstellen insbes. auf Abs. 9 leg.cit müssten ident sein. Dies gilt analog auch für § 44b Abs. 1 erster Satz.
2) Zur Änderung des Fremdenpolizeigesetzes:
Zu § 79 Abs 5 Fremdenpolizeigesetzes:
Die beabsichtigte Neuregelung in dieser Bestimmung sieht eine ex lege Übertragung der Obsorge für minderjährige Fremde an den Jugendwohlfahrtsträger vor, wenn deren eigentliche Obsorgeträger (in der Praxis sind dies typischerweise die Eltern) in Schubhaft genommen werden, und nicht ausdrücklich verlangen, dass sie den Minderjährigen
begleiten (also dass der Minderjährige ebenfalls im Polizeianhaltezentrum
untergebracht wird).
Der Österreichische Städtebund lehnt diese vorgesehene Regelung entschieden ab.
Das geltende österreichische Recht sieht im ABGB durchaus einige Fälle vor, in welchen es ohne gerichtliche Entscheidung, also rein aufgrund des Gesetzes, zur Übertragung der Obsorge kommt (§§ 145, 211, 215 Abs. 1 ABGB). Diese Fälle sind aber inhaltlich überhaupt nicht mit jenen der gegenständlichen geplanten Novellierung vergleichbar. In diesen Fällen macht die ex lege Übertragung der Obsorge an eine bestimmte Person (anderer Elternteil,
Jugendwohlfahrtsträger) aus Sicht des Kindeswohles sowie aus praktischen Überlegungen eindeutig Sinn, da eben eine andere Person nicht bzw. nicht mehr zur Obsorgeausübung in Betracht kommt.
Wenn aber - wie hier gegenständlich - die Obsorgeträger in Schubhaft genommen werden, schließt dies keinesfalls aus, dass sie ihre mit der Obsorge verbundenen Rechte und Pflichten auch tatsächlich ausüben können. Zum einen ist es möglich, dass auch eine inhaftierte Person Handlungen als gesetzlicher Vertreter setzt. Zum anderen kann eine inhaftierte Person durchaus andere Personen zur Ausübung der (gesamten oder teilweisen) Obsorge bevollmächtigen. Sollte in einer solchen Situation dennoch die Notwendigkeit des Handelns durch den Jugendwohlfahrtsträger bestehen, bietet die Gefahr in Verzug-Kompetenz des § 215 Abs. 1 Satz 2 ABGB für Maßnahmen der Pflege und Erziehung eine ausreichende und in der Praxis hinreichend bewährte Grundlage.
Außerdem gibt die geplante Regelung Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken:
Sie stellt nämlich einen Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar, der nur zulässig ist, wenn die Verhältnismäßigkeit gemäß den in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgezählten Kriterien gegeben ist.
Im Hinblick auf die oben angeführten möglichen Alternativen entspricht die geplante Neuregelung aber nicht dieser Verhältnismäßigkeit.
Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Bestimmung des § 76 Abs 1a FPG sieht vor, dass unmündige (also unter 14-jährige) Minderjährige nicht in Schubhaft angehalten werden dürfen. Wenn nun aber eine Inschubhaftnahme von Unmündigen generell unzulässig ist, so würde dies bedeuten, dass der inhaftierte Obsorgeträger ein - wie im vorgeschlagenen § 79 Abs. 5 FPG - vorgesehenes Verlangen auf Begleiten („Begleiten“ kann auch nur im Sinne einer Inhaftierung des Minderjährigen verstanden werden) gar nicht mit Aussicht auf Genehmigung stellen kann. Die Konsequenz dessen wäre, dass der Jugendwohlfahrtsträger in allen Fällen von Unmündigen zu deren Obsorgeträger werden würde, wenn ihre Obsorger in Schubhaft angehalten werden.
Zu bedenken ist auch, dass der Jugendwohlfahrtsträger, wäre er Obsorger eines von der Abschiebung bedrohten Minderjährigen, dazu verpflichtet wäre, diese Abschiebung (sowie allenfalls Ausweisung bzw. Aufenthaltsverbot) eventuell zu bekämpfen. Sollte das Bundesministerium für Inneres mit der geplanten Regelung also eine Kooperation mit dem Jugendwohlfahrtsträger im Hinblick auf eine Vereinfachung der Schubhaft und Abschiebung anstreben, wäre in der Praxis häufig das Gegenteil das Ergebnis.
Es ist auch anzumerken, dass es der üblichen legistischen Systematik widerspricht, dass eine derartige wesentliche Obsorgeregelung in einem das Fremdendrecht regelnde Gesetz vorgenommen wird, anstatt im Rahmen eines Gesetzes, wo sich typischerweise Regelungen zum Kindschaftsrecht und zur Jugendwohlfahrt (also ABGB und JWG) finden.
Als Resümee wird die vorgeschlagene Regelung des § 79 Abs. 5 FPG daher aus verfassungsrechtlicher Sicht als eine bedenkliche und aus jugendwohlfahrts-rechtlicher, kindschaftsrechtlicher sowie aus Sicht des Kindeswohles als nicht notwendige Regelung betrachtet, die auch im Vollzug für erhebliche Probleme sorgen würde.
Zu den Kostenfolgen in Bezug auf die Novellierung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 wird folgendes ausgeführt:
Weder der Entwurf noch die Erläuterungen enthalten Aussagen darüber, wer die mit der Ausübung der Obsorge durch den Jugendwohlfahrtsträger verbundenen Kosten zu tragen hat. Inhaltlich handelt es sich dabei am Bespiel der Stadt Salzburg aber eindeutig um einen Fall, der als eine Maßnahme der Erziehungshilfe in Form der vollen Erziehung im Sinn der §§ 28 JWG bzw. 40 Sbg. JWO zu qualifizieren ist. Demnach träfe die Kostentragungspflicht gemäß § 15 Sbg. JWO das Land Salzburg und die Gemeinden jenes politischen Bezirkes, in dem die Kosten angefallen sind. Da es sich beim einzigen Polizeianhaltezentrum des Landes Salzburg um jenes der Bundespolizeidirektion Salzburg handelt, ist davon auszugehen, dass die Obsorgekompetenz des Jugendwohlfahrtsträgers in den meisten Fällen (eventuell sogar in allen) vom Stadtjugendamt Salzburg auszuüben wäre, was auch entsprechende Kostentragungskonsequenzen hätte.
Im Entwurf ist völlig unklar, was die Rolle des Jugendwohlfahrtsträgers sein soll. Das kann von tatsächlicher Begleitung zum Arzt oder zur Schule bis zur Fremdunterbringung der Kinder gehen.
Bei einer Begleitung ist von stundenweisem Personaleinsatz auszugehen. Bei den sozialen Diensten liegt der Stundensatz bei rd. € 50,--. Die Anzahl der benötigten Stunden ist nicht abschätzbar.
Sollte eine Fremdunterbringung erforderlich sein, so betragen die Tagsätze im Bereich von € 140,-- netto pro Tag. Bei einer 3-wöchigen Unterbringung entstehen daher Unterbringungskosten von rd. € 2.900,-- sowie die zusätzlich anfallenden Personalkosten des Jugendwohlfahrtsträgers für die Abwicklung der Unterbringung iHv. € 500,--.
Die Mitwirkung des Jugendwohlfahrtsträgers an der Abschiebung von Kindern wird in den meisten Fällen dem Kindeswohl widersprechen, dem der Jugendwohlfahrtsträger per Gesetz verpflichtet ist. Die Ressourcen der Jugendwohlfahrt dürfen dadurch nicht berührt werden, da dies eine Kostenverschiebung vom Bund zu den Ländern bzw. zu den Städten/Gemeinden darstellt.
In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Dauer der Schubhaft der Obsorgeberechtigten bis zu sechs Monate betragen kann (siehe § 80 Abs. 4 FPG).
Es ist auch darauf hinzuweisen, dass das Fremdenpolizeiwesen und somit auch die Schubhaft einschließlich der Unterbringung und Betreuung der Schubhäftlinge grundsätzlich in den Kompetenzbereich des Bundes fällt und somit der Bund zur Tragung der damit in Zusammenhang stehenden Kosten verpflichtet ist. Sollte die geplante ex lege-Obsorgeregelung tatsächlich Gesetz werden, so wäre im Hinblick auf die kompetenzrechtliche Lage jedenfalls eine entsprechende Kostenregelung vorzunehmen.
Zu § 80:
Die Behörde wird im Gesetz (auch bisher) verpflichtet, die Schubhaft so kurz wie möglich zu halten, aber nach der neuen Regelung darf die Schubhaft so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für die Anordnung weggefallen ist oder das Ziel nicht mehr mit Schubhaft erreicht werden kann. Damit wird die Regelung „so kurz wie möglich“ stark aufgeweicht.
In diesem Zusammenhang darf angemerkt werden, dass es eine „familienfreundliche Schubhaft“ und eine „familienfreundliche Ausweisung“ nicht gibt. Ein Eingehen auf die besonderen Bedürfnisse von Familien mit minderjährigen Kindern kann im vorliegenden Entwurf nicht gefunden werden.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass durch diese Gesetzesänderung entstehende Mehrkosten für Städte und Gemeinden seitens des Österreichischen Städtebundes entschieden abgelehnt werden.
Wir ersuchen weiters, unsere Einwände im gegenständlichen Entwurf jedenfalls zu berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüßen

OSR Dr. Thomas Weninger, MLS
Generalsekretär