1 Präs. 1630-6370/10s

 

 

 

 

Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs

zum Ministerialentwurf für ein Bundesgesetz,

mit dem das Schadenersatzrecht geändert wird

(Schadenersatzrechts-Änderungsgesetz 2011 - SchRÄG 2011).

 

 

I. Nach dem Entwurf soll § 1293 ABGB ein Abs 2 angefügt werden:

(2) Aus dem Umstand der Geburt eines Kindes kann niemand Schadenersatzansprüche geltend machen. Ausgenommen davon sind Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder der Geburt.

Zu den Auswirkungen der vorgeschlagenen Regelung heißt es im Vorblatt: „Die unerträgliche Konsequenz der bisherigen Rechtslage, dass ein behindert geborenes Kind ein Schaden sei, wird jedenfalls beseitigt.“

 

II. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass - bei Schadenersatzansprüchen wegen der Geburt eines behinderten Kindes - nicht das Kind der Schaden ist, sondern die Unterhaltsverpflichtung (ua 5 Ob 148/07m, Punkt 4.2.2.).

 

III. 1. Der Wortlaut der vorgeschlagenen neuen Bestimmung soll gleichermaßen beide Fallgruppen - die Geburt eines gesund geborenen Kindes (wrongful conception) und die Geburt eines behindert geborenen Kindes (wrongful birth) - erfassen und aus dem Anspruchsfeld für Schadenersatzansprüche gänzlich herausnehmen, „sofern den Arzt kein Verschulden am Entstehen oder am Ausmaß einer Behinderung trifft“ (so zwar nicht die verba legalia des neuen § 1293 Abs 2 ABGB, jedoch mehrfach die ErlBem - vgl Vorblatt/Ziel Abs 1 und Erläuterungen/Allgemeiner Teil, Abs 3). Der Entwurf meint (Besonderer Teil, Abs 3), dies durch den 2. Satz der neuen Gesetzesstelle - „ausgenommen sind Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder Geburt“ - dahingehend klarzustellen, dass (nur mehr) „Schäden, die auf eine Verletzung des Kindes durch einen schuldhaften ärztlichen Behandlungsfehler während der Schwangerschaft oder des Geburtsvorgangs zurückgehen, … wie bisher dem allgemeinen Schadenersatzregime unterliegen“ sollen; „wenn etwa dem Arzt bei einer pränatalen Untersuchung ein Fehler unterläuft und er deshalb das Entstehen einer Behinderung erst verschuldet oder eine Behandlung, die zur Heilung oder Linderung der Beeinträchtigung des Kindes hätte führen können, unterlässt, soll er für die dadurch dem Kind zugefügte gesundheitliche Beeinträchtigung haften. Aber auch ‚klassische’ Behandlungsfehler, wie etwa ärztliche Maßnahmen während der Schwangerschaft oder der Geburt, die nicht lege artis durchgeführt werden, können weiterhin eine Haftung des Arztes auslösen. Für solche Schäden können also sowohl das Kind als auch seine Eltern Schadenersatzansprüche nach den einschlägigen Bestimmungen des ABGB geltend machen.“ Dem gegenüber wird allerdings an anderer Stelle der ErlBem (Besonderer Teil, Abs 2) ausgeführt, dass „auch die Unterlassung von pränatalen Untersuchungen und die Unterlassung von Überweisungen, die jeweils allein dem Zweck dienen, den Zustand des Kindes festzustellen, keine Schadenersatzansprüche des Kindes, der Eltern oder dritter Personen auslösen können, sofern durch diese Verhaltensweise nicht erst eine Behinderung verschuldet oder deren Heilung oder Linderung schuldhaft vereitelt wird“. Der Kausalitätsbeweis für die schadenstiftende Unterlassung derartiger „Untersuchungen und Überweisungen“ obliegt nach allgemeinem Schadenersatzrecht wiederum allein den betroffenen Eltern (vgl RIS-Justiz RS0022700, RS0022900; 4 Ob 36/10p; 4 Ob 71/10k) - woran auch de lege ferenda offenbar nicht gerüttelt werden soll.

 

III. 2. Zur Gänze vom Anspruch auf Schadenersatz ausgeschlossen sollen hingegen künftig hin jene Fälle werden, in denen ein Arzt gegen seine Vertragspflichten verstößt, indem er eine Maßnahme zur Empfängnisverhütung (Samenleiterdurchtrennung etc) nicht sachgerecht durchführt oder die mögliche Aufklärung der Mutter/Eltern über erkennbare Schäden eines werdenden Kindes unterlässt. Außer Acht gelassen wird damit, dass der Behandlungs-(Beratungs-)vertrag auch den Schutz vor Vermögensnachteilen umfasst und damit auch finanzielle Interessen der Mutter (Eltern) wahrt (SZ 72/91; 5 Ob 148/07m = JBl 2008, 521: „auch die finanziellen Interessen der Mutter [der Eltern] sind noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst“).

 

III. 3. Diese Haftungsfolge künftig zur Gänze - selbst bei Vorsatz (!) - auszuschließen, käme freilich einer praktischen Verneinung jeglicher vertraglicher Haftung des Arztes gegenüber beiden Eltern (zivilrechtliches Vertragsverhältnis aus dem Behandlungsvertrag bzw dessen Schutzbereich: vgl nochmals SZ 72/91) gleich, obwohl Ärzte als Sachverständige an sich einer strengeren Haftung unterliegen (§ 1299 ABGB). Dies ist vor allem auch dann systemwidrig, wenn es um eine ärztliche Behandlung geht, deren Ziel es ist, die künftige Empfängnis/Zeugung von Kindern auszuschließen. Eine solche fundamentale Einschränkung von Ersatzansprüchen - schon das Entstehen einer (hier: ua Unterhalts-)Verbindlichkeit bedeutet einen schadenersatzrechtlich relevanten Nachteil am Vermögen
(RIS-Justiz RS0022568;
5 Ob 148/07m) - ist auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht bedenklich, ist doch der Gesetzgeber (auch unter Berücksichtigung seines grundsätzlich zu bejahenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums) durch den Gleichheitssatz dazu verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen, sodass nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zulässig sind (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 1357). Die Freistellung einer einzelnen Berufsgruppe von jeglicher Haftung in einem bestimmten Bereich greift nicht nur massiv in das geltende Schadenersatzsystem ein, sondern widerspricht damit - mangels ausreichender sachlicher Rechtfertigung - auch dem in Art 7 B-VG normierten Gleichheitsgrundsatz.

 

IV. 1. Die vorgeschlagene gesetzgeberische Lösung erscheint daher - zusammenfassend - weder verfassungskonform noch sachgerecht. Dabei fällt auch auf, dass sich die erläuternden Bemerkungen mit der im Diskussionsentwurf der im BMJ im Jahr 2001 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Schadenersatzrechts vorgeschlagenen Lösung (§ 1321; s JBl 2008, 365, 370 = ZVR 2008, 168, 172) nicht auseinander setzen (vgl Vorblatt: „Alternative keine“).

 

IV. 2. Abschließend ist darauf zu verweisen, dass öffentlich-rechtliche Ersatzleistungen zwar angekündigt werden, aber bisher offenbar noch keine Maßnahmen zur Umsetzung getroffen wurden. Nach pränatalen Diagnose- oder Aufklärungsfehlern behindert geborene Kinder und ihre Eltern werden daher durch den vorgeschlagenen Entwurf - entgegen seiner Zielsetzung - eindeutig schlechter gestellt.

 

V. Der Oberste Gerichtshof lehnt daher den Entwurf in der vorliegenden Fassung ab.

 

Wien, am 26. Jänner 2011

Hon.-Prof. Dr. Griss