ARBEITSGEMEINSCHAFT der

PATIENTENANWÄLTE

 

 

Bundesministerium

für Justiz

 

 

 

 

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Bezug:                             Bearbeiter:              (02742) 9005                    Datum:

                                      Dr. Bachinger/         pm     DW    1 5575                    1.2.2011

 

Betreff:

GZ BMJ-Z7.7000004-I 2/2010

Entwurf eines Bundesgesetzes mit dem das Schadenersatzrecht geändert wird

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

in Hinblick auf den Entwurf des vorliegenden Bundesgesetzes, mit dem das Schadenersatzrecht geändert wird (Schadenersatzrechts-Änderungsgesetz 2011 - SchRÄG 2011), erlaubt sich die Arbeitsgemeinschaft der Österreichischen Patientenanwälte (ARGE PA) folgende Stellungnahme abzugeben:

 

Vorerst möchten wir dringend darum ersuchen, diese Thematik noch einmal einer fachlich tiefgehenden und moderierten Diskussion zuzuführen.
Als Beispiel könnte die Entstehungsgeschichte des Patientenverfügungsgesetzes genannt werden, das in einer Expertengruppe (und einer professionellen Moderation) mit Vertretern des Justiz und des Gesundheitsministeriums sowie weiteren Fachleuten (auch aus dem Kreis der Patientenanwälte) vorbereitet wurde.

 

Durch den Gesetzesentwurf wird ein Sonderrecht für Ärzte bzw. für einen Teil der Gynäkologen/ Geburtshelfer geschaffen. Dies ist aus unserer Sicht sachlich nicht gerechtfertigt.

Das Schadenersatzrecht verfolgt nicht nur den Zweck des Nachteilausgleiches, sondern zugleich auch den der Prävention. Die drohende Schadenersatzpflicht ist durchaus geeignet das Verhalten zu steuern und die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu fördern.

Mit dem Gesetzesentwurf kommt es zu einem Entfall der Schadenersatzpflichten nicht sorgfältig handelnder Ärzte und wird deren zivilrechtliche Verantwortlichkeit beseitigt. Das zivilrechtliche „Einstehen müssen“ für mangelnde Sorgfalt erhöht die Qualität und wirkt präventiv.

 

Keiner werdenden Mutter soll das Recht verwehrt werden, das Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Mit dieser Regelung würde die Mutter um ihr Selbstbestimmungsrecht gebracht. Auch wenn der Arzt im Rahmen einer Diagnostik nicht die Wahrheit sagt, die Diagnose verschweigt oder verschleiert, gar bewusst eine unrichtige Aufklärung durchführt, mag dies zwar moralisch zu kritisieren sein, hat aber rechtlich keine Auswirkungen. Da nach dem neuen Entwurf eine unterlassene oder sogar fehlerhafte Aufklärung keine rechtliche Konsequenz nach sich zieht, „ist es auch nicht so tragisch“, nicht die ganze Wahrheit zusagen. Das Selbstbestimmungsrecht der Mutter wird den moralisch-ethischen Vorstellungen des behandelnden Arztes untergeordnet. Rechtliche Konsequenzen hat der Arzt dabei keine zu befürchten. Dies ist als deutlicher Rückschritt in Richtung ärztlicher Paternalismus zu werten.

 

Darüber hinaus führt auch eine fehlerhafte Diagnose nicht zu einer Haftung, wenn dadurch nicht das Entstehen der Behinderung verschuldet bzw. eine Behandlung, die zur Heilung oder Linderung der Behinderung geeignet ist, unterlassen wird. Hier gibt es also eine Haftungsausnahme für einen Behandlungsfehler (und nicht Aufklärungsfehler) im Sinne eines Diagnosefehlers. Dies ist systemwidrig und überschießend. Diesbezüglich ergibt sich aus den Erläuternden Bemerkungen Widersprüchliches, da sowohl davon die Rede ist, dass ein Arzt für Kunstfehler während der Schwangerschaft oder der Geburt verantwortlich bleibt als auch „klassische“ Behandlungsfehler, die nicht lege artis durchgeführt werden, weiterhin eine Haftung des Arztes auslösen können. Unseres Erachtens ist ein Diagnosefehler ein klassischer Behandlungsfehler. Diese Formulierung und die vorgeschlagene Regelung dienen daher eher der weiteren Verkomplizierung der Rechtslage anstatt der (beabsichtigten) Klärung.

 

Ein Punkt erscheint aber in der bisherigen Situation völlig vernachlässigt worden zu sein. Im ersten Satz der neuen Bestimmung wird klar dargelegt, dass NIEMAND aus den Umständen der Geburt Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Im zweiten Satz wird diese Bestimmung zugunsten des Kindes aufgelockert. Was ist aber mit der Mutter? Wenn im ersten Satz die Diktion NIEMAND verwendet wird, hat grundsätzlich weder das Kind noch die Mutter das Recht, Ersatzansprüche geltend zu machen (auch nicht der eigene Schaden, den die Mutter erleidet). Wenn nun unter bestimmten Voraussetzungen diese generelle Regelung zugunsten des Kindes gelockert wird, ist die Mutter im Vergleich zum Kind schlechter gestellt. Dies ist sachlich nicht zu rechtfertigen.

 

Wir gehen davon aus, dass ein Kind selbstverständlich kein Schaden ist. Der Schaden liegt darin, dass ein Unterhaltbedürfnis entsteht. Bisher haben die Gerichte sowohl den Regelunterhalt (bei einem behinderten Kind) als auch den Mehraufwand zugesprochen. Es ist unserer Ansicht nach nicht gerechtfertigt, dass ein gesundes, allerdings nicht gewünschtes Kind, bei einem Aufklärungsmangel keinen Unterhalt zugesprochen bekommt. Wenn wir argumentieren, dass ein Aufklärungsmangel einen Schadenersatz auslöst, muss dies auch für ein gesundes, wenn auch nicht erwünschtes Kind gelten (wrongful conception), ansonsten wird tatsächlich zu Lasten des gesunden Kindes differenziert. In der bisherigen Rechtssprechung hat ein gesundes Kind keinen Unterhalt bekommen. Man könnte nun auch argumentieren, dass ein behindertes Kind gegenüber einem gesunden keine Beschwer hat (auf den Unterhalt bezogen), da der Schaden bisher ausgeglichen worden ist. Aufgrund der unsachlichen Differenzierung sind die Eltern eines gesunden Kindes beschwert, da diese in keiner Form eine Unterstützung bekommen haben. Somit müssten wir fordern, dass bei einer Sorgfaltspflichtverletzung, sei es auch nur eine Aufklärungspflichtverletzung, allen Eltern der Unterhalt zugesprochen wird.

 

Im Vorblatt der Erläuternden Bemerkungen wird unter „Problem“ dargestellt, dass „diese Rechtslage zu dem unerträglichen Ergebnis führt, dass ein behindert geborenes Kind als Schaden angesehen wird“. Diese Behauptung ist nicht nachvollziehbar und nicht schlüssig. Nur gewisse Interessensseiten werden nicht müde zu postulieren, dass die Entscheidungen derart zu interpretieren seien. Wie die Gerichte wiederholt expressis verbis ausgeführt haben, ist von einem Unterhaltsschaden auszugehen, nicht aber, dass das Kind an sich einen Schaden darstellt. Allein durch diese unsachliche Interpretation wurde diese Diskussion geschürt. Wenn man es genau betrachtet, wird durch Wegfall eines möglichen Zuspruches den Eltern eine finanzielle Hilfe entzogen. Dies hat zur Folge, dass im Zweifel ein Elternpaar eher zur Schwangerschaftsbeendigung neigt, als wenn doch mit einer gewissen finanziellen Hilfestellung, sei es auch in Form des Schadenersatzes, gerechnet werden kann.

 

 

Mögliche Ziele die in Hinblick auf eine angemessene Lösung dieses Problems erreicht werden sollten, könnten sein:

Ø  einerseits sollte die bestehende hohe Qualität nicht beeinträchtigt werden und die präventive Funktion des zivilrechtlichen Schadenersatzes erhalten bleiben und

Ø  andererseits sollte ein erleichterter Zugang zum gerechtfertigten Schadenersatz ermöglicht werden.

 

Ein mögliches neues Lösungsmodell könnte die Einrichtung eines (sozialrechtlichen) Bundes-Entschädigungsfonds beinhalten, der einen angemessenen Entschädigungsbetrag rasch und unbürokratisch ausbezahlt (eigentlich vorfinanziert). Danach aber im Regressweg vom (schuldhaft handelnden) Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung den Schadenersatzbetrag rückfordert bzw. einklagt.

 

Mit freundlichen Grüßen

Sprecher der ARGE

 

 

Dr. Gerald Bachinger