1365/A XXV. GP
Eingebracht am 14.10.2015
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möglich.
Antrag
einen Bundesgesetz, mit dem die Zivilprozessordnung, das
der Abgeordneten Albert Steinhauser, Berivan Aslan; Georg Willi; Christiane Brunner, Freundinnen und Freunde
betreffend einen Bundesgesetz, mit dem die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührenrecht und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2015)
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesgesetz, mit dem die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührenrecht und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2015)
Der Nationalrat hat beschlossen:
Artikel I
Änderung der Zivilprozessordnung
Die Zivilprozessordnung RGBl. Nr. 113/1895, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 94/2015, wird wie folgt geändert:
Nach § 618 werden folgende Abschnitte angefügt:
„Fünfter Abschnitt
Gruppenverfahren
Voraussetzungen
§ 619. Ein Gruppenverfahren kann durchgeführt werden, wenn und soweit
1. mehrere Personen, zumindest drei, insgesamt eine große Anzahl von Ansprüchen, zumindest 50, geltend machen,
2. die Ansprüche gegen dieselbe Person oder dieselben Personen gerichtet sind,
3. für die Ansprüche bei Geltendmachung außerhalb des Gruppenverfahrens inländische Gerichtsbarkeit besteht,
4. gleiche Tatfragen oder gleiche Tat und Rechtsfragen zu lösen sind und
5. die Verfahrensführung als Gruppenverfahren voraussichtlich eine Vereinfachung und Verbilligung gegenüber Einzelverfahren bewirkt.
Gruppenklage
§ 620. (1) Ein Gruppenverfahren wird durch eine Gruppenklage eingeleitet. Diese hat neben den allgemeinen Erfordernissen einer Klage den Antrag auf Durchführung eines Gruppenverfahrens zu enthalten. Der Gruppenkläger hat zu bescheinigen, dass mehreren Personen insgesamt eine große Anzahl von Ansprüchen zustehen, die die Voraussetzungen des § 619 Z 2 bis 5 erfüllen.
(2) Eine später eingebrachte Gruppenklage, welche gegen dieselbe Person oder dieselben Personen gerichtet ist und gleiche Tatfragen oder Tat- und Rechtsfragen aufwirft, gilt als Antrag auf Beitritt zum Gruppenverfahren.
(3) Die Bestimmungen über das Mahnverfahren sind nicht anzuwenden.
Zuständigkeit
§ 621. (1) Für das Gruppenverfahren ist in erster Instanz ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands der sachlich zuständige Gerichtshof erster Instanz ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die beklagte Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. Fehlt ein solcher im Inland oder wären mehrere Gerichte für das Gruppenverfahren zuständig, so ist der sachlich zuständige Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel der erste Wiener Gemeindebezirk liegt, ausschließlich zuständig.
(2) Die Änderung des Gerichtsstands für das Gruppenverfahren durch Vereinbarung der Parteien ist unzulässig.
Entscheidung über die Zulassung der Gruppenklage
§ 622. Nach Einlangen der Klagebeantwortung hat das Gericht die öffentliche Bekanntmachung der Gruppenklage anzuordnen, wenn es, erforderlichenfalls nach Durchführung eines entsprechenden Verfahrens, für bescheinigt hält, dass mehreren Personen insgesamt eine große Anzahl von Ansprüchen zustehen, die die Voraussetzungen des § 619 Z 2 bis 5 erfüllen. Andernfalls ist die Gruppenklage zurückzuweisen. Mit Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses werden Beitrittsanträge gegenstandslos. § 631 Abs. 1 bis 3 gelten sinngemäß. Die Frist des § 631 Abs. 3 beginnt mit Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses.
Bekanntmachung der Gruppenklage
§ 623. Die öffentliche Bekanntmachung der Gruppenklage hat neben der Erklärung, dass eine Gruppenklage eingebracht wurde, der sich weitere Personen anschließen können, auch eine Belehrung über die Voraussetzungen, den Ablauf und die Wirkungen eines Gruppenverfahrens zu enthalten. Die Veröffentlichung hat mittels Edikt gemäß § 117 Abs. 2 zu erfolgen. Die Daten sind nach Ablauf der Beitrittsfrist zu löschen.
Beitritt
§ 624. (1) Eine Person, die sich mit ihrem Anspruch dem Gruppenverfahren anschließen will, kann bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung über die Durchführung des Gruppenverfahrens (§ 625), längstens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Gruppenverfahren den Beitritt beantragen. Einer Vertretung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt bedarf es für den Beitrittsantrag nicht. Der Beitrittsantrag hat den Inhalt einer Klage aufzuweisen und deren Voraussetzungen zu erfüllen. Die Antragstellerin oder der Antragsteller hat darüber hinaus zu bescheinigen, dass der Anspruch die Voraussetzungen des § 619 Z 2 bis 5 erfüllt. Der Beitrittsantrag hat die Wirkungen einer Klage.
(2) Ist über den Anspruch zwischen denselben Parteien bereits ein Verfahren anhängig, so kann der Beitritt unter den Voraussetzungen des Abs. 1 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz dieses Verfahrens beantragt werden. Das Verfahren ist mit Antragstellung unterbrochen. Der Beitrittsantrag ist unter Anschluss einer Kopie der Klage beim Prozessgericht einzubringen, das ihn an das für die Gruppenklage zuständige Gericht weiterzuleiten hat. Im Fall der Ablehnung des Beitritts ist das Verfahren auf Antrag einer Partei fortzusetzen.
(3) Über den Beitrittsantrag ist im Gruppenverfahren zu entscheiden. Langt der Beitrittsantrag vor Ablauf von 90 Tagen ab Veröffentlichung der Gruppenklage ein, so ist über ihn mit der Entscheidung über die Durchführung des Gruppenverfahrens zu entscheiden. Über später einlangende Beitrittsanträge ist gesondert nach Anhörung der beklagten Partei mit unanfechtbarem Beschluss zu entscheiden.
(4) Die beigetretene Partei hat den Rechtsstreit in der Lage anzunehmen, in der er sich zur Zeit des Beitritts befindet.
Entscheidung über die Durchführung des Gruppenverfahrens
§ 625. (1) Das Gericht hat nach Ablauf von 90 Tagen ab Veröffentlichung in der Ediktsdatei der beklagten Partei Gelegenheit zur Äußerung zu geben und sodann über die Zulässigkeit des Gruppenverfahrens zu entscheiden. Wird dieses für zulässig erklärt, so hat das Gericht zu bestimmen, welche Ansprüche am Gruppenverfahren teilnehmen und welche Tat- und Rechtsfragen behandelt werden. Andernfalls ist die Gruppenklage zurückzuweisen. Mit Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses werden Beitrittsanträge gegenstandslos. § 631 Abs. 1 bis 3 gelten sinngemäß. Die Frist des § 631 Abs. 3 beginnt mit Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses.
(2) Werden Ansprüche geltend gemacht, die sich im Umfang der ihnen gemeinsamen Tat- und Rechtsfragen unterscheiden, so hat das Gericht auch zu entscheiden, welche der nicht allen Ansprüchen gemeinsamen Tat- und Rechtsfragen einbezogen werden. Dabei hat es die voraussichtlich zu erzielende Vereinfachung und Verbilligung gegenüber Einzelverfahren gegen die zu erwartende Erschwerung und Verteuerung des Gruppenverfahrens abzuwägen.
(3) Das Rekursverfahren ist zweiseitig.
Gruppenvertretung
§ 626. (1) Jede eigenberechtigte natürliche oder jede juristische Person kann Gruppenvertreterin oder Gruppenvertreter sein. Wird dem Gericht in der Gruppenklage kein Gruppenvertreter bekannt gegeben, so ist derjenige Gruppenkläger, der das Gruppenverfahren einleitet (§ 620), bei mehreren Gruppenklägern die in der Gruppenklage zuerst genannte klagende Partei Gruppenvertreter kraft Gesetzes.
(2) Der Gruppenvertreter vertritt die Gruppenkläger in der Wahrnehmung ihrer pozessualen Rechte und Pflichten. Er hat dabei die gemeinsamen Interessen der Gruppenkläger zu wahren. Er hat die Gruppenkläger in geeigneter Form über den Stand des Verfahrens zu informieren.
(3) Der Gruppenvertreter kann die Vertretung nur zurücklegen, wenn ihm die Ausübung der Vertretung aus persönlichen, beruflichen oder sonstigen Gründen nicht mehr zugemutet werden kann. Die Zurücklegung ist dem Gericht gegenüber zu erklären, das über ihre Zulässigkeit entscheidet. Bis zur Bestellung eines neuen Gruppenvertreters bleibt der bisherige Gruppenvertreter berechtigt und verpflichtet, für die Gruppenkläger zu handeln, wenn dies nötig ist, um sie vor Rechtsnachteilen zu schützen.
(4) Stirbt der Gruppenvertreter, verliert er seine Eigenberechtigung oder legt er die Vertretung zulässiger Weise zurück, so sind die Gruppenkläger durch unanfechtbaren Beschluss, der in der Ediktsdatei zu veröffentlichen ist, aufzufordern, binnen zwei Monaten einen neuen Gruppenvertreter bekannt zu geben. Das Gericht hat Vorsorge zu treffen, dass den Parteien hieraus keine Nachteile erwachsen. Die Daten sind nach Ablauf von drei Monaten zu löschen.
(5) Erfolgt die Bekanntgabe eines neuen Gruppenvertreters nicht fristgemäß, so ist das Verfahren mit Beschluss zu beenden.
Bestellung des Gruppenvertreters
§ 627. (1) Ist der Gruppenvertreter von den Gruppenklägern während des Gruppenverfahrens zu bestellen, so hat dies, sofern nichts anderes vereinbart ist, durch Wahl nach den folgenden Bestimmungen zu erfolgen:
1. Jeder rechtskräftig zugelassene Gruppenkläger ist stimmberechtigt und hat das Recht, Personen mit deren Zustimmung zur Wahl vorzuschlagen. Nur Personen, die vorgeschlagen wurden, stehen zur Wahl zur Verfügung.
2. Die Gruppenkläger haben offen in alphabetischer Reihenfolge über die zur Wahl vorgeschlagenen Personen abzustimmen. Jede Stimme ist nach dem Anteil des im Gruppenverfahren geltend gemachten Anspruchs am Streitwert zu gewichten. Es sind nur die Stimmen der bei der Abstimmung vertretenen Gruppenkläger zu zählen; das Stimmrecht kann durch eine Bevollmächtigte oder einen Bevollmächtigten ausgeübt werden. Zur Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit von zumindest drei Gruppenklägern erforderlich.
3. Vereinigt eine zur Wahl vorgeschlagene Person die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich, so ist sie gewählt. Erreicht keine zur Wahl vorgeschlagene Person die absolute Mehrheit, so stehen im zweiten Wahlgang jedenfalls jene drei Personen, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben, sowie alle weiteren Personen, die zumindest 10% der Stimmen auf sich vereinigt haben, zur Wahl. Erreicht von diesen niemand die absolute Mehrheit, so stehen jene beiden Personen, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben, sowie eine allfällige weitere Person, die zumindest 30% der Stimmen auf sich vereinigt hat, im dritten Wahlgang zur Wahl. Im dritten Wahlgang entscheidet die einfache Mehrheit der Stimmen; bei Gleichstand entscheidet das Los.
4. Die Abstimmung ist vom Gruppenvertreter zu organisieren. Er hat durch öffentliche Bekanntmachung in der Ediktsdatei zu einem Abstimmungstermin einzuladen und diesen zu leiten. Gibt es keinen Gruppenvertreter, so hat das Gericht einen Gruppenkläger mit der Organisation zu betrauen.
(2) Sofern nichts anderes vereinbart ist, kann der Gruppenvertreter auf Verlangen einer Minderheit, die zumindest 20% des Streitwertes auf sich vereinigt, nach den Bestimmungen des Abs. 1 umbestellt werden.
Entlohnung des Gruppenvertreters
§ 628. Der Gruppenvertreter hat gegenüber den Gruppenklägern Anspruch auf eine Entlohnung in der Höhe von 10 % der nach den Vorschriften des RATG zu ermittelnden Verdienstsumme der klägerischen Rechtsanwältin oder des klägerischen Rechtsanwalts. Die Gruppenkläger schulden die Entlohnung des Gruppenvertreters im Verhältnis der Anzahl der jeweils geltend gemachten Ansprüche.
Verzeichnis der Gruppenklägerinnen und Gruppenkläger
§ 629. (1) Alle Personen, die im Gruppenverfahren Ansprüche geltend machen (Gruppenklägerinnen und Gruppenkläger), sind vom Gericht in ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis einzutragen. Anzuführen sind
1. der Vor- und Familienname,
2. die Zustelladresse und
3. der Gegenstand sowie der Wert des geltend gemachten Anspruchs.
Das Verzeichnis ist aktuell zu halten.
(2) In Schriftsätzen und gerichtlichen Entscheidungen kann statt der Anführung aller Parteien auf das Verzeichnis der Gruppenklägerinnen und Gruppenkläger verwiesen werden. Dieses ist dem Schriftsatz oder der Entscheidung anzuschließen.
Inhalt des Gruppenverfahrens und Entscheidung
§ 630. (1) Das Gruppenverfahren ist auf die Feststellung der den Ansprüchen gemeinsamen Tat- und Rechtsfragen beschränkt. Über diese ist mit Urteil zu entscheiden; dabei kann auch über einzelne Anspruchsvoraussetzungen abgesprochen werden.
(2) §§ 501 und 502 Abs. 2 und 3 gelten nicht; eine außerordentliche Revision (§ 505 Abs. 4) ist zulässig.
Beendigung des Gruppenverfahrens
§ 631. (1) Nach rechtskräftiger Beendigung des Gruppenverfahrens sind die bisher darin gemeinsam verfolgten Ansprüche einzeln geltend zu machen.
(2) Wird die Verfolgung eines Anspruchs gehörig fortgesetzt, so bleibt dessen Verjährung unterbrochen.
(3) Ist ein Anspruch bereits in einem anderen Verfahren geltend gemacht worden, so gilt dieses als gehörig fortgesetzt, wenn binnen drei Monaten der Antrag auf Fortsetzung gestellt wird. Die Verfolgung eines Anspruchs, der bislang nur im Gruppenverfahren geltend gemacht wurde, gilt als gehörig fortgesetzt, wenn binnen drei Monaten Klage eingebracht wird.
(4) Die rechtskräftige Beendigung des Gruppenverfahrens ist in der Ediktsdatei bekanntzumachen. Die Frist des Abs. 3 beginnt mit der Veröffentlichung der Beendigung zu laufen. Die Daten sind nach Ablauf von vier Monaten zu löschen.
Kosten
§ 632. (1) Nach rechtskräftiger Beendigung des Gruppenverfahrens hat das Gericht erster Instanz über den Kostenersatz zu entscheiden. Es hat die Kosten der Gruppenkläger einschließlich der Entlohnung des Gruppenvertreters sowie die Kosten der beklagten Partei der Höhe nach zu bestimmen und auf die Gruppenkläger im Verhältnis der Anzahl der jeweils geltend gemachten Ansprüche aufzuteilen.
(2) Die Kosten des Beitrittsantrags und die durch einen gesondert zu behandelnden Beitritt (§ 624 Abs. 3) verursachten Kosten, insbesondere die einer gesonderten Äußerung der beklagten Partei, sowie die durch die Behandlung von Tat- und Rechtsfragen unterschiedlichen Umfangs (§ 625 Abs. 2) verursachten Kosten sind Kosten der jeweiligen Gruppenkläger.
(3) Scheidet ein Gruppenkläger vorzeitig aus dem Verfahren aus, so hat das Gericht die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen anteiligen Kosten im Sinne der Abs. 1 und 2 zu bestimmen. Auf einen Gruppenkläger, dessen gesondert zu behandelnder Beitrittsantrag (§ 624 Abs. 3) zurückgewiesen wird, entfallen nur die Kosten des Beitrittsantrags und die durch diesen verursachten Kosten, insbesondere die einer gesonderten Äußerung der beklagten Partei.
(4) Wird binnen drei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung ein bereits anhängiges Verfahren fortgesetzt oder eine Klage eingebracht, so sind die Kosten des Gruppenverfahrens nach Abs. 1 bis 3 weitere Kosten des einzelnen Verfahrens. Andernfalls hat das Gericht erster Instanz auf Antrag der beklagten Partei den betreffenden Gruppenkläger zum Ersatz des auf ihn entfallenden Teils der Kosten der beklagten Partei zu verpflichten.
(5) Die Gruppenkläger schulden die Entlohnung der klägerischen Rechtsanwältin oder des klägerischen Rechtsanwalts im Verhältnis der Anzahl der jeweils geltend gemachten Ansprüche. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 64 Abs. 1 Z 3 gilt für das Gruppenverfahren als einstweilige Befreiung von der Entrichtung des auf den Verfahrensbeholfenen entfallenden Teils der Entlohnung der klägerischen Rechtsanwältin oder des klägerischen Rechtsanwalts; diese Befreiung ersetzt für das Gruppenverfahren die Beigebung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts.
Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Gruppenverfahren
§ 633. (1) Jeder Gruppenkläger kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz durch einseitige Erklärung dem Gericht gegenüber aus dem Gruppenverfahren austreten. Einer Vertretung bedarf es für die Austrittserklärung nicht.
(2) Auf Antrag des Gruppenvertreters hat das Gericht einen Gruppenkläger aus dem Verfahren auszuschließen, wenn er Mitwirkungspflichten grob verletzt, insbesondere den auf ihn entfallenden Teil eines Kostenvorschusses dem Gruppenvertreter nicht erlegt.
(3) Wird über das Vermögen eines Gruppenklägers der Konkurs eröffnet, so wird das Gruppenverfahren nicht unterbrochen. Die Masseverwalterin oder der Masseverwalter hat binnen vier Wochen zu erklären, ob sie oder er den Anspruch weiter betreibt oder aus dem Verfahren austritt.
(4) Scheidet ein Gruppenkläger vorzeitig aus dem Verfahren aus, so gelten § 631 Abs. 1 bis 3 sinngemäß. Die Frist des § 631 Abs. 3 beginnt mit jenem Tag, an dem der Austritt gegenüber dem Gericht erklärt wird oder die Rechtskraft des Ausschlusses eintritt.
Sechster Abschnitt
Musterverfahren
Musterklage
§ 634. (1) Macht ein in § 29 KSchG genannter Verband einen ihm zur Geltendmachung abgetretenen Anspruch klagsweise geltend, so kann er beantragen, dass dieses Verfahren als Musterverfahren bekannt gemacht wird. Voraussetzung ist, dass der geltend gemachte Anspruch Rechtsfragen aufwirft, die für eine große Anzahl von Ansprüchen gegen dieselbe beklagte Partei bedeutsam sein können und sich aus einem im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalt ergeben.
(2) Der Verband hat in seiner Klage jene Merkmale zu bezeichnen, die das Verfahren als Musterverfahren kennzeichnen und die typischen Kriterien, die Ansprüche aufweisen müssen, um vom Musterverfahren betroffen zu sein, im Einzelnen genau anzugeben.
(3) Das Gericht hat die Klage in der Ediktsdatei öffentlich bekanntzumachen. Die Bekanntmachung hat neben einer Belehrung über die Voraussetzungen, die Frist und die Wirkungen einer Anmeldung eines Anspruchs auch die von der klagenden Partei bekannt zu gebende Adresse für Anmeldungen zu enthalten.
Anmeldung und Register
§ 635. (1) Ansprüche, die den von der klagenden Partei festgelegten Kriterien entsprechen, können bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz bei der klagenden Partei angemeldet werden.
(2) Eine Gleichschrift dieser Anmeldung ist auch der Anspruchsgegnerin oder dem Anspruchsgegner nachweislich zu übermitteln. Die Anmeldung hat ein bestimmtes Begehren zu enthalten und die Tatsachen, auf die sich der Anspruch gründet, kurz und vollständig anzugeben.
(3) Alle Anmeldungen sind von der klagenden Partei unverzüglich in ein Register einzutragen. Die Registereintragung des jeweils geltend gemachte Anspruchs muss so beschaffen sein, dass der Tag der Anmeldung, die Anspruchswerberin oder der Anspruchswerber, die Anspruchsgegnerin oder der Anspruchsgegner und die anspruchsbegründenden Tatsachen sowie das Begehren ersichtlich sind. Der beklagten Partei ist Einsicht zu gewähren.
(4) Die klagende Partei hat die Anmeldungen nach rechtskräftiger Beendigung des Musterverfahrens weitere drei Jahre aufzubewahren; auf Ersuchen der Person, die den Anspruch angemeldet hat, hat er sie dieser auszufolgen.
Wirkung der Registereintragung und Veröffentlichung
§ 636. (1) Die Eintragung eines Anspruchs in das Register unterbricht den Lauf der Verjährungsfrist wie die gerichtliche Einbringung einer Klage, wenn der Anspruch den von der Mustrerklägerin oder dem Musterkläger festgelegten Kriterien entspricht und gegen dieselbe beklagte Partei gerichtet ist sowie binnen drei Monaten nach Veröffentlichung der rechtskräftigen Beendigung des Musterverfahrens die Klage eingebracht wird.
(2) Die rechtskräftige Beendigung des Musterverfahrens ist in der Ediktsdatei bekanntzumachen. Die Daten sind nach Ablauf von vier Monaten zu löschen.“
Artikel II
Änderung des Gerichtsgebührengesetzes
Das Gerichtsgebührengesetz, BGBl. Nr. 501/1984, zuletzt geändert durch das Erbrechts-Änderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 87/2015, wird wie folgt geändert:
Nach § 18 wird folgender § 18a samt Überschrift eingefügt:
„Sonderregelungen für Gruppenverfahren
§ 18a. (1) Die Bemessungsgrundlage für eine Gruppenklage (§ 620 ZPO) beträgt 4 000 Euro, soweit nicht – sei es in einem Leistungs- oder in einem sonstigen Begehren – ein niedrigerer Geldbetrag ausschließlicher Gegenstand der Klage ist. Ein Beitrittsantrag gemäß § 624 ZPO ist gerichtsgebührenrechtlich einer Gruppenklage gleichzuhalten.
(2) Macht ein Gruppenkläger einen Anspruch, den er im Gruppenverfahren verfolgt hat, nach dessen Beendigung durch Klage geltend, so ist auf die dafür anfallende Pauschalgebühr die vom Kläger im Gruppenverfahren entrichtete Pauschalgebühr anzurechnen. Eine Gebührenrückzahlung für den Fall, dass die vom Kläger im Gruppenverfahren entrichtete Pauschalgebühr jenen Betrag übersteigt, der für die nachfolgende Klage als Pauschalgebühr anfiele, findet aber nicht statt. Gleiches gilt entsprechend bei Stellung eines Beitrittsantrags nach Klagseinbringung gemäß § 624 Abs. 2 ZPO.
(3) § 19a ist nicht anzuwenden.“
Artikel III
Änderungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes
Das Bundesgesetz über den Rechtsanwaltstarif, BGBl. Nr. 189/1969, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 13/2014, wird wie folgt geändert:
1. Nach § 7 wird folgender § 7a eingefügt:
„§ 7a. In Gruppenverfahren nach §§ 619 ff. ZPO hat das Gericht gleichzeitig mit dem Ausspruch nach § 625 Abs. 1 zweiter Satz ZPO den Gruppenvertreter zu einer Bewertung des Streitgegenstands des Gruppenverfahrens binnen 14 Tagen einzuladen. Der Gruppenvertreter ist bei dieser Bewertung an keine gesetzlichen Bewertungsregeln gebunden. Widerspricht der Beklagte einer solchen Bewertung des Streitgegenstands nicht binnen 14 Tagen, hat sie das Gericht als Bemessungsgrundlage (§ 3) für das gesamte Gruppenverfahren zugrunde zu legen, solange die sich unter Anwendung der §§ 4 ff. und 12 jeweils ergebende Bemessungsgrundlage nicht unter diese Bewertung fällt. Unterlässt der Gruppenvertreter eine Bewertung oder widerspricht der Beklagte fristgerecht, so richtet sich die Bemessungsgrundlage des Gruppenverfahrens nach den §§ 4 ff. und 12. Die Gruppenklage (§ 620 ZPO), die Beitrittserklärungen (§ 624 ZPO), die Austrittserklärungen (§ 633 ZPO) und die Äußerungen des Beklagten dazu sind nach der sich für den jeweiligen Schriftsatz ergebenden Bemessungsgrundlage zu entlohnen, soweit diese unter der für das Gruppenverfahren maßgeblichen Bewertung beziehungsweise der sich für das Gruppenverfahren nach § 12 ergebenden Bemessungsgrundlage liegt.“
2. In § 15 erhält der bisherige Inhalt die Absatzbezeichnung „(1)“ und wird folgender Abs. 2 angefügt:
„(2) Abs. 1 gilt nicht in Gruppenverfahren nach den §§ 619 ff. ZPO, dies einschließlich der Gruppenklage (§ 620 ZPO), der Beitrittserklärungen (§ 624 ZPO) und der Austrittserklärungen (§ 633 ZPO).“
3. In der Tarifpost 1 wird der Punkt am Ende des Schlusssatzes nach der Wendung „jedoch nie mehr als 208,20 Euro.“ durch einen Beistrich ersetzt und folgender Halbsatz angefügt:
„in Gruppenverfahren nach §§ 619 ff. ZPO für die in den Abschnitten I und II genannten Schriftsätze jedoch nie mehr als Euro 186,40.“
4. Der Tarifpost 2 wird folgender Abschnitt III angefügt:
„III. In Gruppenverfahren nach §§ 619 ff. ZPO gebührt für die im Abschnitt I Z 1 genannten Schriftsätze und für die erste Stunde der in Abschnitt II Z 1 genannten Tagsatzungen die in Abschnitt I festgesetzte Entlohnung, jedoch nie mehr als 902,70 Euro; für jede weitere, wenn auch nur begonnene Stunde einer Tagsatzung gebührt die Hälfte dieser Entlohnung, jedoch nie mehr als 451,40 Euro.“
5. Der Tarifpost 3 A wird folgender Abschnitt IV angefügt:
„IV. In Gruppenverfahren nach §§ 619 ff. ZPO gebührt für die im Abschnitt I Z 1 und 5 genannten Schriftsätze und für die erste Stunde der in Abschnitt II Z 1 genannten Tagsatzungen die in Abschnitt I festgesetzte Entlohnung, jedoch nie mehr als 1 795,90 Euro; für jede weitere, wenn auch nur begonnene Stunde einer Tagsatzung gebührt die Hälfte dieser Entlohnung, jedoch nie mehr als 898 Euro.“
6. Der Tarifpost 3 B wird folgender Abschnitt III angefügt:
„III. In Gruppenverfahren nach §§ 619 ff. ZPO gebührt für die in den Abschnitten I und Ia genannten Schriftsätze und für die erste Stunde der in Abschnitt II genannten Verhandlungen die im Abschnitt I festgesetzte Entlohnung, jedoch nie mehr als 2 244,50 Euro; für jede weitere, wenn auch nur begonnene Stunde einer Verhandlung gebührt die Hälfte dieser Entlohnung, jedoch nie mehr als 1 122,30 Euro.“
7. Der Tarifpost 3 C wird folgender Abschnitt IV angefügt:
„IV. In Gruppenverfahren nach §§ 619 ff. ZPO gebührt für die im Abschnitt I genannten Schriftsätze und für die erste Stunde der in Abschnitt II genannten Verhandlungen die im Abschnitt I festgesetzte Entlohnung, jedoch nie mehr als 2 692,90 Euro; für jede weitere, wenn auch nur begonnene Stunde einer Verhandlung gebührt die Hälfte dieser Entlohnung, jedoch nie mehr als 1 346,50 Euro.“
Artikel IV
Inkrafttreten
Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2016 in Kraft.
Begründung:
Mehr als 360.000 Autos aller VW-Konzernmarken sind aktuell in Österreich vom Dieselskandal betroffen. Jetzt werden rasche Nachbesserungen versprochen, doch der Schaden ist bereits entstanden. Luftschutzemissionsgrenzen wurden überschritten und dadurch die Umwelt massiv geschädigt. Auch die KonsumentInnen wurden geprellt. Ihnen wurde ein „umweltfreundliches“ Fahrzeug verkauft, das sie nie bekommen haben. Jetzt stehen ihnen aufwendige Rückruf- und Umbauaktionen bevor. Außerdem ist zu befürchten, dass sich das Preisniveau für die betroffenen Fahrzeuge am Gebrauchtwagenmarkt zukünftig nicht halten wird lassen.
Damit die KundInnen nicht auf ihren Schäden sitzen bleiben, hat der Verein für Konsumenteninformation (VKI) bereits einen ersten Aufruf zu einer Sammelklage gestartet. Das Problem ist allerdings, dass die österreichischen Gesetze gar keine Sammelklage kennen. Der VKI kann nicht einfach die Schäden der betroffenen AutofahrerInnen gesammelt bei Gericht einbringen. Stattdessen muss er sich zuerst von jedem/jeder geschädigten AutofahrerIn den Schadenersatzanspruch abtreten lassen. Diese gesammelten Forderungen können in weiterer Folge zwar bei Gericht eingebracht werden, das heißt aber nicht, dass das Gericht diese Klage auch anerkennen wird. In der Praxis muss nicht selten erst lange über die Zulässigkeit der Klage prozessiert werden, bevor es zur Behandlung der Schadenersatzforderungen kommt. Es braucht daher klare gesetzliche Regelungen zum Umgang mit Sammelklagen.
Die EU hat das Problem erkannt. 2013 hatte die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten empfohlen, Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung einzuführen. Solche Verfahren gibt es mittlerweile in Schweden, Norwegen, Polen, Italien, Dänemark, Belgien, Großbritannien und seit kurzem auch in Frankreich. Gemeinsam haben diese Klagsinstrumente, dass sie den geschädigten Personen zu einem rascheren und kostengünstigeren Schadenersatz verhelfen sollen. Mittlerweile hat auch Deutschland angekündigt, auf gesetzlicher Ebene entsprechend nachzuziehen.
In Österreich gibt es bis dato keine gesetzliche Möglichkeit der kollektiven Rechtsdurchsetzung und das obwohl schon im Jahr 2007 die damalige SPÖ‑Justizministerin Maria Berger einen Vorschlag zur Einführung eines entsprechenden Gruppenverfahrens per Ministerialentwurf auf den Weg geschickt http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIII/ME/ME_00070/index.shtml hat. Dieser Entwurf scheiterte aber in weiterer Folge am innerkoalitionären Geplänkel und liegt seither im Archiv des Parlaments.
Angesichts der durch den VW-Skandal bei den KonsumentInnen verursachten Schäden, ist ein Gruppenklageverfahren jetzt notwendiger denn je. Der vorliegende Antrag bringt den Ministerialentwurf aus dem Jahr 2007 deshalb inhaltlich gleichlautend wieder ein. Er würde den betroffenen KonsumentInnen eine rasche und effektive Rechtsdurchsetzung ermöglichen.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss vorgeschlagen.