1649/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 27.04.2016
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kollegin und Kollegen

betreffend Zusammenführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei längeren Bezugsdauern

 

Die Ausgestaltung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind eine zentrale Frage, wenn es darum geht Menschen die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einerseits entsprechend sozial abzusichern, andererseits diese Personen auch wieder rasch in Beschäftigung zu bringen und die Dauer der Arbeitslosigkeit kurz zu halten. Wesentliche Einflussfaktoren wurden in der Vergangenheit von wirtschaftswissenschaftlicher Seite stets identifiziert und entsprechende Lösungsvorschläge gegeben. Im Bereich der passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergeben sich aufgrund dieser mikroökonomischer Überlegungen umfangreiche Vorschläge zu einer optimalen Ausgestaltung dieser, insbesondere in Bezug auf die zeitliche Ausgestaltung von Ersatzraten, Dauer und Verpflichtungen für den Erhalt der Versicherungsleistung selber.

Wesentliche wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse - insbesondere aus einer europäischen Perspektive - ergeben sich aus Entwicklungen und umgesetzten Politiken in den 1990er-Jahren. Die Studien dazu sind relativ deutlich: "What we have learned the most about is unemployment insurance. The evidence is that limiting of benefits, as well as making them more contingent on job search and job acceptance, leads to more active search, a lower reservation wage, and lower duration of unemployment." (Blanchard (2006)) Vor diesem Hintergrund muss selbstverständlich auch die österreichische passive Arbeitsmarktpolitik diskutiert werden. Ziel muss es sein, die Zeiten von Arbeitslosigkeit kurz zu halten, um die negativen sozialen Folgen, aber auch die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen zu reduzieren.

Gerade im Hinblick auf die Großzügigkeit und die Dauer der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergibt sich für Österreich in interessantes Bild. Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die österreichische Ausgestaltung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht den internationalen Standards und vor allem nicht ökonomisch sinnvollen Konzepten entspricht. International anerkannte Standards setzen mit einer langsamen Variation bzw. Reduktion der Nettoersatzrate Arbeitsanreize und erhöhen diese Anreize im Zeitverlauf. In Österreich geschieht das nicht. So verändert sich die Nettoersatzrate im zeitlichen Verlauf kaum. Wie folgende Tabelle (Nettoersatzraten von Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung im zeitlichen Verlauf ausgewählter Staaten, Quelle: OECD) zeigt, ist der österreichische Weg international allerdings die Ausnahme und nicht die Regel.

 

1. Jahr

2. Jahr

3. Jahr

4. Jahr

5. Jahr

Österreich

61

58

58

58

58

Deutschland

64

48

42

36

36

Finnland

60

58

33

33

33

Frankreich

67

64

31

31

31

Dänemark

68

68

68

68

9

Schweden

66

63

41

8

8

Niederlande

71

59

3

3

3

Schweiz

80

40

0

0

0

Die "herausragende" Position Österreichs ergibt sich aus der Ausgestaltung der Notstandshilfe - die Versicherungsleistung im Falle einer längeren Arbeitslosigkeit. Gerade die desaströse Entwicklung der Arbeitsmarktzahlen zeigt sich in einem enormen Anstieg an Ausgaben für Notstandshilfe, was wiederum auf einen außerordentlichen Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit zurückzuführen ist. Diese Entwicklungen schlagen sich in den Bezugszahlen für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nieder: im Oktober 2015 bezogen 139.611 Personen Arbeitslosengeld und 161.756 Personen Notstandshilfe, womit inzwischen mehr Personen Notstandshilfe als Arbeitslosengeld empfangen, was die Problematik der Langzeitarbeitslosigkeit unterstreicht. Budgetär zeigt sich diese Entwicklung bei den veranschlagten Summen für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe - zwei extrem stark wachsende Ausgabenposten des Bundes, wobei die veranschlagten Mittel für die Notstandshilfe außerordentlich anwachsen, wie folgende Tabelle zeigt, die sich aus den Verzeichnis der veranschlagten Konten ergibt:

 

BVA 2016

BVA 2015

%-Veränderung

Arbeitslosengeld

2.010.099.000 €

1.855.500.000 €

+ 8,3%

Notstandshilfe

1.514.842.000 €

1.280.900.000 €

+ 18,3%

Diese Zahlen verdeutlichen, dass Langzeitarbeitslosigkeit zu einer immer stärkeren Belastung für die Arbeitslosenversicherung wird. Die Ausgestaltung der Notstandshilfe bzw. generell der passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung beeinflusst die Dauer von Arbeitslosigkeitsphasen maßgeblich. Diese evidente Tatsache wird in der österreichischen Diskussion völlig außer Acht gelassen. Abgesehen von der wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Ausgestaltung fehlt auch eine Berücksichtigung von Interessen der Versichertengemeinschaft. Gleichzeitig ist die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung im Auge zu behalten. Das Versicherungsprinzip wird überspannt, wenn die Arbeitslosenversicherung Leistungen der Notstandshilfe zeitlich unbegrenzt ausbezahlt. Das überfordert die Solidarität der Versichertengemeinschaft, denn das Arbeitslosengeld und die ihr folgende Notstandshilfe stellen eine Geldleistung zur Kompensation des vorübergehenden Einkommensentfalls aufgrund eines Jobverlustes dar. Logisch folgt daraus eine Überführung von Notstandshilfebezieher_innen in die Mindestsicherung nach einem länger andauernden Bezug.

Die Zahlen der Anfragebeantwortung (8002/AB XXV. GP) verdeutlichen, dass wie lange Personen tatsächlich passive Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und zeigt die Absurdität der Notstandshilfe als Versicherungsleistung bei langen Bezugsdauern auf:

Bezugsdauer (Arbeitslosengeld & Notstandshilfe)

Bezieher_innen

> 1 Jahr

100.252

> 2 Jahre

56.215

> 3 Jahre

33.798

> 5 Jahre

14.178

> 7 Jahre

6.138

> 10 Jahre

2.258

> 15 Jahre

452

> 20 Jahre

125

Wesentlich ist auch die durchschnittliche Höhe der Leistungen, die ausbezahlt werden. Gerade hier ergibt sich für die ausbezahlte Höhe Notstandshilfe ein interessantes Bild:

Bezugsdauer

Durchschnittlicher Anspruch (in EUR, 12x jährlich)

insgesamt

735,37

> 1 Jahr

749,68

> 2 Jahre

749,68

> 3 Jahre

746,02

> 5 Jahre

733,24

> 7 Jahre

712,24

> 10 Jahre

688,19

> 15 Jahre

652,58

> 20 Jahre

650,45

Die Zahlen belegen eindrücklich, dass die Höhe der Notstandshilfe teils deutlich unter den Richtsätzen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung von 837,76 Euro für alleinstehende Personen (2016) liegt. Für entsprechend viele Notstandshilfebezieher_innen ergibt sich dadurch auch ein Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung als sogenannte "Aufstocker".

Gerade im Hinblick auf Diskussionen über Reformen bzw. Weiterentwicklung im Bereich der Bedarfsorientierten Mindestsicherung muss auch die Wechselbeziehung von Mindestsicherung und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, insbesondere die Notstandshilfe genauer betrachtet werden. Der Rechnungshof untersucht dies in seinem Bericht "Bedarfsorientierte Mindestsicherung" (Reihe Bund 2014/9) , zeigt darin Ähnlichkeiten dieser beiden Leistungen auf und hält diesbezüglich fest:

"Der RH verkannte nicht die systembedingt unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen und Ziele und die sich daraus ergebenden Leistungsunterschiede der Mindestsicherung und der Notstandshilfe. Dessen ungeachtet hielt er es für zweckmäßig, insbesondere im Falle längerer Bezugszeiträume eine Harmonisierung beider Systeme zu erwägen. Der RH empfahl daher ... auf eine Harmonisierung bzw. Überführung in ein einziges Versorgungssystem für jene Fälle, in denen längere Notstandshilfe– bzw. Mindestsicherungsbezugsdauern vorlagen, hinzuwirken."

Die Umsetzung dieser Forderung würde auch den Abbau einer wesentlichen Doppelstruktur führen. Denn wie der Bericht des Rechnungshofes auch verdeutlicht, erhält ein großer Teil der Mindestsicherungsbezieher_innen die Mindestsicherung als eine Teilleistung und nicht als Vollleistung, d.h. die Mindestsicherung wird nur teilweise ausbezahlt, wenn ein anderer Sozialtransfer (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) unter dem Niveau der Mindestsicherung liegt. Eine vom Rechnungshof geforderte Zusammenführung der Notstandshilfe mit der Mindestsicherung bei langer Bezugsdauer würde diese Problematik aufheben.

Gerade der Übergang von Notstandshilfebezug in den Bezug der Mindestsicherung könnte einen zusätzlichen Anreiz darstellen, aufgrund eines weiter sinkenden Reservationslohnes eher eine Beschäftigung anzunehmen und damit zu Dauer der Arbeitslosigkeit zu verringern und langfristige Folgen zu verhindern und eine stabile Arbeitsmarktintegration zu ermöglichen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 


Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die vorsieht, dass die nicht unterbrochene Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und darauffolgender Notstandshilfe auf zwei Jahre begrenzt wird und damit die Notstandshilfe langfristig von der Bedarfsorientierte Mindestsicherung abgegrenzt wird."



In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.