1977/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 31.01.2017
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kollegin und Kollegen

betreffend zeitliche Staffelung des Arbeitslosengeldes

 

Die Ausgestaltung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung ist eine zentrale Frage in Bezug darauf, Menschen die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einerseits entsprechend sozial abzusichern, andererseits diese Personen auch wieder rasch in Beschäftigung zu bringen und die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit kurz zu halten. Wesentliche Einflussfaktoren wurden in der Vergangenheit von wirtschaftswissenschaftlicher Seite stets identifiziert und adäquate Lösungsvorschläge entwickelt. Im Bereich der passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergeben sich aufgrund dieser mikroökonomischen Überlegungen umfangreiche Vorschläge zu einer optimalen Ausgestaltung dieser Versicherungsleistung. Insbesondere in Bezug auf die zeitliche Ausgestaltung von Ersatzraten, Dauer der Leistung und Verpflichtungen für den Erhalt der Versicherungsleistung selbst liegen die Gestaltungsnotwendigkeiten auf der Hand.

Wesentliche wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse - insbesondere aus einer europäischen Perspektive - ergeben sich aus Entwicklungen und umgesetzten Politiken in den 1990er-Jahren. Die Studien dazu sind relativ deutlich: "What we have learned the most about is unemployment insurance. The evidence is that limiting of benefits, as well as making them more contingent on job search and job acceptance, leads to more active search, a lower reservation wage, and lower duration of unemployment." (Blanchard (2006)) Vor diesem Hintergrund muss selbstverständlich auch die österreichische passive Arbeitsmarktpolitik diskutiert und an die wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden. Ziel muss es sein, die Zeiten von Arbeitslosigkeit kurz zu halten, um die negativen sozialen Folgen, aber auch die negativen Auswirkungen auf die langfristigen Arbeitsmarktchancen der Betroffenen zu reduzieren.

Gerade im Hinblick auf die Großzügigkeit und die Dauer der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergibt sich für Österreich in interessantes Bild. Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die österreichische Ausgestaltung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht den internationalen Standards und vor allem nicht ökonomisch sinnvollen Konzepten entspricht. International anerkannte Standards setzen mit einer langsamen Variation bzw. Reduktion der Nettoersatzrate zusätzliche Arbeitsanreize und erhöhen diese Anreize im Zeitverlauf. In Österreich geschieht das nicht. So verändert sich die Nettoersatzrate im zeitlichen Verlauf kaum. Innerhalb der Europäischen Union ist der zeitlich unbegrenzt mögliche Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung, nämlich die österreichische Notstandshilfe, als außergewöhnlich zu werten. Auch die (deutliche) Reduktion der Leistungen im Zeitverlauf findet in einem Großteil der EU-Mitgliedsstaaten seine Anwendung.

Bei der Bestimmung und Veränderung der Nettoersatzrate muss eben darauf geachtet werden, dass Arbeitsangebot und -nachfrage am Arbeitsmarkt tatsächlich zueinanderpassen. Gerade die dauerhaft auf gleichem bzw. kaum verändertem Niveau bezahlte Leistung führt langfristig dazu, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe nicht mehr mit dem Reservationslohn der betroffenen Person zusammenpasst. Im Laufe einer Arbeitslosigkeit nimmt nämlich der Reservationslohn aufgrund langsamer Dequalififzierung ab. D.h. es nimmt für eine arbeitssuchende Person im zeitlichen Verlauf die Höhe jenes Lohnes ab, die sie potenziell am Arbeitsmarkt erwirtschaften könnte. Dieser Tatsache wird in der passiven Arbeitsmarktpolitik nur unzureichend Rechnung getragen, beispielsweise durch den Übergang von Arbeitslosengeld zu Notstandshilfe, oder durch die zeitliche Beschränkung eines Berufsschutzes.

Eine zeitliche Staffelung würde auch ermöglichen, dass die Ersatzraten am Beginn einer Arbeitslosigkeit erhöht werden könnten. Denn gerade im Falle kurzer Arbeitslosigkeit (bzw. in den ersten Monaten einer Arbeitslosigkeit) zeigt sich, dass die Nettoersatzraten im internationalen Vergleich leicht unterdurchschnittlich sind, was auch die folgende Übersicht der OECD zeigt (Angaben in % des versicherten Arbeitslohnes):

 

1. Jahr

2. Jahr

3. Jahr

4. Jahr

5. Jahr

Österreich

61

58

58

58

58

Deutschland

64

48

42

36

36

Finnland

60

58

33

33

33

Frankreich

67

64

31

31

31

Dänemark

68

68

68

68

9

Schweden

66

63

41

8

8

Niederlande

71

59

3

3

3

Schweiz

80

40

0

0

0

Auch zu niedrige Leistungen können eine gewisse Verzerrung am Arbeitsmarkt auslösen, wenn Personen dazu gedrängt werden, Jobs anzunehmen, für die sie tatsächlich überqualifiziert sind. Damit wird Humankapital ineffizient eingesetzt.

Alle diese Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik die Steuerungsmöglichkeiten über passive Leistungen bisher nicht genutzt werden. Eine effizienzsteigendere Umgestaltung von Leistungen in der Arbeitslosenversicherung in Bezug auf die Höhe der Nettoersatzraten kann aufkommensneutral gestaltet werden: Am Beginn der Arbeitslosigkeit können die Nettoersatzraten höher sein als bisher, um dann im zeitlichen Verlauf zu sinken - auch unter das derzeitige Niveau. Außerdem ist der Leistungsbezug zeitlich zu begrenzen. Gerade durch diese Maßnahme kann erreicht werden, dass Langzeitarbeitslosigkeit auch über passive Arbeitsmarktpolitik eingegrenzt wird. Die Ausgestaltung der Notstandshilfe bzw. generell der passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung beeinflussen nämlich die Dauer von Arbeitslosigkeitsphasen maßgeblich. Diese evidente Tatsache wird in der österreichischen Diskussion völlig außer Acht gelassen.

Abgesehen von der wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Ausgestaltung fehlt auch eine Berücksichtigung von Interessen der Versichertengemeinschaft. Gleichzeitig ist die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung im Auge zu behalten. Das Versicherungsprinzip wird überspannt, wenn die Arbeitslosenversicherung Leistungen der Notstandshilfe zeitlich unbegrenzt ausbezahlt. Das überfordert die Solidarität der Versichertengemeinschaft, denn das Arbeitslosengeld und die ihr folgende Notstandshilfe stellen eine Geldleistung zur Kompensation des vorübergehenden Einkommensentfalls aufgrund eines Jobverlustes dar. Logisch folgt daraus eine Überführung von Notstandshilfebezieher_innen in die Mindestsicherung nach einem länger andauernden Bezug und damit eine Zusammenführung der verschiedenen sozialen Sicherungssysteme in eine Logik.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 


Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestmöglich eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die eine umfassende Reform von monetären Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung vorsieht. Dabei soll en Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in ein System zusammengeführt werden, in welchem die Ersatzrate am Beginn einer Arbeitslosigkeit höher sein und im zeitlichen Verlauf kontinuierlich reduziert werden soll. Zudem ist eine zeitliche Begrenzung dieser Leistung der Arbeitslosenversicherung vorzusehen. Diese Maßnahme soll aufkommensneutral umgesetzt werden."



In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.