2103/A(E) XXV. GP
Eingebracht am 30.03.2017
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom
Original sind möglich.
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Niko Alm, Kollegin und Kollegen
betreffend Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Medienhauses
Der Medienwandel spart Österreich nicht aus
Unabhängigkeit ist ein großer Begriff. Aber nennen wir die Dinge beim Namen: Unabhängigkeit existiert im heutigen Medienmarkt nicht. Medien sind immer abhängig. Vom Zuspruch ihrer Leser_innen, Hörer_innen und Seher_innen, der Vermarktbar- keit ihrer Zielgruppen und manchmal auch von der Allgemeinheit der Steuerzah- ler_innen.
Traditionelle Medien kämpfen darum, ihre darauf aufbauenden Geschäftsmodelle zu erhalten oder zu transformieren, denn die Grundlage der hauptsächlichen Werbefinanzierung ist ihnen von technisch überlegenen Lösungen längst entzogen worden. Es war immer primär die Distribution, die über die Reichweite vermarktet wurde –
nicht der Inhalt. Mehr noch: Die Notwendigkeit und damit Bereitschaft für Inhalt zu bezahlen, geht zurück.
Journalismus befindet sich in einer veritablen Krise, die nicht nur ökonomisch ausgeprägt ist, sondern in Folge durch den Versuch der Verknappung und Polarisierung von Inhalten, um damit den letzten Rest Aufmerksamkeit zu binden, auch unter, Vertrauensentzug leidet.
Der Medienwandel beendet nicht nur historische Geschäftsmodelle, sondern öffnet auch die Teilnahme an der Gestaltung von Öffentlichkeit. Social Media und Smart- phones haben für alle Menschen die Barriere deutlich gesenkt, ihr Wissen teilen und ihre Meinung hörbar zu artikulieren. Aktive Meinungsfreiheit ist eine Chance. Und gleichzeitig gibt es Bedrohungen dieser Meinungsfreiheit, die paradoxerweise durch den Gebrauch derselben ausgelöst wurde. Auch weil ihre Grenzen von den Teilneh- mer_innen selbst ausgelotet, überschritten und neu ausgehandelt werden. Meinungsfreiheit bedeutet manchmal nämlich auch Faktenfreiheit. Auch in der zweiten
oft angewendeten Bedeutung der Freiheit von Fakten. Radikalisierung und bewusste Fehlinformation werden dazu benützt, Botschaften zu verkürzen. Ist das neu? Nein. Aber die verstärkte Sichtbarkeit erfordert die Forcierung eines Journalismus, der nachhaltig Inhalte liefert, die wiederum die Grundlage für den demokratischen Dis-
kurs bilden.
Wenn der Staat fördernd in den Markt greift, dann kann das in Zukunft in erster Linie nur an dem Punkt sein, an dem Inhalte der Ausführung oben entsprechen. Inhalte,
die gesellschaftlichen Mehrwert liefern oder kurz: Public Value.
Der ORF muss reformiert werden
Der ORF arbeitet mit einer medialen Verbreitungsstruktur aus vergangenen Jahrzehnten. Das größte Medienhaus Österreichs sieht sich in seinem Kernauftrag, gesellschaftlichen Mehrwert zu produzieren und zu verbreiten, mit einem Nachfragedefizit konfrontiert. Dem begegnet der ORF durch einen Vertriebsansatz, der sich in alle irgendwie erreichbaren Nischen und Bevölkerungssegmente erstrecken soll. Über
den Weg der Eigenfragmentierung, dem Schaffen immer neuer Ausspielkanäle, und die Versorgung mit Lockinhalten wird gerechtfertigt, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag inhaltlich überschritten wird. Die Folge davon sind Kosten, die kaum mehr kontrollierbar sind und bei sinkenden Werbeeinnahmen aktuell durch steigende Gebühren kompensiert werden. (Siehe dazu die im Dezember 2016 beschlossene Gebührenerhöhung.)
Allerdings sind diese Gebühren längst nicht mehr treffsicher und führen, gepaart mit dem inhaltlichen Ansatz des ORF, in eine Sackgasse. In absehbarer Zeit, also in den nächsten fünf bis zehn Jahren, wird der ORF dem Medienwandel so nicht mehr die Stirn bieten können. Will der ORF überleben und seine Finanzierung über Mittel der Allgemeinheit im weiteren Sinn, egal ob es sich um verpflichtende Gebühren, eine Haushaltsabgabe oder das Budget, rechtfertigen, muss er sich auf sein Kernge-
schäft, die Produktion von Public Value zurückziehen und neue Wege in der Verbreitung dieser Inhalte gehen. Durch eine vertikale Desintegration wäre die Produktion
von gesellschaftlichem Mehrwert nicht nur günstiger, sondern die Reichweite dieser Inhalte über innovative Vertriebskooperationen und -kanäle insgesamt auch höher.
Ziel: ORF Neu
Der ORF soll in den nächsten fünf bis sieben Jahren zu einem Public-Value- Medienhaus umgebaut werden. Dieser Umbau ergibt sich konsequenterweise aus einem modernen, medienpolitischen Zugang. Weg von der Förderung von Infrastruktur zur Produktion und Verbreitung, hin zu einer Unterstützung von Inhalten mit gesellschaftlichem Mehrwert. Die Notwendigkeit verlässlich, unabhängige Grundlagen für den demokratischen Diskurs zur Verfügung zu stellen, so wie die mediale Grundversorgung mit Public Value sicherzustellen, wird neben einer ausgebauten Medienförde-
rung Neu (als Nachfolgerin der direkten und indirekten Presseförderung) und damit
der Stärkung der privaten Medienhäuser auch durch den Betrieb eines öffentlichrechtlichen Medienhauses gewährleistet.
Diesem Konzept liegt die Prämisse zu Grund, der freie Medienmarkt schaffe nicht genügend Inhalte mit gesellschaftlichem Mehrwert. Dieses Marktversagen soll durch öffentliche Finanzierung der Produktion und zum Teil auch der Verbreitung dieser Inhalte ausgeglichen werden. Das Maß an Public Value ist also der Schlüssel zum Zugang zu öffentlichen Mitteln. Eine Schärfung des Begriffs ist hier also notwendig, wenngleich wir keine Definition von Public Value vorgeben wollen, sondern eine jeweils aktuelle Definition in die Verantwortung jener Stelle (Behörde) legen, die die Medienförderung Neu vergibt. Das kann z. B. die KommAustria sein.
Der ORF muss in der weiteren Betrachtung zunächst einmal in zwei große Unternehmensbereiche getrennt werden: Inhalt (Programm) und Verbreitung. Das staatliche Interesse besteht v. a. in der Entwicklung und Produktion der Inhalte. Konsequenterweise wird in Zukunft auch ausschließlich dieser Bereich gefördert. Die Verbreitung der Inhalte ist heute nicht mehr an die Infrastruktur des letzten Jahrtausends gebunden und kann auch innerhalb des ORF als separater Bereich gesehen werden.
Bereich 1: Inhalt (Programm)
Dieser Unternehmensbereich erfüllt den medienpolitischen Kernauftrag des ORF.
Hier entsteht Public Value. Im Mittelpunkt steht hierbei die Arbeit der Informationsredaktion, die ebenso wie andere Programmbereiche aus dem ORF Alt in den ORF
Neu übernommen werden können. In diesem Prozess kommt es zu einer Redimen- sionierung, die im Zuge einer Detailplanung des ORF Neu festgelegt wird. Es ist davon auszugehen, dass alle Bereiche außer der Informationsredaktion verkleinert werden müssen, und zwar um jene Teile, die nicht zur Erfüllung des Auftrags notwendig sind. Die technische Produktion (Film-Teams, Schnitt, Beiträge, etc.) wird rein nach ökonomischen Gesichtspunkten intern oder extern erledigt. Diese Entscheidung trifft die Geschäftsführung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien. Zukäufe, die rein der Unterhaltung dienen und nicht das Kriterium eines Inhalts mit gesellschaftlichem Mehrwert erfüllen, also keine meritorischen Güter sind, werden nicht mehr getätigt.
Bereich 2: Verbreitung
Die Verbreitung der Inhalte, des Programms bietet das größte Potenzial zur Veränderung des ORF. Hier muss die komplette Senderstruktur in Frage gestellt werden. Das bedeutet nicht, dass der ORF auf Fernseh- und Radiosender verzichten muss, aber eine Evaluation über die sinnvollste Methoden zur Verbreitung wird hier stattfinden müssen. Prinzipiell sollen dem ORF aber alle Kanäle offen stehen, jedenfalls und insbesondere auch moderne Methoden im Bereich mobile und soziale Applikationen und Netzwerke. Zusätzlich kann und soll der ORF seine hochwertigen Public- Value-Inhalte auch über private Kanäle anbieten. Hier geht es nicht darum, Inhalt zu verschenken, sondern darum, möglichst große Reichweite zu erzielen. Unser demokratisches Interesse ist es, vertrauenswürdige politisch relevante Nachrichteninformation (aber auch Kultur, Sport, Wirtschaft etc.) einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen.
Kosten und Finanzierung
Aktuell herrscht keine Transparenz in der Kostenstruktur des ORF. Wir können an dieser Stelle, ohne Detaileinblicke in das Unternehmen zu haben, nur Größenordnungen ableiten. Der ORF verfügt derzeit über ein Budget von rund 1 Milliarde Euro. Davon lukriert er ca. ein Drittel durch kommerzielle Angebote auf dem Werbemarkt, der große Rest kommt aus den Programmentgelten, die durch das GIS eingehoben werden. Die Werbeeinnahmen werden dem ORF nicht mehr zur Verfügung stehen. Ein Anhaltspunkt für eine zukünftige budgetäre Größenordnung sind also die Gebühren von ca. 600 Millionen Euro, die über einen Zeitraum von ein paar Jahren abgeschichtet werden und langsam durch Zuflüsse aus der Medienförderung Neu ersetzt werden. Die inhaltliche Fokussierung auf Public Value, gepaart mit einer vertikalen Desintegration und Anpassung in der Verbreitung muss jedenfalls deutlich günstiger zu haben sein als der Status Quo. Im Zielzustand (in ca. fünf bis sieben Jahren) soll der ORF Neu dann ausschließlich aus der Medienförderung Neu finanziert werden, die über eine unabhängige Stelle, wie etwa die KommAustria vergeben wird (siehe Medienförderung Neu weiter oben).
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien, wird angehalten, eine Regierungsvorlage vorzulegen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF in den nächsten fünf bis sieben Jahren zu einem Public-Value- Medienhaus umbaut, wobei:
• alle bisherigen Formen der direkten und indirekten Presseförderung von einem universellen, medienunabhängigen Ansatz einer Public-Value-Inhalteförderung abgelöst werden. Gefördert wird dabei nicht der Erhalt von Infrastruktur zur Produktion oder Verbreitung, sondern der inhaltliche Output, der den gesellschaftlichen Mehrwert bildet. Die Förderung kann von allen Medien beantragt werden und ist kanalunabhängig zu vergeben, wenn die Antragsteller gewisse organisatorische und wirtschaftliche Parameter erfüllen (z. B. ein hoher Prozentsatz redaktioneller Inhalt, Zielgruppe in Österreich bzw. Österreicher_innen im Ausland, verantwortliche_r Herausgeber_in, Erscheinungsfrequenz, Reichweite, ethische Grundsätze).
• Produktionen des ORF dann aus der Medienförderung Neu finanziert werden, die über eine unabhängige Stelle - etwa die KommAustria - vergeben wird.
• dem ORF eine Basisabgeltung in Höhe von bis zu 400 Millionen Euro jährlich zur grundsätzlichen Erfüllung des Kernauftrags zugesprochen wird.
• nach einer Evaluierung der sinnvollsten Methoden zur Verbreitung der Inhalte des ORF, jedenfalls und insbesondere auch die modernen Methoden im Bereich mobile und soziale Applikationen und Netzwerke für den ORF zugelassen werden müssen.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.