569/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 09.07.2014
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Daniela Musiol, Alev Korun, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Wahlrecht für in Österreich lebende Wohn- und UnionsbürgerInnen

BEGRÜNDUNG

1.    Aktuelle Rechtslage

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz setzt derzeit für die Ausübung des Wahlrechts überwiegend den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft voraus. Gemäß Artikel 23a Abs 1 B-VG können auch andere in Österreich wohnhafte EU-BürgerInnen die österreichischen Abgeordneten zum Europaparlament wählen bzw für diese Funktion kandidieren; gemäß Artikel 117 Abs 2 B-VG sind zum „Gemeinderat“ „auch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union wahlberechtigt und wählbar“. In der Literatur wird angemerkt, dass auch Art 1 B-VG („Das Recht geht vom Volks aus.“), seit dem EU-Beitritt Österreichs „in erheblichem Ausmaß zu einer bloßen dynamischen Verweisung geworden“ sei. Da das Wahlrecht zum Europaparlament an die Wahlordnung der Mitgliedsstaaten anknüpfe, dort teilweise auch Drittstaatsangehörige ein Wahlrecht hätten, werde das Europaparlament nicht nur von UnionsbürgerInnen gewählt. Das vom Europaparlament mitbeschlossene Europarecht gelte aber auch in Österreich. „Von einer exklusiven Staatsbürgerdemokratie kann in Österreich daher keine Rede mehr sein.“[1] Bemerkenswert ist auch, dass von 1929 bis 1968 Art 26 B-VG den einfachen Gesetzgeber ermächtigte, auf der Basis staatsvertraglich gewährleisteter Gegenseitigkeit „auch Personen, die nicht die Bundesbürgerschaft besitzen“, das Wahlrecht zum Nationalrat einzuräumen.[2]


Der für die Kommunalwahlen relevante Art 117 Abs 2 vierter Satz B-VG wurde mit der B-VG Novelle  1994, BGBl 1013, eingefügt und trat zugleich mit dem Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 in Kraft. Die „Richtlinie 94/80/EG über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen“, welche am 20. 1. 1995 in Kraft trat, spricht von lokalen Gebietskörperschaften der Grundstufe und verweist diesbezüglich auf mitgliedsstaatliche Konkretisierungen im Anhang. In Bezug auf Österreich wurde dieser Anhang erst am 22. 5. 1996 durch RL 96/30/EG wie folgt ergänzt: „in Österreich Gemeinden, Bezirke in der Stadt Wien“. Gemäß VfSlg 15.063/1997 stellt Art 117 Abs 2 vierter Satz eine bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung des Landesgesetzgebers dar. Eine Einschränkung dieser Ermächtigung für Wien auf die Bezirksebene wurde vom Verfassungsgesetzgeber (auch später) nicht vorgenommen. Gemäß Art 108 B-VG kommt dem Gemeinderat in Wien auch die Funktion des Landtages zu.

 

Die Gemeindewahlordnung Wien räumt Staatsangehörigen anderer EU-Mitgliedsstaaten nur auf Bezirksebene ein Wahlrecht ein. Das 2003 eingeräumte weitergehende Wahlrecht für andere NichtösterreicherInnen mit einem Mindestwohnsitz von fünf Jahren wurde vom Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung des „wahlrechtlichen Homogenitätsprinzips der österreichischen Bundesverfassung“ aufgehoben. Der in Art 1 B-VG verwendete Begriff des Volkes knüpfe an die österreichische Staatsbürgerschaft an (VfSlg 17.264/2004). Die Einräumung eines Wahlrechts  für nicht-österreichische Staatsangehörige über Art 117 Abs 2 vierter Satz B-VG hinaus durch die Länder bedarf daher einer Verfassungsänderung.

 

2.    Vom Wahlrecht ausgeschlossene WohnbürgerInnen in Zahlen

 

Am 1. Jänner 2014 lebten insgesamt 1.066.114 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Österreich. Dies entsprach einem Anteil von rund 12,5% an der Gesamtbevölkerung Österreichs.[3] Das heißt, dass österreichweit schätzungsweise über 12% der Bevölkerung vom Wahlrecht zum Nationalrat und zu den Landtagen ausgeschlossen sind, obwohl sie hier leben.

 

Unter den nicht-österreichischen Staatsangehörigen stammen 518.670 Personen (rund 49%) aus Ländern der Europäischen Union, die übrigen sind zum großen Teil Drittstaatsangehörige, aus dem EWR, der Schweiz, assoziierten Kleinstaaten und Staatenlose.

 

In Wien sind von 1.766.746 EinwohnerInnen 428.213 ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Davon sind wiederum 245.071 Drittstaatsangehörige. Das heißt, dass schätzungsweise über 24% WohnbürgerInnen von der Mitwirkung auf Gemeinderatsebene ausgeschlossen sind, schätzungsweise über 13% von der Mitwirkung auf Bezirksebene.

 

In der Gesamtheit der übrigen Gemeinden sind schätzungsweise über 4% WohnbürgerInnen vom Kommunalwahlrecht ausgeschlossen.

 

3.    Notwendigkeit der Reform und positive Beispiele

 

Wer von einem Gesetz betroffen ist, der soll auch an seiner Entstehung teilhaben. Das ist der grundsätzliche Anspruch einer Demokratie. Angesichts der Migrationsströmungen und eines immer mobiler werdenden Arbeitsmarktes ist die vorrangige Anknüpfung des Wahlrechts an der Staatsbürgerschaft nicht mehr adäquat. Neben der Anerkennung von Doppelstaatsbürgerschaften und der leichteren Zugänglichkeit der Staatsbürgerschaft  muss auch die Ausweitung des Wahlrechts auf diversen Wahlebenen in Betracht gezogen werden. Es greift zu kurz, so wie derzeit nur an die UnionsbürgerInnen zu denken und dies noch dazu auf sehr heterogenem Niveau. Der Wirkungskreis der Bezirksräte in Wien kommt in keiner Hinsicht an den des Gemeinderats bzw der Gemeinderäte heran. Die Europäische Union selbst weist ja mit der „Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen“ vom 25. 11. 2003 den Weg und begründet eine Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zu einer Erwerbstätigkeit, im Bereich der sozialen Sicherheit, bei steuerlichen Begünstigungen und dem Schutz vor Ausweisungen. „Migranten mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht unterscheiden sich damit im Effekt letztlich nur mehr beim Wahlrecht von den Staatsangehörigen.“ Es stellt sich die Frage warum und ob gerade beim Wahlrecht die Gleichbehandlung aufhören soll.[4]

 

Am 1. Mai 1997 trat das „Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben“ des Europarats in Kraft, das bis jetzt von 13 Staaten unterzeichnet  und von acht Staaten ratifiziert wurde[5]. Das optionale Kapitel C sieht vor, dass ausländischen Staatsangehörigen nach spätestens fünf Jahren legalen und gewöhnlichen Aufenthaltes unmittelbar vor den Wahlen das Wahlrecht auf lokaler Ebene gewährt wird.

 

Eine Untersuchung zum Wahlrecht von Nicht-EU-BürgerInnen aus 2007 fasst die Staaten Dänemark, Schweden, Finnland, Irland und Niederlande als „Vorreiter“ zusammen, weil sie das aktive und passive Kommunalwahlrecht allen WohnbürgerInnen vor 1994 einräumten. Zur Gruppe der „Pragmatiker“ werden Großbritannien, Spanien, Portugal  gezählt, die das Wahlrecht aufgrund der gemeinsamen Geschichte, Sprache und Tradition bzw auf Gegenseitigkeit ausgewählten AusländerInnen gewähren. Auch Belgien und Luxemburg werden zu dieser Gruppe gezählt. Von den damals neuen Mitgliedern der Union sahen 2007 –Estland, Litauen, Tschechische Republik, Slowenien und Slowakei ein Ausländerwahlrecht auf kommunaler Ebene – teilweise erst nach sehr langer Wohnsitzdauer - vor.[6]


In letzter Zeit haben sich einige zivilgesellschaftliche Organisationen für ein Ausländerwahlrecht stark gemacht. Beispielhaft sei verwiesen auf die Initiative WahlweXel jetzt!: „ …Deswegen empfinden wir es als längst überfällig, ganz besonders in Zeiten von transnationaler Migration, das Wahlrecht endlich auf alle Menschen, die hier leben auszuweiten. In einer Zeit, wo sich Geld- und Kapitalströme längst unkontrolliert global bewegen können, wird die Bewegung von Menschen immer noch durch staatliche und überstaatliche (wie z.B. Frontex) Institutionen autoritär zu regulieren versucht. Dennoch ist transnationale Migration Realität, eine Realität, der nur durch die volle Gleichberechtigung aller Menschen genüge getan werden kann.“[7] Die Interessensgemeinschaft Gemeinnütziger Organisationen schreibt in ihrem Civil Society Index, Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich, Juni 2014: „Die in Österreich legal lebenden AusländerInnen haben die gleichen Verpflichtungen wie InländerInnen, jedoch wenige politische Rechte. Bezieht man Campbells (2012) Ergebnisse mit ein, dass es in Österreich besonders schwierig ist, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, ist die Exklusivität des Wahlrechts als demokratisch beunruhigend zu betrachten.“

 

Es wird Zeit, dass sich Österreich dieser demokratiepolitischen Debatte (erneut) stellt.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und öffentlichen Dienst, die Bundesministerin für Inneres und der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, wird aufgefordert,

 

a)    soweit dies zur Ermächtigung der Landesgesetzgebung erforderlich ist, dem Nationalrat bis 21. Jänner 2015 eine Regierungsvorlage zur Novellierung des Bundes-Verfassungsgesetzes vorzulegen, damit die Länder über den Kreis der bisher Berechtigten hinaus das aktive und passive Wahlrecht wie folgt einräumen können:

 

a.    in Wien wohnhaften UnionsbürgerInnen anderer Mitgliedstaaten zum Gemeinderat (und Landtag),

b.    allen sonstigen nichtösterreichischen Staatsangehörigen abhängig von der Wohnsitzdauer

                                          i.    in Wien zum Bezirksrat und zum Gemeinderat (und Landtag) und

                                        ii.    in den anderen Ländern zum Gemeinderat und Landtag,

c.    in den anderen Ländern wohnhaften UnionsbürgerInnen anderer Mitgliedstaaten zum Landtag;

 

b)    auf europäischer Ebene für den Entfall der auf österreichischen Wunsch vorgenommenen Einschränkung des Kommunalwahlrechts für Wien auf die Bezirksebene in der Richtlinie 94/80/EG tätig zu werden und

 

c)    das „Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben“ zu unterzeichnen und dem Nationalrat zur Ratifikation vorzulegen.

In  formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss  vorgeschlagen.



[1] Franz Merli, Wahlen in Gibraltar, Demokratie in Österreich und Lehren für Europa, in: Tomislav Boric, Brigitta Lurger, Peter Schwarzenegger, Bernd Terlitza (Hsg), Öffnung und Wandel - Die internationale Dimension des Rechts II: Festschrift Willibald Posch (2011), 503 (508ff).

[2] Novellierungen BGBl 1929/392 bzw BGBl 1968/412. Siehe dazu näher Magdalena Pöschl, Wahlrecht und Staatsbürgerschaft, in: Metin Akyürek, Gerhard Baumgartner, Dietmar Jahnel, Georg Lienbacher, Harald Stolzlechner, Staat und Recht in europäischer Perspektive, Festschrift Schäfer (2006), 633 ff (657).

[3] http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_staatsangehoerigkeit_geburtsland

[4] Harald Eberhard, Inländer, Ausländer, Staatsbürger – wer gehört dazu?, erscheint in: Österreichische Juristenkommission (Hrsg), Demokratie: Zustand und Perspektiven (2014)

[5] http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp?NT=144&CM=8&DF=04/07/2014&CL=ENG

[6] Werner Bauer, Das kommunale Ausländerwahlrecht im europäischen Vergleich (2007), http://www.graz.at/cms/dokumente/10074212_415557/80941803/Kommunales%20Ausl%C3%A4nderwahlrecht_Dr.%20Werner%20T.%20Bauer.pdf

[7] http://www.wahlwexel-jetzt.org/p/manifesto.html