149/AB XXV. GP
Eingelangt am 24.01.2014
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
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BMJ-Pr7000/0251-Pr 1/2013 |
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Museumstraße 7 1070 Wien
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Tel.: +43 1 52152 0 E-Mail: team.pr@bmj.gv.at
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Frau
Präsidentin des Nationalrates
Zur Zahl 162/J-NR/2013
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben an meine Amtsvorgängerin eine schriftliche Anfrage betreffend „den Ermittlungen gegen mutmaßlichen KZ-Wächter J. H.“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Vorweg ersuche ich um Verständnis, dass ich mit Blick auf die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens (§ 12 StPO) keine inhaltlichen Details des Falles bekannt geben darf, wenn dadurch der Erfolg der Ermittlungen gefährdet oder Rechte von Verfahrensbeteiligten verletzt werden könnten. Wegen der grundlegenden Bedeutung dieses Falles in juristischer Hinsicht, aber vor allem auch als Ausdruck des den Opfern von NS-Verbrechen geschuldeten Respekts bin ich jedoch um eine möglichst transparente Darstellung bemüht.
Zu 1:
Die in der Anfrage angesprochene Sachverhaltsdarstellung gegen J. H. langte am 14. Juni 2012 bei der Staatsanwaltschaft Wels ein, nachdem die zuständige Fachabteilung meines Hauses bereits im Wege des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) eine Abklärung des Anfangsverdachtes hatte vornehmen lassen.
Zu 2 bis 4:
Das Gutachten über die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten wurde am 1. Juli 2013 bei einem gerichtlichen Sachverständigen für Psychiatrie/Neurologie in Graz in Auftrag gegeben und langte am 4. Oktober 2013 bei der Staatsanwaltschaft Wels ein. Aus den bereits dargelegten Gründen kann ich auf die konkreten Erkrankungen des Beschuldigten nicht eingehen. Der Gutachter kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass die Prozess- und Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten krankheitsbedingt nicht mehr gegeben und mit deren Wiedererlangung auch nicht mehr zu rechnen sei.
Zu 5 und 6:
Die Frage der Einholung eines weiteren Gutachtens über die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten wird erforderlichenfalls nach abschließender Klärung der Beweis- und Rechtslage vorzunehmen sein.
Zu 7 und 8:
Der Verfasser der Sachverhaltsdarstellung wurde vom BVT bereits am 12. April 2012 als Zeuge einvernommen; das BVT führte auch die erste Beschuldigteneinvernahme vom 20. August 2012 durch. Am 31. August 2012 wurde der Beschuldigte nochmals vom zuständigen Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wels ergänzend einvernommen.
Zu 9 und 10:
Im Anschluss an die zweite Beschuldigtenvernehmung richtete die Staatsanwaltschaft Wels am 6. September 2012 ein erstes Rechtshilfeersuchen an die Zentralstelle Ludwigsburg, das am 1. Oktober 2012 beantwortet wurde. Weitere Erhebungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ergaben, dass der Beschuldigte bereits am 15. November 1978 von Beamten des Bundesministeriums für Inneres im Beisein deutscher Ermittler als Zeuge für ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt vernommen worden war. Der Bezug habende Akt des Bundesministeriums für Inneres wurde beim österreichischen Staatsarchiv angefordert und langte am 3. Jänner 2013 bei der Staatsanwaltschaft Wels ein.
Nach einer ergänzenden schriftlichen Eingabe des Verfassers der Sachverhaltsdarstellung richtete die Staatsanwaltschaft Wels am 4. Februar 2013 unter Hinweis auf den aktuellen Ermittlungsstand ein weiteres Rechtshilfeersuchen an die Zentralstelle Ludwigsburg. In deren Beantwortung (bei der Staatsanwaltschaft Wels eingelangt am 1. März 2013) wurde ein in einem deutschen Verfahren erstattetes historisches Gutachten in anonymisierter Form übermittelt, das allgemein den Einsatz der Wachmannschaften im Konzentrationslager Birkenau darstellt. Laut Auskunft der Zentralstelle Ludwigsburg lägen zu J. H. jedoch keine personenbezogenen Unterlagen vor.
Nachdem sich der Verfasser der Sachverhaltsdarstellung im Juni 2013 neuerlich an die Staatsanwaltschaft Wels gewandt und darauf hingewiesen hatte, dass jene Einheit, in der der Beschuldigte gedient habe, am 7. Oktober 1944 zur Niederschlagung eines Aufstandes im Lager Birkenau eingesetzt worden sei, ließ die Staatsanwaltschaft Wels am 1. Juli 2013 nicht nur die Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten abklären, sondern gab auch ein historisches Sachverständigengutachten in Auftrag.
Zu 11 bis 16:
Wie meine Amtsvorgänger bereits bei der Beantwortung früherer Anfragen zu diesem Themenkomplex dargelegt haben (zuletzt zur Anfrage Zahl 14201/J-NR/2013), besteht aufgrund des anzuwendenden Günstigkeitsprinzips das Problem der Verjährung in zwei Bereichen: konkret in Bezug auf alle Handlungen damals „junger Erwachsener“ und in Bezug auf so genannte „entfernte“ Beteiligungshandlungen an den NS-Massenmorden. Für die Verfolgung von NS-Tätern bedarf es nach geltender und aufgrund des Rückwirkungsverbots nachträglich nicht mehr veränderbarer Rechtslage daher des Nachweises einer nach Vollendung des 21. Lebensjahres des Täters gesetzten unmittelbaren Ausführung, Anordnung oder direkten Beteiligung an der Ermordung der Opfer.
Eine aktive Recherche zu allen Österreichern, die sich auf einschlägigen Listen von KZ-Personal finden, ist ohne Vorliegen zusätzlicher Verdachtsmomente, dass eine bestimmte Person konkret eine noch nicht verjährte Straftat begangen haben könnte, mit den vorhandenen Ressourcen nicht zu bewältigen und auf Basis der oft unzureichenden Personaldaten auch faktisch nicht zu bewerkstelligen. Umso wichtiger sind Hinweise aus dem Bereich der Wissenschaft oder Ergebnisse privater Recherchen, die den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Wird ein konkreter Verdachtsfall bekannt, so kommt es nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen jedenfalls zu einem entsprechenden Informationsaustausch zwischen den österreichischen und deutschen Stellen.
Zu 17 bis 19:
Das historische Gutachten wurde in Auftrag gegeben, nachdem die Rechtshilfeergebnisse aus Deutschland eingelangt sind und in weiterer Folge die ergänzenden Hinweise des Anzeigers einen konkreten Anhaltspunkt auf das Vorliegen von noch nicht verjährten Straftaten erbrachten. Da der am 1. Juli 2013 bestellte Sachverständige erklärte, das Gutachten aus zeitlichen Gründen nicht erstatten zu können, beauftragte die Staatsanwaltschaft Wels am 2. August 2013 den nunmehr befassten Gutachter. Mit der Fertigstellung des Gutachtens ist voraussichtlich in einigen Monaten zu rechnen.
Zu 20:
Meine Amtsvorgängerin hat noch die Weisung erteilt, der Staatsanwaltschaft Wels die Fortsetzung und Ergänzung des Ermittlungsverfahrens aufzutragen, weil die vorliegende Verhandlungs- oder Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten der weiteren Durchführung des Ermittlungsverfahrens nicht entgegensteht. Auch mit Blick auf die justizgeschichtliche Bedeutung des aktuellen Ermittlungsverfahrens ist es unerlässlich, alle möglichen Erkenntnisquellen auszuschöpfen, insbesondere auch das historische Gutachten fertigstellen zu lassen.
Zu 21 und 22:
Das Bundesministerium für Justiz ist bestrebt, der historischen Verpflichtung Österreichs zur Aufklärung und Ahndung von NS-Verbrechen Rechnung zu tragen, und hat zu Beginn des Jahres 2010 eine Arbeitsgruppe zur Ausforschung mutmaßlicher NS-Täter eingesetzt. Diese Arbeitsgruppe besteht aus Vertretern der zuständigen Fachabteilung meines Hauses sowie der Zentralen Österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. Gegenstand der Recherchen dieser Arbeitsgruppe waren insbesondere die von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz bereits mit Unterstützung des Ressorts dokumentierten 526 Strafverfahren der seinerzeitigen Volksgerichte, die nach weiteren Hinweisen auf bislang nicht verfolgte Beschuldigte durchgesehen wurden. Gesichtet und ausgewertet wurden aber auch die Aktenbestände der österreichischen Strafverfahren betreffend die Konzentrationslager Majdanek und Mauthausen.
Zwischenergebnisse dieser Recherchen wurden zum Anlass für – zunächst – 85 Meldeanfragen, davon 77 auf Anregung der Forschungsstelle, genommen, um abzuklären, ob verdächtige Personen überhaupt noch am Leben sind. Gegebenenfalls war zunächst anhand des vorhandenen Materials zu beurteilen, ob deren Verfolgung mit Blick auf die zu beachtenden Verjährungsbestimmungen grundsätzlich noch zulässig ist.
Diese Frage war konkret bei zwei ausgeforschten Verdächtigen zu verneinen; bei einem weiteren Verdächtigen kam es nicht mehr dazu, ein Verfahren noch vor dessen Ableben einzuleiten. Bei zwei weiteren noch lebenden Verdächtigen sind die ergänzenden Recherchen im bezughabenden historischen Strafakt noch nicht abgeschlossen. Dazu sichten Mitarbeiter der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz im Auftrag meines Hauses das umfangreiche Aktenkonvolut im Zusammenhang mit der so genannten „Aktion Reinhard“ betreffend die Ermordung von fast zwei Millionen Juden in Ostpolen sowie den Strafakt betreffend NS-Verbrechen im Raum Minsk, an denen jeweils österreichische SS-Angehörige in relevantem oder sogar überproportionalem Ausmaß beteiligt waren. Mit Ergebnissen dieser Recherchen ist Ende des ersten Quartals dieses Jahres zu rechnen.
Auf die – aus Eigenem erfolgte – Einsetzung und die Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe hat mein Ressort im Österreich-Beitrag für den entsprechenden Jahresbericht des Simon Wiesenthal Centers Jerusalem hingewiesen. Eine diesbezügliche „Vereinbarung“ besteht nicht.
Zu 23 und 24:
Der Endbericht der Arbeitsgruppe liegt aufgrund des außerordentlichen Umfanges der Recherchetätigkeiten erst seit September 2013 vor und gab Anlass zu weiteren Meldeanfragen betreffend 134 (bzw. aufgrund einer Doppelnennung tatsächlich nur 133) Personen. Seit wenigen Wochen liegen vorläufige Erhebungsergebnisse des BVT vor, wonach von dieser jüngsten Anfragetranche noch acht Verdächtige am Leben sind. Diesbezüglich wird noch in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz abgeklärt, inwieweit die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen diese Personen nach den bereits dargelegten Kriterien zulässig erscheint. In Bezug auf die übrigen angefragten Verdächtigen konnte das BVT – auch mit Hilfe der deutschen Stellen – entweder deren Ableben verifizieren oder es fanden sich keine hinreichenden Hinweise zur Ausforschung dieser Personen.
Mir ist bewusst, dass sich die Justiz in einem Wettlauf gegen die Zeit befindet und die vor allem für das letzte Quartal des vorigen Jahrhunderts einzugestehenden Versäumnisse vielfach nicht mehr aufgeholt werden können. Mit der Tätigkeit der Arbeitsgruppe wurde jedenfalls eine wesentliche Vorarbeit geleistet, die dazu beitragen kann, bislang unbehelligt gebliebene Verdächtigte doch noch auszuforschen und die Frage ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu klären.
Wien, . Jänner 2014
Dr. Wolfgang Brandstetter