218/AB XXV. GP
Eingelangt am 11.02.2014
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BM für Justiz
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BMJ-Pr7000/0257-Pr 1/2013 |
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Museumstraße 7 1070 Wien
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Anfragebeantwortung
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Zur Zahl 231/J-NR/2013
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Lockspitzel bei der Polizei“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 5:
Die elektronischen Register der Verfahrensautomation Justiz ermöglichen keine automationsunterstützte Auswertung nach Lockspitzel-Einsatz oder Anordnung eines Scheingeschäftes gemäß § 132 StPO. Eine händische Auswertung aller Gerichtsakten bzw. staatsanwaltschaftlicher Tagebücher würde aufgrund des unvertretbar hohen Aufwands den Rahmen einer Anfragebeantwortung sprengen, weshalb ich um Verständnis bitte, wenn ich von einem derartigen Auftrag an die nachgeordneten Dienststellen absehen musste.
Zu 6, 11 und 15:
Die Staatsanwaltschaft ist als Leiterin des Ermittlungsverfahrens (§ 20 Abs. 1 StPO) für die Einhaltung der Gesetzmäßigkeit und damit natürlich auch für die Achtung der durch § 5 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 132 f StPO geregelten materiellen und formellen Voraussetzungen eines zulässigen „Scheingeschäftes“ verantwortlich.
Die Anordnung einer unzulässigen Tatprovokation ist der Staatsanwaltschaft naturgemäß untersagt und würde strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (§ 302 StGB), jede Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchführung verdeckter Ermittlungen oder eines Scheingeschäftes unterliegt einer gerichtlichen Kontrolle im Wege des Einspruchs wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 StPO und der begleitenden Kontrolle durch den Rechtsschutzbeauftragten der Justiz (§ 147 Abs. 1 Z 1 und 2 StPO).
Die Kriminalpolizei hat der Staatsanwaltschaft über die von ihr durchgeführten Ermittlungen zu berichten (§ 100 StPO); erlangt die Staatsanwaltschaft auf diesem Weg Kenntnis von einer unzulässigen Tatprovokation, so hat sie die entsprechenden straf- bzw. disziplinarrechtlichen Konsequenzen gegen die Verantwortlichen einzuleiten.
Verstöße der Strafverfolgungsbehörden gegen das Lockspitzelverbot widersprechen dem Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Was die Strafbarkeit des rechtswidrig Verleiteten anbelangt, so gesteht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) dem Betroffenen in solchen Konstellationen eine signifikante Strafmilderung zu, die ausdrücklich und messbar sein, im Urteil festgestellt und in den Strafbemessungsgründen beziffert werden muss (grundlegend 13 Os 73/08x; 15 Os 5/10i; 14 Os 156/10p; zuvor OGH in JBl 1979, 662; 11 Os 126/04; 14 Os 28/05g; 12 Os 67/05b; 13 Os 11/07b; 15 Os 55/07p; 15 Os 72/07p; referierend Ratz, ÖJZ 2006, 323 f; ders, § 281 Rz 86; Kirchbacher/Schroll, RZ 2005, 173).
Dem Konventionsverstoß ist im Rahmen der Strafbemessung Rechnung zu tragen. Dabei ist der in unzulässiger, dem Staat zuzurechnender Tatprovokation gelegene Konventionsverstoß (Art. 6 Abs. 1 EMRK) ausdrücklich im Urteil festzustellen und durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung auszugleichen (13 Os 73/08x; Pilnacek/Pleischl, Rz 28). Unzulässige staatliche Tatprovokation stellt demnach einen schuldunabhängigen Milderungsgrund dar.
Zu 7 und 8:
Der Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 14. Dezember 2007 zu einzelnen, im Rahmen der Vorbereitungen und Schulungen zum Strafprozessreformgesetz aufgetretenen Fragen enthält folgende Ausführungen:
„10. Beitrag zur Ausführung eines Scheingeschäfts durch Dritte
Den Bestimmungen der StPO ist nicht zu entnehmen, dass eine Kombination von verdeckter Ermittlung und Scheingeschäft per se unzulässig wäre. § 133 Abs. 3 StPO regelt lediglich die Verantwortlichkeit, nicht jedoch die Zuständigkeit zur Durchführung.
Abzustellen wäre auf § 132 letzter Satz StPO, wonach es zulässig ist, zur Ausführung eines Scheingeschäftes durch Dritte, also etwa einer kriminalpolizeilichen „Vertrauensperson“ beizutragen. Eine solche Kombination wird wohl in der Praxis überaus häufig angeordnet werden (siehe auch EBRV S 184: „Eine mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren unvereinbare Tatprovokation wäre tatbildlich erst dann gegeben, wenn die Vertrauensperson über das bloße „Mitmachen“ hinaus zur Weckung der Tatbereitschaft oder zur Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkte.“).“
Im Übrigen beginnt die durch § 5 Abs. 3 StPO verbotene Tatprovokation dort, wo eine Person zu einer Straftat im Sinne des § 12 zweiter Fall StGB bestimmt wird. Beiträge im Sinne des § 12 dritter Fall StGB werden durch das Tatprovokationsverbot hingegen nicht erfasst. Die verbotene Tatprovokation beginnt daher exakt dort, wo die Schranken der Zulässigkeit eines Scheingeschäfts nach § 132 zweiter Satz StPO überschritten sind. Diese Bestimmung bezweckt nicht, Vertrauensleute aus der kriminellen Szene zum Abschluss von Scheingeschäften zu ermächtigen, vielmehr will sie durch die Beschränkung auf § 12 dritter Fall StGB klarstellen, dass kriminalpolizeilichen Organen als Scheinkäufern lediglich (nach § 12 dritter Fall StGB zu beurteilende) Beiträge zum kriminellen Verhalten des Verkäufers erlaubt sind. Anstiftungshandlungen stellen demgegenüber Tatprovokationen dar, die gemäß § 5 Abs. 3 StPO verboten sind.
Zu 9, 10 sowie 12 bis 14:
Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erfolgte keine Anstiftung zum Ankauf von Kokain im Sinne einer Bestimmungstäterschaft nach § 12 zweiter Fall StGB durch eine verdeckte Ermittlerin, vielmehr wurde der verdeckten Ermittlerin die Beschaffung einer großen Menge Kokain angeboten. Die verdeckte Ermittlerin hat dieses Angebot auf Grundlage der Bestimmung des § 133 Abs. 1 erster Satz StPO angenommen. Disziplinarrechtliche Schritte waren demnach nicht indiziert.
Wien, . Februar 2014
Dr. Wolfgang Brandstetter