883/AB XXV. GP
Eingelangt am 02.05.2014
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BM Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft
Anfragebeantwortung
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Präsidentin des Nationalrates Mag. Barbara PRAMMER Parlament 1017 Wien |
Wien, am 30. April 2014
Geschäftszahl:
BMWFW-10.101/0096-IM/a/2014
In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 977/J betreffend „Grundlegende Veränderungen durch das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP)“, welche die Abgeordneten Dr. Kathrin Nachbaur, Kolleginnen und Kollegen am 6. März 2014 an mich richteten, stelle ich fest:
Antwort zu Punkt 1 der Anfrage:
In Ergänzung zu den Beantwortungen der parlamentarischen Anfragen Nr. 358/J und 643/J ist festzuhalten, dass an den Koordinierungssitzungen insbesondere Vertreter des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres, des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeriums für Finanzen, des Bundes-ministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und des Bundes-ministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie sowie Vertreter des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, der Bundesarbeitskammer, sowie der Wirtschaftskammer Österreich und der Industriellenvereinigung regelmäßig teilnehmen. So fanden z.B. seit Jahresbeginn 2014 in Vorbereitung der jeweiligen formellen Tagungen des EU-Ausschusses für Handelspolitik bis einschließlich 10. April insgesamt zehn Koordinierungssitzungen statt.
Der Diskussionsinhalt richtet sich nach den Tagesordnungen der vorzu-bereitenden Sitzungen des EU-Ratsauschusses Handelspolitik. Die TTIP-Verhandlungen stellen momentan natürlich einen Schwerpunkt dar. Im Übrigen sei erwähnt, dass die betroffenen Ressorts sowie Sozialpartner laufend begleitend zu den Verhandlungen schriftliche Stellungnahmen abgeben, welche in der jeweiligen österreichischen Positionierung Berücksichtigung finden.
Antwort zu den Punkten 2, 2a und 2b der Anfrage:
Österreich hat sich von Anfang an in der EU dafür eingesetzt, dass die für Österreich wichtigen Interessen auch im Verhandlungsmandat der EK klar zum Ausdruck gebracht werden. Daher trägt Österreich das Verhandlungsmandat, das vom Rat am 14. Juni 2013 beschlossen wurde, vollinhaltlich mit. Nachstehend werden zentrale Punkte der österreichischen Position wiedergegeben:
Für Österreich ist neben der Abschaffung von bestehenden Zöllen (für sensible Agrarwaren werden längere Zollabbaufristen und/oder Kontingentregelungen in Aussicht genommen) insbesondere die Beseitigung von nicht-tarifären Handelshemmnissen besonders wichtig. Der regulatorische Bereich wird auch von Österreich als einer der wichtigsten Verhandlungsbereiche angesehen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der US-Markt der größte Überseemarkt etwa für landwirtschaftliche Produkte aus Österreich ist, während es derzeit in den USA viele administrative Hürden gibt.
Österreich strebt eine wesentliche Verbesserung des Zugangs zum US-Beschaffungsmarkt auf allen Ebenen an, vor allem den Abbau diskriminierender US-Maßnahmen wie etwa der "Buy-American"-Bestimmungen.
Österreich ist auch daran interessiert, dass KMUs die Chancen aus diesem Abkommen gut nützen können.
Im Dienstleistungssektor sind Themen wie die audiovisuellen Dienstleistungen, die öffentlichen Dienstleistungen und die von Dienstleistern einzuhaltenden Arbeitsbedingungen ("labour clause") mit besonderer Sensibilität zu behandeln.
Österreich tritt weiters für ehrgeizige Bestimmungen im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung ein.
Wesentlich ist auch, dass das sogenannte "right to regulate" im Mandat enthalten ist, womit jeder Vertragspartner das Schutzniveau insbesondere für Gesundheit, Sicherheit, Konsumenten, Arbeits- und Umweltschutz nach eigenem Ermessen festlegen kann.
Österreich hat sich auch speziell dafür eingesetzt, dass im Bereich sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen dem Vorsorgeprinzip Rechnung getragen wird, wonach insbesondere bei ungenügender wissenschaftlicher Beweislage jeder Vertragspartner Maßnahmen zum Schutz von Menschen-, Tier- und Pflanzen-leben oder Gesundheit ergreifen kann.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft beim Rat durch mich oder durch hohe Beamte meines Ressorts vertreten wird; beim EU-Ratsausschuss Handelspolitik in dessen jeweiligen Formationen durch die zuständigen Mitarbeiter/innen des Bundes-ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.
Die Österreich-interne Koordinierung erfolgt in regelmäßig stattfindenden interministeriellen Besprechungen. Gleichzeitig erhalten die betroffenen Ministerien und die Sozialpartner laufend Gelegenheit, schriftliche Stellung-nahmen zu den jeweiligen Verhandlungsinhalten abzugeben.
Im Übrigen ist auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 643/J sowie auf die Antwort zu Punkt 1 dieser Anfrage zu verweisen.
Es besteht kein Anlass, an den grundsätzlichen Aussagen der vorliegenden TTIP-Studien zu zweifeln, umso mehr, als sie trotz unterschiedlicher Methoden durchwegs zu vergleichbaren Ergebnissen kommen.
Antwort zu den Punkten 2c und 2d der Anfrage:
Ob die Verpflichtungen im Dienstleistungs- und Investitionsbereich im TTIP in Form einer Positiv-oder Negativliste festgeschrieben werden, ist noch nicht entschieden. Es handelt sich dabei um eine Frage der Gestaltung der Verpflichtungslisten: Verpflichtungen gelten beim Positivansatz nur für die in der Verpflichtungsliste angeführten Sektoren und Subsektoren. Beim Negativansatz müssen die Ausnahmen einzelner Sektoren und Subsektoren in den Ausnahmelisten spezifiziert werden. Die österreichischen und EU-Interessen lassen sich mit beiden Listenformaten gut darstellen. Bisher wurden im Dienstleistungs- und Investitionsbereich weder Angebote ausgetauscht noch gibt es einen EU-Angebotsentwurf.
Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:
Die Studie "Modeling the Effects of Free Trade Agreements between the EU and Canada, USA and Moldova/Georgia/Armenia on the Austrian Economy: Model Simulations for Trade Policy Analysis" (FIW Studien 2012/13 N° 3; Jänner 2013) wurde von Joseph Francois und Olga Pindyuk erstellt.
Professor Joseph Francois ist ein international renommierter Wirtschaftswissenschafter im Bereich Außenwirtschaft. Zum Zeitpunkt der Beauftragung war er am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und als Professor für Ökonomie an der Johannes-Kepler-Universität Linz tätig. Derzeit ist er Professor für Ökonomie am World Trade Institute in Bern. Olga Pindyuk ist Mit-arbeiterin des wiiw mit Schwerpunkt Außenwirtschaft.
Die Beauftragung erfolgte im Rahmen des "Volkswirtschaftlichen Studienpools 2011", nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren, am 27. Dezember 2011. Die Studie wurde am 8. Oktober 2012 vorgelegt und, nach Begutachtung durch den FIW-Beirat, am 18. Jänner 2013 veröffentlicht. Die Kosten der Studie betrugen € 28.000. Die Studie ist seit 18. Jänner 2013 auf http://www.fiw.ac.at/ index.php?id=711#c11520 verfügbar.
Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:
Zunächst ist auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfragen Nr. 358/J und Nr. 643/J zu verweisen.
Österreich wird sich in den EU-internen Beratungen zu den Verhandlungen jedenfalls für eine Beibehaltung des hohen Schutzniveaus einsetzen. Kommissar De Gucht hat bereits mehrmals versichert, dass die EU ihre hohen Standards nicht wegen eines Freihandelsabkommens aufgeben wird.
Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:
Ein alle Bereiche des Verhandlungsmandats umfassendes Abkommen wäre als gemischtes Abkommen zu qualifizieren, welches gemäß Art. 50 B-VG vom österreichischen Parlament zu ratifizieren ist.
Antwort zu Punkt 6 der Anfrage:
Völkerrechtliche Verträge haben grundsätzlich keine Auswirkungen auf innerstaatliche Gesetzgebungsprozesse einschließlich der Gestaltung des Begut-achtungsverfahrens. Wenn TTIP eine "right to regulate" Bestimmung enthält, wovon aufgrund des Verhandlungsmandates mit Sicherheit auszugehen ist, sind Schiedsgerichte daran gebunden.
Die von den EU-Mitgliedsstaaten am 14. Juni 2013 beschlossenen bindenden Verhandlungsrichtlinien, das sogenannte Verhandlungsmandat, auf dessen Grundlage die Europäische Kommission die TTIP-Verhandlungen führt, hält ausdrücklich fest, dass das Abkommen das Recht der Vertragsparteien, Vorschriften nach Maßgabe des von der jeweiligen Seite für angemessen erachteten Schutzniveaus in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Verbraucher, Arbeit und Umwelt sowie kulturelle Vielfalt zu erlassen oder auf andere Weise legitime Regulierungsziele zu erreichen, unberührt lässt.
Die in einigen Investitionsschutzabkommen vorgesehene Möglichkeit zur einvernehmlichen verbindlichen Interpretation von Vertragsbestimmungen durch die Vertragsparteien ist Ausdruck der Souveränität der Vertragsparteien und kann zur Klarstellung ihrer ursprünglichen Intention und zur Erhöhung der Berechenbarkeit der Abkommensumsetzung beitragen. Das TTIP-Verhandlungsmandat sieht diese Möglichkeit vor.
Investitionsschutz und ISDS macht auch in Abkommen mit Ländern mit entwickeltem Rechtssystem Sinn. Einerseits sind Richter an nationalen Gerichten immer Organe des beklagten Staates, was zu Interessenskonflikten führen kann. Andererseits haben nationale Gerichte oft wenig Erfahrung mit der direkten Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen. Gerade US-Gerichte zeigen diesbezüglich eine restriktive Praxis. In solchen Fällen ist die Anrufung eines unabhängigen Schiedsgerichts mitunter die einzige Möglichkeit zur Geltendmachung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Dass in den USA Zivilklagen oft vor Geschworenengerichten stattfinden, erhöht das Risiko für europäische Kläger weiter.
Die TTIP-Verhandlungen bieten überdies die Chance, das ISDS-System weiter-zu entwickeln und zu verbessern und einen neuen internationalen Standard für ein modernes und ausgewogenes Investitionsschutzverfahren zu schaffen. Das betrifft zum Beispiel die Vermeidung missbräuchlicher Klagen und von Interessenskonflikten von Schiedsrichtern, die Stärkung des Rechts der Regierungen zur Rechtsetzung im Interesse berechtigter Gemeinwohlziele (das "right-to-regulate") sowie die Erhöhung der Vorhersehbarkeit der Ergebnisse von Schiedsverfahrens sowie der Verfahrenstransparenz.
Weil gerade dieses Thema zuletzt Gegenstand besonderer Bedenken war, hat die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation dazu eingeleitet, an der sich alle Stakeholder beteiligen können. Das Ergebnis wird in die Verhandlungen einfließen. Ich begrüße diese Nachdenkphase.
Antwort zu Punkt 7 der Anfrage:
Das BMWFW stellt ausführliche Informationen über die TTIP-Verhandlungen auf seiner Homepage zur Verfügung: http://www.bmwfw.gv.at/ Aussenwirtschaft/handelspolitik/EU/Seiten/TransatlanticTradeandInvestmentPartnership(TTIP).aspx.
Gleiches gilt für die Europäische Kommission auf ihrer Homepage (http://ec.europa.eu/ trade/policy/in-focus/ttip/).
Während jeder Verhandlungsrunde finden Stakeholder-Treffen statt, bei denen die Europäische Kommission interessierte Vertreter der Zivilgesellschaft über den Fortgang der Verhandlungen informiert.
Auch in Österreich finden Informationsveranstaltungen statt. Der US-Chefverhandler für TTIP, Dan Mullaney, war am 20. März 2014 in Wien, um Fragen österreichischer Parlamentarier und Ministeriumsvertreter zu beant-worten, und traf bei dieser Gelegenheit auch mit österreichischen Stakeholdern zusammen.
Eine Informationsveranstaltung mit Nichtregierungsorganisationen ist in Vorbereitung. Der Außenwirtschaftspolitische Beirat im Juni unter Beteiligung der Sozialpartner und von Nichtregierungsorganisationen wird ebenfalls dem Thema gewidmet sein.
Überdies wird das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft in Hinkunft nach jeder Verhandlungsrunde gemeinsam mit Vertretern der Europäischen Kommission eine Informationsveranstaltung organisieren.
Antwort zu Punkt 8 der Anfrage:
Die TTIP-Verhandlungen sind Teil der Gemeinsamen Handelspolitik und fallen somit in die Zuständigkeit der Europäischen Union. Die Europäische Kommission führt die Verhandlungen mit Drittstaaten auf Grundlage des vom Rat erteilten Mandats. Chefverhandler für TTIP ist auf EU-Seite Ignacio Garcia Bercero. Der US-Chefverhandler für die TTIP-Verhandlungen ist Dan Mullaney. An den ein-zelnen Verhandlungsrunden nehmen je nach den konkreten Verhandlungsthemen zahlreiche Vertreter der Europäischen Kommission sowie von US-Behörden teil, die meinem Ressort nicht namentlich bekannt sind.
Antwort zu Punkt 9 der Anfrage:
An den Informationsveranstaltungen, welche die Europäische Kommission nach jeder TTIP-Verhandlungsrunde abhält, nehmen keine Regierungsvertreter teil.
Antwort zu Punkt 10 der Anfrage:
Stillhalteklauseln sind traditioneller Bestandteil von Freihandelsabkommen. Eines der Hauptziele derartiger Abkommen besteht darin, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für Wirtschaftstreibende, insbesondere Investoren, bezüglich Marktzugang und Inländerbehandlung zu gewährleisten. Dieses Ziel würde unterlaufen werden, wenn Verpflichtungen jederzeit von Vertragsparteien einseitig zurückgenommen oder zum Nachteil des Freihandelspartners abgeändert werden könnten.
Antwort zu Punkt 11 der Anfrage:
Grundsätzlich ist die in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 643/J dargelegte österreichische Position festzuhalten, wonach das "right to regulate" unangetastet bleiben muss, was auch vollinhaltlich in das Ver-handlungsmandat der Europäischen Kommission Eingang gefunden hat.
Im Übrigen ist auf die inhaltliche Zuständigkeit des Bundesministeriums für Gesundheit und die bezüglichen Ausführungen in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage 241/J zu verweisen.
Antwort zu Punkt 12 der Anfrage:
Grundsätzlich ist die in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 643/J dargelegte österreichische Position festzuhalten, wonach das "right to regulate" unangetastet bleiben muss, was auch vollinhaltlich in das Ver-handlungsmandat der Europäischen Kommission Eingang gefunden hat.
Ergänzend ist festzustellen, dass die EU-UVP-Richtlinie unter Anderem eine Umweltverträglichkeitsprüfung bei Projekten zur Gewinnung von Erdgas zu gewerblichen Zwecken mit einem Fördervolumen von mehr als 500.000 Kubikmeter pro Tag sowie ein Screening bei Projekten mit Tiefenbohrungen und bei oberirdischen Anlagen zur Gewinnung von Erdgas vorschreibt. In diesem Zusammenhang ist auch die Empfehlung der Europäischen Kommission vom 22. Januar 2014 mit Mindestgrundsätzen für die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z.B. Schiefergas) durch Hochvolumen-Hydrofracking, 2014/70/EU, von Bedeutung, die für alle derartigen Vorhaben festhält, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen sollten, um sicherzustellen, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß der Richtlinie 2011/92/EU durchgeführt wird.
Im Übrigen ist auf die Antwort zu Punkt 6 dieser Anfrage, die inhaltliche Zu-ständigkeit des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft für das UVP-Gesetz sowie die bezüglichen Ausführungen in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 240/J zu verweisen.