Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Allgemeines:

Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), BGBl. III Nr. 180/2002, hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt, seine Änderung bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Die Änderung des Statuts hat nicht politischen Charakter. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendung der Änderung des Statuts im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG, dass diese Änderung durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch die Änderung des Statuts keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf es keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.

Die Verabschiedung des Statuts in Rom im Jahr 1998, dessen Inkrafttreten 2002 und die damit einhergehende Schaffung des IStGH stellen Meilensteine in der Verfolgung der schwersten internationalen Verbrechen dar. Dennoch bleiben gewisse Lücken der völkerrechtlichen Strafbarkeit bestehen. So stellt der Einsatz bestimmter Waffen (z.B. Gift) und Geschosse (z.B. Geschosse, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen) in internationalen bewaffneten Konflikten ein Kriegsverbrechen im Sinne des Statuts dar, nicht aber dann, wenn er in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten erfolgt. Durch die auf der Überprüfungskonferenz von Kampala 2010 von den Vertragsstaaten im Konsens angenommene Änderung von Art. 8 des Statuts (in Anlage I zu Resolution RC/Res.5 vom 10. Juni 2010) soll diese Lücke nun geschlossen werden. Gemeinsam mit der Änderung des Statuts wurden von der Überprüfungskonferenz mit der Resolution RC/Res.5 „Verbrechenselemente“ angenommen (Anlage II der Resolution RC/Res.5, siehe Anhang zu den Erläuterungen), die dem IStGH gemäß Art. 9 des Statuts bei der Auslegung und Anwendung der Straftatbestände helfen sollen. Die Anlage II ist nicht Teil der Änderung des Statuts, ist jedoch gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. a des Statuts vom Gerichtshof zu berücksichtigen.

Im Zusammenhang mit dieser Änderung des Statuts besteht keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anpassung des nationalen Strafrechts. Dennoch befindet sich unter dem Gesichtspunkt der Komplementarität eine Novelle des Strafgesetzbuches derzeit bereits in Ausarbeitung, durch welche die Ausweitung des Straftatbestandes des Kriegsverbrechens des Einsatzes bestimmter Waffen und Geschosse auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte im österreichischen Strafrecht umgesetzt werden soll.

Die vorgelegte deutsche Übersetzung der Änderung wurde im Frühjahr 2012 von Österreich, Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz gemeinsam erstellt.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Die Änderung des Statuts ist in den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen authentisch. Dem Nationalrat werden gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG nur die authentische englische und französische Sprachfassung der Änderung sowie die Übersetzung in die deutsche Sprache zur Genehmigung vorgelegt.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Durch die Änderung des Statuts werden die Rechtsvorschriften der Europäischen Union nicht berührt.

Besonderer Teil

Zur Änderung des Art. 8:

Durch das Einfügen dreier neuer Ziffern nach Art. 8 Abs. 2 lit. e Z xii wird für die Straftatbestände der Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen (Z xiii), von erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen sowie allen ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffen oder Vorrichtungen (Z xiv) sowie von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken (Z xv), in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten die Zuständigkeit des IStGH begründet. Diese Handlungen stellen einen Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht dar und waren bereits vorher im Rahmen internationaler bewaffneter Konflikte vor dem IStGH strafbar. Die Strafbarkeit derartiger Handlungen in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten wird damit der Strafbarkeit in internationalen bewaffneten Konflikten angeglichen.

Den zur Auslegung von Art. 8 Abs. 2 lit. 2 Z xiii und xiv heranzuziehenden „Verbrechenselementen“ (siehe Anhang) zufolge müssen das Gift oder die vergifteten Waffen bzw. die Gase, Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen, die verwendet wurden, geeignet sein, den Tod oder eine schwere Gesundheitsbeschädigung des Opfers herbeizuführen. Der Täter muss diese Handlungen im Rahmen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts gesetzt haben, diese Handlungen müssen mit dem Konflikt verbunden gewesen sein.

Wie sich aus den „Verbrechenselementen“ zu Art. 8 Abs. 2 lit. e Z xv ergibt, muss der Täter Kenntnis davon gehabt haben, dass die Verwendung dieser Geschosse das Leiden oder die Verletzungswirkung unnötig verstärkt. Ebenso stellen die „Verbrechenselemente“ – genauso wie das Statut (Art. 8 Abs. 2 lit. f) und der siebente und neunte Präambularabsatz der Resolution RC/Res.5 vom 10. Juni 2010 – klar, dass Situationen unterhalb der Schwelle nicht-internationaler bewaffneter Konflikte (z.B. innere Unruhen und Spannungen, Situationen im Zusammenhang mit der Wahrung der öffentlichen Sicherheit wie Geiselbefreiungen) von der Gerichtsbarkeit des IStGH ausgenommen sind, und daher in diesen Situationen die Verwendung derartiger Geschosse nicht unter die Strafdrohung von Art. 8 Abs. 2 lit. e Z xv fällt.

 


 

Anhang zu den Erläuterungen:

Anlage II zu Resolution RC/Res.5 (Übersetzung)

 

„Verbrechenselemente“

Den „Verbrechenselementen“ werden folgende Elemente hinzugefügt:

Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe e Ziffer xiii

Kriegsverbrechen der Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen

 

Elemente

           1. Der Täter verwendete eine Substanz oder eine Waffe, durch deren Verwendung eine Substanz freigesetzt wird.

           2. Die Substanz war so beschaffen, dass sie aufgrund ihrer toxischen Eigenschaften im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung herbeiführt.

           3. Das Verhalten fand im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt statt, der keinen internationalen Charakter hat, und war mit ihm verbunden.

           4. Der Täter hatte Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts begründeten.

 

Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe e Ziffer xiv

Kriegsverbrechen der Verwendung verbotener Gase, Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen

 

Elemente

           1. Der Täter verwendete ein Gas oder eine andere ähnliche Substanz oder Vorrichtung.

           2. Das Gas, die Substanz oder die Vorrichtung waren so beschaffen, dass sie aufgrund ihrer erstickenden oder toxischen Eigenschaften im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung herbeiführen.[1]

           3. Das Verhalten fand im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt statt, der keinen internationalen Charakter hat, und war mit ihm verbunden.

           4. Der Täter hatte Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts begründeten.

 

Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe e Ziffer xv

Kriegsverbrechen der Verwendung verbotener Geschosse

 

Elemente

           1. Der Täter verwendete bestimmte Geschosse.

           2. Die Geschosse waren so beschaffen, dass ihre Verwendung gegen das internationale Recht des bewaffneten Konflikts verstößt, weil sie sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken.

           3. Der Täter hatte Kenntnis davon, dass die Geschosse so beschaffen waren, dass ihre Verwendung das Leiden oder die Verletzungswirkung unnötig verstärken würde.

           4. Das Verhalten fand im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt statt, der keinen internationalen Charakter hat, und war mit ihm verbunden.

           5. Der Täter hatte Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts begründeten.



[1] Dieses Element ist nicht so auszulegen, als beschränke oder berühre es bestehende oder sich entwickelnde Regeln des Völkerrechts in Bezug auf die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und den Einsatz chemischer Waffen.