Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Föderativen Republik Brasilien über die Auslieferung ist gesetzändernd bzw. gesetzergänzend und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Es hat nicht politischen Charakter. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendung des Abkommens im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch das Abkommen keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf es keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.

Im Verhältnis zu Brasilien findet der Auslieferungsverkehr derzeit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit (§ 3 ARHG) statt, weil ein direkt anwendbares internationales Übereinkommen, das diese Materie regelt, im Verhältnis zu Brasilien nicht in Geltung steht. Diese Rechtsgrundlage entspricht mit Blick auf die Zunahme internationaler Reisebewegungen, die auch von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden gesuchten Personen vermehrt Fluchtmöglichkeiten eröffnen, nicht mehr den Erfordernissen eines modernen Auslieferungsverkehrs.

Entsprechend der bereits von mehreren anderen EU-Mitgliedstaaten gewählten Vorgangsweise soll daher der Auslieferungsverkehr zwischen beiden Staaten auf eine vertragliche Grundlage gestellt und ein Abkommen in Kraft gesetzt werden, um die Durchführung von Auslieferungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Gerade im Bereich der schweren Wirtschaftskriminalität und organisierten Kriminalität hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die aufstrebenden Länder Lateinamerikas interessante Fluchtziele für beschuldigte und verurteilte Personen darstellen, um sich so dem österreichischen Strafverfahren und der Strafvollstreckung zu entziehen. Die Auslieferung von Personen, die Dank der guten polizeilichen Zusammenarbeit zwischen Österreich und Brasilien ausgeforscht werden können, soll durch das vorliegende Abkommen gesichert und wesentlich erleichtert werden. Umgekehrt soll auch für die Auslieferung von Personen, die von den Strafverfolgungsbehörden Brasiliens gesucht und in Österreich betreten werden, eine direkt anwendbare moderne Rechtsgrundlage geschaffen werden.

Neben der Schaffung einer Auslieferungsverpflichtung - auch für fiskalische Straftaten - sieht der Vertrag eine Reihe von Regelungen vor, die der Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren dienen: Neben der Eröffnung des direkten Verkehrs zwischen den Justizministerien und der Festschreibung des Interpolwegs für die Übermittlung von Ersuchen um Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft sieht der Vertrag die Nutzung moderner (elektronischer) Kommunikationsmittel, eine Abschaffung von Beglaubigungserfordernissen, eine klare Umschreibung und Reduktion vorzulegender Unterlagen, eine ausdrückliche Verpflichtung zur beschleunigten Abwicklung sowie eine Reihe von Fristen vor.

Das Abkommen orientiert sich inhaltlich weitgehend an der sogenannten „Mutterkonvention“, dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), ETS 024, BGBl. Nr. 320/1969, und nimmt ausdrücklich auf die Schutzstandards der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), ETS 005, BGBl. Nr. 210/1958, Bezug.

Das Abkommen wird voraussichtlich keine finanziellen Auswirkungen haben. Allfällige Aufwendungen finden in den Ansätzen des zuständigen Ressorts ihre Bedeckung.

Besonderer Teil

Zur Präambel:

Im ersten Anstrich der Präambel wird ausdrücklich auf die Bekämpfung der Straffreiheit als Zweck des Abkommens verwiesen.

Der zweite Anstrich ruft die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen einer Kooperation auch im Justizbereich in Erinnerung.

Im dritten Anstrich wird klargestellt, dass die in Österreich im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention selbstverständlich auch bei Anwendung dieses Abkommens durch Österreich zu berücksichtigen ist.

Der vierte Anstrich trägt der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit Rechnung, um zu verhindern, dass sich verdächtige oder verurteilte Personen - vornehmlich im Bereich der schweren Wirtschaftskriminalität - durch Flucht der Strafverfolgung oder -vollstreckung entziehen können.

Zu Artikel 1:

Art. 1 statuiert eine grundsätzliche Auslieferungsverpflichtung, deren Umfang sich aus den folgenden Bestimmungen ergibt. Der zweite Absatz des Art. 1 sieht entsprechend dem Grundsatz „aut dedere - aut iudicare“ eine Verpflichtung zur Einleitung eines Verfahrens auf Ersuchen der ersuchenden Partei und die Verpflichtung zur Information über den Verfahrensausgang vor. Die Strafverfolgung richtet sich dabei nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates.

Zu Artikel 2:

Abs. 1 formuliert das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit in qualifizierter Form, wobei der nach Zeit, Ort und Modalität der Tatbegehung individualisierte historische Sachverhalt zu prüfen ist und es nicht auf die idente Deliktsbezeichnung oder die Unterstellung unter einen identen Deliktstyp ankommt. Was den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit angeht, so ist nach der österreichischen Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der Entscheidung über das Auslieferungsersuchen abzustellen (vgl. 12 Os 15/10p).

Abs. 2 setzt die zu vollstreckende Mindestreststrafe abweichend von den Regelungen des ARHG und des EuAlÜbk im Hinblick auf die nach den Erfahrungen mit außereuropäischen Staaten zu veranschlagende Dauer der Verfahren zur Auslieferung mit mindestens einem Jahr fest. Stammt die zu vollstreckende Strafe aus mehreren Verurteilungen, ist die Zulässigkeit auch gegeben, wenn sich ein Jahr Freiheitsstrafe erst durch Zusammenrechnung der einzelnen Strafen ergibt.

Wird um Auslieferung wegen mehrerer Straftaten ersucht, die nicht alle sämtliche Voraussetzungen der Auslieferungsfähigkeit nach Abs. 1 und 2 erfüllen, kann auf Grund des Grundsatzes der Akzessorietät doch bei Vorliegen einer „primär“ der Auslieferung unterliegenden Straftat eine Bewilligung auch hinsichtlich der anderen im Auslieferungsersuchen genannten Straftaten erfolgen. Die Straftaten, hinsichtlich derer die Auslieferung „akzessorisch“ bewilligt wird, müssen alle Voraussetzungen des Abs. 1 und 2 (gerichtlich strafbare Handlung, Vorsatztat, Androhung einer Freiheitsstrafe) erfüllen, lediglich von der Höhe der Strafdrohung bzw. der zu vollziehenden Freiheitsstrafe oder Maßnahme kann dispensiert werden.

Zu Artikel 3:

Das Verbot der Auslieferung wegen politischer Straftaten orientiert sich an den Standards internationaler Übereinkommen über die Auslieferung. Das Auslieferungsverbot wegen politischer Straftaten ist eingeschränkt, sofern andere völkerrechtliche Verpflichtungen, wie z. B. das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Jänner 1977 (EuTerrÜbk), ETS 090, BGBl. Nr. 446/1978, das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 (EuTerrVerhütungsÜbk), CETS 196, BGBl. III Nr. 34/2010, das VN-Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge vom 15. Dezember 1997, BGBl. III Nr. 168/2001, oder das VN-Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999, BGBl. Nr. 102/2002, diesbezüglich eine Auslieferungsverpflichtung vorsehen (Abs. 3). Entsprechend der Prädominanztheorie sieht Abs. 2 vor, dass bei relativ politischen Straftaten der Ablehnungsgrund nur bei Überwiegen des politischen Charakters der Tat ausgelöst wird.

Zu Artikel 4:

Wie sich aus dem Wortlaut („nur“) ergibt, ist der Ablehnungsgrund lediglich bei ausschließlich militärischen Straftaten heranzuziehen. Bei gemischten Delikten, die zugleich auch den Tatbestand einer gewöhnlich kriminellen Straftat herstellen, wird eine Trennung vorgenommen, wobei die gewöhnliche Straftat unter strenger Spezialitätsbindung der Auslieferung unterliegt.

Zu Artikel 5:

Durch diese Art. 2 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978 (2. ZP-EuAlÜbk), ETS 098, BGBl. 297/1983, entsprechende Regelung wird die Auslieferungsverpflichtung auch auf den Bereich der fiskalischen Straftaten erstreckt.

Zu Artikel 6:

Der Artikel spiegelt im Wesentlichen die Auslieferungshindernisse nach § 19 Z 1 bis 3 ARHG wieder und hat neben einer Wahrung der in Art. 3 und 6 der EMRK verankerten Rechte auch die Beachtung des Auslieferungsasyls zum Ziel.

Bei zu erwartenden Strafverfahren vor Sondergerichten (z. B. Militärgerichten) ist - ungeachtet der Bezeichnung dieser Gerichte - im Einzelfall zu prüfen, ob diese entsprechend rechtsstaatlichen Grundsätzen von der Exekutive unabhängig, auf einer klaren gesetzlichen Grundlage eingerichtet sind, unparteilich Recht sprechen und Verfahrensgarantien in ausreichendem Maß sichergestellt werden.

Zu Artikel 7:

Abs. 1 entspringt dem Territorialitätsprinzip und trägt dem Verbot der Auslieferung bei Vorliegen einer primären österreichischen Gerichtsbarkeit gemäß §§ 62 ff. StGB Rechnung. Das Personalitätsprinzip ist hier nicht gesondert angeführt, zumal insoweit schon Art. 10 eingreift.

Abs. 2 stellt aber klar, dass das Verbot der Auslieferung bei eigener Gerichtsbarkeit dann nicht gilt, wenn die Gerichtsbarkeit nur stellvertretend ausgeübt wird.

Zu Artikel 8:

Der Artikel unterscheidet zwischen Ne-bis-in-idem-Konstellationen, die einerseits auf rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen (Urteilen) und andererseits auf staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen, mit denen eine Einstellung der Verfolgung bewirkt wird, beruhen. Während im Fall gerichtlicher Entscheidungen die Auslieferung immer unzulässig ist, kann sie bei staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen abgelehnt werden. In diesen Fällen wird zu prüfen sein, ob die staatsanwaltschaftliche Entscheidung endgültig, also nur unter den materiellen Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme revidierbar, ist.

Zu Artikel 9:

Bei der Prüfung des Ablehnungsgrunds der Verjährung kommen die Verjährungsbestimmungen (samt den allfälligen Unterbrechungs- und Hemmungstatbeständen) beider Staaten zur Anwendung. Der Artikel folgt dem Modell des Art. 10 EuAlÜbk (vgl. auch § 18 ARHG).

Zu Artikel 10:

Nach österreichischem Verfassungsrecht (§ 12 ARHG) ist die Auslieferung österreichischer Staatsbürger ausgeschlossen. Der Ablehnungsgrund der Auslieferung eigener Staatsangehöriger wird daher von Österreich immer heranzuziehen sein.

Zu Artikel 11:

Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, können nach österreichischem Recht gemäß § 1 Z 1 und § 4 JGG nicht bestraft werden, sodass eine Auslieferung ausscheidet (vgl. auch § 21 ARHG und § 9 EU-JZG). Für die Frage der Strafmündigkeit ist der Tatzeitpunkt nach § 67 Abs. 1 StGB maßgeblich.

Zu Artikel 12:

Dieser Artikel sieht für Härtefälle die Möglichkeit einer Ablehnung der Auslieferung vor. Die Bestimmung ist auf Art. 3 und 8 EMRK zurückzuführen und dem § 22 ARHG nachgebildet.

Zu Artikel 13:

Beide Vertragsstaaten haben die Todesstrafe abgeschafft.

Zu Artikel 14:

Dieser Artikel ergänzt Art. 6 Z 1 des Abkommens um den Aspekt des Abwesenheitsverfahrens im Einklang mit Art. 3 des 2. ZP-EuAlÜbk. Voraussetzung für die Einholung einer Zusicherung ist, dass in dem der Verurteilung vorangegangenen Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, die gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkanntermaßen jeder einer strafbaren Handlung beschuldigten Person zustehen.

Zu Artikel 15:

Der Artikel regelt sowohl den Grundsatz der Spezialität als auch das Verfahren zur Erwirkung der Nachtragsauslieferung. Die in Z 2 auf dreißig Tage verkürzte Frist für den Wegfall des Spezialitätsschutzes folgt dem Vorbild der Regelung im Vierten Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 20. September 2012 (4. ZP-EuAlÜbk), CETS 212, und trägt dem Umstand vereinfachter Reisebewegungen im 21. Jahrhundert Rechnung.

Anzumerken ist, dass bei einer vereinfachten Auslieferung aus Brasilien infolge Zustimmung der gesuchten Person immer gesondert zu prüfen ist, ob mit der Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung auch ein Verzicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes erklärt wurde. Das brasilianische Recht kennt nämlich - im Gegensatz zur österreichischen Rechtslage - keinen automatischen Wegfall des Spezialitätsschutzes bei Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung.

Zu Artikel 16:

Dieser Artikel ist Ausfluss des Spezialitätsgrundsatzes und verlangt entsprechend § 23 Abs. 2 ARHG die Zustimmung des ersuchten Staates zu einer Weiterlieferung an einen Drittstaat. Eine solche Zustimmung kann nur entfallen, wenn der Spezialitätsschutz aus einem der in Art. 15 Z 2 genannten Gründe erloschen ist. Eine Zustimmung der ausgelieferten Person zur Weiterlieferung vermag die Zustimmung des ersuchten Staates nicht zu ersetzen.

Zu Artikel 17:

Dieser Artikel verweist zu den Verfahrensgarantien auf das innerstaatliche Recht und damit im Wege des § 9 ARHG auch auf die österreichische StPO.

Zu Artikel 18:

Der Artikel regelt die dem Auslieferungsersuchen anzuschließenden Unterlagen und den Übermittlungsweg. Die demnach geforderten Unterlagen stimmen weitestgehend mit den schon in Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk genannten Unterlagen überein. Der Übermittlungsweg wird - und hier liegt eine wesentliche Neuerung des Abkommens - regelmäßig über die Zentralbehörden vorgesehen, wobei der diplomatische Weg dadurch nicht ausgeschlossen werden soll.

Zu Abs. 3 ist anzumerken, dass die hier genannte Frist von fünfundvierzig Tagen lediglich zur Verbesserung oder Ergänzung der Auslieferungsunterlagen dient; Sollte die vorläufige Auslieferungshaft verhängt worden sein, sind die Auslieferungsunterlagen jedenfalls innerhalb der Frist des Art. 22 Abs. 4 zu übermitteln, um eine Entlassung aus der vorläufigen Auslieferungshaft zu vermeiden.

Zu Artikel 19:

Im Zusammenhang mit der Eröffnung des Übermittlungswegs für Auslieferungsunterlagen über die Zentralbehörden ist auch eine diplomatische Überbeglaubigung oder das Anbringen einer Apostille nach dem Übereinkommen vom 5. Oktober 1981 über die Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung, BGBl. Nr. 27/1968, im Interesse rascher Verfahren nicht mehr erforderlich.

Zu Artikel 20:

Die Übersetzungsverpflichtung entspricht dem internationalen Standard im Auslieferungsverkehr.

Zu Artikel 21:

Der Artikel lässt die Verpflichtung zur Übermittlung von Originalen nach Art. 18 zwar unberührt, ermöglicht aber eine Übermittlung der Unterlagen oder ergänzender Informationen auf vereinfachtem Weg vorab unter Berücksichtigung moderner Massenkommunikationsmittel.

Zu Artikel 22:

Ersuchen um die Verhängung von vorläufiger Auslieferungshaft müssen regelmäßig mit besonderer Dringlichkeit behandelt werden, weshalb Abs. 1 hier ein gesondertes Beschleunigungsgebot vorsieht. In Abs. 2 werden die inhaltlichen Anforderungen an das Ersuchen um Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft geregelt. Die Angaben sind so konkret zu fassen, dass sie dem ersuchten Staat ermöglichen, den für die Verhängung der (vorläufigen) Auslieferungshaft erforderlichen hinreichenden Tatverdacht und das Vorliegen der Haftgründe nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht zu prüfen. Was den Übermittlungsweg angeht, sieht Abs. 3 - nach dem Vorbild des Art. 16 Abs. 3 EuAlÜbk -zusätzlich zu den für die Übermittlung der Auslieferungsunterlagen eröffneten Wegen im Interesse der raschen Kommunikation auch den Interpolweg vor. Sofern eine Interpol-Ausschreibung zur Festnahme zwecks Auslieferung einen ausreichend individualisierten schlüssigen Sachverhalt enthält, der die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts erlaubt, ist diese als Ersuchen um Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft anzusehen.

Die in Abs. 4 festgesetzte Frist von sechzig Tagen für die Übermittlung des Auslieferungsersuchens und der Unterlagen beginnt mit dem Tag der Verhaftung zu laufen und wird von der Zentralbehörde überwacht. Diese ist auch dazu verhalten, der Zentralstelle des ersuchenden Staates die Verhaftung umgehend zu Kenntnis zu bringen. Die Voraussetzungen für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft ergeben sich aus den Bestimmungen des ARHG und der StPO.

Die Regelung des Abs. 5 über die neuerliche Verhaftung nach Entlassung aus der vorläufigen Auslieferungshaft wegen verspäteter Übermittlung der Auslieferungsunterlagen entspricht Art. 16 Abs. 5 EuAlÜbk.

Zu Artikel 23:

Die Entscheidung über die Auslieferung setzt ein Auslieferungsersuchen voraus. Lediglich die Entscheidung über die vereinfachte Auslieferung nach dem ARHG kann auch getroffen werden, bevor ein Auslieferungsersuchen eingelangt ist, sofern die Interpol-Ausschreibung den oben zu Art. 22 genannten Kriterien entspricht. Im Interesse möglichst rascher Verfahren sieht der Vertrag eine umgehende Verständigung des ersuchenden Staates von der bewilligten Auslieferung vor.

Entsprechend der mit dem Vertrag eingegangenen grundsätzlichen Verpflichtung zur Auslieferung (vgl. Art. 1) ist jede Ablehnung der Auslieferung auch zu begründen.

Außer im Fall der nach Art. 24 aufgeschobenen Übergabe oder höherer Gewalt (Abs. 4) hat die ersuchende Partei die von ihr gesuchte Person im Interesse der beschleunigten Abwicklung des Auslieferungsverfahrens innerhalb einer Frist von sechzig Tagen ab der Verständigung von der bewilligten Auslieferung zu übernehmen, widrigenfalls die gesuchte Person freigelassen und die Auslieferung wegen derselben Straftat abgelehnt werden kann (Abs. 3). Nach Wegfall des Aufschiebungsgrundes vereinbaren die Parteien einen neuen Übergabetermin, wobei die ursprüngliche Frist auch überschritten werden kann. Dabei hat regelmäßig die ersuchende Partei den Abholungstermin vorzuschlagen und die Abholung - grundsätzlich innerhalb der Frist des Abs. 3 - durchzuführen.

Zu Artikel 24:

Dieser Artikel nennt Gründe für den Aufschub der Übergabe und orientiert sich dabei an Art. 19 EuAlÜbk. Zur Aufschiebung wegen eines anhängigen Strafverfahrens ist festzuhalten, dass diese nur gerechtfertigt ist, wenn mit dem Strafverfahren eine Untersuchungshaft verbunden ist. Der Hinweis auf zivilrechtliche Verpflichtungen dient der Klarstellung und Filterung relevanter Aufschiebungsgründe.

Zu Artikel 25:

Der Artikel, der Art. 20 EuAlÜbk wörtlich übernimmt, regelt die Übergabe von Gegenständen, die bei bewilligter Auslieferung an den ersuchenden Staat übergeben werden können.

Zu Artikel 26:

Art. 26 stellt Kriterien für die Entscheidung über den Vorrang bei konkurrierenden Auslieferungs- und Übergabeersuchen auf, wobei die Aufzählung nicht taxativ ist und mit der gewählten Reihenfolge der genannten Kriterien keine Rangordnung zwischen wichtigeren und unwichtigeren Kriterien verbunden ist. Die Gewichtung der einzelnen Kriterien hat sich vielmehr an den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu orientieren.

In der Praxis wird die Entscheidung über die Einräumung des Vorrangs zumeist schon mit der Bewilligung der Weiterlieferung an einen anderen, ebenfalls um Auslieferung ersuchenden Staat verbunden, wenn alle erforderlichen Unterlagen und Informationen vorliegen.

Zu Artikel 27:

Die in Auslieferungshaft verbrachte Zeit ist unter den Voraussetzungen des nationalen Rechts auf die verhängte Strafe anzurechnen bzw. von den Vollzugsbehörden des ersuchenden Staates zu berücksichtigen. Unterbleibt die Auslieferung, ist die in Auslieferungshaft verbrachte Zeit auf eine allfällig später in einem inländischen Strafverfahren im ersuchten Staat wegen derselben Tat verhängte Strafe anrechenbar.

Zu Artikel 28:

Das Verfahren der vereinfachten Auslieferung richtet sich nach dem jeweiligen nationalen Recht, in Österreich nach §§ 32 ff. ARHG. Anzumerken ist, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses das brasilianische Recht keinen automatischen Verzicht auf den Spezialitätsschutz bei Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung vorsieht. Der Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher im Einzelfall zu prüfen.

Zu Artikel 29:

Die Kostenregelung entspricht den internationalen Standards im Auslieferungsrecht. Aufgrund der zwingend erforderlichen Flugüberstellungen nach Brasilien wird die Übergabe regelmäßig an einem Flughafen erfolgen.

Zu Artikel 30:

Die Bestimmungen zur Durchlieferung regeln jene Fälle, in denen eine Vertragspartei die Auslieferung aus einem Drittstaat begehrt und zur Durchführung der Übergabe eine Durchlieferung über das Gebiet bzw. eine Landung auf dem Gebiet der anderen Vertragspartei benötigt und diese daher um Durchlieferung ersucht. Die Voraussetzungen für die Bewilligung eines solchen Durchlieferungsersuchens sind insofern vereinfacht, als lediglich die in Art. 18 Abs. 1 lit. c und d genannten Unterlagen vorgelegt werden müssen. Diese Informationen sind regelmäßig bereits in einer Interpolfahndung zur Festnahme zwecks Auslieferung enthalten, sodass grundsätzlich eine Übermittlung des dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Haftbefehls oder Urteils auch an den um Durchlieferung ersuchten Staat nicht erforderlich ist.

Die Durchlieferung kann nur bewilligt werden, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Handlung im Sinne des Art. 2 auslieferungsfähig ist.

Zu Abs. 2 ist anzumerken, dass Österreich schon aufgrund der Verfassungsbestimmung in § 44 ARHG in allen Fällen der Durchbeförderung von eigenen Staatsbürgern von diesem Ablehnungsgrund Gebrauch zu machen haben wird.

Zu Artikel 31:

Art. 31 bestimmt die zuständigen Behörden im Sinne dieses Abkommens. In Österreich ist das Bundesministerium für Justiz zuständig.

Zu Artikel 32:

Treten bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens Meinungsverschiedenheiten auf, werden diese auf diplomatischen Weg entschieden.

Zu Artikel 33:

Dieser Artikel bestimmt das Inkrafttreten und demnach tritt das Abkommen am ersten Tag des dritten Monats in Kraft, der auf den Monat folgt, in dem die Ratifikationsurkunden ausgetauscht wurden.

Zu Artikel 34:

Dieser Artikel bestimmt die Kündigung. Das auf unbestimmte Zeit geschlossene Abkommen kann unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist von jeder der Parteien jederzeit gekündigt werden. Die Kündigung bleibt ohne Auswirkung auf noch laufende Verfahren.